Samstag, 25. Mai 2019

Kommentar: Herr Witschi geht






Es ist doch eher ungewöhnlich, wenn ein Gemeinderat oder eine Gemeinderätin während der laufenden Legislatur zurücktritt. Noch ungewöhnlicher ist es, wenn der oder die Scheidende noch jung an Jahren ist und theoretisch noch eine weitere Legislatur dranhängen könnte. Wir erinnern uns: Die letzte Gemeinderätin, die noch vor Ende ihrer Amtszeit zurückgetreten ist, war Christine D’Ingiandi - Bobst (JLL), die wegen der Amtszeitbeschränkung nicht noch einmal hätte kandidieren können. Markus Gfeller rückte für sie nach und damit konnte die FDP bei den nachfolgenden Wahlen mit einem Bisherigen antreten – was immer ein Vorteil ist, weil, die Wähler sich gerne für jemanden entscheiden, den sie schon kennen à la „der/die hat die Stadt nicht in die Luft gejagt, der wird schon okay sein“.

Jetzt geht wieder ein FDP – Gemeinderat vorzeitig – allerdings nicht aus wahltaktischen Überlegungen. Michael Witschi, Ressortleiter Sozialwesen, Altersfragen und Gesundheit, schmeisst den Bettel hin, um es salopp auszudrücken. Und begründet das nicht etwa mit einer zu hohen Belastung in Beruf oder mit dem Wunsch mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, sondern macht deutlich, dass er mit dem Exekutivamt zu kämpfen hatte. Nicht, weil es ihn überfordert hätte, sondern weil es von ihm abverlangte, die eigene Meinung zurückzustellen.

Witschi schlägt in einem Interview mit der BZ sehr kritische Töne an. Er habe das Gefühl, dass die gut vernetzten und fordernden  Bürger von einer zweiten Umverteilung der Steuergelder überproportional profitieren würden. Auf Nicht – Politiker Deutsch übersetzt heisst das so viel wie: Der Gemeinderat lässt sich von einflussreichen Leuten und Vereinen von aussen steuern, statt seine Entscheide auf der nüchternen Sachebene zu fällen (zumindest interpretiere ich die Aussage so.) 

Michael Witschi zielt damit vor allem auf ein bestimmtes Geschäft: Den Unterstützungsbeitrag für den SCL Nachwuchs, der auf Antrag des Gemeinderats, erhöht wurde.  Witschi kann dieser finanziellen Sympathiebekundung nur wenig abgewinnen. Er fürchtet, dass aus dieser grosszügigen Geste früher oder später Steuererhöhungen resultieren werden – etwas, was er als Liberaler ungefähr so sehr fürchtet wie der Vampir das Weihwasser. Um das zu verhindern, engagiert sich Witschi sogar im Referendumskomitee gegen die Erhöhung des SCL – Nachwuchsbeitrags. Fast könnte man glauben, der stets so gelassen wirkende Bauunternehmer sei auf seinen ganz persönlichen Kreuzzug, wobei er auch ganz wie die Ritter aus dem Mittelalter seinen weltlichen Gütern – sprich, in seinem Fall dem Gemeinderatsamt – entsagt hat, um sich ganz auf seine Mission zu konzentrieren.

Der überstürzte Rücktritt hinterlässt einen fahlen Beigeschmack, vor allem weil Michael Witschi in seiner Stellungnahme einen Grundpfeiler der Exekutive kritisiert. Denn, dass der Gemeinderat Entscheide gemeinsam trägt und nicht jeder einfach seine eigene Meinung vertritt, hat durchaus seine Gründe. Im Gegensatz zum Stadtparlament, wo die Stadträte und Stadträtinnen ihre Meinung sagen dürfen – und dabei auch eine andere Haltung als ihre Fraktion vertreten dürfen - tritt der Gemeinderat gegen aussen stets als Gremium auf. Wenn jetzt zum Beispiel der Gemeinderat bei einer Sitzung beschliesst, einen glitzernden Einhornpark in Langenthal zu bauen und Gemeinderat Gfeller dagegen ist, darf er in der Stadtratssitzung nicht zum Mikrofon sprinten und erklären, er sei dann dagegen gewesen, sondern muss die Haltung des Gemeinderats vertreten. Mitgehangen, mitgefangen, wie man so schön sagt.

Dass das zuweilen schwer ist, ist unbestritten. Es bedeutet nicht nur, dass man hin und wieder für etwas kämpfen muss, was man selbst nicht so dolle findet, sondern auch dass eigenen Ansichten zurückstehen müssen, etwas, was Politikern nicht zwingend liegt, denn schliesslich ist jeder von ihnen doch irgendwie der Meinung, dass seine Ideen die besten sind. Nur, hat dieses Kollegialprinzip eben auch grosse Vorteile. Es  verhindert, dass sich die einzelnen Mitglieder gegenseitig zerfleischen und die Schuld zuschieben, es sorgt dafür, dass überparteilich Lösungen gesucht werden und es stabilisiert letztendlich auch die Regierung. Ich meine, stellt euch mal das Chaos vor, wenn plötzlich all unsere Gemeinderäte – und Gemeinderätinnen machen was sie wollen, ohne Rücksicht aufeinander zu nehmen – und stellt euch vor wie unendlich lange die Stadtratssitzungen dauern würden, wenn auch noch jeder Gemeinderat zu jedem Geschäft seinen Senf dazu gäbe…

Wenn Michael Witschi in seinem Interview durchschimmern lässt, der Gemeinderat sei nicht frei in seinen Entscheidungen, vernachlässigt er die Tatsache, dass Gemeinderatssitzungen nicht öffentlich sind. Wer dort wie abstimmt, bleibt unter den Beteiligten und dringt – im Normallfall – nicht nach draussen. Das gibt den einzelnen Gemeinderäten – und Gemeinderätinnen auch die Möglichkeit, unpopuläre Entscheidungen zu fällen. Denn es kann auch Druck bedeuten, die Stimmkarte unter den Augen der Öffentlichkeit heben zu müssen, so wie es im Stadtrat der Fall ist.

Was die Sache mit der Beeinflussung angeht: Ja, ich bin auch der Meinung – und habe das auch schon geschrieben – dass der SCL es versteht, seine Strippen zu ziehen. Auch das gehört jedoch zur Politik. Hier prallen verschiedene Interessengruppen aufeinander und jede versucht, sich durchzusetzen. n. Beim SCL sind sicherlich immer Emotionen im Spiel und die werden zweifellos ihre Spuren in der Entscheidungsfindung hinterlassen haben. Auch die gehören dazu. Oder wollen wir Roboter, die alles nur kühl und sachlich beschliessen? Dann wird es ziemlich schnell, ziemlich ungemütlich auf der Welt (wobei ich persönlich mir ja wünschte, dass sich diese Gefühlswallungen nicht nur beim sportlichen Bereich zeigen würde).

Kommen wir zum letzten Punkt, der von Michael Witschi aufgeworfen wurde. Er empfindet die Politik des bürgerlichen Gemeinderates als zu wenig bürgerlich. Hier stellt sich meiner Meinung nach die Frage, ob es schlau von den Bürgerlichen wäre, ihre Mehrheit knallhart auszunutzen. Das könnte dazu führen, dass der Gemeinderat zum Feindbild der Linken mutiert, wie wir es zurzeit auf kantonaler Ebene beobachten können. Zudem ist es ja nicht so, dass es eine wahnsinnig grosse Mehrheit wäre. Das Verhältnis ist 3:4, also relativ ausgeglichen. Abgesehen davon ist es meiner Meinung nach ein Zeichen von gesunden politischen Verhältnissen, wenn die Exekutivmitglieder hin und wieder in der Lage sind, ihre Parteibüchlein zur Seite zu legen und zum Wohle der Stadt zu entscheiden statt zum Wohle des eigenen Klientel oder der eigenen Basis.

Das Beispiel von Michael Witschi zeigt eines. Auch wenn jemand grosses politisches Talent hat, bedeutet das nicht zwingend, dass er sich in der Exekutive zurechtfindet. Wer kein Teamplayer ist und Mühe hat, sich einer anderen Meinung unterzuordnen, sollte das mit dem Gemeinderat lieber sein lassen. Es bleibt zu hoffen, dass Witschis Nachfolger weniger mit dem Kollegialitätsprinzip hat. Nachrücken wird jetzt Michael Schär, FDP – Stadtrat, der damit das Kunststück fertig bringt, nach nur drei Jahren im Stadtrat in den Gemeinderat aufzusteigen. Wenn er in dem Tempo weitermacht, haben wir bis in fünf Jahren wieder einen Bundesrat aus Langenthal.

Montag, 13. Mai 2019

Das andere Stadtratsprotokoll V


Dieses Mal musste ich mich nicht durch eine euphorische SCL – Jugend kämpfen, dafür aber durch den Wind, der an diesem 13. Mai offenbar schlechte Laune hatte und mir mit voller Wucht ins Gesicht blies. Das sorgfältige Haare bürsten hätte ich mir auf jeden Fall sparen können. Bei meiner Ankunft in der Alten Mühle – wo die Stadtratssitzung stattfindet – sah ich aus wie eine äusserst attraktive Mischung aus geplatzten Sofakissen und Hermine Granger.

Da seht ihr mal was ich alles opfere für eine zeitnahe, umfassende Berichterstattung aus dem Stadtrat. Sogar meine Frisur!

Inzwischen habe ich einiges dazugelernt, was Stadtratssitzungen betrifft, vor allem in Bezug auf das Abschätzen der Sitzungslänge. Beginnt die Sitzung um 18 Uhr statt um 19 Uhr ist das immer ein Zeichen dafür, dass ein Monstergeschäft auf der Tagesordnung steht, die viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Tauchen auf der Traktandenliste die Wörter „Bewilligen“ und „Rahmenkredit“ auf, wird es tendenziell lang. Da beides dieses Mal nicht der Fall war, vermutete ich eine kürzere Sitzung als sonst.

Stadtratspräsident Patrick Freudiger (SVP)  bestätigte meine Theorie gleich in seiner Einleitung, in dem er darauf hinwies, dass nach der Sitzung das bisher verschobene Apéro der Stadträte stattfinden würde – möglicherweise auch als Anreiz dafür, die Voten nicht allzu ausufernd zu gestalten. Die Aussicht auf Essen und Trinken hat ja manchmal diese Wirkung (übrigens bewies Patrick Freudiger, der ja der SVP gehört, ein Herz für Arbeiter, in dem er darauf verzichtete, das Apéro im Foyer des Stadtratssaals abzuhalten, was bedeutet hätte, dass ein armes Cateringteam sich stundenlang die Beine in den Bauch hätte stehen müssen. Ob Freudiger wohl doch einen kleinen Gewerkschafter in sich hat?)

Weniger schön war die zweite Mitteilung, die von Stadtpräsident Reto Müller (SP) überbracht wurde. Statdtschreiber Daniel Steiner hat einen Herzinfarkt erlitten und obwohl es ihm bereits etwas besser geht, ist abzusehen, dass er vorerst nicht in die Stadtverwaltung zurückkehren wird. Seine Aufgaben werden von seiner Stellvertreterin Sandra Steiner übernommen. Das bedeutet einen weiteren – wenn auch nur vorübergehenden – Verlust für die Stadtverwaltung, die ohnehin mit Vakanzen zu kämpfen hat (so ist die Stelle des Stadtbaumeisters noch immer unbesetzt), was wiederum bedeutet, dass sie Aufgaben priorisieren muss und eher langsamer als schneller wird. Reto Müller bat dafür um Verständnis und wünschte Daniel Steiner alles Gute bei seiner Genesung.

Punkt 1 auf der Traktandenliste war: Die Totalrevision des Wahl – und Abstimmungsreglements. Das ist natürlich von enormer Wichtigkeit, denn hier entscheidet sich, nach welchen Regeln das Wahlverfahren in Langenthal zukünftig durchgeführt wird. Und je nachdem für welche Varianten sich der Stadtrat entscheidet, hat das für die einzelnen Parteien vor – oder Nachteile. Es liegt da in der Natur der Sache, dass die Fraktionen hier auch strategisch entscheiden.

Die Berichterstattung zu diesem Geschäft übernahm dann auch der Chef persönlich, nämlich Stadtpräsident Reto Müller. Berichterstattung klingt immer etwas irreführend. Bei Berichterstattung denke ich immer an einen Aussenreporter im Regenmantel, der aus einem Sturmgebietet berichtet oder so. Aber eigentlich bedeutet Berichterstattung in dem Zusammenhang eher eine Kurzzusammenfassung der bisherigen Ereignisse. Reto Müller tat das in gewohnt hohen Sprechtempo (evtl. wäre eine Karriere als Rapper ja auch was für ihn, so schnell wie er redet) und wies daraufhin, dass das so vorliegende Reglement bzw. die Grundsatzfragen dazu, bereits einmal im Stadtrat besprochen wurde (um genau zu sein, am 5. Februar 2018, also bevor ich regelmässige Besucherin der Sitzung wurde).
Paul Beyeler (EVP) sprach für die Geschäftsprüfungskommission und regte einige Änderungen an, da die Kommission doch noch einige formelle Fehler entdeckt hatte. Die GPK beantragte eine zweite Lesung (bedeutet, das Geschäft wird noch einmal besprochen) und eine Wahlsimulation (man spielt eine Wahl durch, um zu testen, ob das Reglement so funktioniert), sowie das Beiziehen eines externen Ratgebers, in Form von Rechtsanwalt Dr. Daniel Arn, der an der Sitzung ebenfalls anwesend war. Beide Anträge wurden angenommen und Dr. Daniel Arn durfte seinen Sitz im Zuschauerraum gegen einen im Stadtrat tauschen. Wobei sich Reto Müller als Butler versuchte und ihm sogar einen Stuhl holte. Aber Dr. Daniel Arn nahm lieber am Tisch des Stadtratspräsidenten Platz. So konnte Dr. Daniel Arn die Diskussion also verfolgen (habe ich schon erwähnt, dass er Dr. ist? Ich dachte, wenn schon alle im Stadtrat so auf diesem Doktortitel rumreiten, muss ich ihn hier auch einstreuen.)

Die Fraktionssprecher äusserten sich ebenfalls zum Geschäft, wobei sich ihre Begeisterung spürbar in Grenzen hielt. Pascal Dietrich (der, eigentlich als Letztes hätte sprechen wollen, wie er bei seinem Votum etwas spöttisch anmerkte, aber da niemand sonst Anstalten machte, als Erstes ans Rednerpult zu treten, opferte er sich. Das erinnerte mich ein wenig an die Schule, wo es auch immer diese tapferen Jungs/Mädels gegeben hat, die als Erstes den Vortrag hielten) machte deutlich, dass die Kommission aus Sicht der FDP/JLL Fraktion das Reglement eher verschlimmbessert als verbessert hat.

Auch Daniel Steiner (EVP) schien nicht gerade Feuer und Flamme für das vorliegende Reglement zu sein, merkte aber an, dass es vielleicht doch auch für eine gewisse Qualität spreche, wenn „alle ein bisschen unzufrieden, aber niemand richtig zufrieden ist.“ Seine Fraktion störte sich insbesondere daran, dass es nicht gelungen ist, die Verdrängungsregel zu verdrängen (seine Worte nicht meine).

Was ist die Verdrängungsregel, wird sich vielleicht der eine oder andere Lesende fragen? Das habe ich mich während der Diskussion auch gefragt. Nun, ich vermute mal – so habe ich es aus der Diskussion entnommen – es geht um die Tatsache, was für Konsequenzen es für gewählte Gemeinderäte hat, wenn der Stapi aus ihren eigenen Reihen kommt. Momentan ist es so, dass wenn ein Stadtpräsident gewählt wird, der am schlechtesten gewählte Gemeinderat aus derselben Partei wieder aus dem Gemeinderat rutscht. Bei den letzten Wahlen war es so, dass Reto Müller von der SP gewählt wurde. Damit „verdrängte“ er quasi Bernhard Marti, der von den SP – Gemeinderäten, die wenigstens Stimmen geholt hatte (sonst wären es ja drei SP – Gemeinderäte, was sich nicht mit dem Proporz vertragen hätte) Diese Regelung führte schon früher zu Diskussionen zum einen, weil man sie relativ knapp vor den letzten Wahlen noch definiert hat (ganz nach dem Motto oh – ups – stimmt – wir – haben – Wahlen – vielleicht – sollten – wir – noch  - schnell – das - Wahlreglement – überarbeiten) und zum anderen weil es uns letztendlich vor die Frage stellt: Gilt der Stadtpräsident als Gemeinderat? So viel zum Thema Verdrängungsregel.

Roland Loser (der von Patrick Freudiger kurzerhand als FDPler betitelt wurde, was schon ein bisschen gewagt ist, denn auch wenn die FDP und SP in Langenthal sicher mehr Berührungspunkte haben als in anderen Städten, wäre es dann doch etwas zu viel der Fusion, wenn ein Liberaler Co – Präsident – und Fraktionspräsident der SP wäre) schliesslich warf mit klugen Zitaten von Leonardo da Vinci um sich. „Die meisten Probleme entstehen bei ihrer Lösung!“, philosophierte er und stimmte dann seinen Vorrednern insofern zu, dass es sich bei dem Reglement um einen typischen Langenthaler Kompromiss handelt, dem seine Fraktion allerdings  grösstenteils unterstützten werde. Die SVP dagegen kündigte an, nicht nur die Anträge der GPK mitzutragen, sondern auch eigene zu stellen.

Der erste Antrag betraf Artikel 45, der die sogenannte „Stille Wahl“ bei den Stadtpräsidenten Wahlen einführen will. Eine „Stille Wahl“ geschieht dann, wenn sich nur ein Kandidat für das Stadtpräsidium zur Verfügung stellt. Bis jetzt wurde in Langenthal auch in diesem Fall gewählt, nach der Änderung des Reglements „entfällt“ diese Wahl, das heisst, der Stapi (oder die Stapi) ist gewählt, ohne Stimmen bekommen zu haben.

Genau das ist Bernhard Marti (SP) ein Dorn im Auge. Er möchte, dass auch dann gewählt wird, wenn keine Gegenkandidatur eingegangen wird. Dies sei wichtig, so Marti, damit der Stapi auch eine Art Feedback von der Bevölkerung erhalten würde (wenn er viele Stimmen bekommt, ist davon auszugehen, dass er seine Arbeit in den Augen der Langenthaler – und Langenthalerinnen gut gemacht hat. Oder dass er ein verdammt hübsches Wahlfoto hat…). Reto Müller zeigte sich eine Spur amüsiert über den Antrag von Marti, denn ursprünglich kam der Vorschlag für die Einführung einer „Stillen Wahl“ von der SP, der Bernhard Marti bekanntlich angehört. Da erinnere ich mich spontan an einen Comicstrip aus den „Lustigen Taschenbüchern“ in dem Dagobert Duck seinen Neffen Donald erklärte: „Ich halte es wie die Politiker. Was interessiert mich das Geschwätz von gestern?“ (Wobei ich hier fairerweise anmerken möchte, dass die Meinung der Partei, ja nicht zwangsläufig die Meinung des einzelnen Mitglieds sein muss.)

Ebenfalls zu diskutieren gab der Artikel 50 (bitte beachtet, dass ich mir sogar die Artikelnummern aufgeschrieben habe? Bin ich nicht eine fleissige Biene?), den hier ging es um die Frage, ob Stapikandidaten gleichzeitig für den Gemeinderat kandidieren dürfen. Das Reglement erlaubt dies. Die FDP/JLL stellte einen Änderungsantrag, der beinhaltete, dass die Stimmen der Stapiwahl bei der Gemeinderatswahlen als ungültig deklariert werden. Konkret bedeutet das: Angenommen ich würde sowohl für das Stadtpräsidium als auch als Gemeinderätin kandidieren und die Wahl zur Stadtpräsidentin schaffen, würden meine Stimmen, die ich auf der Gemeinderatsliste gesammelt habe, entfallen.

Das klingt jetzt noch relativ nachvollziehbar, aber was ist denn, wenn jemand als Stapi und Gemeinderat kandidiert und die Wahl als Stadtoberhaupt verpasst, dafür allerdings als Gemeinderat gewählt wird? Dann wird er eben Gemeinderat, lautet die logische Schlussfolgerung. Nur, was wenn er aufgrund der Amtzeitsbeschränkung (in Langenthal kann man höchstens 8 Jahre lang im Gemeinderat sitzen) die Wahl gar nicht annehmen darf? Dann sollen seine gesammelten Stimmen ebenfalls ungültig werden, so der Antrag der FDP (mir persönlich hat sich während der ganzen Diskussion nicht erschlossen, warum man den Fall nicht einfach kategorisch ausschliesst, in dem man sagt, dass ein Gemeinderatsmitglied, das bereits 8 Jahr in Amt und Würde war, gar nicht für einen Gemeinderatssitz kandidieren, sondern sich ausschliesslich für das Stadtpräsidentenamt zur Verfügung stellen darf. Denn was für ein Sinn macht es, für ein Amt  zu kandidieren, dass man rechtlich gesehen gar nicht ausüben darf?)

Trotz Reto Müllers Hinweis, dass die Änderungen dazu führen würden, dass die Wahlauswertung dadurch erheblich erschwert würde (das wird ja eine ganz schöne Rechnerei) stimmte der Stadtrat dem Änderungsantrag der FDP mehrheitlich zu.
Weitere Änderungsanträge betrafen Artikel 51, bei dem eine verwirrende Formulierung rausgestrichen wurde und Artikel 54, der die Nummerierung der Wahllisten regelte. Bis anhin wurde das von der Stadtverwaltung vorgenommen – allerdings ohne dass je veröffentlicht wurde, nach welchen Kriterien das geschieht. Daniel Steiner  wollte das ändern und sich an der kantonalen Verordnung orientieren, die die Nummern nach Listeneingabe bzw. Los verteilt. Roland Loser gab zu bedenken, dass die Stadtverwaltung die Einheit der Listennummern (also das Gemeinde – und Stadtratslisten der Parteien identische Nummern haben) garantiert, während Reto Müller als Sprecher des Gemeinderats erneut aufwarf, dass auch diese Entscheidung schon einmal gefällt wurde (tatsächlich erinnerte Reto Müller während der Debatte zunehmend an einen Papagei, so oft musste er wiederholen, dass das alles schon einmal eingehend besprochen worden war). Hier setzte sich der Gemeinderat mit seinem Antrag durch.

Was passiert denn eigentlich, wenn ein gewähltes Stadtratsmitglied zurücktritt. Dann übernimmt in der Regel der – oder diejenige -  auf der Wahlliste, die auf dem Platz hinter der/dem Gewählten gelandet ist. Und wenn der oder die nicht will, folgt der Nächste/die Nächste und so weiter. Soweit so gut, nur was, wenn keine Ersatzkandidaten mehr auf die Liste sind? Im vom Gemeinderat vorgelegten Reglement, könnte dann das zurücktretende Stadtratsmitglied entscheiden, wer nachrückt. Eine heikle Sache, findet Janosch Fankhauser von der SVP und brachte das Beispiel mit der PNOS, die schon einmal mit einer Einer - Kandidatur angetreten sind. Wenn die rechtsradikale Partei das wieder tut, ihr Kandidat gewählt werden würde und dann zurückträte, könnte er seinen Sitz theoretisch jedem vererben, auch dem schlimmsten Rechtsextremen. Um zu verhindern, dass jemand ohne demokratische Legitimation durch die Hintertür in den Stadtrat kommt, wollte die SVP, dass im Wahlreglement festgelegt wird, dass in diesem Fall eine Wahl stattfinden muss, selbst dann, wenn es nur um einen einzigen Sitz gibt. Unterstützt von der FDP kam der Antrag durch.

Die in Langenthal erlaubten Listenverbindungen möchte die SVP jetzt untersagen bzw. einschränken, weil diese die Wahlresultat verfälschen würden Es soll zwar weiterhin möglich sein zum Beispiel eine Frauen – und Männerliste einzugeben, eine Listenverbindung mit Gewerkschaften wäre für die SP allerdings nicht mehr möglich. Weil die Antragssteller selbst nicht recht wissen, wie sie diese Änderung im endgültigen Reglement formulieren sollen, stellen sie einen Prüfungsantrag, der jedoch abgelehnt wird.
Im letzten Änderungsantrag ging es um den Beitrag, den die Wahllisten vom Stadtrat zugesprochen bekommen. Daniel Steiner möchte die Formulierung „der Stadtrat darf gewähren, ändern in „der Stadtrat gewährt“. Der Antrag kommt durch, mit den knappsten Resultat des Abends: 17 zu 18, bei einer Enthaltung. Schwein gehabt.

Nach dieser  Detailberatung folgte das nächste Traktandum. Die Revision der Stadt Langenthal wird stets von externen Stellen übernommen. Momentan liegt der Auftrag bei der Gesellschaft von Markus Gefeller (FDP). Da dieser jedoch inzwischen Gemeinderat ist, stellt sich die Frage der Unabhängigkeit, weshalb der Auftrag jetzt neu vergeben werden muss und zwar an jenen Anbieter, der damals bei der Ausschreibung den zweiten Platz gemacht hat. Der Stadtrat stimmt dem ohne Diskussion zu.

Helena Morgenthaler, Gemeinderätin SVP, musste im nächsten Traktandum um eine erneute Fristverlängerung für das Ausarbeiten eines Stadtarchivs bitten. Zwar ist das inzwischen aufgeräumt und geordnet, es fehlt allerdings noch ein passendes Gebäude für das Archiv. Die Motion, die dieses Geschäft ins Rollen gebracht hat, wurde vor zehn (!) Jahren eingegeben. Das ist quasi der Flughafen Berlin von Langenthal. Motionär Urs Zurlinden musste die Fristverlängerung zähneknirschend akzeptieren, denn natürlich wurde sie vom Stadtrat gewährt (wobei es mich interessieren würde, was passiert, wenn der Stadtrat eine Fristverlängerung nicht gewährt?) Auch die Umsetzung einer anderen Motion wurde verschoben und zwar die Bereitstellung der Akten in elektronischer Form.

Die beiden Interpellationen des Abends berührten ein Thema, das in Langenthal sehr emotional beladen ist: Das Porzi – Areal. Hier war einst die mächtige und berühmte Porzellanfabrik angesiedelt (das ist der Grund warum Langenthaler so gerne das Geschirr umdrehen, wenn sie auswärts essen gehen. Sie wollen wissen, ob es auch IHR Porzellan ist). Der Glanz des industriellen Zeitalters ist zwar verblasst und die Produktion des Porzellans ist längst nach Tschechien verlegt worden, doch das Areal ist keineswegs verlassen. Verschiedene kleinere Unternehmen und Werkstätte haben sich hier angesiedelt bzw. eingemietet. Nur, das Areal gehört nicht der Stadt, sondern verschiedenen Eigentümern. Unter anderem Stephan Anliker, der ganz eigene Visionen für die Nutzung dieses Areals hat. Um die Bedürfnisse aller Beteiligten einigermassen zu befriedigen, läuft eine Testplanung. Es würde jetzt zu weit führen den ganzen Konflikt aufzudröseln – vielleicht mache ich mal einen eigenen Blogeintrag dazu – doch so viel sei gesagt: Stadt, Eigentümer und Mieter haben zurzeit das Heu nicht unbedingt auf derselben Bühne. Es wird viel gestritten, wer jetzt was wem wann versprochen hat. Für Zündstoff sorgt die Tatsachte, dass der sogenannte Bahnhof Süd, der BLS, ins Porziareal verlegt werden sollte. Darüber ärgerte sich Samuel Köhli (SP) in seiner Interpellation. Seiner Meinung nach werden die Mieter in der Porzi  so vor vollendete Tatsachen gestellt.

Auch Michael Schär (FDP) war nicht zufrieden mit dem Gemeinderat. Die Porzi hatte nämlich auch ein Archiv und genau dieses Archiv ist a) in keinem besonders guten Zustand und b) gehört es den Tschechen. Da die wahrscheinlich nichts damit anfangen können, dieses Archiv  für Langenthal allerdings einen hohen historischen Wert hat, bemühte sich die Stadt um Kontaktaufnahme mit den Tschechen, um die Besitzverhältnisse zu klären. Denn wenn das Porziareal umgestaltet wird, besteht die Gefahr, dass der wertvolle Inhalt des Archivs verloren geht bzw. weggeworfen wird.  Die Stadt reisst sich, laut Michael Schär,  allerdings nicht gerade ein Bein aus, um mit Tschechien in Verhandlungen treten zu können.

In der parlamentarischen Fragestunde, die am Ende der Sitzung erfolgte, wurde klar, dass in Langenthal zwar noch kein Klimanotstand ausgerufen wurde, das Thema Umwelt aber sehr wohl die Gemüter der Stadträte – und Stadträtinnen bewegt. So ging es um die Kosten von Littering, darum ob das Aktienkapital der Stadt auch in Firmen mit hohen CO2 Ausstoss stecke, um ein Konzept für Biodiversität, das Pflegen der Grünflächen in Langenthal, die Mehrweggeschirrregelung (unglaublich, aber das Wort existiert tatsächlich im Word – Wörterbuch!) für Grossanlässe  und um bienenfreundliche Flächen in der Stadt („und diese Biene, die ich meine, die heisst Maja…). Es grünt so grün, wie Langenthals Blüten blühen, kann man da nur sagen.

Was sonst noch aufgefallen ist:
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  • Im Stadtrat werden modische Statements gesetzt. Erwähnt seien hier die Ringelsocken eines Stadtrates und die auffallend bunten Turnschuhe eines Gemeinderates. Auch Fussbekleidung kann Stil haben.

  •  Obwohl Janosch Fankhauser  bei einem Antrag davon redete, dass seine Partei in die Opposition treten würde, waren es schlussendlich die Mikrofone, die opponierten, indem sie erneut den Geist aufgaben bzw. munter vor sich hin pfiffen (Stadtpräsident Müller, von Natur aus mit einem kräftigen Stimmorgan gesegnet, kam allerdings auch ohne Mikrofon gut zurecht.)
  •  Andri Lehmann (Grüne) wurde beim Appell versehentlich als Frau Lehmann bezeichnet. Vielleicht wollte Janine Jauner, die souveräne Sekräterin, mit dieser spontanen Geschlechtsumwandlung auch einfach den eher knappen Frauenanteil im Stadtrat heben.
  • In der FDP Fraktion wurden Petit Beurres gegessen, was beim Lama zu einem starken Hunger auf Kekse führte (Memo an mich: Essen mitbringen).


Best of Stadtrat

„Kompromisse sind, glaube ich, Teil von einer gesunden Demokratie.“ Janosch Fankhauser (SVP), weiss im Gegensatz zu Parteigspännli Erich Hess, was ein Kompromiss ist.

„Das Feedback geht besser über Wahlen als über Facebook.“ Bernhard Marti (SP) bringt erneut das Social Media Verhalten von Stapi Reto Müller (SP) aufs Tapet.

„Nun gut, vielleicht sind 50 Jahre etwas zu hoch gegriffen. Sagen wir 45 Jahre!“ Pascal Dietrich (FDP) gibt sich dann doch lieber etwas bescheidender, was die Laufzeit des neuen Wahl – und Abstimmungsreglements betrifft.

„Ich steh jetzt hier am Rednerpult, damit ihr Zeit habt, zu überlegen.“ Roland Loser (SP), zeigt sich aufopferungsvoll.

„Wir haben wahrscheinlich das komplizierteste Wahlreglement auf diesem Planeten!“ Noch einmal Roland Loser (SP). Immerhin nicht das komplizierteste im Universum…

„Wir hätten ein ganz einfaches haben können…ich sage nur: Majorzwahlen.“ Pascal Dietrichs (FDP) süffisanter Konter.

„Maoistisch formuliert…“ Genosse Freudiger (SVP).

„Niemand fühlt sich unter Druck gesetzt, nur weil man nach sieben Monaten wieder einmal angerufen wird!“ Michael Schär (FDP) redet hier nicht etwa über ein Date mit einem bindungsunfähigen Menschen, sondern über die schwierige Kommunikation mit den Tschechen.

„Der Stadtrat hat beschlissen---äh beschlossen…“ Reto Müller (SP) mit einem Versprecher. Gut hat er nicht „verschissen“ oder „geschlissen“ gesagt…

„Kleine Aufforderung an euch: Werdet alle Imker!“ Michael Witschi, Gemeinderat FDP, möchte offenbar, dass die Stadträte mehr Zeit an der frischen Luft verbringen. Oder er ist einfach scharf auf den Honig.

Michael Witschi zu Michael Schär: „Bist du zufrieden mit den Antworten?“
Saima Sägesser (SP): „Das waren meine Fragen!“
Michael Witschi: „Ups, sorry. Bist du zufrieden?“
Saima Sägesser: „Jetzt schon!“
Saima Sägesser wehrt sich, als ihre Fragen betreffend den Bienen Langenthal Michael Schenk zugeschrieben werden.   

„Um die Frage bin ich wirklich froh…ist wirklich so!“ Markus Gfeller (FDP) ist nicht sarkastisch. Ihm liegen Parkuhren wirklich am Herzen.

Das andere Stadtratsprotokoll - Die Ostern - Edition: Der (Fast) Liveticker zur Stadtratssitzung vom 25.3.2024

  Das Vorgeplänkel ·         Hallo und herzlich willkommen zum neuen exklusiven anderen Stadtratsprotokoll, geschrieben wie üblich von e...