Montag, 29. Juni 2020

Das andere Stadtratsprotokoll XIV


Es war einmal an einem wunderschönen Sommertag in einem wunderschönen Hotel in einem wunderschönen Saal, da trafen sich zu früher Abendstunde wunderschöne Stadträt*innen zu einer wunderschönen Sitzung voller wunderschönen Traktanden. Es war ein wunderschönes Ereignis, dass mir noch langer in wunderschöner Erinnerung bleiben wird!  Wie heisst es auf Instagram immer so schön? Positive Vibes! Ich bin kein miesgelauntes, rummotzendes, ironisches Lama mehr, ich bin ein schillernder, bunter Schmetterling, dazu da, Freude und Liebe zu verbreiten….

Gott, es bereitet mir schon fast körperliche Schmerzen so einen Müll zu schreiben. Wie machen dass diese Influencer*innen nur? Ich glaub, ich bleib bei meinem üblichen Stil. Nicht überragend, aber unverschämt. Oder war’s umgekehrt? Naja, auf jeden Fall viel Spass mit meinem Lamamüll…äh Lamablog. 

Corona ist  bekanntlich immer noch da – das Biest hat ja nicht einmal ein Ablaufdatum – und das heisst, dass der Stadtrat auch diesmal im Parkhotel tagte, damit die Abstandsregeln eingehalten werden konnten. Auch die Bestuhlung ähnelte noch immer mehr einen Klassenzimmer, als einem Parlament (tatsächlich fühlte ich mich irgendwie an meine Abschlussprüfung erinnert. Ich erwartete fast schon, dass mir jemand einen Prüfungsbogen hinknallte) und manch ein Stadtratsmitglied irrte auf der Suche nach dem richtigen Platz etwa umher („waren wir das letzte Mal hier? Oder da vorne? Weisst du das noch?“) und auch mein Drang, Papierkügelchen an diverse Hinterköpfe zu werfen, stellte sich wieder ein (aber natürlich ignorierte ich ihn, denn ich bin eine erwachsene, reife Frau und zu solch kindischen Handlungen gar nicht fähig. Ausserdem bin ich mir ziemlich sicher, dass man mich aus dem Saal werfen würde, wenn ich sowas tun würde). Das Gute am Abstand ist ja, dass die Stadträt*innen sich nicht so leicht aufeinander stürzen können, wenn sie sich in die Haare kriegen (wobei ich das noch nicht nie erlebt habe. In italienischen Parlamenten kommt das ja durchaus mal vor).

Als Erstes hatte der Stadtrat eine Mathematikstunde, in der Mathelehrer…äh, ich meine natürlich Gemeinderat, Roberto de Nino (SVP) die Jahresrechnung präsentierte. Er zeigte sich durchaus zufrieden, denn die Rechnung schliesst besser ab, als erwartet. Zustande gekommen ist dieses positive Resultat durch mehr Steuereinnahmen von natürlichen Personen (das sind du und ich, die brav ihre Steuern zahlen. Wobei mir einfällt, dass ich meine Steuererklärung noch ausfüllen müsste), durch gute Börsenergebnisse (meiner Meinung ist die Börse eine der merkwürdigsten Erfindungen der Menschheit, aber wenn’s Geld gibt, will ich mich nicht beschweren) und durch weniger Lohnausgaben in der Verwaltung (was die Weisheit meines ehemaligen Wirtschaftslehrers bestätigt, dass nirgends so schnell und so effektiv gespart werden kann, wie beim Personalaufwand. Allerdings arbeitet es sich ohne Personal halt einfach schlecht). Weniger positiv ist, dass es bei den juristischen Personen (das sind Unternehmen) zu Steuereinbussen kam, weil man einen grossen Betrag aus dem letzten Jahr wieder zurückzahlen musste. 

Ich denke, dass ist das Wichtigste, was sich zur Jahresrechnung sagen lässt. Gut, ehrlich gesagt ist es einfach das, was ich einigermassen nachvollziehen kann. Erwartet von mir keine tiefschürfenden Bemerkungen zu Eigenkapital oder Fremdkapital. Obwohl ich mal richtig gut war, in diesen Sachen. Ob ihr’s glaubt oder nicht, ich war ziemlich gut in Buchhaltung und auch sonst bürotechnisch sehr auf Zack. Ich konnte sogar Excel! Mit Betonung auf konnte

Ich bin abgeschweift (weil ich angeben wollte, ich gebe es zu). Zurück zur Debatte, die so harmonisch verlief, dass nur noch von der Decke rieselnde Rosenblätter fehlten. Roberto de Nino meinte abschliessend, dass das Coronavirus wahrscheinlich die Konjunkturentwicklung im nächsten Jahr beeinflussen wird – weniger Steuerertrag, mehr Zusatzausgaben, Mindereinnahmen – dass die Situation in Langenthal aber besser ist, als in anderen Gemeinden. Wir trotzen dem Sturm. Piraten hoho!
Diese Einschätzung teilten die Parteien. Die strenge GPK, vertreten durch Sprecher Paul Beyeler (EVP), zeigte sich im Grossen und Ganzen zufrieden. Die Fraktionssprecher hoben insbesondere die gute Ausgabedisziplin der Verwaltung hervor, wobei Jürg Schenk (EVP) allerdings zurecht anmerkte, dass die dafür verantwortlichen Vakanzen zu vielen Problemen führte – unter anderem zu einem Antragsstau beim Bauamt. Paul Bayard (SP) mahnte den Stadtrat wegen der Nachkredite, die er selbst verschuldet hat.  Das Budget für die 100 Jahr Feier wurde zum Beispiel überzogen (in Anbetracht der Tatsache, dass wir wegen dem Virus, in nächster Zeit sowieso nicht mehr gross feiern müssen, sei es ihnen gegönnt. Und die Feier war schön). Diego Clavadetscher (FDP) versuchte sich kurzzeitig als Jeremias Gotthelf und verkündete, dass das Glück bekanntlich dem Tüchtigen gehörte. Und Patrick Fluri platzierte zwar noch die obligatorische bürgerliche Forderung, dass der bisherige Steuerfuss unbedingt beibehalten werden muss, schloss sich aber seinen Vorrednern an. 

Und so kam es wie es kommen musste: Der Antrag wurde einstimmig angenommen und die Jahresrechnung genehmigt. Happy End. Die friedliche Stimmung schlug sich auch im nächsten Traktandum nieder. Der Jahresbericht des Gemeinderates wurde ebenfalls positiv zur Kenntnis genommen (abgestimmt wird darüber ja nicht). Im Gegensatz zum letzten  Jahr fand auch das Vorwort vom Stadtpräsidenten Gnade vor den strengen Augen des Stadtrates. Ich will ja nicht motzen, aber vom literarischen Standpunkt aus, könnte man durchaus mehr aus dem Jahresbericht machen. Zum Beispiel könnte man das Jahr in Reimen zusammenfassen. 

Das könnte sich zum Beispiel so anhören:
Der SCL gewannt die Meisterschaft,
Die neuen Parkuhren haben endlich Saft,
Die Sommerfasnacht war ganz nett,
Und in mediterranen Nächten gehen wir nicht ins Bett!

Ja, ich bin Heinrich Heine. Nur halt weiblich.

Beim Traktandum 4 ging es um die Überbauungsordnung Alterszentrum Haslibrunnen. Wir erinnern uns: Vor zwei Jahren hat der Stadtrat der Aktienkapitalerhöhung zugestimmt und damit das GO gegeben für den notwendigen Ausbau des Altersheims. Jetzt musste der Stadtrat die Überbauungsordnung noch genehmigen, was er auch ohne gross zu murren, einstimmig tat.

Wenn ich etwas in den letzten Jahren gelernt habe, dann, dass man nicht einfach so anfangen kann zu bauen. Es braucht Kredite, Konzepte, Überbauungsordnungen. Und bei Krediten gibt’s auch noch verschiedene. Zum Beispiel der Projektierungskredit. Um so einen ging es bei Traktandum 5. Die Gruben – und Belchenstrasse, sowie der Zeieweg (lustiger Name) weisen sicherheitstechnische Mängel auf und müssen saniert werden. Sah der Stadtrat auch so, der Kredit wurde jubelnd bewilligt.

Na gut. Niemand hat gejubelt. Dennoch fragte ich mich an diesem Punkt, ob der Stadtrat seine Streitlust an der Rezeption abgegeben hat, so lammfromm erschienen sie mir plötzlich. Bei Traktandum 6 kam dann aber wieder Leben in die Bude. Denn die Vorlage beherbergte ganz schön Zündstoff, ging es doch um die Porzi. Zumindest indirekt. Der Gemeinderat wünschte sich vom Stadtrat die Genehmigung für einen Kredit, mit dem er ein Betriebs – und Gestaltungskonzept für die Neuanbindung der Haltestelle Süd, ausarbeiten wollte. Geplant ist es, die Haltestelle ins Porziareal zu verschieben. Heikel: Würde man diese Verschiebung durchziehen, setzt man einen Teil der Testplanung für das Porziareal bereits um – bevor man sich die Legitimation durch das Stimmvolk geholt hätte.

Stadtpräsident Reto Müller kam zu der zweifelhaften Ehre, dem Stadtrat die Vorlage schmackhaft zu machen. Er argumentierte, dass es sich bei der Station Süd um einen kaum wahrnehmbaren Bahnhof handelt (eigentlich ist es ja auch kein Bahnhof, sondern eine Haltstelle) und die Verschiebung in den Siedlungsrichtplan passt (auf dem wiederum die Testplanung der Porzi basiert). Die BLS müsste zudem langsam wissen, ob die Stadt eine neue Anbindung vorsieht. Die Zeit dränge auch, weil die BLS verpflichtet ist, bis ins Jahr 2023 die Haltstelle Süd behindertengerecht umzubauen. Am aktuellen Standort könnte das schwierig werden, wegen einer Kurve, die einen Umbau wohl erschwert.

Einige Langenthaler*innen, die der Porzi verbunden sind, befürchten wegen der drohenden Verschiebung, Abrisse auf dem Gelände. Reto Müller gab offen zu, dass diese Ängste nicht unberechtigt sind. Es könne durchaus zu Abbrüchen kommen, wenn die Verschiebung umgesetzt wird. Aber er betonte, dass es im Moment lediglich um die Ausarbeitung eines Konzeptes geht, das klären soll, wie eine solche Verschiebung umgesetzt werden kann. Der Stadtrat werde auch im weiteren Vorgehen befragt, versicherte Reto Müller.

Der Stadtrat zeigte sich in Teilen kritisch. Diego Clavadetscher (FDP) bemängelte als GPK – Sprecher, dass im Dossier nur die Nachteile einer Ablehnung aufgeführt wurden, nicht aber die Vorteile.  Zudem habe der Gemeinderat noch keine Stellung zu den Mietwirkungseingaben genommen. Janina Heiniger (EVP) erklärte im Namen ihrer Fraktion, den Zeitpunkt für falsch. Die FDP, vertreten durch Robert Kummer, bekräftigte zwar, dass sie früher eine Verlegung der Station Süd positiv bewertet hatten, diesem konkreten Vorhaben allerdings aufgrund der zu erwartenden Kosten wenig abgewinnen können. Die FDP wies zudem daraufhin, dass der in den Unterlagen leger eingezeichnete Zugang über die Kadi wohl schwierig umzusetzen sei, weil die Kadi das Land garantiert nicht hergeben will (Die Kadi stellt Pommes Frites her, was ich sehr sympathisch finde. Wie viel friedlicher wäre die Welt, wenn wir alle mehr Pommes Frites essen würden?)

Die Fraktion stellte dann auch einen Rückweisungsantrag, der den Gemeinderat dazu aufforderte, die eingezeichneten Zugänge zu prüfen, die möglichen Kostenfolgen des Landerwerbs auszuweisen und zu prüfen, ob man die Sanierungsmassnahmen nicht zurückstellen kann, bis die Porzifrage geklärt ist. Denn, so Robert Kummer, die BLS würde wohl kaum in der Lage sein, alle Haltestellen bis 2023 behindertengerecht zu gestalten. Reto Müller zeigte sich im Angesicht des Antrags etwas ratlos. Wie genau der Gemeinderat, denn das abklären soll, wenn er eben kein klares Konzept hat, erkundigte er sich. Die Quadratur des Kreises blieb ihm erspart: Der Rückweisungsantrag wurde abgelehnt.

Während die SP/GL Fraktion keine einheitliche Position gefunden hatte, stellte sich die SVP hinter den Gemeinderat. Stefan Grossenbacher (SVP) fand, unabhängig davon was auf dem Porziareal passiere, entstünden durch die neue Erschliessung Fuss – und Velowege, die so auch im Siedlungsrichtplan vorgesehen sind.

Die Einzelsprecher*innen zeigten sich dagegen mehrheitlich negativ eingestellt. Beat Hasler (parteilos, SP/GL Fraktion) bemängelte, dass die Haltstelle Süd nach einer Verschiebung schlecht einsehbar wäre, da sie mitten im Industriegebiet stünde (wenn also dort Graf Dracula dort einen schwungvollen Handel mit Blutkonserven aufziehen würde, bekämen wir es gar nicht mit!). Auch Pascal Dietrich (FDP) fand, dass die Station am jetzigen Standort eigentlich genau richtig ist. Seine Parteikollegin Stefanie Barben machte deutlich, dass im Bericht kaum Fakten enthalten seien – stattdessen sei es eine Auflistung von Wünschen und Bedürfnissen, der Stadt und der Haupteigentümerin auf dem Porziareal, Ducksch Anliker (vermutlich spielte sie darauf an, dass die Verschiebung der Haltestelle Süd  fester Bestandteil der Testplanung von Anliker ist, also keineswegs eine neue Idee ist).

Abschliessend versuchte Reto Müller noch einmal den Stadtrat davon zu überzeugen, den Kredit für die Erarbeitung des Konzepts zu genehmigen. „Schlagt nicht den Sack, wenn ihr den Esel meint“, mahnte er, in Hinblick auf die Diskussionen rund um die Porzi. Zudem ginge es erst einmal um die Planung, nicht schon um die Umsetzung. Die Synergien zu nutzen, die sich hier ergeben – Umsetzung des Gleichstellungsgesetzes, Velo – und Fusswege, Transformation Porzi – sei sinnvoll, appellierte er an den Stadtrat. Doch der Antrag des Gemeinderates fiel denkbar knapp durch: Die Stadtratspräsidentin Martina Moser (SP) gab den Stichentscheid, der das Projekt beerdigte, bevor es überhaupt angefangen hatte.

(Meiner bescheidenen Meinung nach kann sich der Gemeinderat dafür bei Ducksch Anliker bedanken, die im Jahre 2019 schon einmal Synergien nutzen wollten. Die BLS war damals mit Sanierungen beschäftigt und Ducksch Anliker wollten deshalb auch gleich mit dem Zügeln der Haltestelle beginnen, weshalb sie einigen Zwischennutzer*innen kündigten und auch schon Abrisse planten. Damals grätschte der Gemeinderat dazwischen. Besonders vertrauensfördernd war dieses Manöver von Ducksch - Anliker nicht  Wenn du einmal so ein Ding drehst, brauchst du dich nicht zu wundern, wenn dir Misstrauen entgegenschlägt).

Der Kredit für die Sanierung der Zivilschutzanlage wurde dagegen einstimmig genehmigt. Mehr zu reden gab das Traktandum 8. Der Kanton Bern verlangt neu, die Einführung von sogenannten Betreuungsgutscheinen. Diese können berufstätige Eltern in einer KITA ihrer Wahl einlösen – sofern diese vom Kanton Bern zugelassen ist. Der Kanton übernimmt einen Teil der Kosten. Das bedeutet, dass Langenthal das System ebenfalls anpassen und die Betreuungsgutscheine einführen muss, wie Gemeinderat Matthias Wüthrich (Grüne), dem Stadtrat erläuterte.

Das bezweifelte auch niemand, dennoch stellte die GPK durch Sprecher Patrick Freudiger (SVP) den Antrag auf eine zweite Lesung. Er bemängelte formelle Fehler, wie fehlerhafte Verweise. Insbesondere ein Dorn im Auge war der GPK, dass nicht erklärt ist, was passieren würde, wenn der Kanton Bern die Finanzierung plötzlich zurückzieht, sich also nicht mehr an den Kosten beteiligt. Da der Kanton ja gerade im sozialen Bereich alles zusammenspart, was nicht schnell genug davonrennt, ist das Szenario jetzt nicht so unwahrscheinlich.

Fraktionssprecher Roland Loser (SP), der in der Vergangenheit schon öfter Mühe mit der „lasst – uns – noch – einmal – darüber – reden – und – dann – gleich – noch – einmal – weil – es – so – Spass macht“ Haltung des aktuellen Stadtrates bekundet  hatte, zeigte sich wenig begeistert von der zweiten Lesung. Damit würde man ein Geschäft wieder unnötig verschleppen, monierte er und trauerte der guten Zeit hinterher, als man sich auf einen Handschlag noch verlassen kannte (hat da jemand kürzlich Trauffer gehört?) und nicht ein ganzes Heer an Jurist*innen brauchte, um sich abzusichern. Mit dieser Meinung stand die SP/GL Fraktion aber ziemlich alleine da. Das Geschäft geht in eine zweite Lesung, Gemeinderat Matthias Wüthrich muss noch einmal über die Bücher.

Mehr Glück hatte er, als es um den Unterstützungsbeitrag für ToKJO ging. Die Sparmassnahmen des Kanton Berns werfen ihre Schatten auch auf Langenthal (wow. Dieser Satz. Ich sollte ihn patentieren). Um das Angebot weiter aufrechtzuerhalten braucht Trägerverein für offene Kinder – und Jugendarbeit Oberaargau mehr finanzielle Unterstützung. Der Stadtrat hiess die Vorlage gut. Corinna Grossenbacher (SVP) begründete die überraschend spendable Haltungen ihrer Partei damit, dass TokJO wirklich „verdammt gute Arbeit“ leiste. Das sahen ihre Gspännli wohl genauso. Mit nur einer Gegenstimme unterstützte der Stadtrat das Geschäft.

Es folgte eine Motion der Marke „offene Türen einrennen“. Die SP/GL Fraktion verlangte, dass es Langenthaler Gastronomiebetrieben möglich gemacht wird, ihre Aussenbereiche auszudehnen. Dies – man glaubt es kaum -  um die Verluste, die die Gastronomie aufgrund des Lockdown und der veränderten Platzverhältnisse eingefahren hat, einigermassen abzufedern. Der Gemeinderat hatte in einer schriftlichen Berichterstattung deutlich gemacht, dass das Amt für öffentliche Sicherheit das Thema Aussenbestuhlung bereits vor der Motion mit dem Regierungsstatthalter abgeklärt hatte. Wenn die Gastronomiebetriebe bereits über Aussenfläche verfügen und einen Antrag stellen, steht einer Erweiterung im Grunde nichts im Wege. Der Gemeinderat empfahl die Motion dann auch zur Annahme.

Corinna Grossenbacher (SVP) konnte sich Frage nicht verkneifen, warum man dann überhaupt eine Motion eingegeben hatte, wenn der Regierungsstatthalter schon entsprechende Schritte eingeleitet hatte. Gemeinderat Markus Gfeller bemerkte dazu weise, dass es eben „cho wähle chunnt“. Ins gleiche Horn stiess der Stadtrat bei der nächsten Motion von rot – grün, die eine kommunale Wirtschaftsförderung verlangte. Um das zu erreichen forderte die linke Fraktion einen Kredit, durch den allen Langenthaler*innen ein Einkaufsgutschein von 100 Franken zur Verfügung gestellt werden würde. Den könnte man dann in lokalen Geschäften einlösen. Spektakel, befand Robert Kummer von der FDP und der Stadtrat empfand es mehrheitlich ebenso. Die Motion wurde versenkt.

(Kleine persönliche Anmerkung: Wieso werden uns Linken eigentlich immer niedere Motive unterstellt? Vielleicht wollen wir wirklich einfach nur nett sein und die Wirtschaft fördern! Mann! Wir haben immer gute Ideen, nicht nur im Wahljahr! Und wir sind immer für Spektakel, sofern es für alle, statt für wenige ist!!!)

Viel Zeit blieb der SP und den Grünen nicht, um ihre Wunden zu lecken, denn der bürgerlich dominierte Stadtrat trampelte weiter auf ihren ramponierten Nerven rum. Die Motion von SVP und FDP Vertreter*innen, die die Einführung des Schulmodells 3a auf der Oberstufe forderte, sorgte dafür, dass sich nicht nur die Seelen, sondern auch die Köpfe der Sozis rot färbten – und vermutlich schnellte der Blutdruck zum Teil in gefährliche Höhen.

Um die nachfolgende Diskussion zu verstehen muss man wissen, dass der Stadtrat bei seiner letzten Sitzung die Einführung eines durchlässigen Schulsystems kurzerhand zu seiner Kompetenz erklärt hatte. Damit überrumpelte er die Volksschulkommission – die aus Mitgliedern des Stadtrates besteht – die vorher genau diese Kompetenz dem Gemeinderat zugesprochen hatten. Zudem sprach sich die Kommission für das durchlässige Modell 3b aus. Das bedeutet: Komplett durchmischte Klassen. Ein integratives Modell sozusagen. Bei der letzten Sitzung betonten die Bürgerlichen es ginge um Demokratie und darum, dass der Stadtrat mitzureden hat. Die Gegenseite war dagegen der Auffassung, dass es eher darum ginge, Modell 3a durchzudrücken – denn das basiert auf weiterhin getrennten Klassen (Sek, Real) aber mit Niveauunterricht. Weniger integrativ, eher leistungsorientiert.

In Anbetracht der Tatsache, dass die Bürgerlichen schon jetzt mit einer Motion antrabten, die genau dieses Modell verankern wollte, war die Einschätzung der linken Ratsseite wahrscheinlich zutreffend.  Gerhard Käser von der SP regte sich dann auch ziemlich nicht. „Mich stört der Ablauf, was hier abgezogen wird geht auf keine Kuhhaut!“, polterte der sonst so freundliche und lockere Stadtrat. Er wehrte sich auch gegen Behauptungen wonach Lehrpersonal wegen des „neuen“ Schulmodells gekündigt hätte. Auch sei es nicht richtig, dass der Sprung von einem nicht durchlässigen Modell zu Modell 3b zu gross wäre. Und auch die oft beschworene Gefahr eines Referendums empfand Käser nicht so. „Hätten wir nicht so darüber diskutiert, wäre wohl kaum jemanden der Unterschied zwischen Modell 3a und 3b aufgefallen. Aber jetzt, wo ihr die Leute verunsichert habt, natürlich schon!“

(Ich kann nur sagen: Wäre ich noch Schülerin im K1 möchte ich ja nicht zu Schulleiter Käser ins Büro zitiert werden…)

Roland Loser (SP) war ebenfalls ungnädig mit den Motionär*innen. „Wäre ja schön, wenn ihr bei der Schulsozialarbeit auch so auf Zahlen fixiert wärt, wie hier!“, gab er süffisant zu bedenken (damit bezog er sich auf die Tatsache, dass Langenthal, im Gegensatz zu einem Grossteil der anderen Gemeinden, noch keine Schulsozialarbeit hat). Und Stefanie Loser (SP) zeigte Unverständnis darüber, dass zum Teil dieselben Leute, die sich in der Volksschulkommission für Model 3b entschieden hätten, jetzt plötzlich zu Modell 3a tendieren. Sie bat darum, in Zukunft in den Kommissionen offen zu sein, denn für sie als Stadträtin seien die Kommissionen ein wichtiger Indikator.

Patrick Freudiger (SVP) war da, wenig überraschend, anderer Meinung. Er wies daraufhin, dass die Kommissionen in der Vergangenheit schon öfters übersteuert wurden. Zudem betonte er noch einmal, dass die meisten Gemeinden sich für das Modell 3a entschieden hätten. Corinna Grossenbacher (SVP) fügte hinzu, dass es auch bei Kommissionsmitgliedern durchaus zu Meinungsumschwüngen kommen könnte. Motionärin Franziska Zaugg – Streuli, die in ihrem Anfangsvotum dazu aufgefordert hatte, nicht zu trotzen, schloss die Debatte mit der Bitte, ein Schulmodell ohne Stolpersteine einzuführen und die Motion anzunehmen.

Letztendlich verfing die bürgerliche Strategie. Die Motion kam durch.

(Interessant an der Diskussion war ja, dass sie wieder einmal zeigte wie unterschiedlich die Rolle der Kommissionen bewertet wird. Stützt die Kommission die eigene Meinung ist sie sehr wichtig. Ist sie gegenteiliger Meinung ist sie vernachlässigbar. Ähnlich verhält es sich mit Expert*innen. Der Streit darum, welche Schulinspektoren jetzt gefragt wurden und welche nicht, zeigt auf, dass du immer eine Fachperson findest, die deine Meinung bekräftigt).

Damit war der hitzige Höhepunkt der Stadtratssitzung erreicht. Die Motion der SVP, die verlangte, dass die Schulklassen in Langenthal bei Ausflügen, Projektwochen und Lagern nicht ins Ausland fliegen, sorgte zwar für ein engagiertes Votum vom Grünen Serge Wüthrich, schlug ansonsten aber keine hohen Wellen. Zum einen reisen die wenigstens Schulklassen in Langenthal in der Weltgeschichte herum (ich bin in Langenthal zur Schule gegangen und bin nie irgendwohin geflogen. Stattdessen musste ich mit dem Velo irgendwelche Berge raufkeuchen und an Bergenseen fischen gehen. Ausgerechnet ich musste ANGELN! DAS sollte man verbieten), zum anderen hat Corona dem ja sowieso den Stecker gezogen.

Die Stadtratssitzung endete versöhnlich. Verschiedene Stadträt*innen forderten in einem Postulat, dass Massnahmen gegen die gefährlichen Elterntaxis geprüft werden. Gemeint sind damit besorgte Eltern, die ihre Sprösslinge mit dem Auto von der Schule abholen, weshalb es zur Mittagszeit im Kreuzfeld zugeht wie in einem Parkhaus (die Jugend von heute ist einfach verwöhnt. Wir mussten ja noch in die Schule latschen. Bei Wind und Wetter. Sogar bei Schnee! Und es hat uns nicht geschadet!). Da jeder und jede, die schon einmal zur Rush Hour beim Kreuzfeld unterwegs war, wohl bestätigen kann, wie gefährlich das ist (die Überquerung eines Flusses voller Krokodile wäre mitunter einfacher), wurde das Postulat fast einstimmig gutgeheissen.

Am Ende gab es dann noch einen Rücktritt. Roland Bader von der FDP demissioniert und legt sein Amt nieder. Inzwischen ist mir der Stadtrat in der jetzigen Konstellation schon so ans Herz gewachsen, dass ich den Scheidenden gerne mit einem weissen Taschentuch hinterherwinken würde. Adieu!

Was sonst noch aufgefallen ist:

·         Damit die arme Stéphanie Zubler nicht wieder von Rednerpult zu Rednerpult hetzen musste um wie wild die Fläche zu desinfizieren, gab es diesmal nur Mikrofone. Das gab dem Ganzen einen Hauch von Slam Poetry Atmosphäre. Und tatsächlich schwang sich das eine oder andere Stadtratsmitglied zu rhetorischen Höhen auf.

·         Durch die Bestuhlung wirkte es so, als würden die Medienschaffenden ebenfalls zum Rat gehören. Das fiel auch Stadtpräsident Reto Müller auf. „Wink doch mal mit dem Papier, vielleicht zählen sie dich ja mit“, schlug er einem Journalisten vor.

·         Ich musste ab einem gewissen Punkt dringend aufs Klo und da es keine Pause gab stand ich vor der schwierigen Entscheidung, welches Traktandum ich sausen lasse. Schlussendlich überliess ich die finale Entscheidung meiner Blase und huschte raus, als es nicht mehr anders ging (das wolltet ihr wahrscheinlich nicht wissen, aber ich erzähle es euch trotzdem).

·         Trotz Hitze warf sich Reto Müller noch schnell das Jackett über, bevor er sich ans Mikrofon stellte. Wenn schon untergehen, dann wenigstens mit Stil, mag er sich gedacht haben. Mit dem riesigen aufgeschlagenen Buch, das er im Arm hielt, erinnerte er zeitweilig frappant an den Nikolaus.

Best of

„Es gab noch einen zweiten Fehler, aber den verrat ich nicht!“ Gemeinderat Roberto de Nino (SVP), freut sich, dass den scharfen Augen des Stadtrates ausnahmsweise mal was entgangen ist.

„Ein findiges GPK – Mitglied – das soll es ja geben…“ Der findige Roland Loser (SP) findet, dass findige GPK – Mitglieder durchaus zu finden sind, sofern man findig genug ist, sie auch zu finden.

„….an den roten, nein sorry, freudscher Versprecher, den schwarz – gelben Markierungen…Hopp YB….“ Stapi Reto Müller (SP) macht in einem Satz Schleichwerbung für seine Partei und auch noch für YB. Respekt.

„Wäre eine Sünde, wenn man dem nicht zustimmen würde!“ Stadtrat Roland Summer (SVP) versucht es mit kirchlichen Argumenten.

„Das ist keine Salamitaktik, schliesslich bin ich Vegetarier!“ Naja, Rüebli kann man auch in Scheiben schneiden, Reto Müller.

„Ich bin nicht ganz sicher, zu was ich reden soll, aber ich fange jetzt mal an…“ Roland Loser, der verhinderte Philosoph im Stadtrat. 

„Vertraut in euer zukünftiges Selbst…“  Roland Loser sieht optimistisch in die Zukunft, zumindest was sein zukünftiges Ich betrifft.

„Klar, sind die Millionen nicht budgetiert. Corona war ja auch nicht budgetiert!“ Bestechende Logik von Saima Sägesser (SP).

„Am Schluss haben wir Nullkomma gar nüt!“ Patrick Freudiger (SVP) findet das wohl fast schlimmer als Nullkommanull.

„Wir sind dann nicht schuld, ihr seid schuld!“ Das Parteiensystem erklärt von Roland Loser.

„Stell dir vor, da ist eine Gruppe im Wald, die alles abholzt und eine Sauerei macht. Und dann kommt eine andere Gruppe, die findet, dass das nicht okay ist. Und dann sagt die erste Gruppe, dann räum halt auf…“ Serge Wüthrich (Grüne) erzählt die Fabel von der Klimajugend und der SVP – Fraktion.

„Den Ball lass ich nicht auf mir sitzen!“ Janosch Fankhauser spielt Sitzball mit Serge Wüthrich.  

„Wenn du gleich grün bist wie ich, dann hocken wir zusammen und ich zahl dir ein Bier!“ Es grünt so grün, wie Spaniens Blüten blühen, wieder mit Janosch Fankhauser.

Freitag, 26. Juni 2020

Die Erben der Porzi


Langenthaler*innen erkennt man daran, dass sie in Restaurants gerne das Geschirr umdrehen, um zu prüfen, ob es vielleicht aus „ihrer“ Fabrik stammt. Und das, obwohl die ruhmreichen Zeiten der Porzellanfabrik schon lange vorbei sind. 1906 gegründet, war die Porzi lange Zeit das industrielle Herzstück von Langenthal. Schleppend, aber unaufhörlich begann dann in den 90er Jahren der Niedergang. 2003 wurde schliesslich die ganze Fabrik nach Tschechien verkauft, die Produktion in Langenthal eingestellt. Eine Geschichte, wie aus einem Roman von Thomas Mann. 

Die bewegte Vergangenheit des Areals ist nicht nur historisch interessant, sie ist auch mit ein Grund dafür, dass  viele Einwohner*innen an ihrer Porzi hängen. Sie wollen mitreden, wenn es um die Zukunft des Porziareals geht. Wie diese Zukunft aussehen soll: Darüber wird seit längerer Zeit gestritten. Denn Haupteigentümer und Zwischennutzende haben eine sehr unterschiedliche Auffassung darüber, wie es mit der Porzi weitergehen soll. Doch wie kam es zu diesem Konflikt? Ein Versuch, die neuere Geschichte des Areals der Reihe nach zu erzählen.

2001 siedelte sich die erste Zwischennutzerin auf dem Areal an. Da lag die Porzellanfabrik schon in den letzten Zügen. Nach der endgültigen Schliessung der Fabrik, liessen sich auch andere Zwischennutzer nieder. Tanzstudios, Schreinereien, Grafikbüros – die Mischung ist bunt. Religionsgemeinschaften, Werkende, Kreative fanden ein Zuhause. Freilich nur für ihre Tätigkeiten. Das Areal liegt in einer sogenannten Arbeitszone. Wohnen ist hier nicht vorgesehen. Diese Zwischennutzenden sind  Mieter und Untermieter. 

Ein Grossteil der Arealfläche gehörte nach der Stilllegung der Fabrik einer spanischen Investorengruppe. Zu dieser Fläche zählten unter anderem die Ofenhalle, die Pförtnervilla, das Wohlfahrtsgebäude, das Ursprungsgebäude und das Verwaltungsgebäude. Die Spanier zeigten wenig Interesse daran, das Areal weiter zu entwickeln. Die fehlenden Investitionen rächen sich inzwischen. Die Gebäude sind dringend sanierungsbedürftig.

Die Stadt dagegen hatte die Zukunft des Areals jedoch durchaus im Blick. 2012 gab Langenthal einen Grundlagenbericht bei Lohner und Partner in Thun in Auftrag. Dieser konstatiert, dass auf dem Areal durchaus auch Wohn -, Verkaufs – und Freizeitnutzungen denkbar seien, kommt aber zum Schluss, dass Langenthal bereits über grosse Baulandreserven für Wohnnutzungen verfüge. Für die zukünftige Entwicklung des Areals sieht der Bericht daher eine Variante mit reiner Arbeits-und Freizeitnutzung vor, vielleicht noch ergänzt durch Gastronomie. 

2014 legte der Gemeinderat schliesslich den „Nutzungsmix“ fest. Dieser sieht vor, dass das zukünftige Areal zu 40 Prozent aus Wohnen, zu 40 Prozent aus Arbeit und zu 20 Prozent aus Verkauf bestehen soll. Eine Definition, die später Folgen haben wird. 

Zwei Jahre später wurde der Verein PorziAreal  gegründet, mit der Absicht, dem Areal mehr Leben einzuhauchen. Mitglied im Verein sind einige Zwischennutzer*innen, die sich um die Zukunft der Porzi Gedanken machen, grösstenteils sind es aber engagierte Langenthaler*innen, die ein historisches Interesse am Areal haben oder sich auf politischer Ebene für die Porzi einsetzen wollen. Menschen, denen die Porzi am Herzen liegt. Und daher wachsam die weiteren Entwicklungen im Auge behalten. 

2017 wurde bekannt, dass es tatsächlich einen neuen Eigentümer gibt:  Ducksch  Anliker hatte die Nachfolge der spanischen Investorengruppe angetreten. Damit kehrte die Porzi quasi wieder in den Schoss der Heimat zurück, denn Ducksch Anliker ist ein Langenthaler Architekturbüro und wird von Stephan Anliker geleitet. Eine Persönlichkeit im Oberaargau. Einst errang er selbst sportliche Triumphe im Spitzensport. Später wurde er Präsident des SC Langenthal. Dessen grosse Erfolge in den letzten Jahren, werden auch seinem Management zugeschrieben. Seine Präsidentschaft bei GC war dagegen ein Schlag ins Wasser. Das berührt in Langenthal jedoch kaum jemanden. Stephan Anliker ist ein einflussreicher Mann im Oberaargau. 

Der schwierigen Verflechtung aus Denkmalschutz, Kantonalen Vorgaben, städtischer Mitsprache und aktueller Zwischennutzung, ist sich Anliker von Anfang an bewusst. Gerade  der letzte Punkt ist heikel. Anliker will das Areal nicht einfach nur sanieren oder erneuern. Er will es umgestalten. Das wird Konsequenzen haben für die aktuellen Nutzenden. Momentan sind die Mieten sehr niedrig. Wird das Areal aufgewertet, werden die Preise steigen. Manch einer wird sich die Porzi dann nicht mehr leisten können. Das beherbergte natürlich Konfliktpotential.

Ebenfalls im Jahr 2017 initiierte der Porziverein das Pozikafi  ein öffentlich durchgeführter Anlass, bei dem Nutzer*innen, aber auch generell Interessierte, sich austauschen konnten. Der Porziverein lud auch Ducksch – Anliker dazu ein. Diese sahen in dieser Zusammenkunft die Chance, eine Umfrage durchzuführen. Die Teilnehmenden an diesem Workshop füllten ausführliche Fragebögen aus und gaben Auskunft über ihre Zukunftsvision, ihre Bedürfnisse und Wünsche. Mit dem Porzi – Verein hatte Ducksch Anliker vereinbart, dass die Ergebnisse dieser Fragebögen in weiteren Porzikafis besprochen werden würde. Das ist nie geschehen. Das erste Porzikafi war zugleich das letzte Porzikafi, obwohl Ducksch – Anliker versichert hatte, dass weitere stattfinden sollen. Die erste Saat des Misstrauens war gesät. 

Parallel dazu war die grosse Testplanung angelaufen. Diese war von der Stadt verlangt worden. Eine Testplanung soll das Potential des Areals ausloten und am Ende eine Vision präsentieren, auf die anschliessend hingearbeitet werden soll. Aktiv mitreden bei dieser Testplanung, durften, neben der Stadt und dem Denkmalschutz, diejenigen, die ebenfalls Eigentum auf dem Porzi – Areal besitzen, sofern sie einen gewissen finanziellen Beitrag leisteten – denn Testplanungen sind schliesslich nicht gratis. Die Vertreter des Porzi – Vereins waren bei den Gesprächen zwar anwesend, durften sich allerdings nicht äussern. Ende 2018 war die Testplanung dann abgeschlossen. 

Bevor die Ergebnisse der Öffentlichkeit präsentiert wurden, geschah Anfang 2019 etwas, was das Scheinwerferlicht erneut auf die Porzi warf: Langenthal bekam den Wakkerpreis verliehen. Als Grund wird unter anderem der sorgsame Umgang mit dem industriellen Erbe angegeben – damit ist auch die Porzi gemeint. Das ist insofern spannend, weil zur Zeitpunkt der Vergabe des Preises ja noch gar nicht offiziell feststand, in welche Richtung sich dieses industrielle Erbe entwickeln würde. Der Transformationsprozess war ja erst in der Planungsphase, die Ergebnisse der Testplanung noch nicht öffentlich.  Man ist versucht, zumindest in Bezug auf die Porzi, von Vorschusslorbeeren zu reden, die das Ringen um die Zukunft der Porzi, noch einmal verkomplizierten.

Kurz nach der unerwarteten Auszeichnung mit dem Wakkerpreis, verkündete Enrico Slongo, der Stadtbaumeister, seinen Weggang aus Langenthal. Unter ihm war es in Sachen Porzi zu einer Wendung gekommen. Sein Vorgänger, Urs Affolter, hatte noch den Grundlagenbericht 2012 in Auftrag gegeben, der sich für eine sanfte Renovierung und einer rein gewerbliche Nutzung ausspricht. Unter Slongo geriet der jedoch immer mehr in Vergessenheit und wurde zunehmend verdrängt von ehrgeizigeren Konzepten. Die Testplanung ist zum Teil auch Slongos Vermächtnis.  

Im Februar 2019 wurde die Testplanung schliesslich veröffentlicht. Die Kritik daran liess nicht lange auf sich warten. Viele stiessen sich daran, dass bei der Testplanung die ganze Porzi miteinbezogen wurde – also auch Grundstücke, die gar nicht Ducksch Anliker gehören. Als Affront, empfinden das die Eigentümer*innen, denn schliesslich werden sie ungefragt, in eine Vision eingebettet, die sie selbst womöglich gar nicht teilen. Man bemühte sich, die Wogen zu glätten. Die Testplanung richte sich nach dem Siedlungsrichtplan, der das ganze Porzi Areal umfasse, liess Ducksch Anliker verlauten, zudem zeige man lediglich Möglichkeiten auf, niemand müsse sein Gebiet entwickeln, wenn er das nicht wünsche. Doch das Misstrauen war erneut geweckt worden. 

Auch die Testplanung selbst wurde mit gemischten Gefühlen aufgenommen, denn geht es nach dieser, stehen der Porzi einschneidende Veränderungen bevor. Die Porzi soll sich zu einem urbanen Stadtteil entwickeln, einem Subzentrum, wie die Langenthaler*innen es vom Bäregg – Quartier kennen. Dafür muss das Areal geöffnet werden und eine Durchwegung stattfinden. Es soll dem öffentlichen Verkehr zugänglich gemacht werden. Die BLS Haltestelle soll in die Mitte des Areals verschoben werden. Wohnungen sollen entstehen. Tiefgaragen angelegt werden. Und Hochhäuser gebaut werden. Geplant sind deren fünf. Die Gebäude, die als erhaltenswert eingestuft wurden – darunter die Direktorenvilla, die Ofenhalle und das Wohlfahrtsgebäude – werden nach wie vor Teil des Areals sein. Rund die Hälfte der jetzigen Gebäude wird verschwinden, darunter – als einer der ersten Gebäude – die Elektrotunnelofenhalle. 

Präsentiert wurde die Testplanung im Spanier. Ein Lokal, das nur wenig Platz für Publikum bietet. Auch, dass im Vorfeld eher zaghaft auf den Informationsanlass hingewiesen worden war, sorgte für Unmut. Der Verdacht drängte sich auf, dass Ducksch Anliker sich möglichst wenig unangenehmen Fragen stellen wollte und deshalb darauf abzielte, keine allzu grosse Menschenmenge zuzulassen. 

An diesem  Abend war die Stimmung aufgeheizt. Besonders die geplanten Hochhäuser stiessen vielen sauer auf. Wofür braucht es denn Hochhäuser, in einer Stadt, in der der Leerwohnungsbestand relativ hoch ist? Wieso soll sich die Porzi, die vielen in ihrer jetzigen Nutzungsweise ans Herz gewachsen ist, in ein Subzentrum weiter entwickeln? Ja, warum eigentlich? Um diese Frage zu beantworten, muss man wissen, dass die Vision eines Subzentrums im Süden, keineswegs die Idee von Ducksch Anliker war. Die Bestrebungen, das Porziareal zu einem hippen, urbanen Quartier zu machen, haben schon viel früher ihren Ursprung. 

Bereits im Agglomerationsprogramm der dritten Generation vom Juni 2016 wird das Porzi  - Areal als zukünftiger Kern von Langenthal Süd definiert. Im vielzitierten Siedlungsrichtplan, lanciert im Jahr 2014, genehmigt im Jahr 2017, wird es noch konkreter. Hier ist zu lesen, dass die Porzi sich zu einem Subzentrum entwickeln soll und eine Öffnung des Areals für Wohn – und Freizeitnutzungen vorgesehen ist. Zudem wird die Porzi als potentieller Standort für Hochhäuser definiert. 2018 folgte dann das konkrete Hochhauskonzept, das zum Schluss kommt: Die Porzi eignet sich als Standort für Hochhäuser.

Der Gemeinderat, damals noch unter der Führung von Thomas Rufener (SVP) hat also bereits 2014 eine Marschrichtung festgelegt. Die ehrgeizigen Zukunftspläne für die Porzi bestehen seit Jahren, sie sind nicht das zufällige Produkt einer Testplanung. Damals, als bekannt worden war, dass Ducksch Anliker neuer Haupteigentümer auf dem Areal ist, behauptete Enrico Slongo, das Architekturbüro sei der einzige Bewerber gewesen, der dem Nutzungsmix zugestimmt hatte. Das entsprach nicht den Tatsachen. Es gab noch einen anderen Bewerber, der ebenfalls bereit war, die vom Gemeinderat gewünschte Nutzmischung umzusetzen: Die Stiftung Abendrot, eine Pensionskasse, die allerdings eher eine sanfte Renovierung anstrebte. Aber diese Form der Entwicklung kam für die Stadt ja gar nicht in Frage. Noch in einem Zeitungsartikel vom 13. Juli 2017 machte Enrico Slongo die Absicht der Stadt deutlich, im Porzi – Areal einen zusätzlichen Hotspot zu errichten.  Das legt den Schluss nahe, dass Ducksch Anliker nicht deshalb  den Zuschlag bekommen hat, weil er als Einziger dem Nutzungsmix zugestimmt hat, sondern weil er derjenige Bewerber war, der bereit war, die Vision der Stadt umzusetzen. Ein Grund wieso die Stadt hartnäckig an dieser Zukunftsentwicklung festhält ist das kantonale Raumplangesetz, das eine Verdichtung innerhalb der Städte vorsieht. Hochhäuser sind ein möglicher Weg, diese Verdichtung zu erreichen. 

Ducksch  Anliker beruft sich in der Testplanung dann auch auf diese Vorgaben. Trotz der städtischen Rückendeckung bekamen sie bei der Präsentation deutlichen Widerstand zu spüren. Insbesondere die anwesenden Zwischennutzer*innen zeigten eine deutliche Skepsis gegenüber dieser „neuen“ Porzi. Kündigungen wurden befürchtet. Ducksch  Anliker bestritt, dass solche geplant seien. Doch noch während Ducksch  Anliker dies behauptete, waren die ersten Kündigungen schon unterwegs. Schlechtes Timing oder kommunikatives Missverständnis: Das Vertrauen der Mieter*innen in die Plangemeinschaft bröckelte aufgrund dieser Fehlinformation weiter.

Kurze Zeit später wurde klar, wieso diese Kündigungen nötig geworden waren. Grund dafür war die geplante Verschiebung der Bahnhaltestelle Süd in die Mitte des Areals. Da die BLS zu der Zeit ohnehin mit Sanierungen entlang der Bahnlinien beschäftigt war, wollte Ducksch  Anliker diese Zeit nutzen, um bereits mit den ersten Abbrüchen auf dem Areal zu beginnen  Ein Vorgehen, das von der Presse, von den Zwischennutzer*innen, sowie dem Porziverein als undemokratisch wahrgenommen wurde, denn hätte man die Haltestelle zu diesem Zeitpunkt bereits in die Mitte des Areals gezügelt, hätte man einen wesentlichen Teil der Testplanung bereits umgesetzt, bevor diese überhaupt demokratisch legitimiert wurde. Die Stadt pfiff Ducksch Anliker zurück. Stadtpräsident Reto Müller (SP) machte in einem Interview deutlich, dass der Gemeinderat keine Abbruchbewilligungen erteilen werde, solange die grundeigentümerverbindliche Regelung nicht geklärt sei. 

Der Standort der Südhaltestelle gibt auch deshalb zu reden, weil nicht klar ist, wie notwendig die Verschiebung überhaupt ist. Fest steht, dass die Haltestelle im aktuellen Zustand nicht behindertengerecht ist und deshalb umgebaut werden muss. Ursprünglich hiess es vonseiten der BLS, dass dies auch am jetzigen Standort möglich sei. Später, nach einem Gespräch zwischen BLS, Anliker und Stadt, wurde kommuniziert, dass die Haltestelle verschoben werden muss, um die notwendigen Umbauten vornehmen zu können. Doch der öffentliche Druck zeigte Wirkung: Ducksch Anliker zog im August 2019 die Kündigungen wieder zurück. Die Abbruchpläne fielen – zumindest vorerst - ins Wasser.
Im Januar 2020 wurde von der Stadt ein Mitwirkungsverfahren gestartet. Die Bevölkerung und die Parteien hatten die Möglichkeit, ihre Wünsche für die zukünftige Entwicklung des Porziareals schriftlich einzugeben. Das Mitwirkungsverfahren endete am 29. Februar. Die Resultate wurden bis jetzt nicht veröffentlicht. Das, und die Ankündigung von Ducksch  Anliker, 2021 die eigenen Geschäftsräume auf das Porzi – Areal zu verlegen, bilden den vorläufigen Schlusspunkt in Sachen Porzi. 

Die Diskussionen rund um die Porzi haben sich in den letzten Jahren verschärft. Grund dafür ist ein Zielkonflikt zwischen den drei Hauptakteuren: Die Stadt Langenthal, Ducksch Anliker und der Porziverein. Letzterer ist unzufrieden mit der Testplanung und hat ein eigenes Nutzungskonzept vorgelegt. Dieses hat einen gänzlichen anderen Ansatz und will das Areal nicht komplett umgestalten, sondern aus dem Bestand heraus entwickeln. Das heisst, dass die Gebäude zwar saniert und renoviert werden, auf neue, ambitionierte Bauten, die mit den historischen Grundbild der Porzi brechen würden, aber verzichtet wird. Das Areal soll als Ganzes erhalten werden. Zudem soll die Porzi weiterhin zahlbaren Raum bieten für Kleingewerbe, Handwerksbetriebe und Kultur. Der Porziverein vertritt den Standpunkt, dass die Porzi mit den heutigen Zwischennutzungen bereits auf dem richtigen Weg ist. 

Das Konzept stösst in Langenthal auf einige Sympathie. Trotz des im Siedlungsrichtplan errechneten Bevölkerungszuwachses empfindet es manch einer als überzogen, wenn nicht gar grössenwahnsinnig, noch mehr Wohnungen in Langenthal zu bauen. Zumal mit dem ESP – Bahnhof bereits ein ähnlich ehrgeiziges Projekt realisiert werden wird. Auch für die Alte Mühle gibt es hochfliegende Pläne. Dabei gestaltet sich schon die Belebung der Innenstadt schwierig. Es stimmt, die Planungen des Kantons Bern zielen darauf ab, Langenthal als Zentrum im Oberaargau zu stärken. Die Frage ist nur, ob die Menschen in Langenthal das auch wollen. In Sachen Porzi werden sie mitentscheiden können, denn die Umzonung, die notwendig ist, um die Vision der Plangemeinschaft umzusetzen, wird vors Stimmvolk kommen. 

Eines ist klar, der Porziverein wird sich weiterhin gegen die Pläne der Stadt und Ducksch Anliker stemmen. Ihr Widerstand ist nicht nur das Resultat einer verunglückten Kommunikation, die geprägt war von falschen Versprechungen und komplizierten Konzepten. Vielmehr ist er Ausdruck der Furcht, die Porzi ein zweites Mal an den rasenden Fortschritt zu verlieren. Denn wenn die Testplanung wahr wird, wird vom ursprünglichen Geist des Areals, nicht mehr viel übrig bleiben. Die erhaltenswerten Gebäude werden inmitten des urbanen Zentrums kaum mehr sein, als eine verstaubte Erinnerung an die vergangenen Tage des Ruhms. Und die Menschen, die die Porzi in den letzten Jahren geprägt haben, werden verschwunden sein, denn egal wie man es dreht und wendet: Für sie wird früher oder später kein Platz mehr sein, in diesem neuen Hotspot von Langenthal.

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