Montag, 31. August 2020

Das andere Stadtratsprotokoll XV

 

Damals als das Wünschen noch geholfen hat; da regierte in einer kleinen namens Langathun ein roter König gemeinsam mit seinem Ministerrat. Weil sie das allerdings trotz ihrer edlen Erhabenheit nicht alleine konnten, riefen sie aus dem ganzen Reich die vierzig klügsten Köpfe – oder zumindest die vierzig, die vom Volk dafür gehalten wurden – zusammen, um über die Geschicke des Städtchens Langathun zu entscheiden. Und es waren düstere Zeiten, denn die böse Fee Corona hielt auch diesen schönen Fleck Erde mit eisigem Griff umfangen…

Na, wie mache ich mich so als Märchentante? Ich könnte auch noch eine Bühnenfassung vom Stadtratsgeschehen schreiben! Vielleicht bekäme ich dafür sogar einen Literaturpreis verliehen! Also, ich müsste dafür einfach noch ein paar Nackte ins Geschehen reinschmuggeln und am Schluss müssten leider alle Figuren sterben oder in ein Irrenhaus verwiesen werden…Aber es könnte funktionieren. Ich würde reich und berühmt werden und… Okay, nein, würde ich wahrscheinlich nicht. Aber man darf schliesslich ein bisschen träumen oder? Ich träume von Literaturpreisen, der Stadtrat träumt von positiven Budgets. Und beide bekommen wir nicht, was wir wollen. So viel sei schon mal verraten (sorry für den kleinen Spoiler).

Erfreulicherweise war an dieser Stadtratssitzung wieder Publikum zugelassen (was mich allerdings vor die Frage stellte, ob ich mich jetzt als Medienvertreterin bezeichnen oder wieder ins Publikum zügeln will. Ich habe mich für Ersteres entschieden. Medienschaffende haben nämlich ein Pult. Das erleichtert das Schreiben ungemein), natürlich unter Einhaltung der Hygieneregeln (genügen Abstand, kein Pfötchen schütteln, Registrierungspflicht und keine wilden spontanen Knutschorgien). Im Anbetracht der aktuellen Lage fand die Sitzung wieder im Parkhotel stand, wo es ausreichend Platz für Stadtratsmitglieder, Medien und Publikum gibt (so lange niemand einen Elefanten mitbringt).

Gleich zu Beginn konnte Stadtratspräsidentin Martina Moser (SP) einen Neuzugang begrüssen: Jana Fehrensen rückt in der FDP für den abgetretenen Roland Baader nach. Spontaner Applaus vom Stadtrat (ich war nicht sicher, ob das Publikum mitklatschen durfte. Hiess ja mal, jegliche Beifallsbekundungen seien während der Sitzung zu unterlassen…). Willkommen, Jana! (Verstärkung für die Schöngeister in der FDP, würde ich sagen).

Nach dem Appell (warum salutiert eigentlich nie jemand, wenn sein Name genannt wird?) ging es dann frischfröhlich ans Traktandum 2, das gleich mit Traktandum 3 verknüpft ist: Finanzplan und Budget. Die sind wie Ostern und Weihnachten. Kommen alle Jahre wieder. Nur, dass sie keine Geschenke bringen, sondern meist schlechte Nachrichten, die dann im Stadtrat ein kollektives Jammern auslösen.

Als Dagobert Duck von Langenthal wurde Gemeinderat Roberto de Nino (SVP) die Ehre zuteil,  zu Finanzplan und Budget zu sprechen (Ersteres kann vom Stadtrat lediglich zur Kenntnis genommen werden, bei letzterem stimmt er darüber ab). Vermutlich hat de Nino auch schon angenehmere Aufgaben übernommen, denn Corona, das kleine Bitch – Virus, hinterlässt in den Finanzen seine Spuren. Ursprünglich war es mal ein Legislaturziel, das sogenannte strukturelle Defizit der Stadt zu verringern. Inzwischen ist eher das Gegenteil der Fall. Für die Erfolgsrechnung 2021 rechnet Langenthal mit einem Defizit von 1.92 Mio Franken.

Die Gründe dafür zeigte Roberto de Nino in seinem Referat auf. Der Sachaufwand fällt relativ hoch aus, wegen dem ICT4Kids (wir erinnern uns: die ausgelagerte Schulinformatik). Dazu kommen der Abschreibungsaufwand, wegen der vielen getätigten Investitionen und der Personalaufwand, die ebenfalls grosse Posten im Budget stellen. Der Finanzausgleich schenkt ebenfalls ein (das sind kantonale Abgaben) und ist zudem nicht beeinflussbar (der Kanton richtet sich unglücklicherweise nicht nach unseren Bedürfnissen. Wir richten uns nach den Bedürfnissen des Kantons).

Parallel zu den steigenden Aufwänden, sinken die Erträge. Wegen Corona budgetiert die Stadt weniger Steuererträge von „juristische Personen“ (das sind z. B Unternehmen), weil deren Umsätze gesunken sind, ergo sie auch weniger zu versteuern haben. Bei natürlichen Personen (das sind du und ich. Ausser du bist ein Roboter), sollte der Effekt, laut Roberto de Nino, weniger drastisch ausfallen, weil nicht viele Menschen eine kompletten Einnahmeverlust hatten. Und weil man aktuell davon ausgeht, dass die Bevölkerung in Langenthal wachsen wird (Kommt und gebt uns euer Geld!).

Dennoch kommt das Budget 2021 besser daher als das Budget 2020. Grund dafür ist die Auflösung der Stiftung Alte Mühle und die Rückführung besagter Liegenschaft ins städtische Vermögen (welcom back, Baby!) Damit wird das Budget quasi „aufgehübscht.“ Das funktioniert allerdings nur dieses eine Mal (ausser wir lagern die „Alte Mühle“ jetzt halbjährlich wieder aus, um sie uns dann pünktlich zur Budgetherstellung wieder zu krallen).

Insgesamt beträgt das Defizit des Gesamthaushalts 2,05 Millionen, was nach meiner bescheidenen Einschätzung schon ein Batzen Geld ist. Roberto de Nino sprach dann auch von „dunklen Wolken“ die am Horizont aufziehen würden. Es bestehe mittelfristig Handlungsbedarf, gab er zu, allerdings müssen die geeigneten Massnahmen um das Defizit zu verringern, wohlüberlegt sein. Trotz der immer höher werdenden Aufwänden, den kleiner ausfallenden Erträgen und dem niedrigen Selbstfinanzierungsgrad betonte de Nino, dass der Gemeinderat am bisherigen Steuerfuss festhalten wolle.

Vor den Voten der einzelnen Fraktionen stellte Roland Loser (in flotten roten Turnschuhen. Die will ich auch) für die GPK, die formelle Richtigkeit fest. Zwar gab die Rückführung der „Alten Mühle“ zu reden, denn das Vorgehen des Gemeinderates ist durchaus ungewöhnlich. Genau genommen muss der Stadtrat dieser Rückführung nämlich erst noch zustimmen. Das Geschäft wird jedoch erst in einer der nächsten Stadtratssitzungen behandelt. Insofern griff der Gemeinderat dem Stadtrat vor. Das sei vertretbar, so GPK – Sprecher Loser. Ein bisschen störten er und seine Kollegen sich zwar an der „dramatischen Formulierung“ in der Abstimmungsbotschaft (Ach, kommt schon. Wenn es je einen Zeitpunkt für Drama gab, dann jetzt.), ansonsten zeigte sich die GPK zufrieden.

Weniger zufrieden waren die Parteien. Sie zeigten sich durchs Band weg ein wenig…hm, wie soll ich es ausdrücken… frustriert? Missmutig? Auf jeden Fall stand niemand auf und sang ein spontanes Loblied auf das Budget. Jürg Schenk von der EVP/GLP Fraktion sprach von einem „mulmigen Gefühl“, während Pascal Dietrich (FDP) die Regenwolken draussen als passende Metapher empfand. Er riet dem Gemeinderat dann auch, nicht erst in der nächsten Legislatur passende Massnahmen zu ergreifen, sondern sich schon jetzt Gedanken zu machen, wie man die Situation verbessern könnte.  Paul Bayard (SP) brachte in seiner Stellungnahme eine Erhöhung des Steuerfusses ins Spiel. Trotz leiser Kritik kündeten alle drei Fraktionen an, das Budget anzunehmen.

Richtig Schelte gab’s aber von der SVP – Fraktion. Patrick Fluri diagnostizierte knallhart, dass  Langenthal über seine  Verhältnisse lebt. Ausserdem störte er sich daran, dass bei vielen Investitionen versprochen wurde, dass sie über einen längeren Zeitraum betrachtet zu weniger Ausgaben führen würden, der Effekt aber bis heute nicht eingetroffen ist. So verbrauchen die LED – Lampen noch immer gleich viel Strom wie die alten Lampen und auch das Outsourcing der Schulinformatik hatte bis jetzt noch nicht den gewünschten positiven Einfluss auf die Stadtfinanzen.

Noch deutlicher wurde seine Parteikollegin Corinna Grossenbacher. Sie verkündete energisch, dass sie dem vorliegenden Budget auf keinen Fall zustimmen würde. Den Übertrag der „Alten Mühle“ bezeichnete sie als „Augenwischerei“ und beim Finanzplan überkäme sie „das kalte Grauen.“ Vor allem die hohen Personalkosten in der Stadtverwaltung sind ihr ein Dorn im Auge. Sie wünsche sich eine schlanke, effiziente Verwaltung, erklärte Corinna Grossenbacher so inbrünstig, dass man sich nicht gewundert hätte, wenn sie angefangen hätte, eine Arie aus Carmen zu schmettern. Feuer hat die Dame.

Trotz der zum Teil harschen Kritik: So richtig Lust zum Sparen hat eigentlich keine Fraktion. Urs Zurlinden (FDP) wollte die 5‘000 Franken, die die Stadt aufgrund der Schliessung der Kunstgalerie Leuebrüggli nicht mehr aufwerfen muss, gleich umverteilen und die SVP, die gefühlt um jede gebrauchte Büroklammer auf der Stadtverwaltung streiten will, wollte frischfröhlich mal ebenso die Liegenschaftssteuer senken. Beide Anträge würden abgelehnt. Ja, das mit dem Sparen würde halt viel mehr Spass machen, könnte man nur dort sparen wo es Spass macht, aber weil man eben dort sparen muss, wo es eben keinen Spass macht, wird es eben nie was mit dem Sparen…(grosse Gedanken von einer grossen, leider verkannten Dichterin).

Lange Rede, kurzer Sinn: Trotz leichter Weltuntergangsstimmung wurde das Budget vom Stadtrat grossmehrheitlich gutgeheissen. Bei der Abstimmungsbotschaft wurden noch leichte Korrekturen angebracht. So wurde an einem Ort vom „ausgespienen“ Strom geredet, statt vom ausgespiesenen Strom (wobei ich erstere Formulierung witziger fand). Letzten Endes wird die Stimmbevölkerung über das Budget befinden können.

Dann stand mal wieder die Revision eines Reglements auf dem Plan (mal ehrlich, was treibt der Stadtrat denn, wenn wir alle Reglemente durch haben? Fangen wir dann wieder von vorne an?). Diesmal ging es um die Kommissionen. Bis jetzt waren die Regelungen für die Kommissionen in verschiedenen Dokumenten zu finden, was zu einer gewissen Verzettelung führte. Nun soll es pro Kommission ein eigenständiges Reglement geben. Jedem Gärtner sein Gärtchen. Oder so. Wegen der sehr umfangreichen Dokumentenflut beantragte der Gemeinderat eine zweite Lesung (manchmal frage ich mich ernsthaft, wie es wäre, ein Geschäft in einer Lesung zu bearbeiten. Ob es wohl wehtut?).

GPK – Sprecher Patrick Freudiger lobte den Gemeinderat für seine „strategisch richtige Entscheidung“ (wow, ein Kompliment an die Exekutive. Wahrscheinlich zehren sie für das nächste halbe Jahr davon) und offenbarte erneut, dass an der GPK eine Runde Deutschlehrer*innen verlorenen gegangen ist, indem er die nicht einheitliche Interpunktion kritisierte. Ansonsten lobte er die gute Vorarbeit.

Paul Beyeler (EVP), seines Zeichens diplomierter Kommajäger, äusserte sich generell kritisch zu den Kommissionen. Sie hätten kein gutes Renommee in der Bevölkerung, so Beyeler (kann ich so nicht unterschreiben. Ich glaube, ein Grossteil der Langenthaler*innen weiss schlichtweg nicht, was die Kommissionen so genau treiben) und es sei schwer, Leute dafür zu finden. Ausserdem beklagte er, dass diese Revision erst sehr spät in der Legislatur dem Stadtrat vorgelegt werde. Diego Clavadetscher (FDP) dagegen fand, dass man eine Chance verpasst hätte, die Kommissionen schlanker zu organisieren (vielleicht helfen ja Diätpillen). Stattdessen haben man das Ganze einfach in ein neues Kleid gesteckt (des Reglements neue Kleider…).

Der Antrag auf eine zweite Lesung war  dann aber über die Parteigrenzen hinweg unbestritten. Die FDP verzichtete deshalb auch darauf über ihre Änderungsanträge abstimmen zu lassen. Stattdessen gaben sie sie dem Gemeinderat lediglich als Hausaufgabe mit, so dass es in der zweiten Lesung näher diskutiert werden kann. Die SVP dagegen wolle über ihre Anträge abstimmen lassen, denn sonst wäre, Zitat Patrick Freudiger, die zweite Lesung witzlos. Hätte er im Voraus gewusst, dass die Anträge sang – und klanglos abgesägt werden, hätte er es vielleicht sein lassen. Der Stadtrat wollte weder das Antragsrecht des Sekretariats in den Kommissionen aufheben, noch das Einsichtsrecht des Gemeinderats beschneiden. Und auch das alleinige Entscheidungsrecht (in dringenden Fällen) des Sozialkommissionspräsident bleibt bestehen. Angenommen wurde jedoch der Antrag von Pascal Dietrich (FDP): Im Sportkommissionsreglement steht jetzt neu der Satz, die Stadt fördert den Sport, insbesondere im Nachwuchsbereich. (die fehlende Definition, was die Stadt jetzt im Sportbereich genau fördern soll und was nicht, hat ja in der Vergangenheit immer wieder für Diskussionen gesorgt.)

Da das Geschäft in zwei Lesungen behandelt wird, gab es keine Schlussabstimmung und man stürzte sich munter in das nächste Traktandum: Die Auflösung der Theaterkommission. Deren Kompetenzen sollen nun in die Kulturkommission übergehen. Das war grösstenteils unbestritten. Lediglich der Umstand, dass der Gemeinderat keine Fachexperten oder Fachexpertinnen* mehr als feste  und stimmberechtigte Mitglieder der Kommission wünschte, sorgte bei der Kulturgarde Urs Zurlinden (FDP) und Saima Sägesser (SP) für Protest. Beide betonten die Wichtigkeit von politisch unabhängigen Kulturleuten (man stelle sich vor: Eine bürgerlich dominierte Kommission, die sich weigern würde, Brecht spielen zu lassen…) Die Kulturkommission sei wieder einmal vom Gemeinderat übergangen worden, monierte Zurlinden. Der Stadtrat folgte dem Antrag der FDP: Die Kulturmenschen bleiben (wann ist man eigentlich ein Kulturexperte oder eine Kulturexpertin*? Wenn man bei französischen Dramen nicht einschläft?) Auch dieses Geschäft wird noch einmal in einer zweiten Lesung behandelt werden, womit die Schlussabstimmung erneut entfällt.

Und nun habe ich frohe Kunde für alle berufstätigen Eltern von Langenthal: Es wird – endlich – eine Ferieninsel in Langenthal geben! Das bedeutet, dass ihr eure kleinen Nervensägen…äh ich meine natürlich, eure süssen Kinderlein, auch während der Schulferien betreuen lassen könnt (ihr müsst sie also nicht mehr im Rumipark aussetzen). Um genauer zu sein: Während sieben Wochen bietet die Stadt 40 Plätze für Kinder an. Die Kosten dafür werden nach Einkommen der Eltern berechnet. In der Überzeugung, dass in Sachen Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Langenthal Nachholbedarf besteht, stimmte der Stadtrat dem Antrag des Gemeinderats zu. Auch die Erhöhung des  Stellenetats um 110 Prozent wurde gutgeheissen. Der Antrag der SVP, diese Erhöhung wieder zu kippen, erlitt Schiffbruch. Ressortvorsteher Matthias Wüthrich (Grüne) freute es sichtlich.

Dann geschah es. Ein alter Feind suchte mich heim. Plötzlich war er da. Oder besser gesagt: Sie war wieder da. Mit triumphierenden Grinsen. Und ich rede nicht von der bösen Hexe aus Schneewittchen (die macht mir heute noch Angst). Ich rede von was viel Schlimmerem….MEHRWERTABGABE! Wir erinnern uns: Ganz am Anfang meiner Karriere als Lama – als ich noch glaubte, Monstersitzungen seien eine Ausnahme – wurde das Reglement über die Mehrwertabgabe neu ausgearbeitet. Seitdem kann ich das Wort nicht mehr hören, ohne den Drang zu verspüren, meinen Kopf auf die Tischplatte zu schlagen.

Jetzt ist es so, dass es sich bei der damaligen Überarbeitung nur um eine befristete Teilrevision handelte. Durch den Corona bedingten Sitzungsausfall der nichtständigen Kommission zur Erarbeitung des neuen Mehrwertabgabereglements, liegt bis heute keine endgültige Revision vor, über die man abstimmen könnte. Die Frist der vorübergehenden Reglements läuft dummerweise bald ab, deswegen muss man diese Frist verlängern. Ansonsten entgehen der Stadt im schlimmsten Fall Einnahmen (Mehrwertabgaben entstehen, wenn ein Grundstück z. B durch Umzonung an Wert gewinnt. Da der Eigentümer/die Eigentümerin* nichts zu dieser Wertsteigerung beigetragen hat, muss er oder sie eine entsprechende Abgabe entrichten).

Die Fristverlängerung stand eigentlich gar nicht zur Debatte. Es gab ja schlichtweg keine Alternative, da wohl kaum jemand freiwillig auf Geld verzichten will. Für leichte Irritation sorgte dann aber der Antrag des Gemeinderates, der die Abgabe auf 30 %, statt  auf 35% festlegen wollte. Offenbar hat er das auf Anraten einer Kommission gemacht (ehrlich gesagt weiss ich gerade nicht mehr, welche Kommission das war).

Das ist insofern bemerkenswert, weil über die 35 % demokratisch abgestimmt wurde und der Stadtrat  dem zugestimmt hat (knapp, aber immerhin).  Gerhard Käser von der SP  zeigte sich dann auch „not amused“. „Vorher wolltet ihr alle einsparen. Das macht ihr. Ihr spart bei den Einnahmen“, bemerkte er sarkastisch. Und: „Das ist ein Buebetrickli von der Kommission um den Beschluss des Stadtrates umzukehren.“

(Tatsächlich finde ich das Vorgehen auch etwas merkwürdig. Man sprach davon, dass beim damaligen Entscheid vielleicht die nötigen Grundlagen fehlten, aber das erscheint mir doch eine etwas schwammige Argumentation. Theoretisch könnten Gemeinderat oder Kommissionen dann ja auch einfach jedes Mal sagen „die waren besoffen und wussten nicht was sie tun“ wenn ihnen ein Entscheid des Stadtrates nicht passt und ihn als nichtig erklären.)

Ausgerechnet die EVP, auf deren Antrag die 35% überhaupt festgelegt wurden, zeigte Verständnis für die Änderung. Man habe ja nicht mit Corona rechnen können, argumentierte Paul Beyeler die Wandlung von Saulus zum Paulus (oder umgekehrt. Je nach Betrachtungsweise.) Das mag auf den ersten Blick etwas absurd erscheinen, dass eine Fraktion dabei hilft ihren eigenen Antrag zu Grabe zu tragen. Es lässt sich aber damit erklären, dass das „Personal“ in der EVP gewechselt hat und es damit auch zu dieser Meinungsverschiebung gekommen ist. Trotz des tapferen Widerstands der SP: Der Stadtrat verlängerte nicht nur die Frist, sondern senkte auch die geplante Abgabe um fünf Prozent.

Eigentlich hätte dann noch ein ganzer Schwung an Traktanden folgen sollen. Pascal Dietrich (FDP) stellte jedoch den Ordnungsantrag, die Sitzung zu beenden. Er befürchtete, dass es langsam unseriös werde. Nicht unseriös im Sinne, dass sich alle die Kleider vom Leib reissen und einen wilden Fruchtbarkeitstanz aufführen, sondern in dem Sinne, dass nach über vier Stunden die Konzentration merklich nachlässt. Die Mehrheit des Stadtrates sah das ähnlich. Die ausstehenden Traktanden werden auf die nächste Sitzung verschoben.

Eine Stadtratssitzung voller Widersprüche: Alle brechen sie in laute Klagen aus wegen des Budgets – aber statt Aufwände einzusparen, verzichten sie lieber auf Erträge. Ehrlich gesagt, eine etwas merkwürdige Strategie.

Aber was weiss denn ich schon? Ich bin hier ja  nur das Lama.

Best of:

„Anwesend sind 31 Stadtratsmitglieder. Das sind weniger als sonst. Die vielen Reglemente auf der Traktandenliste scheinen eine abschreckende Wirkung gehabt zu haben.“ Stadtratspräsidentin Martina Moser (SP) äussert sich selbstkritisch über die Programmgestaltung.

Schlechter als es hier prognostiziert, wird es nicht werden.“ Roberto de Nino (SVP) weiss, wie er positive Stimmung verbreiten kann.

„Wir wollen kein grosses Theater aufführen.“ Falls doch, würde ich gerne den Text schreiben für das FDP – Ensemble von Pascal Dietrich (FDP).

„Wir legen unsere Stirn in Falten…“ Noch mal Pascal Dietrich. Man kann nur hoffen, dass die Falten nicht bleiben.

„Man kann nicht Äpfel und Birnen addieren.“ Doch, doch Paul Beyeler (EVP): Das ergibt Birchermüesli.

„Ich bin desillusioniert, dass die SP sogar jetzt noch über eine Erhebung des Steuerfusses sprechen kann. Das wäre ja grundverkehrt!“ Weil Paul Bayard (SP) laut über eine Steuererhöhung nachdenkt, verliert Pascal Dietrich den Glauben an die Menschheit.  

„Der Steuerfuss bleibt!“ Wieder der Wächter des Steuerfusses, Pascal Dietrich. Hätte er einen Stab zur Hand gehabt, hätte er ihn wohl in die Erde gerammt und „Du kommst nicht vorbei!“ gebrüllt.

„Ich würde es nie wagen, Ordnungsanträge zu Anträge zu stellen, die ich nicht selber gestellt habe.“ Patrick Freudiger (SVP) stellt nie Anträge für fremde Antragssteller*innen, die eigene Anträge stellen, weil er mit dem Antrag stellen von eigenen Anträgen beschäftigt ist.

„Werte Stadtpräsidentin…“ Dank Paul Beyeler wird Stapi Reto Müller (SP)  zwischendurch zur Stap((b)iene.

Montag, 24. August 2020

Wohnen in Langenthal: Initiative gestartet

 

Das Thema Boden liegt Paul Bayard am Herzen. Nicht in dem Sinne, dass der sozialdemokratische Stadtrat vorhätte, sich einer zweiten Karriere als Gärtner zu widmen, sondern weil er mit wachsender Sorge den immer knapper werdenden Wohnraum in Langenthal beobachtet. Natürlich sei es in Langenthal noch nicht so stark ausgeprägt wie in den Hotspots Zürich und Bern, erklärt Bayard, dennoch werde es auch in Langenthal langsam schwieriger, Wohnungen zu erschwinglichen Preisen zu finden. Zumal diese zunehmend von privatrechtlich organisierten Baugesellschaften aufgekauft und zu hohen Preisen weiter vermietet werden.

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken will Paul Bayard die Stadt stärker in die Verantwortung nehmen. Seine Motion im Stadtrat, die verlangte, dass Langenthal Boden in Zukunft nur noch im Baurecht abgibt, statt ihn zu verkaufen, wurde abgeschmettert. Besonders den Bürgerlichen war das ein zu starker Eingriff in den Markt. Bayard bedauert dies, denn für ihn hat diese Art der Bodenfreigabe erhebliche Vorteile. Damit könnte die Stadt regelmässige Einnahmen generieren und der vorübergehende Eigentümer müsse nicht auf einen Schlag einen hohen Betrag aufwerfen, um den Boden zu erwerben. Zudem steht Paul Bayard auf dem Standpunkt, dass Boden nicht vererbt werden soll, da das meist zu einer weiteren Zerstückelung der Parzellen führen.

(Zur Erklärungen: Boden im Baurecht abgeben bedeutet, dass die Stadt z. B einer Unternehmung den Boden zur Verfügung stellt um zu bauen. Dafür verlangt sie eine Art Miete, die regelmässig entrichtet wird. Nach Ablauf einer gewissen Frist läuft das Baurecht ab und der Boden fällt zurück an die Stadt.).

Nachdem seine Motion abgelehnt wurde, grübelte Paul Bayard weiter darüber nach, wie er sein Ziel, günstigen Wohnraum in Langenthal zu erhalten bzw. zu schaffen erreichen könnte. Ein Blick in die Stadtverfassung verriet ihm, dass der Bereich Wohnen dort nur sehr unscharf umrissen wird. Aktuell steht darin lediglich, dass die Stadt attraktive Voraussetzungen zum Wohnen und Arbeiten bieten muss. Paul Bayard möchte diesen Abschnitt nun ergänzen und die Aufgaben der Stadt klarer definieren. In der Verfassung würde dann festgehalten, dass die Stadt Massnahmen treffen muss, um einen angemessenen Anteil an qualitativ hochwertigen Mietwohnungen zu erreichen.

Eine mögliche solche Massnahme ist die städtische Unterstützung von gemeinnützigen Wohnbauträgern. Solche Wohnbaugenossenschaften stellen Wohnungen zu günstigeren Konditionen zur Verfügung. Beliebt sind sie vor allem in grösseren Städten, aber auch in Langenthal gibt es sie. Für Paul Bayard liegt bei diesen auch der Schlüssel zur Lösung. „Das Ziel ist nicht, Sozialwohnungen zu schaffen oder Mietzinsreduktionen zu erreichen“, betont er.

Um die Verfassung zu ändern, braucht es eine Volksabstimmung. Deshalb hat Paul Bayard gemeinsam mit der SP, der JUSO und dem Gewerkschaftsbund Oberaargau eine Initiative gestartet. Bringt das Komitee die erforderlichen 900 Unterschriften bis im Februar zusammen, kann das Langenthaler Stimmvolk darüber entscheiden, ob sie die Verfassung um diese Punkte erweitern will.

Der Zeitpunkt für die Initiative ist gut gewählt, denn sowohl bei den Diskussionen rund um die Transformation des Porziareals als auch beim geplanten Umbau des Bahnhofs stellt sich für viele Leute aus der Bevölkerung die Frage, ob die dadurch entstehenden Wohnungen erschwinglich sein werden oder eher im Hochpreissegment anzusiedeln sind. Generell führt die erhöhte Bautätigkeit zunehmend zu Unsicherheiten oder im Fall der Porzi, sogar zu Misstrauen. Das hat die Langenthaler*innen für das Thema Wohnboden sensibilisiert. Für die SP ist es zudem günstig, dass sie mit einer Unterschriftensammlung in den Lokalwahlkampf einsteigen können. Damit zeigen sie sich als aktive Partei, die demokratische Mittel nutzt, um in der Stadt ihre Spuren zu hinterlassen.

Generell stehen die Chancen für die Initiative nicht schlecht, nicht nur, weil Gemeinderatskandidat Paul Bayard hervorragend vernetzt ist, sondern auch weil sie davon absieht, allzu starre Forderungen zu stellen. Vielmehr würde sie dafür sorgen, dass die Stadt Werkzeuge in der Hand hat, um günstigen Wohnraum zu fördern. Für den erfahrenen Stadtrat Paul Bayard ist die Initiative eine Herzensangelegenheit. „Boden lässt sich nun einmal nicht vermehren.“ Umso wichtiger sei es, die Regeln jetzt festzulegen, bevor die Situation akut wäre. Denn, so Paul Bayard: „Wohnen ist ein Grundbedürfnis.“ 

 

Das andere Stadtratsprotokoll - Die Ostern - Edition: Der (Fast) Liveticker zur Stadtratssitzung vom 25.3.2024

  Das Vorgeplänkel ·         Hallo und herzlich willkommen zum neuen exklusiven anderen Stadtratsprotokoll, geschrieben wie üblich von e...