Samstag, 30. Mai 2020

Wenn der Sport ruft und die Politik rennt


Ein längerer Blogeintrag zum Thema „Warum regt dich die Rettung des Lauberhorn – Rennens dermassen auf“. Dass ich in Sachen Spitzensport eine unpopuläre Ansicht vertrete ist den regelmässigen Leser*innen meines jetzigen und meines früheren Blog ja bekannt. Mir ist es wichtig, hier auch aufzuzeigen, was ich genau kritisiere. Mir geht es nicht generell darum, einzelne Sportarten schlecht zu reden. Mir geht es darum, die verkitschte Vorstellung von der heilen Sportwelt, die uns immer wieder präsentiert wird, aufzuweichen. 

Natürlich ist Sport grundsätzlich eine feine Sache und gesund für Körper und Seele. Das stelle ich überhaupt nicht in Frage, genauso wenig wie den positiven Effekt von Mannschaftssport auf die Sozialkompetenz. Und selbstverständlich kann man seine Zeit auch wesentlich dümmer verbringen – zum Beispiel mit dem Schauen von GNTM. Die ganze Geschichte ums Lauberhorn steht meiner Meinung nach aber symptomatisch für alles, was ich am Spitzensport kritisiere. 

Da ist zum einen die schnelle Bereitschaft der Politik zu handeln. Der Konflikt ist ja entstanden, weil das Organisationskomitee der Lauberhornrennen  sich daran störte, dass sie einen Grossteil der Kosten selbst stemmen müssen. Auch mit der Verteilung der TV – Gelder war man nicht einverstanden. Es begann ein Seilziehen mit Swiss – Ski  darum, wer jetzt was zahlen soll. Schlussendlich erhöhte Swiss - Ski den Druck, indem sie sich anschickten das Lauberhornrennen aus dem offiziellen Rennkalender zu streichen – ein Schock für die Skiwelt, denn schliesslich geht es um DEN Rennklassiker überhaupt. Und siehe da: Auf einmal sprangen die Politiker*innen im Dreieck. Alt- Bundesrat, Bundesrätin Regierungsrat – sie alle eilten herbei, um das Rennen zu retten.

Würden die Damen und Herren genau den gleichen Aktionismus in Sachen Klimawandel, sozialer Ungleichheit oder Pflegenotstand an den Tag legen, wären wir möglicherweise schon weiter. Gut, das sind weitaus komplexere Themen, die sich nicht mal eben so lösen lassen. Aber es sind die Probleme, die uns früher oder später um die Ohren fliegen werden, wenn wir den Hintern nicht endlich mal hochkriegen. Wenn wir die gelöst haben – oder zumindest zu einer Teillösung gekommen sind – kann die Kantonsregierung zurecht stolz in die Kamera lächeln. Die „Rettung“ eines Skiklassikers – der ja nur in Gefahr war, weil der Skiverband seine Muskeln spielen liess, nicht wegen äusserer Umstände – ist kein Grund dafür, sich auf die Schulter zu klopfen.

Dass Pressekonferenzen abgehalten werden, in denen alle Beteiligten so tun, als wäre ihnen die Versöhnung von Israel und Palästina gelungen, zeigt aber den hohen Stellenwert den der Spitzensport geniesst. Besonders natürlich die dominanten Sportarten in der Schweiz: Ski, Hockey, Fussball. Hinter all diesen Sportarten stecken mächtige Verbände, die viel Einfluss in der Politik haben. Meiner Meinung nach ist das eine ungesunde Verflechtung, die wenig mit den hehren Werten des Sports zu tun hat. Es geht dabei nicht um Fairness, Sportgeist oder harte Arbeit. Es geht um Macht, Abhängigkeiten, Gefälligkeiten. Und um Geld. Viel Geld. 

Früher – und so lange ist das gar nicht her – gab es noch keinen Spitzensport, wie wir ihn heute kennen. Früher war noch nicht alles mit Werbung zugepflastert. Früher hat man die Ausstrahlungsrechte nicht teuer verkauft. Früher gab es auch keine Spitzensportler*innen. Früher hat man sich einfach aus Freude miteinander gemessen, ohne eine riesige Marketingkampagne ins Leben zu rufen. Und die Menschen haben trotzdem gerne zugesehen. Weil der Sport im Grunde den ganzen aufgeblasenen Zirkus, der heute abgezogen wird, gar nicht braucht. Weil er auch einfach so seine Wirkung entfalten kann.
Früher fanden die Skirennen dann statt, wenn genügend Schnee lag. Da gab es noch keinen Weltcup – Kalender, den man einhalten musste. Da hat man noch keinen Tonnen von Kunstschnee produziert. Was im Übrigen alles andere als umweltschonend ist. Aber auch das interessiert kaum jemanden. Ich bin immer wieder erstaunt, dass sich manche Menschen – gerade im linken Lager – tödlich darüber aufregen können, wenn es in einer Kantine kein veganes Menü gibt, aber achselzuckend darüber hinweggehen, dass im Profisport der ökologische Aspekt kaum Beachtung findet. Spieler*innen fliegen für ein Spiel oder ein Rennen, das nur wenige Tage dauert, in der Weltgeschichte herum? Egal. Stadions werden inmitten der schönsten Natur gebaut, nur um dann praktisch ungenutzt zu verfallen? Egal. Ski – und Eishockeysaisons starten im Oktober und enden erst im März? Egal. 

Aber auch sonst wird gerne alles andere hinten angestellt, wenn es um die Durchführung von sportlichen Grossanlässen geht. Die Fussball – WM findet in einem Land statt, das sich kaum um Menschenrechte kümmert oder in Armut versinkt? Interessiert allerhöchstens ein paar kritische Medien (die dann auch prompt als Spielverderber gelten). Und wenn es zur Sprache kommt, erzählt man gerne etwas von der positiven Macht des Sportes, die ganze Völker verbindet. Oder man redet von dem wirtschaftlichen Aufschwung, den die WM den Austragungsländern bringt. Was vielleicht sogar tatsächlich der Fall wäre, wenn der korrupte Haufen namens Fifa nicht alle Gelder einstreichen würde. Und das mit der Völkerverbindung hat auch meist nur einen symbolischen, kurzfristigen Effekt (auch wenn es in der Vergangenheit erfreuliche Ausnahmen gab). 

Paradox ist: Der Profisport mag sich nicht mit gesellschaftlichen und politischen Themen auseinandersetzen. Es soll um den Sport gehen, pflegen die Funktionäre salbungsvoll zu sagen, um den Wettkampf, um die Leistung, um Fairness. Man bemüht sich, das Bild des „reinen“ Sports aufrechtzuerhalten. Das ist eine Illusion. Die Sportverbände sind bestens vernetzt in der Politik und scheuen sich nicht, ihre Strippen zu ziehen, um ihre Ziele durchzusetzen. Die Politik ist umgekehrt nur zu gerne bereit, dem Profisport entgegenzukommen. Egal ob links oder rechts, geht’s um die Durchführung von prestigeträchtigen Sportevents wirft manch einer seine sonstigen Prinzipien über Bord. Dafür gibt’s dann einen Platz in der VIP – Lounge. Und Glanz und Glamour, denn mit ein bisschen Glück kann man schliesslich mit einem Skistar posieren. Ein Beat Feuz macht sich halt besser auf dem Foto, als ein Asylbewerber. Oder ein Sozialhilfebezüger. Oder ein halb verhungerter Eisbär. 

Der Grund, warum ich mich dermassen darüber aufrege, dass das Lauberhornrennen mit kantonaler Hilfe gerettet wird, ist nicht in erster Linie der Betrag, der sich voraussichtlich zwischen 500‘000 und 900‘000 bewegen wird. Es ist die Nonchalance mit dem er gesprochen wurde. Als sei das selbstverständlich, dass man ein einziges Skirennen finanziell unterstützt. Mich stört es, wenn Regierungsratspräsident  Christoph Ammann verkündet, er müsse zwar noch erst seine Regierungsgspännli fragen, aber er könne die ja recht gut einschätzen. Botschaft: Darüber debattieren wir gar nicht, natürlich sprechen wir da Geld, weil schliesslich geht es um Sport und Tourismusförderung. 

Gerade im Kanton Bern finde ich das ein falsches Signal. Seit Jahren wird hier im Gesundheitswesen gespart. In der Sozialhilfe wird gespart. Denjenigen, die ohnehin schon wenig haben, wird jeder Franken, den sie von Kanton erhalten, missgönnt. Das Pflegepersonal wird für seine Forderungen belächelt. Aber wenn’s um ein Skirennen geht und um die Bedürfnisse des Spitzensports, wird nicht einmal der Anschein einer Diskussion gewahrt. Darüber rege ich mich auf. 

Ich verlange nicht, dass man keine Sportanlässe mehr durchführt. Mir ist auch klar, dass man die Entwicklungen des Spitzensports nicht mehr zurückstufen kann. Und ich finde auch nicht, dass man sich jetzt keine Skirennen oder Fussballspiele oder Hockeymatchs ansehen soll. Aber ich bin der Ansicht, dass es an der Zeit wäre,  sich den Schattenseiten in der Sportwelt zu stellen. 

Bevor sie überhand nehmen.


Montag, 11. Mai 2020

Das andere Stadtratsprotokoll XIII


Corona hatte vorübergehend auch dem stadträtlichen Treiben ein Ende gesetzt: Die Ansteckungsgefahr war zu hoch, denn auch wenn der Stadtrat normalerweise nicht gerade miteinander kuschelt, verbringen die Damen und Herren doch relativ viel Zeit auf relativ beengten Raum miteinander und reissen dabei oft die Münder auf, was bei einer drohenden Tröpfcheninfektion eher ungünstig ist (also, nicht dass ich jemanden unterstellen möchte, dass er sabbert). Inzwischen hat der Kanton grünes Licht gegeben, die Stadtratssitzungen, unter Einhaltung gewisser Sicherheitsbedingungen, durchzuführen.

Halb erwartete ich deshalb, beim Betreten des Parkhotels – wo die Stadtratssitzung stattfand, weil mehr Platz vorhanden ist – dass sich eine Horde schwarz gekleideter Sicherheitsleute vom Dach abseilt, sich auf mich wirft, mich durchsucht, mit bellender Stimme fragt, was ich hier zu suchen hätte und mir den Fieberthermometer in den Mund rammt. Glücklicherweise passierte nichts dergleichen. Ich wurde lediglich von einem Anwesenden gefragt, wie ich es geschafft hätte, dabei sein zu dürfen. Um es hier ganz offiziell zu sagen: Ich habe – nach einigem ermutigenden Zuspruch aus meinem Umfeld – das Stadtratsbüro gefragt, ob ich teilnehmen dürfe, auch wenn ich keine klassische Medienvertreterin bin und freundlicherweise bekam ich einen positiven Bescheid. Ich habe also keineswegs irgendwelche geheime Kanäle in den Glaspalast oder einflussreiche Freunde an höheren Stellen (ich habe gar keine Freunde…Nein, Spass, natürlich habe ich Freunde, aber die haben in Langenthal nichts zu sagen. Oder noch nichts zu sagen.)

Um den Abstand zwischen den Teilnehmenden zu wahren, hat man jeden Stadtrat an sein eigenes Pult gesetzt und die auseinander geschoben. Dadurch gab es eine Bestuhlung, die an ein Klassenzimmer erinnerte. Es fehlten eigentlich nur noch die Kinderzeichnungen an der Wand und undefinierbare Scherenschnitte, die von der Decke baumelten. Ich sass zuhinterst, das heisst, ich konnte nur die Rückenansicht des Stadtrates bewundern, was aber auch ein netter Anblick war. Immerhin konnte ich so die Frisuren mal in aller Ruhe betrachten. Die Haare sitzen also bei allen. 

Den Gemeinderat hatte man ebenfalls auseinander gesetzt, genau wie das Stadtratsbüro, das an einem ewig langen Tisch thronte, der stark an die Banketttische von Asterix und Obelix erinnerte. Nur ohne Wildschwein. Stadtratspräsidentin Martina Moser (SP) eröffnete die Sitzung mit einer warmherzigen Willkommensrede, frei von jeglichem Pathos aber mit viel Empathie (auch wenn sie die abgesagte Fasnacht erwähnte, was mich kurzzeitig wieder in ein kleines Tief beförderte). Sie dankte insbesondere der Verwaltung, die in diesen Krisenzeiten wahrlich schnell auf sich stets verändernde Umstände reagieren mussten und letztendlich auch dafür sorgten, dass die Stadtratssitzung stattfinden konnte. Ferner wies sie auf die geltenden Vorsichtsmassnahmen hin. Besonders wichtig: Die Sitzung war zeitlich begrenzt. Sie durfte nur bis 21:00 gehen, weshalb Martina Moser die Votanten ermahnte, sich kurz zu halten (also, mir kommt das ja nicht ungelegen. Ich bin zwar ein Nachtmensch, aber bis vier Uhr morgens Stadtratssitzungen zusammenzufassen ist schon hart). Wegen der zeitlichen Begründung war die Traktandenliste leicht gekürzt worden, so dass nur die dringenden Geschäfte behandelt wurden. 

Das erste dringende Geschäft war ein unglaublich Aufregendes und Spannendes! Ja, ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass im Stadtrat noch nie ein so tiefgehendes Thema besprochen wurde. Ein Thema, dessen Wurzeln ganz weit im Boden liegen. Ein schmutziges Thema. Ein richtig schmutziges Thema…

Es ging um Abwasserleitungen. Die müssen stellenweise ersetzt werden. Da es bis jetzt leider keine dressierten Ratten gibt, die das umsonst machen, kostet das etwas und das musste vom Stadtrat genehmigt werden, genau wie der erforderliche Kredit für die neue Strassenbeleuchtung im Rumiweg und die Instandstellung des Strassenoberbaus im Rumiweg und der Blumenstrasse. Vorgestellt wurde das Geschäft vom Stadtpräsidenten Reto Müller (SP) persönlich, der aus Zeitgründen auf ein Eingangsvotum à la Bundesrat verzichtet hatte. Es gab also keine Coronarede an die Nation, dennoch merkte er an, er freue sich, alle wieder gesund zu sehen und dankte der Bevölkerung für die Umsetzung der Coronaregeln). Nachdem er das alles in beeindruckendem Tempo runtergerasselt hatte (Reto. Der Mann, der schneller spricht, als sein Schatten), sagte der Stadtrat im ebenso beeindruckenden Tempo, einstimmig ja. Hurra, die Abwasserleitungen in Langenthal sind gerettet. 

Das nächste Geschäft gab ein bisschen mehr zu reden. Es ging um die Scheissanlage Weier. Okay, nein, es ging natürlich um die Schiessanlage Weiher (ich wollte einfach mal Scheisse schreiben. Da ich zugegebenermassen während des Lockdowns ziemlich viel Zeit auf Social Media verbracht habe, hat sich meine Sprache dem Niveau eines Dreizehnjährigen angepasst. Sorry!) Wie Gemeinderat Markus Gfeller ausführte, wollte man ursprünglich einfach die arg in die Jahre gekommene elektronische Trefferanzeige ersetzen, stellte dann aber noch andere erhebliche Mängel fest. So müssen z. B  auch die Kugelfänge ersetzt werden. Zudem will man die Umbauten gleich nutzen, um auf dem Dach des Schiesstands eine Photovoltaikanlage (damit wandelt man Sonnenlicht in elektronische Energie um) einzurichten. Das würde jedoch von der IB Langenthal übernommen werden, beziehungsweise von deren Tochterfirma (Als Markus Gfeller IB sagte, war ich kurz verwirrt, weil ich kurz dachte er meint YB, den Fussballverein.)Alles in allem werden sich die Kosten dieser Sanierung auf rund 1, 6 Millionen Franken belaufen. 

Trotz dieser stattlichen Summe gab es im Parlament keinen Widerstand. Das Einzige was Fragen aufwarf, war die Beteiligung der umliegenden Gemeinden. Pfaffnau, Lotzwil und Roggwil nutzen die Anlage mit. Erstere werden sich an den geplanten Sanierungen finanziell beteiligen. Bei Lotzwil und Roggwil ist der Fall etwas komplizierter. Mit ihnen wurde im Jahr 2016 bzw. 2005 ein Vertrag vereinbart, in dem explizit steht, dass sie sich nicht an Neuinvestitionen beteiligen müssen. Das ist insofern eine etwas kuriose Vereinbarung, weil sie, nach aktuellem Stand, gegen geltendes Recht verstösst, denn das Militärgesetz schreibt, dass sich Gemeinden ohne eigenen Schiessstand, bei einem Schiessstand einer anderen Gemeinde einkaufen müssen. Gratis nutzen die beiden Gemeinden den Schiessstand heute allerdings auch nicht. Sie zahlen Miete. 

Roland Bader (FDP) und Mike Siegrist (EVP) äusserten sich zwar kritisch über diese rechtlich fraglichen Verträge), ansonsten fand der Stadtrat nur lobende Worte. Stefan Grossenbacher (SVP) bezeichnete die Ausgaben als Investition in einen Zweckbau ohne unnötigen Luxus, während die FDP sich positiv über die geplante Photovoltaikanlage äusserte. Simon Lüdi (SP/GL Fraktion), merkte zwar an, dass Schiessstände nicht gerade in den Genen von Links – Grün liege, aber, so führte er aus, sie möchten natürlich der Arbeiterschaft, die mit Herzblut ihrem Hobby frönen, nicht im Weg stehen. Was versüsst einem schliesslich mehr den Feierabend, als fröhliches Rumballern? (Wobei man natürlich auch ganz nüchtern sehen muss, dass es den Schiessplatz braucht. Wegen den obligatorischen militärischen ausserdienstlichen Schiessübungen, die Soldaten – und Soldatinnen absolvieren müssen, damit sie nicht völlig aus der Übung kommen und wohlmöglich den Hintern ihres Kameraden treffen, statt die Zielscheibe.) Wie zu erwarten war, stimmte der Stadtrat dem Geschäft mit grosser Mehrheit zu. Die Schützen – und Schützinnen dürfen sich freuen. 

Beim nächsten Traktandum ging es ausnahmsweise nicht darum, Ausgaben zu beschliessen, sondern eine neue Einnahmequelle zu erschliessen (beachtet diese sprachliche Finesse). Der Stadtrat wurde ein Baurechtsvertrag zur Genehmigung vorgelegt. Mithilfe einer PowerPoint  Präsentation zeigte der zuständige Gemeinderat Roberto de Nino (SVP) auf, worum es im Detail geht (wann kommt eigentlich das erste YouTube Video vom Gemeinderat? So ein kurzer, knackiger Vlog, statt ein Haufen voll beschriebener Folien?) 
Der Vertrag bezieht sich auf das Gebiet Steiachermatte. Vor Jahren wurde diese Fläche an die Solar AG verkauft, doch die Firma ging leider pleite, weshalb die Stadt die Fläche wieder zurückkauften musste. Jetzt will der Gemeinderat die besagte Fläche an die  Langenthaler Firma Createch AG im Baurecht abgeben. Das heisst, es findet kein Kauf statt, die Firma bekommt aber das Recht, auf dem Grundstück zu bauen und zahlt dafür einen sogenannten Baurechtszins an die Stadt. Da die Createch AG zu den führenden Unternehmen in Bereich Lasertechnologie gehört, ist nicht zu erwarten, dass die so schnell insolvent werden. Ergo: Ein schöner regelmässiger Batzen in die Kasse der Stadt.

Da die Createch AG die Fläche benötigt, um auszubauen, ist mit neuen attraktiven Arbeitsplätzen für Langenthal zu rechnen. Roberto de Nino verkündet diesen Aspekt dann auch mit der Miene eines Weihnachtsmannes, der gerade Geschenke verteilt. Und er kann noch ein besonders hübsches Geschenk aus dem Sack zaubern: Die Solar AG hat viele Pfählungen (damit sind in dem Fall keine Foltermethoden gemeint, sondern Pfähle, die im Boden stecken, um das Fundament eines Bauwerks zu stützen. Glaub ich.) auf dem Grundstück hinterlassen. Die Createch AG kann einen Grossteil dieser Pfählungen verwenden, weshalb nicht alle entfernt werden müssen. Die Stadt muss also nur 100‘000 Franken zahlen, statt 150‘000, wie ursprünglich veranschlagt worden war. Also haben wir mal eben so 50‘000 Franken Überschuss! Lasst uns eine Party schmeissen!
Nein, eine Party wollte niemand schmeissen, aber natürlich war der Stadtrat sehr angetan von diesem Geschäft. Roland Loser (SP), warf als Sprecher der GPK zwar die Frage in den Raum, wie sinnvoll es sei, fertig ausgearbeitete Verträge in den Stadtrat zu bringen. Im Fall des Kunstrasenfelds für den FC Langenthal hat diese Vorgehensweise dazu geführt, dass das Parlament einen fehlerhaften Vertrag genehmigte. Dennoch stellte er die formale Richtigkeit fest. Paul Bayard (SP) zeigte sich in erster Linie erleichtert, dass der Grund noch im Besitz der Stadt bleibt, denn nach seiner Überzeugung, sollte Boden generell nicht verkauf werden. Patrick Freudiger von der SVP unterstützte das Geschäft ebenfalls und reagierte auf die Überlegungen der GPK. Es mache durchaus Sinn, dass der fixfertige Vertrag ins Parlament käme, betonte er, denn dadurch könne der Stadtrat seiner Aufsichtspflicht nachkommen.


Den scharfen Augen der FDP – Fraktion waren ein paar Fehler nicht entgangen. Sie brachten einige redaktioneller Änderungen zur Sprache, die vom Gemeinderat so entgegengenommen wurden. Die fielen allerdings nicht gross ins Gewicht: Das Geschäft wurde einstimmig angenommen. An diesem Punkt dachte ich ja schon, dass jetzt endgültig Harmonie und Liebe im Stadtrat herrschen würde. Aber dann kam das nächste Traktandum, das die Friedenslämmer plötzlich in reissende Werwölfe verwandelte: Die Teilrevision des Reglements über das Schulwesen in Langenthal. Badam!
Dabei fing es eigentlich ganz nett an. Matthias Wüthrich (Grüne), zuständiger Gemeinderat, meinte zwar, der Titel des Traktandums klänge nun wahrlich nicht prickelnd (welches Traktandum klingt schon prickelnd?), für ihn handle es sich aber um einen wichtigen Meilenstein. Womit er Recht hat, denn es geht in erster Linie darum, ein durchlässiges Schulsystem in Langenthal zu installieren. Bis jetzt ist es in Langenthal so, dass die Schüler – und Schülerinnen ab der siebten Klasse, entweder die Real, die Sekundarschule oder die Spez.Sek besuchen, je nachdem was für einen Notenschnitt sie vorher erreichen. Bei einem durchlässigen System wäre es möglich, dass ein Kind, das in Deutsch und Französisch schlecht steht, aber im Mathe hervorragend ist, in den Sprachfächern auf Realniveau und in Mathematik auf Sekniveau unterrichtet wird. Langenthal gehört zu den wenigen Gemeinden, die noch gar keine Durchlässigkeit kennen.

Es gibt mehrere Varianten, wie diese Durchlässigkeit hergestellt werden könnte. Das sogenannte Modell 3a) würde bedeuten, dass es nach wie vor getrennte Real – und Sekundarklassen geben würde, aber mit Niveauunterricht. Beim Modell 3b) würden die Klassen durchmischt werden. Der Gemeinderat möchte letzteres Modell in Langenthal einführen und dazu braucht es eine Änderung im Schulreglement, die vom Stadtrat genehmigt werden muss. Besagter Stadtrat stellte sich jedoch quer. 

GPK – Sprecher Patrick Freudiger stellte zwar die formale Richtigkeit fest, kündigte aber dennoch einen Rückweisungsantrag an. Insbesondere störte sich die GPK daran, dass es keine vorgängige Stadtratsdiskussion zu diesem Entscheid gegeben hatte. Der Stadtrat hatte nie die Gelegenheit, sich zu der Modellwahl zu äusseren. Auch die Schülerschaft und die Eltern, wären zu wenig in die Modellwahl miteinbezogen worden, kritisierte Freudiger, und die Unterlagen, auf denen der Modellentscheid gründe, seien mangelhaft. Es fehle die Variantenauslegung. Nach diesem Votum war klar: Jetzt werden die Krallen ausgefahren.
Der erste Löwe in der Manege (mit entsprechender Mähne) Sandro Baumgartner (SP), zeigte sich wenig begeistert von Freudigers Kritik. „Langenthal leidet unter schlechtem Schulwesen“, konstatierte er und schob nach, dass er es als unnötig empfinde, dass der Stadtrat sich da jetzt auch noch einmische. Schliesslich hätten Experten die Revision erarbeitet und auf die solle man gefälligst hören. 

Eine Äusserung, die wiederum Pascal Dietrich (FDP) auf die Palme brachte. Und er fand zielsicher die offene Flanke in Sandro Baumgartners Argumentation. „Wenn die SP der Meinung ist, dass man in Zukunft auf Experten hören sollte, könnte man ja auch sagen, dass Experten allein über die Flugzeugbeschaffung im Militär entscheiden sollen“, bemerkte er süffisant. Und Patrick Freudiger doppelte später nach. „Vermutlich hat man einfach auf die Experten gehört, deren Ansichten zu der eigenen Meinung passten“, gab er später zu Protokoll. Die Schulinspektoren, zum Beispiel, habe man gar nicht erst gefragt. Ein Kritikpunkt, der auch von Parteikolleggin Corinna Grossenbacher (SVP) aufgegriffen wurde, die zudem befürchtete, der Sprung von Null – Durchlässigkeit zu absoluter Durchlässigkeit sei zu gross. 

Einen nicht ganz unwichtigen Experten hatte man ebenfalls aussen vor gelassen: Daniel Steiner – Brütsch, ehemaliger EVP – Stadtrat, dessen Postulat überhaupt erst dazu führte, dass man die Einführung eines durchlässigen Schulmodells geprüft hat. Und der sei für das Modell 3a, nicht für Modell 3b, liess Patrick Freudiger verlauten (das muss man erstmal hinkriegen. Aus dem Stadtrat ausscheiden und trotzdem noch irgendwie dabei sein.) Diego Clavadetscher (FDP) wies in seinem Votum darauf hin, dass hier die Gefahr eines Referendums bestünde, wenn man die Eltern einfach aussen vor lässt. Und ein Referendum würde die Einführung des durchlässigen Schulsystems noch weiter nach hinten schieben.
Die linke Ratshälfte wirkte sichtlich genervt, fast schon bestürzt über den Widerstand der Bürgerlichen, zumal auch die EVP/GLP Fraktion deutlich machte, dass sie diese Komepetenzverschiebung von Stadt – zu Gemeinderat nicht dulden würde. Unangenehme Erinnerungen an die verschleppte Schulsozialarbeit kamen hoch. Als dann noch konkrete Anträge gestellt wurden, die den Text der Vorlage so abänderten, dass die Kompetenz der Entscheidung, wieder beim Stadtrat liegt, reagierte Roland Loser (SP) angesäuert. „Man will einfach das Modell 3a durchdrücken“, monierte er und  „und legt jetzt hier fixfertige Anträge vor, von der die SP/GL Fraktion keine Ahnung gehabt hat.“

Auch Gerhard Käser (SP), Schulleiter vom Kreuzfeld 1, echauffierte sich über die Argumentation der Gegenseite. Er war der Ansicht, dass man keineswegs unkalkulierbare Risiken eingehen würde, schliesslich arbeitet man bis zur sechsten Stufe bereits heute mit gemischten Klassen. Und beim Modell 3b würde sich faktisch weniger ändern als beim Modell 3a. Doch die verzweifelten Rufe von Links – Grün blieben ebenso ungehört wie Matthias Wüthrich: Der Stadtrat stimmte dem Änderungsantrag zu. Wobei mir ehrlich gesagt nicht ganz klar ist, was das bedeutet. Ich gehe jetzt mal davon aus, dass im Stadtrat darüber abgestimmt werden wird, welches Modell zum Tragen kommen wird. Erneut hat sich gezeigt: Dieses Parlament lässt sich ungern übergehen. Und wenn’s um Kinder oder Schulen oder Hockey geht, wird’s in Langenthal emotional. 

Im fünften Traktandum ging’s um einen Antrag, der die Erweiterung der Begegnungszone in der Marktgasse wünschte. Ich dachte ja immer, Begegnungszonen seien Fussgängerzonen. Was falsch ist. Begegnungszonen sind Gebiete, in denen langsames Fahren erlaubt ist (warum es trotzdem Begegnungszone heisst: Keine Ahnung. Ist es eine Begegnung, wenn man vom Auto überfahren wird?). Die obere Marktgasse ist komplett fahrzeugfrei, was Janosch Fankhauser (SVP) ein Dorn im Auge ist. Er hoffte, dass durch eine Lockerung dieses Verbots, wieder mehr Leben in die Marktgasse einziehen würde, was auch den Detailhändlern und Beizen helfen würde. Die Motion erlitt Schiffbruch. Nicht nur, weil der Gemeinderat gerade dabei ist, ein Verkehrskonzept zu erarbeiten (Noch ein Konzept! Wir haben ja erst gefühlte 300…), sondern, weil das Stimmvolk schon einmal für eine verkehrsfreie Marktgasse entschieden hat. Diesen Entscheid zu übergehen, sei Zwängerei, hielt Pascal Dietrich fest (Damit hat er eigentlich Recht).

Das nächste Traktandum behandelte eine Motion der SVP zum Thema Personalkostensenkung. Die Diskussion verlief ziemlich technisch, deshalb werde ich sie an dieser Stelle überspringen. Mea culpa. Es ging im Groben darum, dass die Kosteneinsparungen bei der Auslagerung der städtischen IT und ict4kids transparenter dargestellt werden sollen. Die Motion wurde in ein Postulat (eine Art Prüfbericht) umgewandelt und als erheblich erklärt. 

Traktandum 7 war wieder leichter zum Verstehen. Saima Sägesser (SP) hatte eine Motion eingereicht, die vom Gemeinderat die Ausarbeitung eines Ausgangskonzept forderte (für die, die sich nicht mehr erinnern können: Ausgehen war das, was wir vor Corona manchmal am Wochenende taten. Saufen. Tanzen. Feiern. Jemanden die Schuhe vollkotzen. Lustige Sachen halt). Der Gemeinderat kam zum Schluss, dass viele Punkte der Motion bereits mit dem Sicherheitskonzept abgedeckt sind und beantragte, die Motion als nicht erheblich zu erklären.

Saima Sägesser war bei der Sitzung zwar nicht anwesend, ihr Statement wurde aber von Josefine Lüdi (parteilos, SP/GL Fraktion) verlesen. Sie zeigte sich enttäuscht, weil ihre Motion eben nicht nur Sicherheitsaspekte berücksichtigte. Vielmehr ging es ihr darum, die verschiedenen Interessengruppen punkto Ausgang an einen Tisch zu bringen. Insofern hätte, aus ihrer Sicht, auch das Amt für Bildung, Kultur und Sport, Stellung nehmen müssen. Der Stadtrat entschied sich trotz dieser klaren Argumentation gegen die Einführung eines Ausgangskonzept (Come on! Konzepte gehen doch immer!)

Offene Türen rannten Saima Sägesser und ihre Mitstreiterinnen Renate Niklaus (GLP) und Corinna Grossenbacher (SVP) dagegen mit ihrem Postulat zur Gewährung der Sicherheit in der Ausgehzone im Stadtzentrum ein. Seit einiger Zeit sind im Raum rund ums Chrämerhuus Jugendliche unterwegs, die sich nicht immer besonders vorbildlich benehmen. Der Gemeinderat versichert in seiner Stellungnahme, dass er diesen neuen „Hotspot“ auf dem Schirm hat und bereits Massnahmen ergriffen hat. Das Postulat wurde als erheblich erklärt und abgeschrieben. 

Und dann war es auch schon vorbei. Schnell und speditiv könnte man sagen, was zum einen sicher daran lag, dass der Gemeinderat zu vielen Geschäften, im Vorfeld schriftlich Stellung genommen hatte und auf eine Berichterstattung verzichtete. Aber auch der Stadtrat hielt sich kurz! Sie können es also….wenn sie denn wollen. Oder müssen. 

Was sonst noch passiert ist

·         Im Vorfeld hatten alle Teilnehmenden einen genauen Sitzplan erhalten. Trotzdem irrten manch ein Stadtrat und manch eine Stadträtinverwirrt durch den Saal, auf der Suche nach seinem Platz. Reise nach Jerusalem mal anders.

·         In der Halle war es saukalt. Ob das Absicht war, um die Beteiligten zu motivieren, möglichst vorwärts zu machen, sei dahingestellt. Carola Howald (JLL) bekam jedenfalls von Pascal Dietrich noch eine zusätzliche Jacke. Es gibt also doch noch Gentlemen!

·         Eine sportliche Leistung legte Stéphanie Zubler, Sachbearbeiterin Stadtrat hin. Sie rannte jeweils von Rednerpult zu Rednerpult um es blitzschnell zu desinfizieren. Dabei wurde sie auch noch unfreiwillig zum Fotomodell: Für kaum ein Motiv interessierten sich die anwesenden Fotografen so sehr, wie für die putzende Frau Zubler.

·         Paul Beyeler (EVP) desinfizierte seine Hände so elegant, wie sonst niemand. Noch während er den Antrag vorlas, rieb er sich umsichtig die Hände ein. Multitasking!

·         Den Mikrofonen wurden nach jedem Redner und jeder Rednerin, ein frisches Kondom übergezogen (höhöhö. Ich hab Kondom geschrieben!)

·         Stadtratspräsidentin Martina Moser (SP) war perfekt vorbereitet. Sie hatte sogar einen Feldstecher dabei. Mit dem sieht man schräge Vögel bekanntlich besser.


Best of

„Super, haltet ihr euch so kurz, aber für Stéphanie Zubler ist das ein Wahnsinnsworkout.“ Martina Moser hat Mitgefühl für die rasende Stéphanie, die aufgrund der schnellen Voten ziemlich ins Schwitzen kommt. 

„Ich rufe euch zu: Helft uns die Langenthaler Schulen wieder auf ein gutes Niveau zu bringen!“ Sandro Baumgartner (SP) übt schon mal für den nächsten Rütlischwur. Oder für die nächste Predigt in einer Gospelkirche.
„Da stehen mir die Haare zu Berge.“ Gut kann Pascal Dietrich inzwischen wieder zum Friseur.

„Geografie gibt’s nicht erst seit Lehrplan 21, sondern seit Lehrplan 95!“ Gerhard Käser (SP) redet von Geografie, unterrichtet aber im Stadtrat Geschichte.

„Ich bin entsetzt über die Koalition der Verhinderer!“ Naja,  Roland Loser (SP), böse Zungen könnten jetzt sagen, besser eine Koalition der Verhinderer, als eine Koalition der Verlierer...

„Das Volk bekommt bei der Kampfjetabstimmung auch keine Auswahl, ob es jetzt den Hunter oder den FA18 will!“ Wieder Sandro Baumgartner, diesmal mit einem revolutionären Ansatz. Warum Abstimmungsbüchlein, wenn man einen Katalog haben kann?
„Wir haben über uns noch eine weitere Instanz, die uns führt.“ Kurze religiöse Anwandlung bei Diego Clavadetscher (FDP). 

 „Ich bin aus dem Schulalter raus!“ Aber immer noch ein jugendlicher Geist: Urs Zurlinden (FDP). 

„Im Gemeinderat sind auch keine Bildungsexperten!“ Patrick Freudiger (SVP) versetzt dem Selbstbewusstsein des Gemeinderates einen empfindlichen Schlag. Also, gebildet sind sie sicher, mit Verlaub!

„Der Einzelne kann falsch stimmen, die Mehrheit nicht.“ Interessanter philosophischer Ansatz von Janosch Fankhauser (SVP).

„Eigentlich wollte ich der SVP ja hier einen Vortrag halten…“ Jetzt würgt Corona auch noch den redseligen Pascal Dietrich ab!

Das andere Stadtratsprotokoll - Die Ostern - Edition: Der (Fast) Liveticker zur Stadtratssitzung vom 25.3.2024

  Das Vorgeplänkel ·         Hallo und herzlich willkommen zum neuen exklusiven anderen Stadtratsprotokoll, geschrieben wie üblich von e...