Donnerstag, 19. September 2019

Das andere Stadtratsprotokoll VIII: Vierter Akt und Epilog


Hatte die Stadtratssitzung als leichte Operette begonnen, hatte sie zu diesem Zeitpunkt die Ausmasse einer Wagner – Oper angenommen. Die übrig gebliebenen Zuschauer - und Zuschauerinnen, die noch nicht die Flucht ergriffen hatten, waren entschlossen, sich dieses letzte, dramatische Aufbäumen nicht entgehen zu lassen, ging es doch nicht um irgendein Thema, sondern um DAS Thema in Langenthal: Das neue Eishockeystadion. Beziehungsweise eigentlich ging es irgendwie auch um das alte Stadion. Und genau dieses „irgendwie“ stellte sich als die grosse Knacknuss heraus.

Beim Geschäft mit dem malerischen Titel „Zukunft Eissport“ ging es um Geld. Genauer gesagt um einen Rahmenkredit für 2,25 Millionen Franken, der zum Teil in die Überbauungsordnung des neuen Stadions im Hard fliessen soll, zum anderen aber in den Erhalt der Infrastruktur des alten Stadions im Schoren, denn da der neue Eissporttempel wahrscheinlich nicht innerhalb von drei Wochen stehen wird, muss der Betrieb dort noch aufrecht gehalten werden. Schliesslich können der SCL und der Eiskunstlaufclub schlecht in der Marktgasse Schlittschuh laufen. Der Kredit muss vom Stadtrat abgesegnet werden und kommt dann am 15. Dezember vors Volk.

Wenn denn der Stadtrat den gewünschten Segen gibt. Am Montag zeigte er sich nicht sonderlich entscheidungsfreudig. Helena Morgenthaler (SVP) schilderte als Ressortleiterin „Sport und Kultur“ die Ausgangslage und legte ausführlich die Gründe dar, wieso der sachliche Zusammenhalt zwischen „Erhalt altes Stadion“ und „Planung neues Stadion“ gegeben sei. Beides beeinflusse einander. Das klang relativ nachvollziehbar. Denn wenn kein Geld für ein neues Stadion gesprochen werden würde, müsste man ja noch länger mit dem alten klarkommen, was ganz andere Neuerungen bedeuten würde. Wenn es dagegen kein Geld für das alte Stadion geben würde, dafür aber für das neue, steht man vor dem Problem, dass auch der vorübergehende Eisbetrieb – wenn überhaupt – nur noch auf Sparflamme aufrechterhalten kann. Zudem hat die Burgergemeinde, die als Grundeigentümerin auftritt, signalisiert, dass sie den Baurechtsvertrag höchstens  bis 2031 verlängern werde.

Trotz der drohenden Konsequenzen und der knappen Zeit, war nach dem Statement der GPK klar, dass es keine leichte Geburt werden würde. Daniel Bösiger (SVP) machte als Sprecher der Geschäftsprüfungskommission klar, dass für sie, der Sachzusammenhalt zwischen „Kredit für Überbauungsordnung“ und „Kredit für Erhalt Infrastruktur Schoren“ nicht zwingend ist. Damit sei für sie die formelle  Richtigkeit des Geschäfts nicht gegeben. Zudem beklagte er sich darüber, dass die Akten, die der GPK versprochen wurden, nicht geliefert wurden. Die GPK beantragte infolgedessen eine zweite Lesung (bedeutet, das Geschäft wird in einer späteren Stadtratssitzung noch einmal aufs Tapet kommen), verlangte, dass die versprochenen Akten nachgeliefert werden müssen und dass  man „Neubau Eisstadion“ und „Erhalt altes Stadion“ getrennt behandelt.

Vielleicht lag es an der fortgeschrittenen Stunde, aber ich hatte das Gefühl, dass sich die nachfolgende Debatte im Kreis drehte. Irgendwie konnte sich fast niemand zu einem klaren Statement durchringen. Einig waren sich alle Parteien darin, dass es an der Zeit sei, das Volk zu befragen, wie es zum Thema Eishalle steht, wobei gleichzeitig von mehreren bemängelt wurde, dass man den Kredit absichtlich sehr hoch berechnet hat, um die 2 Millionen Grenze zu knacken (das habe ich erst überhaupt nicht geschnallt. Normalerweise versucht man ja einen Kredit eher tief zu halten, wenn man ihn durchbringen will. Bis ich dann begriff, dass ein Kredit offenbar so hoch sein muss, um eine Volksabstimmung auszulösen).

Sorgen machte manchen Stadträten – und Stadträtinnen auch die Finanzierung des Megaprojekts. „Können wir uns das leisten?“, fragte  Diego Clavadetscher (FDP) zweifelnd und mahnte, dass es bei mehr Ausgaben auch mehr Einnahmen geben müsste, um das auszugleichen. Und wie kommt eine Stadt zu mehr Geld? Mit Steuern. Wie schon bei der Diskussion rund um den SCL Nachwuchs vertrat Clavadetscher den Standpunkt, dass man dem Volk diese mögliche Konsequenz nicht vorenthalten dürfte. Ähnlich sah es Mike Siegrist von der EVP, der zudem fürchtete, dass vor allem im sozialen Bereich abgebaut werden würde, um die Kosten aufzufangen.

Der SP/GL Fraktion fiel es, laut Roland Loser (SP) schwer überhaupt eine einheitliche Meinung zu finden. Immerhin spürte die Linke noch Sparpotential auf und zwar bei den Parkplätzen im Schoren. In die 107‘000 Franken zu investieren, mache so gar keinen Sinn, fanden sie. Auch der restliche Stadtrat stimmte ihrem Antrag zu. Wer braucht in Zeiten der grünen Welle schon Parkplätze? Schliesslich gibt es Pferde.

Roland Loser selbst machte deutlich, dass er den Weg des Gemeinderats für richtig hält. Man rede schon viel zu lange von diesem neuen Stadion, ohne was Konkretes auf den Weg zu bringen. Ebenfalls im Team „Lasst – uns –endlich – Schlittschuh - laufen“ waren Beat Hasler (parteilos, SP/GL Fraktion und (Überraschung!) Pascal Dietrich (FDP), der in die Diskussion warf, dass im Falle einer Ablehnung des Geschäfts definitiv fertig sei mit Spitzensport in Langenthal (also mit Hockey. Nicht mit Ballett…)

Bernhard Marti(SP) dagegen hatte ganz andere Probleme. Er störte sich an der Eigentumsbereinigung im  Schoren zwischen SCL und KEBAG (nicht zu verwechseln mit Kebab). Das sei keine Eigentumsbereinigung sondern ein A – fonds – perdu Beitrag an den SCL, beharrte er (zur Begriffserklärung: ein A – fonds – perdu Beitrag ist ein sogenannter verlorene Beitrag.  Das sind Beiträge, auf deren Rückzahlung die öffentliche Hand von vornherein verzichtet. Und ja, das habe ich gegoogelt…)

Eine sehr bizarre Geschichte war die Story mit den Akten, die ihren Weg nicht zur Geschäftsprüfungskommission gefunden haben. Laut Helena Morgenthaler (SVP) .waren Kommunikationsschwierigkeiten, auch bedingt durch die vielen personellen Wechsel in der Stadtverwaltung, der Grund dafür. Kann passieren. Ist allerdings natürlich blöd, wenn das ausgerechnet bei einem ohnehin umstrittenen Geschäft passiert, das so zusätzlich geschwächt wird. Die Gemeinderätin wurde dann noch unfreiwillig komisch, als sie Bernhard Marti erklärte, das er ganz anders reden würde, wenn er die Akten hätten lesen können…wohlgemerkt jene Akten, die er ja eben nicht hat lesen können, weil er sie gar nie hatte.

Für Urs Zurlinden (FDP) dagegen war die Wichtigkeit dieser Akten fraglich. Er bezeichnete die fehlenden Unterlagen als "ominös" und "nebulös". Wie er zu diesem Schluss kommt, bleibt wohl sein Geheimnis. Vielleicht hat er einfach eine ausgeprägte Aktenallergie. So oder so, aus diesem Krimi rund um die verschollenen Akten, liesse sich eine prima Geschichte machen. („Die haarsträubenden Fälle des Phillip Maloney: Die verschwundenen Akten…“).

Während der ganzen Diskussion war der Zeiger unerbittlich Richtung Mitternacht vorgerutscht. Der Stadtrat hatte inzwischen Ähnlichkeit mit dem Gefangenenchor von Nabucco, die Zuschauer waren unruhig. Man sehnte sich das Ende herbei. Die Abstimmungen über die Anträge sorgten noch einmal für Spannungsaufbau. Der Stadtrat beschloss, dass die versprochenen Akten der GPK zur Verfügung gestellt werden müssen. Und dass es eine zweite Lesung geben wird. Bei letzterem kam Stadtratspräsident Patrick Freudiger (SVP) in den Genuss, den Stichentscheid geben zu müssen. Abgelehnt wurde dagegen der Antrag, die Geschäfte aufzusplitten. Damit wären wir wieder am Anfang. Fortsetzung folgt (Irgendwie haben Diskussionen rund um den Eissport in Langenthal immer was vom Leiterlispiel. Drei Felder vor, zwei zurück, dann wieder nach vorne, nur um wieder zum Start runterzurutschen).

Nach diesem Grande Finale war das Stück zur Ende und es bleibt dem Publikum überlassen, ob es nun eine Komödie, eine Tragödie, ein Lustspiel, ein Schwank oder doch eher ein Kasperlitheater gesehen hat.

Was sonst noch passiert ist




  • Vielleicht lag es an der übermässig langen Sitzungszeit, die ihren Tribut von den Anwesenden forderte oder einfach an der stickigen Luft, auf jeden Fall kam es zu relativ vielen Abstimmungspannen. Urs Zurlinden (FDP) packte seine Stimmkarte zu früh weg und musste in seiner Mappe danach  wühlen. Janosch Fankhauser (SVP) dagegen hob seine zu schnell  und Diego Clavadetscher (FDP) unterstützte versehentlich einen Antrag der SP/GL. Zudem musste eine Abstimmung wiederholt werden, weil von einer falschen Anzahl anwesender Stadträte – und Stadträtinnen ausgegangen worden war. Während es in anderen Städten wegen solcher Dinge zu regelrechten Tumulten kam, ging man in Langenthal mit einem Lachen darüber hinweg.   
  • Der Stadtschreiber ist nach längerer Rekonvaleszenz wieder da. Welcome back.
           
  • Das Stadtratsbüro hatte während der Sitzung mit einem Wasserschaden zu kämpfen. Die Überschwemmung betraf auch das Macbook der Protokollführerin, die versuchte zu retten was zu retten ist. Mit einem Flipchart wäre das nicht passiert…
  •  
    Pascal Dietrich (FDP) bat darum, die Lüftung einzuschalten. Später teilte Patrick Freudiger mit, dass man das nur könne, wenn man den Beamer ausschalte. Woraufhin der Informatiker korrigierend eingriff und meinte, der Beamer würde schon noch laufen, aber das Bild sei halt verwackelt. Auch hier: Mit einem Flipchart wäre das nicht passiert.
     
  • Diverse Anwesende hatten Sichtprobleme. Der Stadtratspräsident benannte Beat Hasler (parteilos/SP, GL) konsequent falsch und entschuldigte sich mit: „Ich brauch jetzt dann eine Brille.“ Roland Loser (SP) meinte, er könnte das auf der Leinwand ohne Brille nicht lesen und Helena Morgenthaler (SVP) konnte sich nie recht entscheiden, ob sie die Brille jetzt auf der Nase haben will oder nicht. Ich empfehle, Hunziker Optik.



Best of/Epilog

„Wir wissen, der Stadtrat hat die Zügel gerne fest in der Hand.“ Stadtpräsident Reto Müller (SP) über die wechselhafte Ehe von Legislative und Exekutive.

„Habt ihr vielleicht Lust darüber zu streiten, ob ihr nun die Formulierung „zur Hälfte“ oder „hälftig“ verwenden wollt?“ Stadtratspräsident Patrick Freudiger (SVP) erkundigt das 
Konfliktpotential bei FDP und SVP, die praktisch identische Anträge eingereicht haben.

„Ich hab’s vergeigt!“ Der selbstkritische Stimmzähler Diego Clavadetscher (FDP).
„Ohne, dass jetzt irgendjemand, irgendwas vergeigt hat…“ Patrick Freudiger nimmt ihn in Schutz.

„Mit der Formulierung, Nachmittage des 1. Mais,  ist nicht der Mais gemeint, der an diesem Tag manchmal veranstaltet wird…“ Patrick Freudiger kann sich eine Spitze nicht ganz verkneifen.

„Ladies first!“ Patrick Freudiger gibt Saima Sägesser (SP) den Vorzug gegenüber Bernhard Marti (ebenfalls SP).

„Wir geben den 1. Mai nicht kampflos auf!“ Besagte Lady, Saima Sägesser, bei ihrem Statement zur Frage, ob die Stadtverwaltung auch am 1. Mai nachmittags frei bekommen soll.

„Ich nehme an, du wolltest dasselbe sagen?“ Patrick Freudiger zu Bernhard Marti, in derselben Debatte.
„Deckungsgleich aber nicht so schön kämpferisch“, bestätigt Marti.
„Deswegen wollte ich Stadträtin Sägesser…“ Cäsar Freudiger scheint Gefallen daran zu finden, Gladiatoren bzw. Gladiatorinnen in die Arena zu schicken. Lasset die Spiele beginnen!

„Also, wenn ich wählen kann zwischen Arbeit und erbrechenden Kind betreuen…“ Stapi-Papi Reto Müller. Die Steigerungsform wäre wahrscheinlich erbrechendes Kind auf Arbeit betreuen.

„Stellt euch jetzt nicht vor, dass sich Personalverbände vor Freiwilligen kaum retten können und uns die Tür einrennen!“ Pascal Dietrich (FDP) mit einer wahrscheinlich sehr realistischen Einschätzung zur Beliebtheit von Personalverbänden.

„Ich stehe hier eigentlich nicht als Einzelsprecherin, sondern als entsetztes juristisches Gewissen!“ Beatrice Lüthi (FDP) aka Jiminy Cricket, die Grille.

„Wir können diesen Hosenlupf durchaus wagen...ich bitte euch, standhaft zu bleiben!“ Heerführer Pascal Dietrich.

„Die SVP zeichnet sich ja auch durch eine besonders starke Frauenvertretung aus…“ Sarkastische Bemerkung von Beatrice Lüthi, in der Debatte um die Frage nach der Geschlechtervertretung in den Kommissionen.
„Ja! Und wir haben sogar Leute mit Migrationshintergrund!“, wehrt sich Helena Morgenthaler (SVP), notabene die einzige Gemeinderätin Langenthals.

„Wir laden die Stimmbevölkerung zu einer Fahrt ins Blaue ein!“ Diego Clavadetscher. Nun, so lange es unterwegs ein Picknick gibt, habe ich nichts dagegen.

„Säget em Büsi, Büsi und nid plötzlich Chatz!“ Miau! Zoologe Bernhard Marti (ausnahmsweise auf Mundart, weil’s so schön klingt).

Mittwoch, 18. September 2019

Das andere Stadtratsprotokoll VIII: Dritter Akt



Weil wir uns schon mindestens eine halbe Stunde mit keinem Reglement befasst hatten, wurde das sofort nachgeholt: Der Hauptdarsteller des nächsten Aktes hiess Wahl – und Abstimmungsreglement und ja, der hatte schon in einem vorherigen Stadtratsstück seinen grossen Auftritt. Jetzt ging es noch um letzte Änderungen. Inzwischen hat der Gemeinderat die verlangte Wahlsimulation mit dem überarbeiteten Reglement durchgeführt. Stapi Reto Müller (SP) brache dann frohe Kunde: Das komplizierteste Wahlreglement der Welt (O – Ton Stadtrat) besteht in der Praxis tatsächlich. Einigermassen. Es gibt aber einen heiklen Punkt, den der Gemeinderat noch einmal in den Stadtrat bringen wollte: Gemeinderatswahlen.

Um das zu erklären muss ich weiter ausholen. Der Stadtrat hatte in der letzten Besprechung des Reglements bestimmt, „dass die Stimmen derjenigen Person, die ins Stadtpräsidium gewählt wurde, in der Gemeinderatswahl als ungültig gewertet werden“. Klingt cool oder? Cool und…hochgestochen. Aber intellektuell. Ich versuch’s jetzt mal einigermassen verständlich zu formulieren und wenn ich es falsch verstanden habe, dürfen die mitlesenden Stadträte/Stadträtinnen gerne in den Kommentaren korrigierend eingreifen.

Der Gemeinderat wird im Proporzverfahren gewählt. Jede Partei gibt ihre Liste ein. Diese 
Listen sammeln dann bei der Wahl Stimmen, die zusammengerechnet werden. Diejenige Liste mit den meisten Stimmen, bekommen am meisten Sitze. Dadurch entsteht eine Art Zauberformel. Das Gegenteil von der Proporzwahl ist die Majorzwahl. Wählt man im Majorz, sind am Ende diejenigen Personen gewählt, die am meisten Stimmen geholt haben, ungeachtet ihrer Listenzugehörigkeit. Wenn also 5 FDPler die meisten Stimmen machen würden, wären 5 von 7 Sitzen mit Liberalen besetzt, was natürlich nicht im Sinn einer ausgewogenen Exekutive wäre. Der Stapi dagegen wird so gewählt.

Wenn ich das richtig interpretiert habe, ist es in Langenthal normalerweise so, dass der Stapi auf der Gemeinderatsliste seiner Partei antritt. Das sorgt für zusätzliche Listenstimmen. Nach Ansicht des Stadtrates sollen diese Stimmen aber wegfallen, um den Wählerwillen nicht zu verfälschen. Der Gemeinderat dagegen ist der Auffassung, dass es sich genau umgekehrt verhält: Mit diesem Ansatz werde der Wählerwille erst recht verfälscht.

Und nicht nur der Gemeinderat sieht das so. Reto Müller (SP) machte deutlich, dass dieser Absatz zu Ärger bzw. einen Rechtsstreit führen könnte und zwar mit dem „Oger.“ Zumindest verstand ich die ganze Zeit Oger und fragte mich schon, was zum Teufel Shrek jetzt mit dem Wahlreglement zu tun hat, bis Pascal Dietrich (FDP) freundlicherweise erklärte, was es mit dem ominösen „Oger“ auf sich hat. Es heisst nicht „Oger“ sondern „AGR“ und ist das kantonale Amt für Gemeinden und Raumordnung“. Die schauen den Gemeinden auf die Finger, ob es bei ihnen auch rechtlich korrekt zugeht, eben auch was Wahlbestimmungen betrifft.

Pascal Dietrich (FDP) von der GPK zeigte sich kampfeslustig. Seiner Ansicht nach, müsse man sich vor dem AGR keineswegs fürchten, denn die Chancen diesen Rechtsstreit zu gewinnen, stünden gar nicht zu schlecht. Er stützte seine Ansicht vor allem auf die Einschätzung von Daniel Arn, dem Sekretär der GPK und Rechtsexperte, der der Stadt eine 50: 50 Chance einräumte, den Rechtsstreit zu gewinnen. Und auch das Inkrafttreten des neuen Reglements würde keineswegs verzögert werden, denn man könnte den umstrittenen Satz problemlos ausklammern bis die Sache geklärt sei.

Ins gleiche Horn wie sein Parteikollege stiess Diego Clavadetscher (FDP), der ebenfalls der Ansicht war, man müsse auf seiner Autonomie gegenüber dem AGR beharren. Irgendwie konnte ich mir nicht helfen: Das Wort „Autonomie“ und das ständige Betonen, der Kanton dürfe nicht zu sehr eingreifen, erinnerte mich irgendwie an die Brexit – Diskussion im fernen Britannien…ob wir wohl bald über den Lanxit abstimmen?

Nicht ganz so aufrührerisch zeigte sich Bernhard Marti (SP). Man sei dann schon angewiesen auf die Genehmigung des AGR, widersprach er. Zudem bezweifelte er, dass der Stadtrat, der es ja geschafft hat, dieses komplizierte Flickwerk namens Wahl – und Abstimmungsreglement überhaupt erst zu fabrizieren, es wirklich besser wisse, als das kantonale Amt. Auch von anderer Seite wurden Zweifel an dem Machwerk laut. Eigentlich wollte man es vereinfachen, stattdessen hat man es eher verschlimmbessert. „Die Kommission hat hier nicht gerade brilliert, da nehme ich mich nicht aus“, merkte Pascal Dietrich (FDP), selbstkritisch an. Nur, jetzt ist das Kind geboren und man kann es schlecht zurück in den Mutterleib stopfen (ja, ich hatte schon bessere Metaphern).

Die SVP ist ja bekanntlich sehr für Unabhängigkeit und so überraschte es auch nicht, dass sie der Idee, gegen das AGR in den Kampf zu ziehen, nicht abgeneigt waren. „Wir können es ja mal probieren“, bemerkte Janosch Fankhauser (SVP) geradezu munter. Und dann probieren wir noch, Bananenbäume zu pflanzen. Und eine Einhornzucht aufzuziehen. Es lebe das Bauchgefühl!

Stadtpräsident Reto Müller (SP) versuchte vergeblich das Ruder noch einmal rumzureissen. „Es geht hier nicht darum unsere Autonomie zu verteidigen“, entgegnete er. Zudem sei es der Informatiker gewesen, die darauf hingewiesen hat, dass man dieses komplizierte Verfahren durchaus programmieren könne, dass er dem aber noch nie in dieser Form begegnet sei (Momente im Leben eines Politikers: Wenn der Informatiker dir sagt, dass du da eine seltsame Idee ausgebrütet hast…). Auch die mangelnde Rechtssicherheit sei ein Problem, denn immerhin ginge man mit diesem Reglement im jetzigen Zustand fürs Volk, argumentierte er. Doch er fand kein Gehör, der Stadtrat beschloss, den heiklen Passus drin zu lassen und wenn nötig, den Rechtsstreit mit dem AGR zu wagen. Und weil sie das nicht selber können bzw. dürfen beauftragten sie den Gemeinderat mit dieser Schlacht, ganz wie der General, der schlaue Pläne macht, die dann andere an der Front ausführen dürfen. Der Gemeinderat sah jetzt nicht so begeistert aus. Wohlmöglich war die Freude aber auch einfach so gross, dass sie ihr nicht angemessen Ausdruck verleihen konnten.

Ein weiterer Antrag betreffend Wahlreglement kam aus den Reihen der SP. Saima Sägesser forderte, dass bei der Zuteilung der Kommissionen auch auf eine angemessene Vertretung der Geschlechter Rücksicht genommen werden muss. Dies mache Sinn, so Sägesser, denn es sei auch wissenschaftlich erwiesen, dass gemischte Teams besser arbeiten würden und man brauche sich nur daran zu erinnern, wie viele Frauen in den Kommissionen anzutreffen seien, um zu verstehen, dass es diesen Passus brauche. Da auch im Stadtratsregelement eine ähnliche Formulierung anzutreffen sei (auch die wurde auf Antrag von Saima Sägesser reingenommen), sei es nur logisch im Wahl – und Abstimmungsreglement nachzuziehen.

Diego Clavadetscher (FDP) war dem nicht so abgeneigt, allerdings erkundigte sich nach Sanktionen, denn ohne Konsequenzen bei der Nichterfüllung, sei diese „Auflage“ sinnlos (also ich hätte da schon ein paar Sanktionsideen. Zum Beispiel, dass alle rein männlichen Kommissionen zur Strafe nur im glitzernden Prinzessin Lillifee Kostüm tagen dürfen…). Egal ob mit oder ohne Sanktionen, Carole Howald (JLL) sprach sich grundsätzlich gegen derlei Quoten aus. „Frauen schaffen das auch ohne“, zeigte sie sich überzeugt. Saima Sägesser konterte, dass es sich eben nicht um Quoten handle. „Sonst hätte ich es reingeschrieben“, erklärte sie.

Lars Schlapbach (SVP, scheint generell nicht viel mit diesen „Genderfragen“ am Hut zu haben. „Das gehört nicht ins Reglement“, gab er seine Auffassung kund, schliesslich habe es auch weniger Frauen im Parlament, da sei es nur logisch, dass es auch weniger weibliche Kommissionsmitglieder habe (ich kann dieser Argumentation nicht ganz folgen, weil die meisten Kommissionen ja eben nicht nur aus Parlamentsmitgliedern bestehen. Möglicherweise wollte er mit seiner Äusserung aber auch einfach nur unterstreichen, dass generell weniger Frauen in der Politik zu finden sind).

Beatrice Lüthi (FDP) schlug sich vehement auf die Seite von Saima Sägesser und zerpflückte die üblichen Frauen – müssen – halt – selber – schauen – dass – sie – besser – vertreten – sind – Standpunkte, indem sie darauf verweist, dass man auf kleinere Fraktionen auch Rücksicht nehme, um deren angemessene Vertretung sicherzustellen. „Oder sollen wir in Zukunft auch sagen, dass kleinere Fraktionen halt grösser werden müssen, wenn sie besser vertreten sein wollen?“, lautete ihre rhetorische Frage. Die FDP Frauen und einzelne FDP - Männer schlossen sich der Ratslinken an und somit konnte sich Saima Sägesser über einen erneuten Erfolg freuen. Ihr Antrag obsiegte (um es mit Freudigers schönem Juristendeutsch auszudrücken.)

So endete der dritte Akt mit einem triumphalen Ritt der Walküren und das grosse Finale kündigte sich mit eifrigem Papierrascheln an.

Das andere Stadtratsprotokoll - Die Ostern - Edition: Der (Fast) Liveticker zur Stadtratssitzung vom 25.3.2024

  Das Vorgeplänkel ·         Hallo und herzlich willkommen zum neuen exklusiven anderen Stadtratsprotokoll, geschrieben wie üblich von e...