Mittwoch, 10. Mai 2023

Das andere Stadtratsprotokoll: Die Dschungel - Edition (08.05.2023)

  

Die Ouvertüre

  • Hallo und herzlich willkommen zum beliebtesten – weil der einzige – (Fast) Liveticker zur Stadtratssitzung und gleich zu Beginn muss ich eine wichtige Ankündigung mache: Ich hasse dieses Wetter. Es ist schwül, aber es regnet. Ich fühle mich wie Jane im Dschungel, nur dass sich kein attraktiver Tarzan der Liane rüber schwingt. Aber vielleicht passt das Thema Dschungelbuch gerade ganz gut zur heutigen Stadtratssitzung. Wobei man sich über die Rollenverteilung durchaus streiten kann. Ist nun der Gemeinderat der unschuldige Menschenjunge Mowgli, der vom bösen Shir Khan in Form des Stadtrats durch den Dschungel gejagt wird oder ist es vielmehr der Stadtrat, der in Gestalt des schlauen Baghiras, den liebenswerten, aber tollpatschigen Bären Balu, der das Stimmvolk verkörpert, vor Dummheiten schützen will?

  • Okay, ich merke gerade, diese Allerorgie funktioniert nur bedingt. Das Einzige, was ich erreicht habe, ist, dass mir jetzt Disney - Songs nachlaufen. Oh dobedo, I wanne be like you...

  • Die Stadtratssitzung beginnt übrigens damit, dass erst einmal die Tonanlage abschmiert, weshalb wir die Wahl haben zwischen stimmungsvollen Meeresrauschen im Mikrofon oder einem Mikrofon, das gar nicht funktioniert. Freundlicherweise bietet Stadtratspräsident Michael Schenk (SVP) an, dass er auch einfach quer durch den Raum brüllen könne. Aber das geht auch nicht, weil dann nichts aufgezeichnet wird. Frechheit. Offenbar reichen meine exakt geschrieben komplett neutralen und vollständigen Protokolle nicht. Pfff. Banausen. Schlussendlich läuft die Technik aber wieder und die Stadträt:innen müssen nicht schreien, sondern dürfen in gewohnt andächtiger Manier ins Mikrofon hauchen.

  • Heute arbeitet der Stadtrat mit einer Ersatzvizestadtratspräsidentin: Cornelia Gerber - Schär (SP) übernimmt den Job für diese Sitzung, weil Saima Sägesser verhindert ist und darf huldvoll vom Podium aus dem Publikum zuwinken. So wie wir das alle bei Krönung Ihrer erlauchten grossohrigen Majestät Charles II. (zu der ich schockierenderweise nicht eingeladen war)  gelernt haben.

 

Teil 1: Oh No, not Again

 

  • Budget 2023. Ich hasse dieses Budget inzwischen so sehr. Es ist ein immer wiederkehrender Alptraum, ein Pickel an meinen Hintern, der immer wieder durchbricht, ein aufdringlicher Krankenkassenvertreter, der mich immer wieder anruft, kurz, etwas, was ich schon sehr lange los sein möchte, dass aber immer wieder kommt, um mich zu quälen und mir das Leben schwerzumachen. Und warum? Weil das Budget 2023 im Januar vom Stimmvolk abgelehnt worden ist. Was, wahrscheinlich an der extrem niedrigen Stimmbeteiligung lag, wie auch an der Erhöhung der Steueranlage und vielleicht zum Teil auch, weil das neue Eisstadion in sich dahin geschmolzen ist. Ganz nach dem Motto: Wenn ich keinen Eistempel haben darf, wo ich meinen SCL anbeten kann, kriegt ihr auch kein funktionierendes Budget, muhahahaha, jetzt habe ich es euch aber gegeben, Stadt!


  • Unglücklicherweise haben wir uns damit vor allem selber ins Knie geschossen, am Budget hängen halt auch so Sachen wie Schulen oder die Regionalbibliothek oder die Badi. Abgesehen davon stehen wir nun ziemlich unter Druck, denn wenn wir bis am 18. Juni immer noch im budgetlosen Zustand festecken, übernimmt der Kanton. Und der wird – darauf würde ich jetzt meine Lama – Wolle verwetten – den Steuersatz höher ansetzen. Um genau dieses Szenario zu verhindern – denn Gott bewahre uns von den gierigen Klauen des Regierungsrats – schlägt der Gemeinderat eine Variantenabstimmung vor. Das bedeutet: Wir werden entscheiden können, ob wir Variante A (Steuersatz 1.44) oder Variante B (Steuersatz 1.38, unverändert) bevorzugen. Oder beide ablehnen. ANARCHIE!

 

  • So eine Variantenabstimmung hat so seine Tücken, weshalb Stadtratspräsident Michael Schenk zu einer ausschweifenden Erklärung ansetzt, wie jetzt abgestimmt wird. Erst einmal muss der Stadtrat entscheiden, ob überhaupt eine Variantenabstimmung durchgeführt wird und dann kann er noch sagen, welche Variante er empfehlen würde. Irgendwie so. Zwischendurch habe ich nur A und B verstanden, was bei mir die Frage aufwirft: Was ist mit C und D passiert?

 

  • Nach den Mikrofonen verabschiedet sich auch noch die Leinwand. Ich weiss nicht, ob das ein gutes Omen für die Budgetabstimmung ist, aber hey: Always looking on the bright side of life.

 

Teil 2: Anderen geht es auch schlecht, nämlich!

 

  • Roberto de Nino darf wieder einmal im Namen des Gemeinderates das Budget vertreten. Der Arme braucht jetzt dann auch mal eine Delfintherapie, der muss doch schon ganz kirre sein von diesen ganzen Budgetvorlagen.


  • Der Gemeinderat hat bei beiden Varianten leichte Anpassungen gemacht. Er rechnet mit höheren Fiskalerträgen (höhere Steuereinnahmen, hurra, wir sind gerettet!) und beim Stadttheater wird ein bisschen weniger krass gespart, also bei den Einsparungen wird gespart), nämlich nur 30'000 statt 70'000, wie es die bürgerliche Seite des Stadtrats verlangt hat. Grund dafür sind sogenannte Leistungsverträge, die man bereits eingegangen ist und die man jetzt nicht einfach wieder lösen kann. Hoffen wir mal, dass das Stadttheater keinen Vertrag mit einer grössenwahnsinnigen Meerhexe oder einem durchtriebenen Mephisto abgeschlossen hat.


  • Der Gemeinderat bevorzugt – Surprise, Surprise – noch immer Variante A, weil die langfristig finanziell gesünder ausfällt als Variante B. Die hätte nämlich zur Folge, dass sich das Defizit noch mehr vergrössert und das schon latent angeschlagene Finanzschiff Langenthal, das so lange von den Onyx Millionen angetrieben worden ist, noch ein bisschen schneller auf den Eisberg zurast.    


  • Um die Anwesenden – und sich selbst- ein bisschen aufzumuntern blendet der Gemeinderat noch ein paar Zeitungsausschnitte ein, die aufzeigen, dass andere Gemeinden – Biel, Herzogenbuchsee, Köniz – ihre Budgets ebenfalls nur mit Ach und Krach unter Dach und Fach gebracht haben (Zungenbrecher!). Botschaft: Anderen geht es auch mies. Dieser Gedanke lässt mich morgens auch immer viel beschwingter aufstehen, ich mag es, mir das Elend anderer Menschen auszumalen.

  •  De Nino will die Varianten würdigen. Verstehe diese Formulierung nicht. Was soll das heissen, wir würdigen die Varianten? Hängen wir ihnen Blumenkränze um und zwingen Schulklassen ihnen grauenhaft verhunzte Mani Matter Lieder vorzusingen? Das haben die Varianten dann doch nicht verdient, die meinen es ja nur gut.


  • Good News: Auch mit dem höheren Steuersatz, haben wir immer noch einen superattraktiven Steuersatz. Das ist ja auch immer das Erste, was ich Leuten erzähle, wenn ich von Langenthal berichte. Wie schön doch unser Steuersatz ist.

 

Teil 3: Variante A, B oder doch C?



  • Nun beginnt die Debatte und zwar mit Diego Clavadetscher (FDP), der sich darüber beklagt, dass Stadtrat defacto keine Einflussnahme mehr auf das Budget hat, weil wenn der Stadtrat sich heute nicht entscheidet, wird der Kanton übernehmen. Das sei ein Grunddilemma, bemängelt Clavadetscher, denn eigentlich wäre es der Stadtrat, der das Budget verabschiede, ironischer seien seine Handlungsinstrumente sind beschränkt, weil er auf die langfristige Finanzpolitik keinen Einfluss nehmen könne. Den Finanzplan – auf dem die Argumentation des Gemeinderats teilweise fusst, könne er nur zur Kenntnis nehmen. «Das muss sich ändern, deshalb haben drei Fraktionen zusammen eine Motion eingegeben», verkündet Clavadetscher und erläutert, dass diese nicht nur die ebenso gefürchtete, wie teilweise ersehnte Schuldenbremse beinhalte, sondern auch die Macht des Parlaments in Sachen Finanzhaushalt stärken soll. Das Nein zum Budget, will er als Signal von der Stimmbevölkerung verstanden wissen, etwas an den Prozessen zu ändern. Abschliessend hält er fest, dass seine Fraktion die Variantenabstimmung als die bestmögliche aller schlechten Optionen anerkennt und sie unterstützt.  

 

  • Roland Loser (SP) gibt den Papagei und wiederholt das, was er schon in den vorderen Sitzungen gesagt hat.  Dank den Onyx – Millionen sei man in der bequemen Position gewesen, die Steuern zu senken, jetzt müsse man halt wieder rauf. «Hat man im Parteiprogramm stehen, dass jede Steuererhöhung des Teufels ist, ist es halt schwer», merkt er spöttisch an und erinnert daran, dass sich die Mehrheit dieses Rats im Oktober doch für den Steuersatz von 1.44 entschieden habe. Da sich nichts daran verändert hat, sollte der Stadtrat weiter dazu stehen. Also bitte. Was kümmert mich denn der Scheiss, den ich im Oktober gemacht habe?

  • «Eine Systemische Dysfunktionalität» verortet auch Patrick Freudiger (SVP), der jedoch, Sonnenschein wie er nun einmal ist, im abgelehnten Budget kein Merkmal für den Untergang von Langenthal sieht, denn wer braucht schon einen Budget, wenn er auch einen Freudiger haben kann? Dass Steuererhöhungen einen schweren Stand haben, sei nichts Aussergewöhnliches und im Übrigen sei ein denkbar Ungünstiger Zeitpunkt gewählt worden, weil die Steuererhöhung just mit der Ankündigung, dass es eben kein neues Eisstadion gebe, zusammengefallen sei. Schlussendlich müsse jeder zurückstehen. Was der Gemeinderat getan habe, schliesslich habe er ja jetzt doch die Variante mit der Steueranlage 1.38 ins Spiel gebracht, die Bürgerlichen würden dagegen die geringere Kürzung beim Stadttheater schlucken (ich bin hingerissen von so viel Opferbereitschaft, daneben wirkt Jesus’ Opfer für die Menschheit geradezu lächerlich kindisch) und die Linken müssten jetzt eben auch bereit sein, sich nicht mehr an ihren höheren Steuersatz von 1.44 festzuklammern. Alle, so Freudiger, müssten nun einen Schritt aufeinander zugehen. In diesem Sinne verzichte seine Fraktion auf Einzelanträge in Sachen Budget – man werde die einzelnen Posten wie vorgeschlagen übernehmen.

 

  • Die Stimme der Vernunft, Michael Siegrist (EVP/GLP), möchte nach vorne schauen, nicht zurück. «Langenthal wird ein Budget haben – entweder eines von uns oder eines von Kanton», bemerkt er launisch. Auch seine Fraktion unterstützt die Variantenabstimmung, bevorzugt aber deutlich die finanzpolitisch sinnvolle Variante A.   

 

  • Gar nicht warm mit der Variantenabstimmung wird dagegen Pascal Dietrich (parteilos, FDP/JLL Fraktion. Er findet die Lösung, die andere Ortschaften in Kanton Bern, gewählt haben, bedeutend attraktiver. Dort man hat einfach schnell versucht, ein genehmigtes Budget zu präsentieren und deshalb auf eine Steuererhöhung verzichtet. Hätte Langenthal diesen Weg gewählt, so Dietrich, hätte man in April abstimmen können und hätte inzwischen ein genehmigtes Budget. Ausserdem kritisiert er, dass es in einer Pressemitteilung so rübergekommen seo, als würde der Gemeinderat ein Budget verabschieden – das liege aber in der Kompetenz des Stadtrats. Und er erwähnt, dass der Stadtrat eine Weihnachtskarte vom Stapi bekam (ratet mal, wer wieder keine bekommen hat, sniff.)

 

  • Der Stadtrat stimmt der Variantenabstimmung zu. Hurra. Das heisst, wir dürfen unsere Lieblingsvariante auswählen! Für jemand wie mich, der sich nicht einmal für einen Pizzabelag entscheiden kann, das persönliche Armageddon. Und ich hätte gern, dass die Stadt Erklärungsvideos aufschaltet, wie man genau über diese Varianten abstimmt. Das überfordert mich sonst massiv und dann mache ich es falsch und dann bin ich schuld, wenn wir wieder kein Budget haben, und unsere Stadt geht vor die Hunde und…und…und….

      Teil 4: Verdoppelt die Steuern, verdreifacht die Steuern!

  • Die Diskussion dreht sich dann zwischenzeitlich fast mehr darum, wer im Budgetprozess jetzt welche Kompetenzen hat bzw. haben sollte. So pocht Diego Clavadetscher darauf, dass es in der finanzpolitischen Verantwortung des Stadtrats liege, auch auf das Stadttheater ein Auge zu haben, weil das schlechter abgeschnitten habe, als budgetiert. Durch die Leistungsverträge, die im Stadtrat nie besprochen werden konnten, seien dem Parlament nun die Hände gebunden. Er regt an, dass Stadttheater auszulagern, was er aber den Anwesenden nur für die nächste Budgetdebatte mitgibt. Einen Antrag stellt er nicht.

  • Beide Varianten werden vom Parlament ratifiziert. Ich glaube, das Wort passt hier nicht ganz, aber ich liebe es und wollte es schon immer mal anwenden, weil es so verdammt klug und sexy klingt. Heisst hier aber, dass Parlament ist, damit einverstanden, dass beide Varianten in dieser Form vors Volk kommen. 

  • Die Debatte wendet sich nun den einzelnen Varianten zu. Diego Clavadetscher finden, es sei nach wie vor der falsche Zeitpunkt für eine Steuererhöhung, trotzdem sei das Gros der Fraktion der Meinung, dass die Steuererhöhung sinnvoll sei. Und er macht deutlich, dass nicht das vielzitierte Eigenkapital das Problem sei, sondern die fehlende Liquidität. Die wird noch mehr zurückgehen, weil die Stadt momentan viele Projekte am Laufen hat, dann braucht die Stadt Fremdkapital und wir verschulden uns noch mehr. Der ewige Kreislauf des Kapitalismus. 

  • Geteilt zeigt sich die SVP in Gestalt von Patrick Freudiger (SVP), der ankündigt, dass diejenigen Mitglieder, die bereits bei der ersten Sitzung für die tiefere Steueranlage von 1.38 waren, dies auch durchziehen werden. Sein linkes Pendant Roland Loser drängt die Anwesenden dagegen, Verantwortung zu übernehmen und mit dem Gemeinderat geschlossen zusammenzustehen und die Steuererhöhung durchzuziehen. Genau, Avengers, verbündet euch, dann schafft ihr alles! Sogar uns eine Steuererhöhung schmackhaft zu machen. 

  • Während Michael Sigrist (EVP) Variante B mit Steueranlage von 1.38 nach wie vor kurzsichtig findet, glaubt Pascal Dietrich, dass die Ablehnung des höheren Steuersatzes zu akzeptieren sei, was Martin Lerch (SVP) unterstützt und hinterherschiebt, dass man jetzt auch zu den kleinen Leute schauen müsse, darum habe ein Bürger von Langenthal ihn ausdrücklich gebeten (irgendwie bitten die Bürger:innen von Langenthal ziemlich oft Martin Lerch um etwas. Hat der irgendwann eine Sprechstunde, von der ich nichts mitbekommen habe?) 

  • Nathalie Scheibli (SP) lässt diese Argumentation nicht gelten, denn nur wenige aus dem Volk hätten letztendlich abgestimmt. Zudem hätte sie sich gewünscht, dass die Liquiditätsproblematik dem Volk so erklärt worden wären, wie Diego Clavadetscher sie jetzt dem Stadtrat erklärt habe. Und die kleinen Leute, also die Schüler:innen wären froh, man hätte das schon vorher betrachtet, merkt sie abschliessend an.

  • Zum Abschluss verteidigt sich Roberto de Nino (SVP) gegen den Vorwurf, der Zeitpunkt für die Steuererhöhung sei schlecht gewählt gewesen. Der Gemeinderat hat schon vor einem Jahr die Steuererhöhung aufs Tapet gebracht hätte. Der perfekte Zeitpunkt existiere schlichtweg nicht. Und ausserdem habe die Stadt keine Liquiditätsprobleme, stellt er, fast schon trotzig, klar. Jedenfalls nicht, was das Geld betrifft.  

  • Vom Stadtrat favorisiert wird schlussendlich Budgetvariante A (die mit dem höheren Steuersatz). Um das rauszufinden, braucht es mehrere Zählanläufe, weil manche die Abstimmungskarten zu schnell wieder sinken liessen. Wäre ich Stadtratspräsidentin würde ich mir einen Spass daraus machen, die armen Menschen einfach so lange wie möglich abstimmen zu lassen, so dass sie möglichst lange ihre Stimmkarte in die Luft strecken müssen. Das trainiert die Muskeln und macht gute Laune. Mir zumindest.

 

 Teil 5: Das Buch der Abstimmungsbotschaft

 

  • Abstimmungsbotschaft durchgehen hat immer was von Roman lektorieren. Man beugt sich eifrig über die komplizierten Wortgebilde, feilt an der Dramaturgie und fragt sich, ob die geneigten Leser:innen denn auch das verstehen, was man ihnen mitteilt oder ob man ein Werk à la Kafka abliefert, nach dessen Lektüre man sich verwirrt am Kopf kratzt und keine Ahnung hat, was die Autor:innen einem jetzt eigentlich mitteilen wollte.

  • Der geborene Schöngeist Patrick Freudiger macht sich dann auch gleich ans Kürzen. Er will den Satz streichen lassen, der besagt, dass für das Jahr 2024 eine Steueranlageerhöhung vorgesehen ist. Im Budget 2023 eine Aussage über das Budget 2024 zu machen, die dazu noch unverrückbar ist, sei heikel, moniert er, damit nehme man sich jeglichen Handlungsspielraum. Denn, angenommen der Steuersatz 1.38 würde obsiegen, könne der Stadtrat schlecht auf den 1.44 beharren (naja, können tut er das das schön, er riskiert dann halt einfach mit Mistgabeln aus der Stadt gejagt zu werden. «Erste, zweite und dritte Priorität ist, dass wir ein Budget haben», verkündet er dramatisch und befürchtet, dass mit einer solchen Ankündigung das oppositionelle Lager gestärkt werden würde. Das ist so mitreissend, man möchte gleich Seite an Seite mit diesem Mann in den Budgetkampf ziehen.

  •  Grosszügigerweise bietet Ritter Patrick Freudiger alternativ an, dass statt einer Streichung auch eine Abschwächung der Formulierung in Frage käme. Roland Loser nimmt dieses Angebot für die SP/GL Fraktion an, ebenso die EVP/GLP Fraktion, weshalb man sich auf eine etwas abgeschwächte Formulierung einigt, die beinhaltet, dass eine Steuererhöhung für das Jahr 2024 wieder zu diskutieren sei. Dieser Satz wird dieser Abstimmungsbotschaft auf die Liste für den Schweizer Buchpreis bringt, ich spür das. Sie passt auch gut zu den anderen Nominierten, denn die werden normalerweise auch nicht gelesen.

  • Der Gemeinderat nimmt den Konsens im Stadtrat zur Kenntnis (wahrscheinlich ist er einfach völlig überrumpelt, dass dieses Parlament tatsächlich in der Lage ist, Kompromisse zu schliessen), gibt aber zu bedenken, dass die Finanzkommission bereits am Budget 2024 sei und es definitiv auf diesen höheren Steuersatz herauslaufen werde. Ausser wir finden bis dahin eine Goldader im Schoren.

  • Diego Clavadetscher nervt sich darüber, wieder vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. «Es ist in der Entscheidungskompetenz des Stadtrats ist, ein Budget zu verabschieden», wiederholt er und es sei schädlich, wenn dem Stadtrat nur noch Vorlagen vorgelegt werden würden, auf die er gar keinen Einfluss mehr nehmen könne, weil der Prozess schon zu weit fortgeschritten sei. Damit würde jeder Antrag, der im Stadtrat gestellt werden würde, von den Medien als Misstrauensvotum gegen den Gemeinderat aufgefasst werden.

  • Einen anderen Aspekt bringt Cornelia Gerber – Schärer ins Spiel. Sie möchte dem Volk die Hand reichen und sie dort abholen, wo sie stehen. «Der Stadtrat ist hundert Schritte voraus!» Deshalb solle man sich Möglichkeiten offen behalten und die Formulierung entsprechend abändern. Denn, vielleicht werde der Steuersatz ja auch höher ausfallen (bevor ihr jetzt alle Schnappatmung bekommt und panikiert: Das war ein Scherz, ein Scherz!).

  • Schlussendlich wird dem Änderungsvorschlag zugestimmt, der Satz wird umformuliert. Damit ist die Abstimmungsbotschaft im Kasten und wird den treusorgenden Händen des Stadtratsbüros übergeben, die nun die redaktionellen Anpassungen vornehmen wird. Applaus, Applaus, das alles hat nur zwei Stunden gedauert – aber Epen brauchen eben ihre Zeit.

Teil 6: Das Zeitalter der ÜOs

  • Wer glaubt der Stadtrat könne nur Budgets verabschieden, der irrt sich gewaltig, denn er ist auch gut in anderen Sachen. In Überbauungsordnungen genehmigen, nämlich. Dieses spezielle Talent zeigt er an diesem Abend gleich zweimal. Einmal bei der Überbauungsordnung Haldenstrasse (die schon letztes Jahr die Ehre hatte vor dem Stadtrat aufzutreten) und einmal die Überbauungsordnung Murgenthalstrasse.

  •  Die Haldenstrasse, bei der man beim letzten Mal noch das Fehlen jeglicher Klimaartikel als unzeitgemäss kritisiert hat, wird vom Stadtrat wohlwollend und diskussionslos durchgewunken. Wobei sich Diego Clavadetscher bei der Schlussabstimmung verschluckt – hoffentlich liegt es nicht daran, dass er bei der Budgetdiskussion zu viele Kröten schlucken musste.

  • Die Murgenthalstrasse steht auf einen anderen Blatt, denn die Eigentümerin will dort nicht nur Wohnraum schaffen, sondern auch eine Tankstelle bauen. Das bereitet der SP/GL Fraktion, vertreten durch die Grüne Fanny Zürn, nach eigener Aussage Magenschmerzen. «Wir können in Zeiten von fortschreitendem Klimawandel keine neuen Tankstellen bewilligen», mahnt sie. Zwar räumt sie ein, dass von dieser Tankstelle wohl kaum die Rettung der Welt abhänge, die Summe genau solcher kleiner und unschuldig wirkender Projekte sei es aber, die schlussendlich eine verheerende Wirkung entfalten würden. Und wir möchten ja nicht als die Stadt in die Geschichte eingehen, die versehentlich die Welt in die Luft gesprengt hat. Wobei, dann wäre das Budget 2023 zumindest kein Problem mehr.

  • Fanny Zürn macht zudem darauf aufmerksam, dass es in Langenthal nun wirklich genug Tankstellen gebe – unter anderem gleich gegenüber des geplanten Projekts (dann kann man ja zwischendurch beim Tanken noch schnell die Zapfsäule wechseln, um die Vielfalt im Tank zu fördern. Deshalb sieht auch Fabian Fankhauser (GLP) hat keinen Mehrwert für die Bevölkerung. Seiner Meinung nach ist es wirtschaftlich gesehen zudem Blödsinn, auf fossile Brennstoffe zu setzen, aber er wolle ja niemand bei seinen Geschäftsentscheidungen reinreden und sei nicht am Parlament Businesspläne zu beurteilen. «Denn schliesslich verteilen wir auch Bürgschaften an ultraoptimistische Unternehmer», kommentiert er süffisant, womit er auf das nicht ganz unumstrittene Darlehen an das Schloss Aarwangen anspielt, das bei der letzten Stadtratssitzung ausgiebig durchgehechelt worden ist (siehe, das andere Stadtratsprotokoll, die Oster – Edition.)

  • Wenig überraschend ist die bürgerliche Seite der Meinung, dass der Baueigentümer mit seinem Grundstück machen kann, was er will, denn schliesslich leben wir in einer liberalen Marktwirtschaft, wo wir alle so viel klimaschädliche Emissionen verursachen dürfen, wie wir wollen. Untergehen ist völlig okay, wenn es freiheitlich geschieht. So wird der Überbauungsordnung, trotz Widerstand von links, schliesslich zugestimmt, womit Langenthal sich auch gleich als ideale Location für den Filmklassiker «Die drei von der Tankstelle» ins Spiel bringt. Wobei der Film wahrscheinlich noch umbenannt werden musste in «Die drei Tankstellen an der Kreuzung – das liberale Manifest von Benzin und Feuer.»

Teil 7: Der schimmelige Reiter

  • Wenden wir uns appetitlicheren Themen zu: Die Turnhalle Elzmatte schimmelt vor sich hin und weil das weder förderlich für die Gesundheit noch für die Bausubstanz ist, musste sie geschlossen werden. Hätte ich als Jugendliche gewusst, dass Schimmel mich vor dem verhassten Turnunterricht befreit hätte, ich hätte den Schimmel höchst persönlich in der Dreifachturnhalle gezüchtet. Auf jeden Fall ist die Halle sowieso ziemlich kaputt – deshalb konnte der Schimmel überhaupt entstehen – deshalb muss sie dringend saniert werden und um Bob, den Baumann dafür engagieren zu können (auch Kinderfiguren arbeiten heute nicht mehr gratis), beantragt der Gemeinderat dem Stadtrat einen Projektierungskredit von 185'000.

  •  Der ist dann auch sehr unbestritten, denn wer will schon die lieben Kinder davon abhalten, sich sportlich zu betätigen (abgesehen von mir. Turnunterricht ist meiner Meinung nach eine moderne Form von Folter). In der Debatte blickt die Ratslinke in gewohnt düsterer Manier auf die Zukunft und sieht weitere hohe Investitionen auf Langenthal zurollen. Janosch Fankhauser (SVP) ärgert sich darüber, dass die Sanierungen der Schulliegenschaften so lange aufgeschoben worden seien, dass man nun nicht anderes mehr könne, als zuzustimmen (dem Schimmel sei Dank). Pascal Dietrich stört sich unterdessen daran, dass im Rat so getan wird, als sei nie in Schulen investiert worden, immerhin habe man Millionen in die Sanierung des Schulzentrums Kreuzfeld reingebuttert.

  •  Der Kredit wird einstimmig genehmigt. Wie schön. Dann sind jetzt alle glücklich. Mit Ausnahme des Schimmels, der muss ja jetzt weg. Und damit endet auch dieses Kapitel des Dschungelbuchs, aka, die Stadtratssitzung. Probiert es mit Gemütlichkeit, macht einen Bogen um bissige Tiger und wenn ihr einer trotteligen Schlange begegnet, seht ihr um Gottes Willen nicht in die Augen! Das rät euch, euer Lama.

Best of:

 

«Zum kontrollierten Abschuss…äh Abschluss.» Gemeinderat Roberto de Nino (SVP) leidet offenbar so sehr unter dem Budget 2023, das er zu rabiaten Mitteln greifen und es gleich erlegen will.

«Der Dani Häfliger…äh de Dyami Häfliger.» Dani, Desmond, Dyami, irgendwas mit D halt, findet Stadtratspräsident Michael Schenk (SVP).

«In dieser Sache müssen wir uns jetzt noch durchsiechen.» Besser als dahinsiechen, oder Diego Clavadetscher (FDP)?

«A ist Ja…» Und B ist nein, aber nur wenn C ebenfalls Ja ist…Michael Schenk modelt die Variantenabstimmung kurzerhand zur Algebrarechnung um.


«Falls man nicht die Kraft für eine ersatzlose Streichung aufbringt…» Patrick Freudiger (SVP) macht sich Sorgen um den Gesundheitszustand seiner Stadtratskolleg:innen.

«Soll man der Katze, Katze sagen oder Büsi. Aber die Mehrheit des Stadtrats ist mit der Büsivariante einverstanden.» Miau, sagt da Roberto de Nino.

«Ladies First.» «Mach, du, wir sind hier modern.» Georg Cap (Grüne) will den Gentleman geben, Cornelia Gerber – Schärer (SP) zeigt sich emanzipiert.

«Wir finden die Maus gerade nicht, aber wir suchen sie.» Die wurde dann wahrscheinlich von der Büsivariante gefressen. Wieder Michael Schenk.

«In dieser Zeit eine Tankstelle zu bauen, ist wie einer Person mit Lungenkrebs, Zigaretten ins Spital zu bringen.» Naja, wenn man die Person umbringen will, macht das durchaus Sinn. Fanny Zürn (Grüne).

«Das wird auch die Zahnärzte freuen wird, weil wir mit so viel Zähneknirschen zustimmen, dass sie mit uns viel Arbeit haben würde.» Fabian Fankhauser (GLP) zeigt sich wahrhaft wirtschaftsfreundlich und bringt das hiesige Gewerbe zum Blühen.

«Wir werden uns bemühen, unsere Geschäfte in Zukunft gewohnt emotionslos und sachbezogen vorzulegen.» Mr. Spock alias Stapi Reto Müller (SP).

«Die Turnhalle isch jetzt eifach am Ranze.» Charmant ausgedrückt. Noch einmal Reto Müller.

Das andere Stadtratsprotokoll - Die Ostern - Edition: Der (Fast) Liveticker zur Stadtratssitzung vom 25.3.2024

  Das Vorgeplänkel ·         Hallo und herzlich willkommen zum neuen exklusiven anderen Stadtratsprotokoll, geschrieben wie üblich von e...