Donnerstag, 25. April 2019

Kommentar: Die Stadt, der SCL und das Referendum



Plötzlich ist es da. Erst war es mehr eine Art Gerücht, dann wurde es schliesslich zur schwammigen Gewissheit und jetzt ist es eine vollendete Tatsache: Das Referendum gegen den Nachwuchsbeitrag an den SCL. 786 Unterschriften sind zusammen gekommen. Sind 400 davon gültig, darf das Volk darüber abstimmen, ob die Stadt den Beitrag an die Eismiete des SCL erhöht - oder eben nicht.

Der Weg, den das Referendum genommen hat, ist ungewöhnlich. Normalerweise sind es Parteien, die ein Referendum anstossen oder zumindest dem Komitee angehören. In diesem Fall nicht, keine der Langenthaler Parteien hat sich offiziell hinter das Referendum gestellt. Stattdessen ist es eine Art loses „Bürgerkomitee“, in dem verschiedene Einzelpersonen aus verschiedenen Parteien und Interessengruppen wirken. Untypischerweise hat das Komitee auf publikumswirksame Auftritte verzichtet, stattdessen hat es sich entschiedenen, die Unterschriften in aller Stille zu sammeln (ich sage untypischerweise, weil man normalerweise die Lancierung pompös inszeniert. Schliesslich will man erstens so vielen Leuten wie möglich den Unterschriftenbogen unter die Nase halten und zweitens ist das ja die Chance, sich als Politiker/Politikerin in Szene zu setzen).

Jetzt, nach langer Funkstille hat sich einer der Unterschriftensammler in der BZ geäussert: Diego Clavadetscher, seines Zeichens Präsident der FDP, in diesem besonderen Fall eher als Einzelkämpfer unterwegs, steht Rede und Antwort, nicht aber ohne hinterherzuschieben er wolle nicht im Fokus stehen. Diese seltsame Schüchternheit des Bürgerkomitees gab schon im Vorfeld Rätsel auf (tatsächlich fragte ich mich zwischendurch, ob es das Komitee wirklich gibt oder ob es sich dabei um mysteriöse Märchengestalten handelt). Fast scheint es so, als wolle niemand recht zugeben, dass er/ sie dabei ist. Angst vor der eigenen Courage?

Denn couragiert ist es, dieses Referendum. Immerhin geht es um den SCL. Kaum ein Thema in Langenthal ist dermassen emotional aufgeladen (so kann ich mich noch daran erinnern, dass ich mit meinem früheren „Wald – und – Wiesen – Blog heftige Reaktionen bekommen habe, als ich einmal den hohen Stellenwert des SCL in Frage stellte). Das hat mich früher immer wieder verblüfft. Vielleicht weil mich Sport generell nicht so berührt, vielleicht auch weil meine Familie keine Ur – Langenthaler sind. Inzwischen kann ich es – zumindest zum Teil – besser nachvollziehen. In einer immer komplizierter werdenden Welt, sind die einfachen Regeln des Sports, die rauen Helden auf dem Eis, die klare Trennung zwischen Gegner und Freund, das was man braucht. Zugleich ist die Mannschaft für viele Teil der Kindheit und auch ein konstanter Begleiter durch die Höhen und Tiefen des Lebens. Dennoch bin ich der Meinung, dass es in Langenthal auch möglich sein muss, über den SCL zu diskutieren.

Der SCL versteht es meisterlich, seinen Einfluss geltend zu machen. Das hat er auch an jener Stadtratssitzung bewiesen, an der es um die Entscheidung ging, ob die Stadt nun mehr zur Eismiete beitragen soll oder nicht. Die Kinder des Nachwuchses standen Spalier, so dass jeder der Stadträte zwangsläufig durch sie hindurchmusste, im Vorfeld wurden offenbar – so habe ich es der Diskussion entnommen – Karten verschickt, mit denen die Kinder die Stadträte direkt um ihre Zustimmung baten,  und im Zuschauerraum fühlte man sich fast wie auf einer Sponsorenparty. Auf diese Weise ist es dem SCL gelungen, eine sachliche Diskussion, die sich um Finanzen drehte, auf eine emotionale Ebene zu heben. Diese Strategie hat am Ende auch verfangen. Das war einfach kluges Marketing und ist auch nichts Verwerfliches. Dem SCL ebenfalls in die Hände gespielt hat natürlich, dass die Stadt sich gerne mit dem Prädikat „Sportstadt“ schmückt, was natürlich klug klingt, natürlich aber auch verpflichtet.

Diese Emotionalität hatte eine – nennen wir es mal – interessante Wirkung auf den sonst eher nüchternen Stadtrat. Spätestens als Lars Schlapbach (SVP), meinte, man solle sich  doch nicht in juristischen Spitzfindigkeiten verlieren, sondern einfach mal aufs Bauchgefühl hören, klappte einem die Kinnlade runter. DAS von einem Bürgerlichen? Von einem Bürgerlichen der SVP, die sogar bei der dringend benötigten Aufrüstung der IT noch darauf pochen, möglichst viel Geld einzusparen? Klarer konnte man nicht aufzeigen, dass es bei dieser Diskussion nicht um Parteigrenzen geht. Sondern vielmehr um die persönliche Gewichtung des SCL.

Bei den „juristischen Spitzfindigkeiten“ ging es aber eben nicht um irgendwelche fehlenden Kommas, sondern es ging um konkrete, formale Mängel des Antrags, die von der Geschäftsprüfungskommission festgestellt wurden, Mängel, die sich um die Frage drehten, ob der Antrag überhaupt die rechtlichen Grundlagen erfüllt. Die GPK war der Auffassung, dass das Geschäft mangelhaft ist. Die vorberatenden Kommissionen – darunter die Sportkommission -  haben das Geschäft abgelehnt. Und die Stadträte sind einfach darüber hinweggegangen. Da fragt man – oder Lama – sich schon, wieso man jedes Mal den ganzen Tingeltangelzirkus abzieht, wenn der Stadtrat dann doch einfach achselzuckend darüber hinweg geht, nur weil es halt um Sport geht.

125‘000 Franken hat der Stadtrat dem SCL zugesprochen. Das erregt den Missmut der anderen Sportvereine von Langenthal, die von solchen Beträgen nur träumen können. Wobei man hier auch die Relationen sehen muss. Der SCL zahlt für die Benutzung der Eisfläche eine hohe Miete, weil die Halle, im Gegensatz zum Schwimmbad oder der Dreifachturnhalle, nicht der Stadt gehört. Andere Sportclubs müssen deutlich weniger zahlen. Deshalb sei die Neiddebatte fehl am Platz, finden die Gegner des Referendums.

Finanziell gesehen mag das stimmen, aber niemand kann ernsthaft behaupten, dass der SCL in Langenthal keine Sonderstellung geniesst – schon gar nicht nach dieser Stadtratssitzung. Ich erinnere hier daran, dass derselbe Stadtrat sich aus Kostengründen gegen die Schulsozialarbeit entschieden hat (ich rede hier von richtiger, nachhaltiger Schulsozialarbeit, nicht von diesem kostenneutralem Geblubber). „Das hat nichts miteinander zu tun“, werde ich regelmässig belehrt. Doch. Für das eine will man Geld in die Hand nehmen und für das andere eben nicht. Das nennt man Prioritätensetzung. Sport scheint das Einzige zu sein, für das der Stadtrat sich zusammenraufen kann. Immerhin ein gemeinsamer Nenner, könnte man sagen. Aber ein – entschuldigt die Ausdrucksweise – verdammt kleiner Nenner.

Egal wie sehr man auf die Tränendrüse drückt, beim SCL Nachwuchs geht es nicht um irgendwelche armen Waisenkinder, die eingekleidet werden müssen. Es geht um Sport. Vielleicht noch um Stadtmarketing. Ja, vielleicht auch um ein kollektives Wir – Gefühl, das der SCL erzeugen kann. Ob das 125‘000 Franken wert ist, darf jetzt voraussichtlich das Stimmvolk entscheiden.

Deshalb war es richtig, das Referendum zu ergreifen. Weil es auch unsere Steuern sind, die hier für einen relativ kleinen Teil der Bevölkerung ausgegeben werden. Wenn der SCL wirklich diese breite Unterstützung hat, wie sie der Stadtrat annimmt, brauchen sich die Gegner des Referendums ja auch nichts zu fürchten. Vielleicht ist es auch einfach an der Zeit, den hohen Stellenwert, den Sport in dieser Stadt generell einnimmt, zu hinterfragen. 

Mittwoch, 17. April 2019

So gehst du siegreich aus jeder politischen Diskussion hervor: Die 5 goldenen Regeln


Ostern steht vor der Tür und damit auch die unvermeidlichen Feiertage, die du mit deiner Familie und deinen Freunden verbringen wirst. Und bestimmt wird dabei auch die eine oder andere politische Diskussion geführt. Bist du dabei immer auf der Verliererseite? Kannst du dich nicht durchsetzen? Gelingt es dir nicht, deine Argumente anzubringen? Das Lama bietet Abhilfe! Nach vielen gesehenen Arena Diskussionen weiss es ganz genau, wie Profis debattieren!

Regel Nummer 1: HÖRE DEINEM POLITISCHEN GEGENER NIEMALS ZU! Egal was du bisher in diversen Kommunikationsratgeber gelesen hast: Zuhören ist Gift für dein Selbstbewusstsein! Wenn du deinem Gegenüber zuhörst, könnte es zum Beispiel passieren, dass du seine Argumente verstehst – oder dass du sogar seine Meinung übernimmst. Und das wäre fatal, denn schliesslich bist DU im Recht. Du hast also zwei Möglichkeiten. Entweder brüllst du alle, die eine andere Meinung haben als du, einfach nieder. Lass sie nicht zu Wort kommen. Diese  Methode eignet sich besonders dann, wenn ihr Zuschauer oder andere Zuhörer habt, denn so wirst ausschliesslich DU von ihnen wahrgenommen. Schreiende, laute Menschen, die die ganze Zeit eine dicke Lippe riskieren, werden grundsätzlich als kompetenter eingeschätzt. Deshalb gibt es auch so viele Männer in Führungspositionen.

Eine andere Möglichkeit ist, dass du zwar so tust, als würdest du dem anderen zuhören, in Wirklichkeit aber gedanklich an einem ganz anderen Ort weilst, um dich vor irritierenden Meinungsäusserungen zu schützen. Lege dir am besten ein paar nichtssagende Floskeln zurecht, die du jederzeit einstreuen kannst. Zum Beispiel: „Inhaltlich gesehen gebe ich dir Recht“,  oder „interessanter Ansatz“ oder   „bestechende Argumentation.“ Oder du sagst gar nichts, sondern nickst einfach nur hin und wieder beflissen – während du gedanklich Einhörner zählst oder Lama streichelst.

Regel Nummer 2: Wenn wir gerade bei Floskeln sind: Merk dir ein paar schlaue Sätze, die intellektuell und kompliziert klingen, am besten gespickt mit möglichst vielen Fremdwörtern, zum Beispiel: „Die exzentrische Wahl von Trump ist die Fleisch gewordene Nemesis der Avantgarde, die in ihrem Snobismus, der Kurzsichtigkeit des einfachen Populus verfallen ist.“  Dabei ist es zweitrangig ob der Satz überhaupt Sinn ergibt. Je mehr Fremdwörter du verwendest, desto weniger gross ist die Gefahr, dass irgendjemand auch nur halbwegs versteht, was du meinst. Und fragen wird niemand. Schliesslich will ja keiner blöd dastehen. Ebenfalls solltest du ein paar Zitate auswendig lernen, die du bei Gelegenheit einbringen kannst. Besonders gute Zitatengeber sind Winston Churchill, Oscar Wild und Darth Vader. Da findest du immer was Passendes für jedes Thema. Mit einem Zitat am richtigen Ort, hast du die Diskussion schon in der Tasche. Denn wer würde sich schon anmassen, Winston Churchill zu widersprechen?

Regel Nummer 3: Argumentiere IMMER mit Kindern. Sobald es um Kinder geht, hören die meisten Menschen auf logisch zu denken und werden emotional. Wenn du also eine Umfahrungsstrasse durch ein Naturschutzgebiet bauen willst, erwähne die vielen kleinen süssen Erstklässler, die durch diese immense Verkehrsentlastung nun wieder sicher über die Strasse gehen können. Drück dabei ordentlich auf die Tränendrüse! Auch Sätze wie „Willst DU deinen Kindern wirklich so eine Welt hinterlassen?“ oder  „wir müssen unsere Schwächsten schützen“ sind Erfolgsgarantieren!

Falls Kinder einfach nicht zum Thema passen, kannst du es auch mit Tieren versuchen, die eine ebenso emotionale Reaktion auslösen können. Wenn du zum Beispiel gegen irgendeine Überbauung argumentierst, erwähne die vielen kleinen armen Eidechsen, die ihren natürlichen Lebensraum verlieren. Am besten erzählst du gleich noch ein rührendes Einzelschicksal einer Eidechse. Orientiere dich dabei an „Dumbo“ oder „Bambi“, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass der Mensch die Natur ohnehin schon ruiniert hat. So sorgst du für ein paar hübsche Schuldgefühle.

Regel Nummer 4: Baue möglichst viele Zahlen in deine Argumentation ein, am besten in Kombination mit einer Rechnung à la: Betrachtet man die Ausgaben in Bezug auf die Zinseszins und dem Darlehen, ergibt sich ein Minus aus der Differenz zwischen Subtraktion und Addition.“ Scheue dich nicht einfach irgendwelche Zahlen zu verwenden. Niemand wird sie nachschlagen. Falls doch: Irgendwo findest du immer eine Statistik, die sich mit deinen Zahlen decken. Und wenn nicht, kannst du immer noch eine selbst basteln. Denn wie heisst es so schön: Traue nie einer Statistik, die du nicht selber gefälscht hast.

Regel Nummer 5: Wo wir gerade beim Fälschen sind. Der grösste und schlaueste Politiker aller Zeiten hat es glasklar erkannt: Fakten sind dazu da, sie anzupassen, wie es uns beliebt. Wenn du also merkst, dass der andere mit seiner Meinung evtl. Recht haben könnte – weil du im Vorfeld wahrscheinlich schon den Fehler gemacht hast, zuzuhören – dann behaupte trotzdem weiter das Gegenteil. Wenn du dabei ein bisschen flunkern musst, tue es einfach, frei von der Leber weg. Wenn du sagst, dass Pinguine rosa sind, sind sie eben rosa!

Wenn du dich aber nicht auf das Konzept „Fakten sind eigentlich keine Fakten, sondern Vorschläge, wie es evtl. sein könnte“ verlassen willst, kein Problem. Dann kannst du immer noch das Thema wechseln. Entweder mit einem eleganten Übergang à la: „Hast du schon gehört…“ oder indem du ein politisches Thema mit einem anderen vermischst, dass eher in dein Weltbild passt, zum Beispiel indem du in den Raum wirfst, dass der erhöhte CO2 – Stoss ja auch an mehr Zuwanderung liegt und überhaupt….

Siehst du, so einfach ist das! Die politische Karriere ist dir sicher, wenn du diese Regeln beherzigst. Gut, vielleicht auch nur der Sieg bei der Küchentischdiskussion, aber immerhin. Probiere es aus über die Ostertage und geniesse deine Erfolge... Aber pass auf, dass du nicht versehentlich zum amerikanischen Präsidenten gewählt wirst!

Dienstag, 9. April 2019

Stadtratsporträt: Paul Bayard


Zumindest frisurentechnisch hat er mit seinen immer zerzausten blonden Haaren etwas von Boris Johnson, dem ehemaligen britischen Aussenminister: Paul Bayard, 69 – jährig, Stadtrat von Langenthal. Immer im Schuss, sprühend vor Elan, hartnäckig in der Verfolgung seiner Ideen, dabei aber immer freundlich und umgänglich. So könnte man ihn beschreiben. In der SP gehört er zu denjenigen, die frühmorgens aufstehen, um Wahlmaterial zu verteilen, selbst dann wenn es bitterkalt ist oder in Strömen regnet. Mit dem roten „Speedy, dem kleinen Auto, das die SP hin und wieder als Maulesel benutzt, kurvt er genauso gekonnt um die Ecken, wie mit seinem Fahrrad. Eine SP Langenthal ohne Paul? Schwer vorstellbar.

In seiner Wohnung hat man den schönsten Ausblick von Langenthal, wie er stolz bemerkt. Die Stadt liegt ihm zu Füssen. Und er kennt sie wie seine Westentasche. „Wahrscheinlich bin ich einer von denen, die Langenthal mit am besten kennen“, meint er. Mit Wegen und Umwegen kennt er sich aus, schliesslich organisiert er leidenschaftlich gerne Wanderungen.
Geboren wurde Paul aber nicht in Langenthal, sondern in Ursenbach. Danach lebte er gemeinsam mit seiner Frau Irmgard in Zuchwil und Walterswil, bis sie schliesslich vor 25 Jahren nach Langenthal zogen, in eine Wohnung, die ihnen von Pauls damaligen Arbeitgeber, der Swisscom, angeboten worden war. Schnell fühlten sie sich heimisch. „Wir hatten keine Kinder und keinen Hund. Wir wussten, dass es auch an uns lag, rauszugehen und Anschluss zu finden“, meint Paul und erzählt, wie er an einem Fest der Arbeitervereinigung den damaligen Präsidenten der Naturfreunde kennengelernt habe, einen „charismatischen Typen“. Das hätte die Integration erheblich erleichtert, ebenso wie die Mitgliedschaft in der SP.

Die Politik gehört zu seinem Leben, obwohl sie ist ihm nicht in die Wiege gelegt worden ist. Paul war elf Jahre alt, als sein Vater an Knochenkrebs starb. Seine Mutter, eine fröhliche, tiefreligiöse Frau, hatte mit Politik nichts am Hut. Paul brachte sich noch vor seinem Schuleintritt das Lesen selbst bei und so waren es Bücher, die ihn politisch sensibilisiert haben. Und sein Blick ging dabei früh schon über die Landesgrenzen, in das grosse, weit entfernte Russland. „Chruschtschow hat mich damals fasziniert“, gesteht er mit einem fast schon verlegenen Gesichtsausdruck.

Auch die Schweizer Politik vermochte es, ihn in ihren Bann zu ziehen. Eine der allerersten Abstimmungen an der er teilnehmen durfte, war die, für das Frauenstimmrecht. Für Paul war es keine Frage, dass den Frauen die demokratische Mitsprache zusteht. Auch an den Wirbel rund um die Schwarzenbachinitiative kann er sich noch gut erinnern. Der raue Umgang mit den italienischen Einwanderern habe ihn entsetzt. „Diese Diskussion hat die Schweiz zerrissen“, erklärt Paul die damalige aufgeladene Stimmung. Trotzdem: Die Initiative wurde abgelehnt. „Damals war so etwas noch nicht mehrheitsfähig“, sagt Paul, wobei er das „noch“ wehmütig betont. Jetzt, viele Jahre später, redet niemand mehr von den Italienern, aber sowohl die Masseneinwanderungs – als auch die Ausschaffungsinitiative sind Realität.   

Die wilden 68er mit ihren Studentenprotesten gingen grösstenteils an ihm vorbei. Er selbst war damals ein Mechaniker –Lehrling und seine Lebensrealität war eine andere, als die der Studis. Die Rechte der Arbeitnehmer – und Arbeitnehmerinnen lagen ihm schon früh am Herzen. Mit 15 Jahren wurde er Mitglied in einer Gewerkschaft, mit 26 trat er in Ursenbach der SP bei.  In Zuchwil schliesslich liess er sich zum ersten Mal für die Wahl ins Parlament aufstellen und wurde prompt gewählt.

Bei einer Wahlveranstaltung in Zuchwil lief Paul auch der Liebe über den Weg: Irmgard. Deren Vater war Gemeinderat – allerdings nicht etwa für die SP, sondern für die FDP. Zwei Königskinder, die sich nicht haben können, weil ihre Familien verfeindet sind? Romeo und Julia im Dorfe? Eine Tragödie, die sich zwischen den Parteigrenzen spielt? Mitnichten. Auch wenn es guter Stoff für ein Buch wäre, das Verhältnis von Paul zu seinem Schwiegervater war entspannt. „Die FDP in Zuchwil war eher sozialliberal eingestellt, nicht so rechtsliberal wie hier. Er hat uns Linken immer die Stimmen weggeschnappt“, erzählt er grinsend. Irmgard, blitzgescheit, politisch interessiert, engagiert, als Journalistin tätig: Sie wurde die Frau an Pauls Seite. Oder er der Mann an ihrer. „Sie isch mer halt bliebe“, sagt er augenzwinkernd, nur um dann gleich, im deutlich ernsthafteren und zärtlicherem Tonfall hinzuzufügen: „Wir sind ein gutes Team.“

Ein Team, das auch in schwierigen Lebenssituationen zusammenhält. Lange arbeitete Paul bei Swisscom Fixnet wo er in der zentralen Planung vor allem lernte mit Statistiken umzugehen. Als es sich immer mehr darum drehte, anhand der Zahlen herauszufinden, wo man noch mehr Personal einsparen könnte, geriet der überzeugte Gewerkschafter in Gewissensnöte. „Schliesslich habe ich mich einfach selbst abgebaut.“ Doch mit der Nachfolgebeschäftigung, auf die Paul spekuliert hatte, klappte es nicht. Ihn traf eben jenes Schicksal, dass viele Berufstätige fürchten: Er wurde arbeitslos.

„Irmgard hat gearbeitet, wir mussten also nicht darben. Dennoch war es ein komisches Gefühl nicht gebraucht zu werden“, beschreibt Paul seinen damaligen Gemütszustands. Er bewarb sich fleissig, ging aufs RAV, lernte Italientisch. Dann, nach drei Jahren Arbeitslosigkeit, lud ihn die Ammann Group zum Vorstellungsgespräch ein. Und Paul wurde eingestellt. 8 Jahre arbeitete er darauf beim Ammann, als technischer Redaktor. Eine schöne Zeit. „Ein 6er im Lotto – nur noch besser“, schwärmt er noch heute „natürlich, ich kannte den damaligen Personalchef, Richard Bobst – auch ein sozialliberaler FDPler – und das hat vielleicht geholfen, dass ich die Stelle gekriegt habe. Ich habe nie nachgefragt. Aber manchmal muss man das Glück eben packen.“

Heute ist Paul pensioniert und die einst so krisensichere Ammann Group hat im letzten Jahr 130 Stellen ausgelagert. Schmerzt ihn das auch persönlich? „Ja schon. Als ich letztens wieder einmal dort war und eine Halle betrat, die zu meiner Zeit noch vor Leben pulsierte, jetzt aber fast leer ist, tat das schon weh.“ Dennoch mit Kritik an der Geschäftsleitung hält er sich zurück. „Der Schritt war aus ökonomischer Schritt sicher richtig. Aber wenn nach und nach immer niederschwellige Berufe verschwinden und alle nur noch hochqualifizierte Jobs wollen, dann müssen wir das bedingungslose Grundeinkommen einführen.“

Das bedingungslose Grundeinkommen wurde 2016 vom Stimmvolk deutlich abgelehnt. Auch die SP hatte damals die Nein – Parole beschlossen, obwohl sie dem Anliegen naturgemäss Sympathien entgegenbrachte. Die Initiative steht symbolisch für den Spagat, den die SP hinbekommen muss; den Spagat zwischen Ideologie und Realität, zwischen grossen Träumen und dem was tatsächlich möglich ist. Die sogenannten Flügelkämpfe, die Reibereien zwischen der ganz linken und der eher der Mitte zugeneigten Seite, haben gerade mit dem Austritt von Chantal Galladé erneut für medialen Wirbel gesorgt. Paul ist Mitglied der Geschäftsleitung der SP des Kantons Bern. Auch hier treffen sehr verschiedene Sektionen zusammen, die nicht alle gleich „links“ ticken. Fliegen in der SP wirklich die Fetzen?  „Natürlich hat sich die SP gewandelt. Zuerst hatten die Lehrer immer mehr Einfluss, dann die Akademiker. Man muss aber auch sehen, dass sich die Arbeitswelt komplett verändert hat. Früher herrschte ein viel grösseres Klassenbewusstsein. An irgendeinem Punkt sagten die Arbeitgeber ‚ihr seid keine Arbeiter mehr, sondern Angestellte‘ Dadurch wurde die klassische Arbeiterschicht aufgelöst und der Mittelstand vergrössert.“ Dass solche Veränderungsprozesse einer Partei zu Austritten oder Abspaltungen führe, sei normal. „Wobei ich finde: Wenn du links oder rechts bist, dann bleibst du das auch. Das sind ja deine Werte, die ändern sich nicht. Am schlimmsten finde ich es in der Mitte. Das zerreisst es dich, weil alle anderen an dir zerren.“

Neues Reizthema in der SP ist das EU – Rahmenabkommen. Paul selbst ist glühender Europäer. „Europa ist für mich eine ganz grosse Sache. Dass Europa nach all diesen Kriegen entschied, sich zu einem Staatenbund zusammenzuschliessen: Wahnsinn! Ich bin auch klar für den EU – Beitritt. Zwar fokussiert sich die EU zu stark auf den Handel, aber der französische Präsident Emanuel Macron hat diese wunderbar grosse Idee von einem geeinten Europa, das durch Werte miteinander verbunden ist.“

Das Rahmenabkommen empfindet er zwar nicht als optimal. „Nur manchmal muss man auch mit den Dingen leben, die nicht ganz optimal sind“, kommentiert er lapidar. Und so ist er froh, dass die Dinge beim Rahmenabkommen jetzt wieder in Bewegung kommen. „Da Rechsteiner und Schneider – Ammann nicht mehr die führenden Köpfe sind, besteht die Chance auf einen echten Neuanfang.“

Wo steht denn die SP Langenthal, Pauls Sektion, eine SP – Sektion, die auch als „rosarot“ bezeichnet wurde. Links, rechts, Mitte? „Es gibt schon einige, die nicht wahnsinnig rot sind. Das hat man gesehen im Fall von Alain Roth, dem JUSO – Politiker, der bei den Protesten in Frankreich verletzt wurde und der dann von den Listen gestrichen wurde. Ich meine, wir müssen uns doch nicht dafür rechtfertigen, wen wir auf unseren Listen haben! Wenn sich jemand für die Rechte der Arbeitnehmer einsetzt, ist das doch nichts Schlimmes.“. Aber auch von sich selbst sagt Paul mit einem kleinen Schmunzeln: „Ich bin auch nicht immer ein echter Linker.“

Dass die SP Langenthal eher der Mitte zugeneigt ist, liegt wohl auch daran, dass sie in einem sehr bürgerlich geprägten Parlament politisiert. Wenn sich FDP und SVP einig sind, hat die SP keine Chance sich durchzusetzen. Ist das nicht frustrierend? Für Paul keineswegs Obwohl erst vor kurzem seine Motion den Boden in Langenthal als öffentliches Gut zu sichern gescheitert ist, sieht Paul positiv in die Zukunft. „Es gibt schliesslich immer noch die Option der Volksinitiative. Wenn es uns gelingt eine aufzugleisen, wenn möglich gekoppelt mit den Wahlen, haben wir eine Chance. Und bei den Wahlen können wir die Verhältnisse schliesslich wieder drehen.“

Man spürt: Paul ist einer, der die Spielregeln kennt und sich auf dem politischen Parkett mühelos bewegt. In der Langenthaler Stadtpolitik ist er eine feste Grösse. 1997 wurde in den Stadtrat gewählt. 2005 hätte er die Chance gehabt in den Gemeinderat nach zu rutschen. Er verzichtete. „Ich glaube, ich bin kein Exekutivpolitiker“, begründet er seine Entscheidung. 2007 trat er auch im Stadtrat zurück, weil er fand, es sei Zeit für etwas Neues. Aber schon 2012 wollte er es wieder wissen. Seitdem sitzt er wieder im Stadtrat „Gewählt zu werden schon ein schönes Gefühl. Besonders weil ich immer viele SP – Stimmen bekommen habe. Das ist für mich eine Bestätigung, dass die Partei hinter mir steht.“ Sein politisches Engagement begründet er ganz einfach: „Wenn ig amene Ort bi, denn wott ig au drischnurre!“

Wobei das Parlament durchaus nicht machen kann, was es will. Absolute Macht, das hat niemand in Langenthal. Nicht einmal der Stapi. „Man muss sich eben arrangieren.“ Politik bedeutet Durchhaltewillen und Überzeugungsarbeit. Also schönsten Erfolg in seiner Stadtratslaufbahn bezeichnet Paul dann auch die Kompogasanlage in Langenthal. „We me öppis wott erreiche, muess mer’s zäme erreiche!“ Damals ist es ihm gelungen, in allen politischen Parteien Befürworter zu finden. Für ä gueti Sach, ebe.

Obwohl Paul selbst mit einem vorzüglichem Gedächtnis und einer ausgezeichneten Allgemeinbildung brillieren kann – 2011 stellte er das bei 1:100 in SRF unter Beweis, als er mal eben den Jackpot knackte – schätzt er Intelligenz nicht als zwingende Fähigkeit für ein politisches Amt ein. Wichtiger seien Geselligkeit und eine gute Menschenkenntnis. „Auch eine gewisse Naivität ist nicht schlecht. Der Glaube, dass es irgendwie dann schon geht.“ Eigenschaften, die er zweifellos besitzt. „Nur, manchmal fällt es mir schwer, meine Gedanken in Worte zu fassen“, stellt er selbstkritisch fest.

Auch sonst ist Paul mit genügend Selbstironie ausgestattet. So bezeichnet er sich schon mal als „alten Sack“. Dass Rentner wie er im Zuge der hitzigen Debatten um die AHV – Sanierung oft angegriffen werden, weil sie auf Kosten der jungen Generation leben, nimmt er gelassen. „Da haben sie schon Recht. Aber irgendeinmal werden die Jungen auch für sie zahlen. Man muss ihnen das Solidaritätsprinzip klarmachen. Früher lebten die Leute in Mehrgenerationenhäuser. Da wurden auch die Alten von den Jungen unterstützt. Die AHV, das ist ein irrsinniges Werk, das wir unbedingt bewahren und weiterentwickeln müssen!“

So gekonnt wie er seine Argumente hervorbringt - fast wie ein geübter Bogenschütze, der seine Pfeile aus dem Köcher zieht - und wie er gesellschaftliche Herausforderungen in direkten Bezug zu politischen Begebenheiten stellt, da fragt man sich, wieso er nie nach höheren Weihen gestrebt hat. „National – oder Ständerat: Das hat sich einfach nicht ergeben. Ich wurde auch nie gefragt.“ Und dann, mit diesem für ihn so typischen spitzbübischem Grinsen: „Aber was nicht ist, das kann ja noch werden. Schliesslich ist Trump auch schon ziemlich alt!“


Das andere Stadtratsprotokoll - Die Ostern - Edition: Der (Fast) Liveticker zur Stadtratssitzung vom 25.3.2024

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