Montag, 25. März 2024

Das andere Stadtratsprotokoll - Die Ostern - Edition: Der (Fast) Liveticker zur Stadtratssitzung vom 25.3.2024

 

Das Vorgeplänkel


·        Hallo und herzlich willkommen zum neuen exklusiven anderen Stadtratsprotokoll, geschrieben wie üblich von eurem reizenden Lieblingslama, das noch immer so hobbylos ist, dass es seine Zeit an der Stadtratssitzung verbringt (und im Gegensatz zu anderen, nicht einmal dafür bezahlt wird). Wobei es mir ein Vergnügen ist, weil, Stadtratssitzungen finden wenigstens drinnen in stickigen Sälen statt, da muss ich wenigstens keine Zeit an dieser widerlichen Frühlingssonne verbringen, die ja unverschämterweise immer früher herauskommt und mich brutal aus meinem wunderbar tiefen Winterschlaf reisst.

·        Ich schwöre, dieser Stadtrat sieht inzwischen bei jeder Sitzung anders aus. Sagt mal, können jetzt nicht bis wenigstens bis Ende Legislatur die gleichen drinbleiben, ich kann mir nicht mehr so viele neue Namen merken, ich bin über 30, meine Hirnleistung nimmt kontinuierlich ab. Leila Rachdi ist neu dabei – Hallo Leila, das wird lustig hier. Manchmal.

·        Bin übrigens die einzige, die hier im Publikum sitzt, haha, unterhaltet mich, meine Gladiator:innen, ich erwarte eine grossartige Leistung, viel Blut und ein paar ausgerissene Körperteile. Scherz. Seid lieb zueinander. Aber die Tatsache, das niemand hier sitzt, zeigt, es wird kein Geschäft behandelt, dass sonderlich interessiert. Von den Medien ist nämlich auch nur der Unter – Emmentaler und Radio Neo 1 da, Applaus für die letzten Kämpfer:innen des Lokaljournalismus.

·       Stadtrat ist auch so eine Art Selbsthilfegruppe, ständig wird einander applaudiert, selbst für so simple Dinge, wie das korrekte Anmelden seiner Anwesenheit, wobei das im Falle von Linus Rothacher (SP) tatsächlich nicht so einfach ist, weil er als Frau bezeichnet wird – wobei, vielleicht haben wir in nicht allzu ferner Zukunft auch eine Frau Rothacher im Stadtrat, Linus hat nämlich eine Schwester namens Maria, die ebenfalls sehr engagiert und politisch talentiert ist.


Teil 1: Sehet, die Zukunft ist nah!

·        Wunder geschehen, Langenthal macht Schritte Richtung moderne Zukunft, gerade wird die Grundlage dafür geschaffen, dass Stadtratssitzungen auch digital abgehalten werden können. Wenn ihr schon dabei seid, liebe Stadträt:innen könnt ihr euch auch noch das Einrichten eines dauerhaften Livestreams einrichten? Ich möchte das nur, im Sinne einer modernen Demokratie, wo alle teilnehmen können, auch solche, die aus gesundheitlichen, beruflichen oder familiären Umständen, nicht in der Lage sind, an einer Stadtratssitzung teilzunehmen, nicht etwa, weil ich scharf darauf bin, mir die Sitzungen Chips essend im Bett anzusehen.

·        Corona hat uns  viel beigebracht, unter anderem, dass man vielleicht tatsächlich einfach zuhause bleiben soll, wenn man krank ist und das zwischenmenschlicher Kontakt wichtig ist, aber es hat uns auch gezeigt, dass es im Falle einer Pandemie gar nicht möglich ist, in Langenthal Stadtratssitzungen abzuhalten, weil dafür kein Reglement existiert. Und ohne Reglement geht’s nun einmal nicht!

·        Hybride Sitzungen wird es keine geben – also Sitzungen, in denen eine Hälfe nur digital anwesend ist und die andere physisch. Wäre auch i beunruhigend, stellt euch eine Sitzung vor, in der der Stadtrat sich versammelt und dann schweben die Köpfe vom Gemeinderat als Hologramm im Saal, das wäre schon sehr gruselig (aber irgendwie auch coll).

·        Die GPK stellt die formale Richtigkeit fest und hat Anträge – oder Verbesserungsvorschläge, wie Diego Clavadetscher (FDP) es gleich nennt. Es soll präzisiert werden, wer darüber entscheidet, ob die Voraussetzungen für die Durchführung einer digitalen Sitzung gegeben sind (das Stadtratsbüro, aber unter Einbezug des Stadtrats als Gesamtheit). Macht Sinn, kann unter Umständen schon ein umstrittener Entscheid sein – wäre ich im Stadtratsbüro würde ich ständig eine digitale Stadtratssitzung fordern, damit ich in Pyjamahosen daran teilnehmen kann (bin ich faul – ja, ich bin faul und verfressen, was wollt ihr, ich bin ein Panda im Körper einer Frau.)

·        Niemand will etwas dazu sagen, die Anträge werden einstimmig angenommen, wie harmonisch, ich langweile mich schon, für Harmonie bin ich nicht hergekommen, Leute, habt ihr Frühlingsgefühle, oder was?

 

Teil 2: Nume nid gsprängt!


·        Ach, wenigstens auf Patrick Freudiger (SVP) ist Verlass: Er findet es nicht so cool, dass seine dringende Motion, solide Finanzen, bis 2027 (!) verschoben werden soll (was ja durchaus eine witzige Ironie ist, dringende Motion und dann dauert es drei Jahre…). Die Motion hatte den Sinn, Ausgaben vermehrt zu kontrollieren, um die Defizite besser im Griff zu haben. Hinter der Verzögerung vermutete Freudiger gar eine absichtliche Verzögerung, nach Gesprächen zeigt er sich aber doch versöhnlich und ist zum Schluss gekommen, dass der Gemeinderat doch keine Verschwörung plant, sondern die Motion vielmehr ganz besonders sorgfältig behandeln will. Trotzdem möchte er, dass Roberto di Nino (SVP), der zuständige Gemeinderat, erklärt, warum er diese Verlängerung möchte.

·        Roberto di Nino macht deutlich, dass der Gemeinderat die Motion selbstverständlich umsetzen will und das auch bereits tut, wie er im letzten Budgetprozess gezeigt hat, wo er die Vorgaben der Motion nicht nur eingehalten, sondern sogar übererfüllt (geht das? Kann etwas mehr voll sein als voll? Fragen über Fragen!) habe, wie zum Beispiel beim Personalaufwand.

·        Freudiger freut sich über die freudigen Erläuterungen von Roberto di Nino und äussert freudig seine Zustimmung und der Stadtrat stimmt ebenfalls freudig der Verlängerungsfrist zu, Freude herrscht, freudiger Tag (auch schlechte Wortspiele sind Wortspiele).

·        Ach, und endlich wird meine Not erkannt. «Da bin ich schon wieder – aber wir müssen ja für Stoff sorgen für die Autorin des alternativen Stadtratsprotokolls», erklärt Freudiger schmunzelnd… und dann liefert er mir trotzdem keinen Stoff, gar kein Drama, sondern Lob für die Kommission, die super arbeiten würde, weshalb die nächste traktandierte Verlängerung der Motion zum Submissionsrecht kein Misstrauen erregt. Das macht das harmoniebedürftige Reh in mir sehr glücklich, das nach dramalechzende Lama weint ein bisschen.

Teil 3: Und der Gemeinderat sprach: 

·        Martina Moser erzählt, was bereits den Medien zu entnehmen gewesen ist. Der Verein Tokjo (Trägerverein offener Kinder – und Jugendarbeit) möchte einen Ort für Familien schaffen, wo sie sich zum Austausch treffen können – ein Familienzentrum, ein kinderfreundlicher Treffpunkt, wo verschiedene Dienstleistungen und Anlässe angeboten werden sollen. Als Standort schwebt Tokjo die Alte Mühle vor – was ja ideal ist, weil die Alte Mühle ist seit dem Auszug des Haslibrunnen, wieder leer und die Stadt ist daher sehr ausgeschlossen gegenüber diesen Plänen. Ja, es gebe wirklich Dümmeres, was wir mit dem Gelände anfangen können, aber ich bin ja immer noch für Disneyland.

·        Reto Müller gibt Einblicke in den Bau des Bahnhofs – den brauche ich sehr oft, daher bin ich da sehr up to date und muss jetzt mal sagen, dass das viel besser funktioniert, als ich befürchtet habe, wobei ich natürlich den Vorzug geniess, dass ich momentan unter keinen körperlichen Einschränkungen leide und in Langenthal wohne und nicht in den umliegenden Dörfern, ABER es ist so gut ausgeschildert, dass ich sogar mein Gleis finde und jede:r der schon mal mit mir unterwegs gewesen ist, weiss, dass ich sehr selten weiss, wo ich durchmuss (oder wo ich mich gerade befinde).

  

Teil 4: Das Dessert (und das liegt auf)

 

·        Und eigentlich sind wir an der Stelle schon fertig (nach 48 Minuten – das ist, neuer Rekord) aber Georg Cap (Grüne) gibt noch eine persönliche Erklärung ab: Verschiedene Bürger:innen sind auf ihn zugegangen, weil zwischen Freitag und Samstag in Langenthal Kleber von rechtsextremen Organisationen auftauchen – besonders in der Nähe von Schulhäusern. Motive und Aussagen sind widerlich und fremdenfeindlich. Die gesammelten Kleber füllen eine ganze Tüte (und ist nur ein Bruchteil, es gab noch mehr). Ein solches Gedankengut hat kein Platz in Langenthal, so Cap, «denn gerade unsere florierende Kleinstadt ist ein Beispiel, wie Integration gelingen kann. Zudem erklärt Cap, dass es kaum Zufall sei, das zwischen zwei grossen Anlässen, die von der SVP organisiert worden sind und in Langenthal durchgeführt wurden (Delegiertenversammlung der SVP war hier) solche Kleber aufgetaucht sind. Er wünscht sich, unter anderem wegen solcher Begleiterscheinungen, mehr Umsicht in Sachen Statements, von der Seite der SVP.

 

·        Patrick Freudiger lässt das nicht unkommentiert. Er distanziert sich klar von der Jungen Tat und betont auch, dass ihn das Interview, in dem ein paar junge SVPler erklärt haben, es gebe Schnittstellen zwischen der Jungen Tat und der SVP, angewidert hätte. Aber er stört sich daran, dass das Gefäss der persönlichen Erklärung für allgemeine Äusserungen genutzt worden ist und äussert deutlich seinen Widerwillen, dass die SVP angegriffen worden ist. Ja, schweres Thema, zu ernst, um es humoristisch zu verpacken, trotzdem erlaube ich mir zwei persönliche Bemerkungen: A) Mir scheint, dass im Stadtrat ein genereller Unwille herrscht, über dieses unschöne Thema zu reden – es ist nie geil, sich mit Rechtsextremismus auseinanderzusetzen, weil Stimmungskiller, aber besser zu früh als zu spät und B) Ganz ehrlich: Bei aller Liebe und Toleranz, es lässt sich nicht bestreiten, dass die nationale SVP gerne mit extremen Positionen kokettiert und ja, ich erlebe die lokale SVP im Gegensatz dazu ganz anders, nämlich als konsensfähig, freundlich, höflich und bodenständig, aber mitgehangen, mitgefangen.

·        Und noch was in eigener Sache: Ich glaube, ich wurde zum ersten Mal überhaupt mehr oder weniger direkt aufgefordert eine Information nicht zu droppen und der kleine anarchistische und unbequeme (und unter akuter PMS leidende) Teil in mir schreit gerade: Ich lasse mir nicht befehlen, was ich zu schreiben oder nicht zu schreiben habe, weil, ganz ehrlich, wenn ihr nicht wollt, dass ich was ins Protokoll nehme, erzählt es halt nicht bei der öffentlichen Stadtratssitzung. Aber so bewegend ist die Info auch nicht, ob ihr das jetzt heute oder in einer Woche oder einem Monat lest, ist eigentlich auch egal und ich bin ja ein liebes Lama.

Und damit endet diese Stadtratssitzung - die am Schluss doch noch überraschend lebhaft wurde. Frohe Ostern, ihr Lieben und wenn ihr keinen Hasen findet, dann vielleicht ein Lama (und wenn ich irgendwo rumirre, helft mir bitte dabei, den Nachhauseweg zu finden).
 

 

Sonntag, 25. Februar 2024

Von der Unterhaltsamkeit eines katholischen Gottesdienstes

 

Man kann von uns Katholik:innen halten, was man will, aber man muss uns eines zugestehen: Wir wissen, wie man Feste feiert. Vergesst die Krönung von König Charles, ich kann euch versichern, die ist nichts gegen einen normalen Sonntagsgottesdienst bei uns. Wir kleckern nicht, wir klotzen. Sogar wenn der Pfarrer bei uns mal kurz ins Taschentuch hustet, untermalen wir das mit dramatischer Orgelmusik oder zumindest mit begeistertem Schellen von Glöckchen.

Ihr denkt jetzt vielleicht, okay, die meint das jetzt hundertprozentig sarkastisch, aber nein, dem ist nicht so. Ich sage euch, nichts ist so unterhaltsam und mitreissend wie ein katholischer Gottesdienst. Das fängt schon an, wie die Zelebranten hereinkommen. Die kommen da nicht so normal reingeschlurft, nein, nein, die marschieren durch den Mittelgang als würden sie in die Schlacht ziehen, während von oben die Orgel dröhnt und das Kirchenvolk voller Innbrunst «Grosser Gott wir loben dich» schmettert. Und das Kirchenvolk steht dabei übrigens! Wir hängen nicht einfach so in unseren Kirchenbänken, wie ihr Reformierten, nein, wir stehen! Und dann setzen wir uns wieder hin! Nur um gleich danach wieder aufzustehen! Und an besonders wichtigen Stellen knien wir sogar! Und manche von uns knien sogar bis ganz zum Ende des Gottesdienstes, weil sie so voller Ehrfurcht sind!

Okay, vielleicht, auch weil sie nicht mehr hochkommen, unsere Kirchenbänke sind nämlich echt hart.

Jedenfalls ist schon der Einzug bei uns ein Statement. Ganz zu schweigen davon, dass unsere Ahnen es geschickt verstanden haben, Genussmittel in den Gottesdienst einzubauen. Neben dem Wein (übrigens ein eindeutiger Beweis, dass Jesus eine coole Socke war, ich meine, er hat Wasser in Wein verwandelt und nicht etwa in einen Vitamin – Smoothie, wie es irgendwelche Yoginis heute tun würden), haben wir auch Weihrauch. Der ist auch deswegen praktisch, weil er dir bei Erkältungssymptomen die Viren aus der Nase brennt.

Gut, als Ministrantin fand ich den Weihrauch nicht so klasse, weil ich immer Angst hatte, mich mit dem Teil selbst in Brand zu stecken. Und je nach Menge sah man auch nicht mehr, wo man jetzt hin stolperte, was vorne am Altar zu der einen oder anderen Massenkarambolage führen konnte. Das Leben als Ministrantin ist ohnehin nicht leicht, denn abgesehen davon, dass es gar nicht so leicht ist, in diesen Nachthemden würdevoll auszusehen, ist man permanent gestresst, nicht nur, weil man dem Pfarrer alles hinterhertragen muss, sondern auch weil man vor dem Kirchenvolk sitzt und komplett ausgestellt ist. Da ist nichts, mit sich kurz in der Nase bohren oder am Hintern kratzen, nein, Ministrant:innen haben stets kerzengerade dazusitzen und mit strenger Miene ins Kirchenvolk zu blicken.

So ist es kein Wunder, dass das Ministrieren für mich irgendwann seinen Reiz verlor und ich mich anschickte, eine jener Katholik:innen zu werden, die auf magische Weise wieder in die Kirche zurückkehren, sobald ihre Hochzeit ansteht, doch meine Mutter hatte andere Pläne mit mir. Sie machte sich Sorgen, ich könne ohne ein «richtiges» Hobby vereinsamen (Anime schauen, Harry Potter lesen und auf dem Bett liegend über die Schlechtigkeit der Welt sinnieren, während Tokio Hotel in Dauerschleife lief, galten in ihren Augen nicht als Hobbies), also schleppte sie mich als Fünfzehnjährige in den Kirchenchor, wo ich ungefähr so wenig auffiel, wie ein Walross unter Pinguinen. Mein ursprünglicher Plan war eigentlich, ein Jahr oder so durchzuhalten und mich dann mit einer fadenscheinigen Ausrede aus der Affäre zu ziehen (ursprünglich hatte ich vor, zu behaupten, dass ich mir ein Hobby suchen wollte, das mich mit Gleichaltrigen zusammenbringt, aber das hätte mir meine Mutter niemals abgekauft, weil ich Gleichaltrige genauso furchtbar fand, wie sie mich umgekehrt auch, deswegen wollte ich eine akute Allergie auf Weihrauch vorschützen, was mir glaubwürdiger erschien), aber was soll ich sagen: Ich kann inzwischen auf eine fünfzehnjährige Karriere als Chorsängerin zurückblicken, was wirklich erstaunlich ist, weil ich es in den meisten Beziehungen nicht mehr als fünfzehn Minuten aushalte.

Warum ich letzten Endes im Chor hängen geblieben, kann ich nicht mal mehr genau sagen, vielleicht weniger aus Glaubensgründen als vielmehr aus wissenschaftlichem Interesse. Denn ein Kirchenchor ist ein interessanter Mikrokosmos sozialer Beziehungen und Interaktionen und nicht zuletzt ein Pool aus verschiedenen Charakteren, die merkwürdigerweise in allen Kirchenchören vertreten zu sein scheinen.

Da gibt es zum Beispiel die Gruppe der Ambitionierten, die eigentlich einst eine Karriere in der klassischen Musik anstrebten, für die es dann allerdings nicht gereicht hat und die daher bei den Laien gelandet sind. Denen gegenüber treten sie nicht hochmütig auf, aber doch mit einer gewissen Aura des Überirdischen, das sich notgedrungen in die niederen Gefilde begeben hat. Man erkennt sie leicht daran, dass sie ihren Mitsänger:innen ungefragt Passagen vortragen (damit die hören, wie es richtig geht), sich theatralisch an die Brust fassen, wenn ausnahmsweise sie daneben hauen («immer bei dieser Stelle falle ich rein!») oder dass sie auch öfters mal den Dirigenten/ die Dirigentin korrigieren.

Quasi das Gegenteil von ihnen bildet die Gruppe der verwirrten Legeren, für die das Singen ein schöne Hobby ist, aber ein Minimum an Aufwand dafür betreiben wollen. Bei ihnen ist man schon positiv überrascht, wenn sie die richtigen Noten dabeihaben und wissen, welche Stelle man gerade übt. Zu erkennen sind sie daran, dass sie nie einen Bleistift dabeihaben, um sich die Anweisungen der Chorleitung zu notieren und dass sie öfters mal zu spät kommen, weil sie im falschen Probelokal gelandet sind.

Eng verwandt mit ihnen sind die Sozialen. Sie backen Kuchen für die Probe, organisieren Reisen und sorgen sich um das psychische Wohl ihrer Mitsänger:innen, indem sie rechtzeitig Pausen einfordern. Es versteht sich, dass sie die Chorprobe auch gerne nutzen, um nach Herzenslust mit ihren Sitznachbar:innen zu ratschen, wobei sie es als störend empfinden, dass die Chorleitung sie dabei stets mit so nebensächlichen Dingen, wie der tatsächlichen Probearbeit unterbricht.

Dann gibt es noch die Seriösen, die sich ihre Passagen stets in drei verschiedenen Farben anstreichen, sich den Bleistift streng hinters Ohr geklemmt haben, um ihn sofort einsetzen zu können, wenn die Chorleitung eine Korrektur anbringt und die ihre Noten fein säuberlich abheften, damit sie sie ja nicht verlieren. Sie bedenken jene mit strengen Blick, die die Chorarbeit mit Schwatzen stören und vergöttern die Chorleitung mit einer Hingabe, nach der sich mancher Pfarrer die Finger lecken würde.

Mit der Chorleitung ist es ohnehin so eine Sache, denn so besonders und speziell die Chorsänger:innen auch sein mögen, sie werden um vielfaches noch übertroffen von den Dirigent:innen, den Paradiesvögeln unter allen Musikschaffenden, bei denen man nie recht weiss, ob das was sie tun jetzt unter Kunst, Handwerk oder doch eher unter anspruchsvoller Turnübung fällt. Das liegt auch daran, dass sie selbst eine sehr unterschiedliche Auffassung ihrer Arbeit haben. Da kann dich der eine über die Wichtigkeit der körperlichen Ertüchtigung vor dem Gesang belehren und dich beim Einsingen dazu zwingen, zwanzig Hampelmänner zu machen, nur damit die nächste dir erklärt, das sei Blödsinn, das Instrument des Singenden sei seine Stimme, nicht der Körper, worauf du 20 x die Tonleiter rauf – und runterklettern muss, worauf dein dritter Chorleiter den Kopf schüttelt und meint, Einsingen sei eh für die Katz und verschwendete Zeit.

Musik ist eben immer auch Interpretation, was man auch daran sieht, dass sich manche Dirigent:innen geradezu sklavisch an jedes Piano und jedes Forte halten, während andere achselzuckend darüber hinweggehen, nicht selten mit der Bemerkung, dass an den meisten überlieferten Werken so viel rumgekritzelt worden sei, dass es sich dabei sowieso nicht um Originalanweisungen handeln könne und ohnehin seien Angaben zur Dynamik eher Richtlinien denn Vorschriften.

(Was mir ganz gut passt, denn für mich sind Notenwerte auch eher Richtlinien, denn Vorschriften).

In der Ausübung ihrer Dirigierpflicht zeigen sich dann auch die unterschiedlichen Temperamente der Chorleiter, denn während die einen kaum die Finger bewegen (und es den Sänger:innen so fast unmöglich machen zu entscheiden, ob das jetzt ein Einsatz oder doch eher ein spastisches Muskelzucken war), fuchteln die anderen herum, als hinge ihr Leben davon ab (dramatisches Kopfschütteln inklusive). Bei letzteren hat man hin und wieder Angst, sie könnten – falls sie im Besitz eines Taktstockes sind – jemanden versehentlich ein Auge ausstechen oder aber vor lauter Eifer rücklings von der Empore stürzen.

(Bei sehr ehrgeizigen Dirigent:innen fürchtet man auch, sie könnten sich in Falle einer schiefgelaufenen Aufführung gleich freiwillig von der Empore werfen, ganz nach dem Motto: Wenn schon mein Künstlerherz bricht, kann mein Genick gleich folgen).

Dem Chorleiter oder der Chorleiterin kommt trotz – oder vielleicht auch – wegen seiner/ihrer Exzentrik eine immens wichtige Rolle im Gottesdienst zu, weil er die Befehlsgewalt über die zwei lautstärksten Elemente hat: Über uns, den Chor und über die Orgel. Das heisst jeder Pfarrer tut gut daran, es sich nicht mit der Chorleitung zu verscherzen, denn diese können je nach Laune den Gottesdienst unterbrechen oder ihn gar beenden. Denn was will der Pfarrer schon tun, wenn die Orgel brausend zum Ausgangsspiel ansetzt und die Gläubigen infolgedessen eifrig zu den Türen strömt, wie eine Horde Schafe, die nach tagelangem Ausharren in einem düsteren Stall erleichtert auf die sonnendurchflutete Wieso strömen?

Vielleicht ist es also das leicht erhabene Gefühl der Macht, dass mir meine Mitgliedschaft im Chor so schön macht, dass ich noch immer geblieben bin. Vielleicht – und das ist die wahrscheinlichere Variante – bin ich aber auch geblieben, weil der Chor für mich eine Form von zuhause geworden ist, also das, was die Kirche eigentlich für uns sein sollte. Ein sicherer Zufluchtsort, wo wir sein können, wer wir sind, ohne uns verstellen zu müssen, wo wir vielleicht nicht in all unseren Entscheidungen verstanden, aber akzeptiert werden, wo wir ungeachtet unserer schlechten Charakterzüge geliebt werden und unser individuelles Streben als Bereicherung und nicht als Makel gesehen wird.

Beim Singen sind alle Töne wichtig. Die leisen und die lauten, die melodischen und die schrägen, die sanften und die mächtigen, die geordneten und die wilden. Erst wenn sie alle zusammenkommen, ergibt sich daraus die Schönheit der Musik. Wie schön könnte es in der katholischen Kirche sein, wenn sie das leben würde, wenn sie aufhören würde zu versuchen, unsere Melodien zu unterdrücken oder sie zu etwas zu verformen, von dem sie glaubt, dass es richtig sei. Wenn sie sagen würde, du bist okay und du bist willkommen bei uns, egal wen du liebst, egal welche Fehler du gemacht hast, egal an was du glaubst, egal ob du unsere Sprache sprichst oder ob die Wege gehst, die wir gegangen sind, unsere Türen sind offen für dich, wenn dir die Welt zu viel wird, aber sie sind auch offen für dich, wenn du die Freiheit suchst.

Wäre die Kirche so, sie wäre ein wärmerer Ort.

Sie wäre ein besserer Ort.

 

 

Freitag, 23. Februar 2024

Das AHV 13 - Paradox

 

Na, wie fühlen Sie sich als AHV – Rentner:innen?

Eher so als Held:innen, die auf ihren schwächer werdenden Schultern und krumm gearbeiteten Rücken den Ballast der Welt tragen und dank deren unermüdlichen Einsatz wir in Wohlstand leben können? Oder doch eher als lästige Überbleibsel der Vergangenheit, welche die Frechheit besitzen nach Ende ihres Erwerbslebens und der damit verbundenen Produktivität, im Dienste der Kaiserin Wirtschaft, sich ein angenehmes Leben zu wünschen und vom Staat etwas zurückfordern?

Ich frag nur. Weil, also ich weiss nicht, wie es euch geht, aber mich dünkt, dass unsere Gesellschaft – oder sagen wir wie es ist, die Bürgerlichen unserer Gesellschaft, sich jetzt nicht ganz entscheiden können, als was sie euch, also die AHV – Rentner:innen sehen, beziehungsweise verkaufen wollen. Wichtige Stütze der Gesellschaft oder doch eher ein leidiger Kostenpunkt.

Erinnern Sie sich beispielsweise noch an diesen SWR – Kinderchor, der im Fernsehen das Lied «Meine Oma ist ne alte Umweltsau» geplärrt…ich meine. geträllert hat. Zugegeben, das Lied war jetzt keine Sternstunde der deutschen Poesie, aber das war Goethe auch nicht und überhaupt ist man ja beim deutschen Fernsehen inzwischen für jede Minute dankbar, wo nicht gerade eine:r von der AFD irgendwas unsagbar Dummes und zugleich widerlich Rassistisches in die Kamera sagt. Doch die Konservativen tobten, sie zogen mit Fackeln zum SWR – Gebäude, um ihre arme verleumdete Oma zu rächen, die selbstverständlich keine Umweltsau, sondern ein leuchtenden moralisches Vorbild sei und Respekt verdiene.

Nun ja, dieselben Menschen, die uns damals Vorträge hielten, dass die Jungen die Achtung vor dem Alter verloren hätten und dass wir uns ohne die vorhergehenden Generationen nicht mal Klebstoff leisten könnten, um uns damit auf die Strasse zu pappen, waren wenige Monate nach Ausbruch der Coronakrise der Meinung, man solle doch einfach alle Massnahmen aufheben und die Jugend wieder Party machen lassen, schliesslich kille das Virus «nur» die Alten und die würden schliesslich eh alle sterben.

Was ein bemerkenswert blödes Argument ist, denn wenn es danach ginge könnten wir auch aufhören in Medizin zu investieren oder uns fit zu halten oder Kriege zu verhindern, denn schliesslich sterben wir ja eh alle.

Den Libertären verging diese Kaltschnäuzigkeit auch schnell wieder, als sich ausgerechnet während der Pandemie herausstellte, dass ohne die freiwillige und unentgeltliche Arbeit der Alten so gut wie das ganze Gemeinwesen zusammenbricht. Ganz abgesehen davon, dass viele Managereltern feststellen mussten, dass tatsächlich niemand freiwillig auf ihre nervtötenden Plagen…äh Kinder, aufpassen will – ausser Oma und Opa.

Das ist alles bereits wieder vergessen, denn es steht eine neue AHV - Abstimmung vor der Tür. Oder eigentlich zwei, denn nicht nur AHV13 kommt vors Volk, sondern auch die Renteninitiative. Oder wie ich sie nenne: Die Schnöselinitiative, denn es waren gewiss Schnösel, die sich wohl bei einer Gucci Party während dem Champagner schlürfen darüber anfingen zu empören, dass die Menschen zwar immer gesünder seien und entsprechend länger leben, aber dann einfach mit 65 aufhören zu arbeiten. Und was für eine grässliche Vorstellung, dass wir die letzten zwanzig, dreissig Jahre unseres Lebens tatsächlich geniessen könnten. Also beschlossen die Schnösel, dass wir doch jetzt alle bis 67 arbeiten sollen.

Also, mit alle sind natürlich nur diejenigen gemeint, die nicht von denselben Schnösel schon mit knapp 45 aus der Firma geschmissen haben, weil sie zu kostenintensiv seien.

Die Schnöselinitative ist aber nur ein Nebenkampfplatz, denn momentan konzentrieren sich alle Kräfte auf die AHV13 Abstimmung, weil es zum ersten Mal seit Ewigkeiten wirklich sein könnte, dass die Rentner:innen dieses Landes keine Lust mehr darauf haben, die Märthyrer:innen zu spielen, sondern das fordern, was ihnen zusteht.

Wie können sie nur, heulen die Wirtschaftsverbände auf, sie, die doch seit Jahren daran arbeiten, die AHV ganz abzuschaffen, weil sich damit erschreckend wenig Geld verdienen lässt und ein nicht minder erschreckender sozialer Gedanke dahintersteckt. Und weil die Panik ihnen aufs Hirn geschlagen hat – oder sie aber zu viel an ihren Geldbündeln geschnüffelt haben, verstrickten sie sich zu Beginn des Abstimmungskampfs in immer absurder werdende Argumentationen.

Am liebsten war mir die, dass wir den Milliardären in diesem Land nun wirklich nicht noch mehr zumuten können, denn die müssten ja ohnehin schon so viel von ihrem hart erarbeiteten Millionen an den Staat abdrücken.

Ja. Die armen Milliardäre, die natürlich nur uns zuliebe so reich geworden sind. Manchmal wache ich nachts schluchzend auf, weil ich an diese himmelschreiende Ungerechtigkeit denken muss.

Sogar Alt – Bundesrät:innen spannte man in die Kampagne ein. Sie schrieben den Leuten einen Brief, in denen sie den Leuten mal so richtig ins Gewissen redeten und sie zu überzeugen versuchten, dass sie diese 13te AHV doch gar nicht brauchen würden. Alt Bundesrät:innen. Die selbst eine fürstliche Rente kassieren, unabhängig davon wie schlecht sie ihren Job gemacht haben. Das ist genauso, wie wenn mir Männer erklären, es brauche keinen Periodenurlaub, denn schliesslich tue die Mens doch gar nicht so weh.

Inzwischen verlegt man sich wieder auf die alte Strategie: Die Jungen, die Jungen, denen man angeblich mit Annahme der Initiative die Zukunft verbaue, weil für sie dann kein Geld mehr übrigbleibe. Verstehe diese Angst nicht, ich denke eher, für die Jungen nichts mehr vom Planet übrigbleibt, aber wer bin ich denn schon, das fröhliche Draufhauen auf die Babyboomer Generation zu kritisieren. Denn die sind schuld! Die sind einfach zur selben Zeit geboren worden, das hätten sie jetzt wirklich besser timen können.

Die Ironie an dem ganzen «Die alte Generation ist unsolidarisch gegenüber der jungen Generation» Gelabber ist: Wären die vorhergehenden Generation bereits von dieser seltsamen neuschweizerischen Maxime, dass man grundsätzlich und ausschliesslich für sich selbst schauen sollen, vergiftet gewesen, hätten wir gar keine AHV, um die wir uns streiten könnten. Denn die AHV gibt es nur, weil die heutigen Alten bereit waren, für eine Generation zu zahlen, die noch gar nichts in die AHV investiert hat.

Nun ja, im Abstimmungskampf und in der Liebe ist bekanntlich alles erlaubt – und nichts lässt sich so leicht und gut instrumentalisieren wie alte Menschen – abgesehen von Kindern und Katzen. Machen Sie sich aber keine Sorgen, meine lieben Rentner:innen: Ja, Sie werden in diesen Wahlkampf von den Bürgerlichen als gierige, märchenhaft reiche Luxussenior:innen dargestellt, die, ähnlich wie Dagobert Duck den Schnabel nicht vollkriegen können, doch glauben Sie mir: Bei der nächsten Abstimmung, wo es vielleicht um Sozialhilfe oder mehr Geld für Entwicklungsarbeit geht, werden sie wieder als arme und hilflose Geschöpfe, die wir alle respektieren und ehren sollen, verkauft, ganz nach dem Motto: Für die Ausländer:innen haben wir Geld – nicht aber für unsere Alten.

Und nein, es ist nicht schön, so missbraucht zu werden, doch ich habe auch Worte des Trostes für euch, denn es könnte noch schlimmer sein: Stellt euch vor, ihr wärt so alt wie ich….

… und müsstet Andri Silberschmidt dabei zuhören, wie er sich als Sprachrohr eurer Generation aufspielt.

 

 

Dienstag, 6. Februar 2024

Das andere Stadtratsprotokoll: Der (Fast) Liveticker zur Stadtratssitzung vom 05.02.2025 - die Comeback - Edition

 Prolog: Hat hier jemand ein Lama bestellt?

 

·   Zack, da bin ich wieder: Hallo und herzlich willkommen zu einem nigelnagelneuen «anderen» Stadtratsprotokoll, mit einem wieder erholten Lama – das die freie Zeit genutzt hat, um sich den wirklich wichtigen Dingen zu widmen, etwa der Lektüre der kompletten «The Witcher» Reihe (absolute Empfehlung, geht übrigens nicht nur um blutige Schlachten, sondern auch sehr viel um Politik, lässt sich also auch als Stadtratsprotokoll lesen, haha) und dem intensiven Kuscheln meiner– ich hoffe, ihr habt mich ein bisschen vermisst, ich jedenfalls habe euch schon sehr vermisst und sei es nur, weil ich ein kleines Narzismussproblem habe und mich ungeliebt fühle, wenn ich nicht gelesen werde.

 

·       Okay, wieso werden hier nicht die Fanfaren geschmettert, wenn ich reinkomme? Ähm, hallo, ich bin wichtig? Ich höre dem Stadtrat tatsächlich zu und werde nicht dafür bezahlt, sondern tue das aus reiner Herzensgüte und Liebe zur Demokratie, wo bleiben verdammt noch mal die Verbeugungen, die Huldigungen und die schluchzenden «Zum Glück bist du wieder da?» Umarmungen? Ich meine, hallo, man sieht ja was passiert, wenn ich nicht da bin, Gemeinderäte drehen durch und stellen sich gegen ihre eigene Vorlage, Chaos bricht aus, die Zentralisierung geht bachab, wir werden alle sterben…NEIN, ICH BIN NICHT HYSTERISCH, ALLES IST GUT, ICH BIN TOTAL GELASSEN!!!

 

·       Und wir können neue Artist:innen im Stadtratszirkus begrüssen: Deborah Nyffenegger und Rosario Volante neue Stadtratsmitglieder der FDP – dachte ich doch, dass die Fraktion irgendwie anders aussieht. Da ist man mal nicht da und schon wird alles umgemodelt. Aus dem Stadtratspräsident ist in der Zwischenzeit auch eine Stadtratspräsidentin geworden und die heisst nicht mehr Michael Schenk, sondern Saima Sägesser und ist auch nicht mehr in der SVP, sondern in der SP.

 

·       Eröffnet wird die Legislatur mit Geigenklängen und ich muss mir gerade ganz, ganz arg, sämtliche Metaphern, die ich jetzt zu Politik und Musik ziehen könnte, verkneifen (Misstöne, mehr Duette, weniger Sonette, einfach mal zuhören statt reden), weil die alle so ausgelutscht sind, dass ich sie selbst nicht mehr lesen kann. Aber ganz viel Liebe für die Geigerinnen, ich bin immer wieder baff, dass man das Instrument so wunderschön spielen kann. Oder dass man überhaupt ein Instrument spielen kann, ich selbst schlage ja sogar mit dem Triangel daneben, vom Tamburin wollen wir gar nicht anfangen zu reden.

·      Edit: Die Geigerinnen waren Nuria Rodriguez und Désirée Pousaz (bester Vorname!), das habe ich im Eifer des Gefechts vergessen zu erwähnen. Falls ihr mal ein Violinenduo braucht. Und eines der Stücke wurde von Stadträtin Janina Müller komponiert. Joah, was man halt so macht in seiner Freizeit. 


Teil 1: Man reiche mir schon mal den Feuerlöscher

 

·       Nach den sanften Klängen der Geigen, wendet sich Saima Sägesser gleich mit energischen Worten an den – mehr oder weniger – gebannt lauschenden Stadtrat. «Ich brenne für die Kunst», stellt sie selbstbewusst klar und fügt hinzu, dass Kultur und Politik für alle offen sein sollen. Auch die Gleichstellung zwischen Mann und Frau ist ihr ein Anliegen. «Beinahe hätten wir eine Legislatur gehabt, in der das Parlament ausschliesslich von Frauen präsidiert worden ist – das berührt mich. Aber Tatsache bleibt, dass die Mehrheit des Stadtrats immer noch männlich ist!»

 

·       In ihrer weiteren Rede hebt die neue Stadtratspräsidentin Sägesser hervor, dass es ein Privileg ist, gewählt zu werden, ein Privileg, das man sich zwar erarbeiten, aber eben auch leisten können muss. Für den Stadtrat wünscht sie sich ein Glühen, das im besten Fall zu einer «lodernden» Idee wird, auch wenn ihr klar sei, dass es nicht immer gelinge, das Feuer am Leben zu halten, weil ein starker Wind es ausblasen könne.  Aus Funken ein Feuer zu entfachen sei eben Schwerstarbeit – gehe es aus, sorge es für Frust, so die ehemalige Pfadfinderin, die schon als Wölfin gelernt hat, Feuer zu machen. Es gelte, so Sägesser weiter, sich nicht entmutigen lassen, Milizpolitik sei anstrengend, dafür müsse man schon Überzeugungstäterin und Utopistin sein. Und manchmal, könne man ein Feuer nicht alleine entfachen, dann brauche es Unterstützung, was keine Schwäche ist, sondern eben die Essenz des Erfolgs.  

 

 

·        Ich kann mir nicht helfen, aber bei den ganzen Feuermetaphern muss ich immer an die Szene aus «Addams Family» denken, wo Wednesday ein ganzes Ferienlager in Brand steckt und dabei diabolisch lacht. Nicht, dass Sägesser das machen würde, aber ich kann mir schon vorstellen, dass sie rein rhetorisch dem Stadtrat Feuer unter dem A….. machen wird – und zwar nicht mit dem Streichholz, sondern mit dem Brandbeschleuniger. Haltet schon mal die Feuerlöscher bereit.

 

 

·       In ihrer Rede blickt die Stadtratspräsidentin auch auf ihre eigene politische Karriere zurück. Von der Pfadi ist sie direkt in die SP gewechselt (ist ja fast dasselbe nur mit weniger Wald) und dort wurde sie von vielen kämpferischen Frauen getragen, an die Sägesser namentlich erinnert, etwa an Alt – Grossrätin Dorette Balli oder an Stadträtin Nathalie Scheibli. Aber sie möchte eben nicht nur mit dem Schürhaken kämpfen (ihre Metapher, nicht meine, aber ich finde sie zu gut, um sie unerwähnt zu lassen), sondern wünscht sich auch mehr Vulnerabilität, mehr Empathie, mehr Kreativität und schlussendlich mehr Mensch sein in der Politik. Ich wäre für mehr Lama sein, aber Mensch sein ist auch okay.  

 

Teil 2: Dazwischen Zwischennutzungen zwischennutzen

·       Nach diesem feurigen Auftakt kehren wir zu der trockenen Materie zurück. Bei Traktandum 3 geht es um das Thema Zwischennutzungen: Die SP/GL Fraktion hat in einer Motion gefordert, dass die Stadt mehr Zwischennutzungen ermöglichen soll, indem sie aktiv wird und eine Plattform zur Verfügung steht, dass es Eigentümer:innen ermöglicht, ihren leerstehenden Raum anzubieten. Nicht im Sinne von, dass jemand dann in deinem Badezimmer wohnen kommt (ginge in meinem Fall auch nicht, weil mein Badezimmer so klein ist, dass höchstens ein Hobbit darin Platz hätte und auch der müsste sehr schlank sein, was bei Hobbits ja nicht so oft vorkommt), sondern wenn du z.B Büroräume hättest, für die du gerade keine Verwendung hast. Wie Speed – Dating, nur mit Räumen.

 

·        Der Gemeinderat findet das mit der Plattform so semi – cool. Also eigentlich findet er sie gar nicht cool, denn er will so was nicht machen. Gerhard Käser (SP), zeigt sich entsprechend missmutig über die Antwort des Gemeinderats, welche die Trägheit der Stadt aufzeige und den mangelnden Willen zur Innovation. Andere Gemeinde seien weitaus mutiger – auch Gemeinde mit vergleichbarer Grösse wie Burgdorf. Nur in Langenthal will man nichts davon wissen, dabei wäre es im Interesse aller, für Zwischennutzungen einzustehen, aber wenn man mit seiner Politik im 20. Jahrhundert hängen geblieben sei, könne man das wohl nicht sehen. Es folgt eine sehr lange Abhandlung darüber, dass das Gewerbe sich nur halten könne, wenn es qualitativ gute Produkte und Dienstleistungen anbietet und das sei wiederum abhängig von den von Gemeinden geschaffenen Rahmenbedingungen  und aus Zwischennutzungen entstehe Leben, die Stadt werde dadurch attraktiver, was für Langenthal, als Zentrum vom Oberaargau, von grosser Bedeutung sei, immer sind wir das Herz des Mittellandes (sage ich ja, der Mittelpunkt! Kanton Oberaargau, jetzt!). Deshalb, so Käser, sei diese abschlägige Antwort einfach eine weitere neue Posse in der Blockadepolitik des bürgerlich dominierten Gemeinderates. BAMMM! Vernichtendes Urteil. Kurz: Die SP/GL Fraktion ist angepisst (und im Wahlkampfmodus). The Drama, Baby, oh the Drama!

 

·     Eher schöngeistig äussert sich Dyami Häfliger (GLP/EVP). Er sei immer noch musikalisch hingerissen von den Künstlerinnen, beginnt er und bilanziert, es sei schön, die Sitzung so beruhigend anzufangen. Ja. Sollten wir vielleicht immer machen. Walfischklänge sollen auch sehr entschleunigend sein, am besten lassen wir die während dieser Wahllegislatur in der Dauerschleife als Hintergrundmusik laufen, sonst werden sich da einige ihren Blutdruck versauen.

 

·       Die GLP will aber dem Gemeinderat folgen – weil die eh keine Lust haben, das umzusetzen und es daher keinen Sinn mache, es durchzuzwängen. Ganz nach dem Motto: Die sind eh nicht mehr lange an der Macht, warten wir, bis jemand da ist, der noch was reissen will.

·        Jana Fehrensen (FDP) konstatiert, das Ziel ist hehr, die Lösung problematisch. Die Bewirtschaftung einer solchen Plattform wäre aufwendig und teuer und ob es die Aufgabe der öffentlichen Hand sei, wage sie zu bezweifeln. Langenthal, so Fehrensen, ist die Stadt der kurzen Wege – die Kommunikation funktioniere daher sehr gut untereinander. Stimmt. Wenn wir was können, dann mauscheln!

·    Ihrem Votum schliessen sich Janosch Fankhauser (SVP) und Diego Clavadetscher (FDP) an, die zudem anmerken, dass solche Plattformen bereits existieren – sie befänden sich einfach in privater Hand (freie Marktwirtschaft, wuhu, die unsichtbare Gottheit aller Bürgerlichen, nicht zu verwechseln mit ihrer Schwester, die Göttin des tiefen Steuersatzes). Clavadetscher mahnt zudem an die nicht gerade üppigen Finanzen der Stadt (diese Tatsache wird ja vom Stadtrat ganz gerne grosszügig ignoriert, bis zur nächsten Budgetsitzung, wo dann alle wieder die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und sich fragen, wo denn das ganze Geld hin ist), die solche Ausgaben nicht vertragen würde.

 

·        Fanny Zürns (Grüne) redet den Anwesenden noch einmal ins Gewissen, dass es immer mehr leere Ladenflächen in Langenthal zu beklagen gebe, weil immer mehr Leute online einkauften. Sie fürchtet, die Stadt bekäme so einen «töteligen» Charakter. Zudem bezweifelt sie, dass ein solches Formular so aufwendig zur Betreuung wäre. Naja, bei der Stadt wahrscheinlich schon, nicht auszuschliessen, dass wir dafür extra eine Stelle schaffen müssten, Langenthaler Formularbeauftragte:r oder so.

 

·        Nachdem er lang und breit über die juristischen Rahmenbedingungen referiert hat (null zugehört, ich bin da raus), beschwört Reto Müller die anwesenden Stadträt:innen nicht mehr schlecht über das Stadtzentrum zu sprechen. Da hat er nicht ganz Unrecht, marketingtechnisch kommt das halt schon nicht so gut, wenn die eigenen Stadträt: innen vom Zentrum reden, als handle es sich dabei um einen Friedhof. Und ich kann auch hier nur wiederholen, was ich immer sage, wenn sich jemand über die Stadt beschwert, dann bin ich das!

 

·        Mit 25 zu 12 Stimmen erleidet die Motion Schiffbruch. Überraschend. Nicht.

 

Teil 3: Grill den Stapi

 

·   Es folgt das allseits beliebte Traktandum: Roast the Gemeinderat! Auch bekannt als parlamentarische Fragestunde. Erstes Brathähnchen (wobei, die röstet man nicht, oder? Egal, mir gefällt die Metapher), ist Stapi Reto Müller, der sich seinen Feierabend hart verdienen muss, weil er nämlich gleich zehn von insgesamt sechzehn Fragen beantworten darf.

·    Unter anderem die Frage von Pascal Dietrich (parteilos), der sich nach den Kommissionsreglementen erkundigt (stimmt, da war doch mal was), die, seit sage und schreibe 8 Jahren überarbeitet werden sollten. Dazu muss man wissen, dass jede Kommission ihr eigenes Reglement hat, weshalb natürlich auch die Bearbeitung dauert. Trotzdem, so Müller, mache es wenig Sinn, wie vom Fragesteller angeregt, alles in einem Reglement zusammenzuziehen, weil die Kommissionen dafür zu individuell seien. Bis Ende 2024 sollen die Reglement vorliegen, zumindest nach Plan des Gemeinderats. Hoffentlich, der Stadtrat hat schon so lange keine Reglemente mehr revidiert, er leidet offensichtlich unter Entzugserscheinungen.

 

·        Dann hat Martin Lerch (SVP) noch Fragen zum Marketingkonzept der Stadt, wo Reto Müller die überraschende Aussage trifft, er verzichte wegen der beschränkt vorhandenen Ressourcen (sprich, er hat zu wenig Leute) auf ein Konzept und sei direkt zum Umsetzen übergegangen. Äh, wie bitte? Ich dachte ohne Konzept können wir gar nichts tun, seit Jahren schreit die Politik immer Konzept, Konzept, sobald wir auch nur einen Grashalm umknicken wollen und plötzlich gilt das nicht mehr. Wenn das nicht der Anfang vom Chaos ist, weiss ich auch nicht.

 

·        Janina Müller (GLP/EVP) bringt ein Thema auf den Tisch, das für einige Unruhe gesorgt hat: Die Mitwirkung von Exekutivmitgliedern in Abstimmungskomitees. Wir erinnern uns:  Gemeinderat Markus Gfeller hat sich in einem Flyer als Gegner der Kindergartenvorlagen «geoutet», womit er sich ja quasi gegen seine Gspännli gestellt hat (wobei, möglicherweise wäre dieses «Engagement» gar nie aufgefallen, wenn die Presse es nicht aufgegriffen hätte), was natürlich für einigen Unmut gesorgt hat. Der Gemeinderat, so Reto Müller, habe das Engagement besprochen und keine rechtlich relevante Beeinflussung feststellen können. Zudem sei keine Abstimmungsbeschwerde eingegangen. Können wir mal darüber reden, wie krass wäre das denn, wenn Markus Gfeller wirklich diesen Einfluss hätte, den ihm manche offenbar zutrauten? Dann könnte der Gemeinderat sich zukünftig einfach zurücklehnen und Gfeller die ganze Arbeit machen lassen – vorausgesetzt er ist tatsächlich der Meinung des restlichen Gemeinderates, har, har.

 

·        Der Stadtpräsident beharrt darauf, die ganze Sache, sei eine gemeinderatsinterne Angelegenheit, die in der Öffentlichkeit nicht ausgebreitet werden soll.  Wie Krach in der Ehe, den klärt man schliesslich auch besser zuhause als via Instagram und Facebook. Vielleicht sollte man einfach kontrollieren, ob die Gemeinderät:innen an die nächste Sitzung Nudelhölzer mitnehmen.

 

·        Martin Lerch und Patrick Freudiger bringen es tatsächlich fertig, zwei fast identische Fragen zu stellen, obwohl sie a) in der gleichen Partei sind und b) etwa fünf Plätze voneinander entfernt sitzen. Das funktioniert ja richtig gut mit diesen kurzen Kommunikationswegen. 

 

Teil 4: Der Herr der Bäume 

 

·       Die SP, in Gestalt von Linus Rothacher, macht sich unterdessen Sorgen um die Zugverbindung nach Zürich. Dort will zwar niemand hin, aber viele müssen dahin, trotzdem will die SBB Langenthal den IR35 wegnehmen (nie gönnen die uns was, sogar Toi – Toi Toiletten müssen wir selber aufstellen und einweihen). Reto Müller versichert, die Stadt Langenthal habe in der Verkehrskonferenz ihre negative Haltung zum Projekt zum Ausdruck gebracht und vom Kanton gefordert, dagegen Einsprache zu haben, denn wenn jemand uns jemand verkehrspolitisch benachteiligen darf, dann ist das Christoph Neuhaus und sonst niemand! Notfalls können wir uns ja immer noch aufs Gleis kleben.

·   Ich glaube, ich wäre richtig gut beim Bestreiten der parlamentarischen Fragerunde. Wenn ich Gemeinderätin werde. Zum Beispiel, Fanny Zürns (Grüne) Frage, wie man die Eishalle klimaverträglich gestalten soll: Indem man sie einfach nicht mehr benutzt, denn die umweltschonendste Eishalle ist gar keine Eishalle. Und die Frage, wie man die Parksituation beim KFC/Burger King (da ist irgendwie das Chaos aufgebrochen, weil – Überraschung – Menschen auf fettiges, ungesundes Essen stehen, weil das Leben sonst kaum noch erträglich ist - lösen kann? Indem wir einfach aufhören Auto zu fahren! Dankt mir später für meine genialen Lösungsansätze, ich gehe jetzt meinen Wahlkampf vorbereiten.

·    Pascal Dietrich (parteilos), Spitzname «Rächer der Bäume» hat einige Fragen zur Uferabholzung vom Rumiweg, unter anderem warum er, der ebenfalls dort Anwohner ist, nicht darüber informiert wurde. Hoppala, blöd wenn man ausgerechnet denjenigen vergisst, den die Abholzung wahrscheinlich tatsächlich interessiert und dem man mit jedem abgerissenen Blatt ein Stück Herz herausreisst.

 

·        Und damit sind wir schon am Ende dieses Protokolls. Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit, es war mir ein Fest. Stadtrat scheint gut drauf zu sein – auf jeden Fall sind sie schon mal kreativ mit den Namen ihrer Vorstösse. Die FDP reicht einen unter dem Namen «Das Schweigen der Lämmer» ein. Finde das eine wirklich gute Initiative, Vorlagen nach Filmen zu benennen, könnte ganz neuen Schwung in die Stadtratssitzung bringen. Ich freue mich auf jeden Fall auf die Motionen «Vom Winde verdreht», «Der Herr der Ringe – die Rückkehr des Stapis», sowie den Klassiker «Ist die Stadtratssitzung nicht schön?».

 

 Best of Stadtrat

«Gewählte Volksvertreter:innen, die nicht da sind, um einander auf die Nerven zu gehen.» Da bin ich mir nicht so sicher, aber ich bewundere die Positivität der neuen Stadtratspräsidentin Saima Sägesser (SP)

“Erstunterzeichnende ist Saima Linnea Sägesser, die heute gerade verhindert ist.» Scherzkeks Gerhard Käser (SP).

«Das Votum hat mich aber wieder geweckt.» Dyami Häfliger (GLP) und der grosse Schlaf.

«… kontrollieren, ob jemand Scheissdreck geschrieben hat.» Aber das würde doch niemand tun! Fanny Zürn (Grüne).

«Ich war schwer beeindruckt von deinem juristischem Wissen.» Diego Clavadetscher (FDP) zu Gerhard Käser (SP), nachdem dieser zur Hochform aufgelaufen ist.

«Unser Stadtzentrum ist ein Open – Air Einkaufszentrum…» Stapi Reto Müller (SP) übernimmt das Stadtmarketing gleich selbst.

«Meine Antwort ist dreimal so lang wie die Frage.» Das ist uns durchaus auch schon aufgefallen. Wieder Reto Müller.

«Argh, ihr seid wie die Presse, immer wollt ihr die Zeitplanung wissen!» Dabei ist Zeit doch relativ. Noch einmal Reto Müller.

«Wir werden nicht fertig, wir haben nämlich noch gar nicht angefangen.» Hetzt mich nicht, mit Markus Gfeller (FDP).


Dienstag, 31. Oktober 2023

Die Uhr schlägt dreizehn, Teil 2

 

Nun lebte in Langenthal schon seit vielen Jahren ein Mann, den alle nur den Professor nannten, denn er war ein kluger Kopf, was er auch nie vergaß, allen unter die Nase zu reiben, die er für weniger gescheit hielt als sich selbst. Und er war ein Mann, der all sein Streben und Leben stets nach den Fakten ausrichteten. Nach beweisbaren Fakten, wie er betonte, denn er glaubte an nichts, woran er nicht selbst geforscht hatte, und er ärgerte sich über seine Mitmenschen, die seiner Meinung nach, ihren eigenen Verstand nicht nutzten, sondern zugunsten von Reality – TV verkümmern ließen. Selbst Märchenbücher empfand er als perfiden Angriff auf die Aufklärung.

Man kann sich also vorstellen, wie sehr ihm das ständige Gerede von Geistern und Vampiren gegen den Strich ging und wie sehr er es verabscheute, dass seine Stadt, diese so wunderbar geordnete, nüchterne und ganz und gar langweilige Stadt, sich zusehends in ein Tollhaus verwandelte und sich die sonst so vernünftigen Einheimischen gebärdeten, als hätten sie zu viel von den falschen Pilzen genascht. Er verachtete sie für ihre Ängstlichkeit und ihre Leichtgläubigkeit und sie gingen ihn auf die Nerven mit ihrem Knoblauch, ihren Taschenlampen und ihren wispernden Gesprächen über das grauenvolle Unheil, dass angeblich im Schorenwald lauerte.

Schliesslich entschloss sich der Professor, diesem unsinnigen Treiben ein Ende zu bereiten. Er würde beweisen, dass im Schorenwald nichts, aber auch gar nichts war, dass man zu fürchten brauchten – ausser vielleicht ein paar begrabene Aufstiegsträume des SC Langenthals. Und so brach er auf, im Dienste der Aufklärung, fest davon überzeugt, dass sich für all diese Vorkommnisse eine plausible Erklärung finden würde, die nichts, aber auch gar nichts, mit irgendwelchen übernatürlichen Wesen zu tun hatte.

Es war eine kühle Herbstnacht und der Mond hing schön und satt über dem Wald, dessen Bäume schon beinahe kahl waren, denn der Herbst war weit fortgeschritten und der Winter stand vor der Tür. Doch der Professor liess sich weder von der Kälte noch von der Dunkelheit einschüchtern. Er klappte einfach den Kragen seines Mantels hoch und marschierte in den Wald, mit dem Mut eines Mannes, der glaubte, alles schon gesehen zu haben.

Der Professor war erst einige Schritte gegangen, da glaubte er, Geflüster zu hören. Er redete sich ein, dass sei nur der Wind, der durch die Äste pfiff. Dann meinte er Augen aufblitzen zu sehen, leuchtende, gelbe Augen, die ihn fixierten. Glühwürmchen, überzeugte er sich selbst, einfach nur Glühwürmchen, kein Grund zur Besorgnis. Und auch als er das Fauchen vernahm, ein zischendes warnendes Fauchen, drehte er nicht um, sondern ging weiter, voller Trotz.

Dennoch schlich sich die Furcht in sein Herz, denn je weiter er in den Wald ging, desto mehr schienen die Bäume näher zu rücken und ihre Äste schienen sich wie Finger anklagend auf ihn zu richten. Der Professor ging immer schneller und dennoch war ihm, als würde er kaum vorwärtskommen. Die Wege verflochten sich ineinander, wurden zu einem undurchdringlichen Labyrinth und bald hatte er ganz die Orientierung verloren, er wusste nicht mehr, von wo er gekommen war und wohin er eigentlich gewollt hatte.

Verwirrt blieb der Professor schliesslich stehen – so oft war er schon in diesem Wald gewesen und doch erschien er ihm nun wie ein völlig fremder Ort. Erschöpft wollte er sich an einem Baum abstützen, doch als er die Hand auf den Stamm legte, begann dieser zu knurren. Die Wurzeln des Baumes hoben sich aus der Erde und grapschten nach ihm. Schreiend wirbelte der Professor herum und rannte davon. Äste schlugen ihm ins Gesicht, Dornenranken rissen an seinen Kleidern, seine Lunge brannte und seine Seiten schmerzten, aber er rannte immer weiter, bis seine Füße an einem Stein hängen blieben und er der Länge nach hinstürzte.

Benommen blieb er liegen. Da fielen sie über ihn her, die Schatten, die ihn seit Betreten des Waldes verfolgt und belauert hatten. Waldkatzen, riesige wilde Waldkatzen, in deren goldenen Augen Intelligenz und Grausamkeit leuchteten. Ihre Krallen rissen an seinen Kleidern, ihre Zähne bohrten sich in sein Fleisch und ihre Pfoten drückten ihn nieder – Waldkatzen, riesige wilde Waldkatzen. Er schrie und versuchte, die Tiere abzuschütteln, aber es waren zu viele und sie waren zu stark. Und während er schrie, glaubte er, eine Stimme zu hören, eine spöttische und boshafte Stimme. Wir haben euch gewarnt. Ihr seid nicht willkommen.

Dann hörte er etwas anderes. Das Krächzen von Raben. Nur, dass es ganz anders klang. Nicht mehr so misstönend, sondern eher lockend, verheißend. Die Katzen hielten in ihrem brutalen Treiben inne und spitzten die Ohren. Dann, so plötzlich wie sie über ihn hergefallen waren, ließen sie von ihm ab und verschwanden zwischen den Bäumen, so leise wie Diebe in der Nacht.

Der Professor richtete sich auf. Er blutete aus mehreren Kratzen – und Bisswunden und der Schreck saß ihn in den Gliedern. Er sollte gehen, er wusste es, er sollte den Wald verlassen, die Warnung war deutlich gewesen. Er konnte es nicht. Zu stark war die Neugier, zu groß sein Verlangen irgendeine natürliche Erklärung für das ganze Geschehen zu finden. Und dann war da noch der Rabengesang…denn das Krächzen hatte sich nun endgültig verwandelt, in eine schöne dunkle Melodie, die ihn anzog, wie sie die Katzen angezogen hatte.

Etwas rief die Geschöpfe des Waldes zu sich.

Also rappelte der Professor sich auf. Er konnte kaum gehen, er taumelte eher, als er wie ein Schlafwandler der Melodie folgte. Es dauerte nicht lange, da sah er einen rötlichen Schein, der durch die Bäume schimmerte  und er stolperte darauf zu, wie eine Motte, die vom für sie tödlichen Licht angezogen wird. Feuer. Es musste ein Feuer sein, dachte der Professor, wahrscheinlich feierte jemand eine wilde Party und hatte sich diese Gruselshow ausgedacht, um ungestört zu sein. Er würde sie für diese Geschmacklosigkeit stellen – die kläglichen Reste seines Verstandes klammerten sich an diese Erklärung, die jedoch noch einmal gehörig ins Wanken geriet, als er die Kröten erblicke. Die Kröten, die den Weg säumten, warzige und bucklige Wächter, die ihm grösser schienen als alle Kröten, die er je gesehen hatte.

Dennoch kehrte er nicht um, sondern humpelte weiter auf den Feuerschein zu, schob sich durch das Dickicht… bis er schliesslich so nahe war, dass er die Quelle erkennen konnte.

Ihm stockte der Atem.

Das Feuer war riesig. Wie ein Leuchtturm loderte es, ungezähmt und wild, die Flammen so hoch, dass sie den Himmel zu berühren schienen. Um das Feuer, ungestört von der Hitze, flogen sie, die Raben und sangen schön wie die Nachtigallen, doch es war nicht das, was den Professor schockierte und sein Blut gefrieren liess, es waren die Frauen. Die Frauen, die barfuß um das Feuer tanzten und dabei sangen und lachten, als gebe es kein Morgen.

Es waren alte und junge Frauen, aber sie alle waren grässlich schön, wie sie herumtobten, ihre bunten Röcke wirbeln ließen und ihr langes Haarschüttelten. In ihren Händen hielten sie Besen, die sie mal geschickt über ihre Köpfe wirbeln ließen, dann wieder energisch auf die Erde stießen. Und um ihre Füße strichen die Waldkatzen, schlossen sich ihrem wilden Tanz an, so wie die Raben es taten. Funken stoben um die Tanzenden, doch der Professor hätte sie eigentlich nicht gebraucht, um zu wissen, was er hier sah: Hexen.

Noch bevor er den Gedanken an Weglaufen in seinem Kopf formen konnte, hatte ihn eine der Hexen, eine große weißhaarige Frau schon entdeckt. Sie entblößte ihre Zähne zu einem fürchterlichen Lächeln und winkte ihn mit ihrem Zeigefinger zu sich, worauf sich seine Füße von selbst in Bewegung setzten, bis er vor ihr stand. Sie hob die Arme und rief: „Schwestern, wir haben einen ungebetenen Gast. Lasst ihn uns willkommen heißen.“  Kreischend und lachend, stürzten die Hexen herbei und griffen nach seinen Händen und zwangen ihn, mit ihnen, um das Feuer zu tanzen.

Es  war kein hübscher Tanz. Die Hexen zogen ihn unbarmherzig mit sich, stießen ihn von einer zu anderen, sie rissen ihn an den Haaren, schlugen die langenFingernägel in seine Haut und drehten ihn immer schneller um die eigene Achse, so dass ihm bald so schwindlig war, dass er nicht mehr richtig sehen konnte. Das Feuer, die Raben, die Katzen, die bunten Röcke der Hexen…alles verschwamm zu einem undeutlichen Wirbel. Nur die Augen der Hexen, die konnte er klarsehen, die anklagenden grünen Augen der Hexen, die seine Seele entblößten und sein Inneres ihn Brand setzten. Bald schmerzten seine Füße so sehr, dass er glaubte, jeden Moment tot zur Erde zu sinken, aber die Hexen rissen ihn mit sich, als wäre er ihre Puppe, mit denen sie spielten.

Immer dichter zogen die Hexen ihre Kreise und immer mehr drängten sie ihn zum Feuer. Er konnte die Flammen auf seiner Haut spüren. Der Rauch machte ihm das Atmen schwer und er hustete, was bei den Hexen zu Gelächter führte. „Na, quält dich das Feuer? Fühlst du schon seine tödliche Hitze? Unsere Schwestern haben es auch gespürt“, sprach da die weißhaarige Hexe, „unsere Schwestern, die ihr verfolgt und ermordet habt, ihr Männer, die ihr alles fürchtet, was mehr Macht hat als ihr. Gestorben sind sie, unter Schmerzen, schreiend und ihr habt euch an ihren Qualen geweidet. Aber ihr habt uns nicht vernichtet, wir sind noch da und immer, wenn wir uns zum Tanz versammeln, gedenken wir unserer toten Schwestern und du hast es gewagt uns zu stören, weil du zu arrogant warst, die Gefahr zu erkennen. Das wirst du nun büßen! Ins Feuer mit dir!“

„Ins Feuer!“, schrien die anderen Hexen und ehe der Professor um Erbarmen flehen konnte, hatte sie ihn schon gepackt. „Brennen sollst du, wie sie gebrannt haben!“ Und sie warfen ihn ins Feuer, als sei er nicht mehr als ein Holzstück und die Flammen labten sich an ihm, verschlangen ihn und seine Schreie wurden erstickt durch die Asche, die ihm in Mund und Atemwege gelang. Sein Körper wurde zu einer eitrigen Wunde und als die Schmerzen ihm endgültig den Verstand raubten, auf dem er doch so stolz gewesen war, fiel er in eine gnädige Dunkelheit. 

Als er wieder zu sich kam, lag er in einem weichen weißen Bett und eine freundliche Pflegefachfrau beugte sich lächelnd über ihn. Seine erregten Fragen nach Hexen und Katzen und Raben ignorierte sie. Sie erzählte ihm stattdessen, Spaziergängen hätten ihn am frühen Morgen ohnmächtig am Waldrand gefunden. Er hätte eine Gehirnerschütterung und sei unterkühlt, aber das würde schon wieder werden. Wahrscheinlich, erklärte sie ihm, während sie seine Vitalwerte überprüfte, habe er sich im nächtlichen Wald den Kopf an einem Ast gestoßen, das erkläre zumindest die unschöne Kopfwunde.

Das erschien dem Professor eine logische Erklärung, zumal er an seinem Körper weder Verbrennungen noch Biss – oder Kratzwunden finden konnte. Ja, so musste es gewesen sein. Er hatte sich einfach den Kopf angeschlagen und hatte aufgrund der Gehirnerschütterung diesen entsetzlichen Hexentanz zusammenfantasiert. Alles nur ein böser Traum. Obwohl er immer noch glaubte, die Hitze des Feuers zu spüren, weshalb er die Pflegefrau bat, das Fenster zu öffnen, was sie ohne Umschweife tat, wobei sie die Bemerkung fallen liess, wie schön es doch sei, mal wieder die Sterne am Nachthimmel zu sehen – der Nebel hatte sich nämlich endgültig verzogen.

Erleichtert liess sich der Professor in die Kissen zurücksinken. Der Nebel war verschwunden und mit ihm wahrscheinlich auch die Raben und die Kröten. Bestimmt hatte das irgendeinen Zusammenhang mit dem Klimawandel, dachte der Professor, während er die Augen schloss, eine seriöse naturwissenschaftliche Erklärung…sobald er wieder bei Kräften war, würde er alles daransetzen, eine zu liefern, damit dieser Hokuspokus endlich ein Ende hatte.

Von fern erklangen die Schläge der Turmuhr.

Dreizehnmal.

Du bist verstoßen aus der Welt,

Du bist auf Dich allein gestellt,

Die Waldluft hüllt Dich tröstend ein,

Sie scheint dir Freund und Schutz zu sein,

Du hast den Kampf noch nicht verloren,

Du kommst zurück, hast Du geschworen,

Und wenn die Hexe wiederkehrt,

Dann bleibt kein Richter unversehrt!

Aus: „Schrei es in die Winde“ von Faun

Das andere Stadtratsprotokoll - Die Ostern - Edition: Der (Fast) Liveticker zur Stadtratssitzung vom 25.3.2024

  Das Vorgeplänkel ·         Hallo und herzlich willkommen zum neuen exklusiven anderen Stadtratsprotokoll, geschrieben wie üblich von e...