Mittwoch, 30. August 2023

Das andere Stadtratsprotokoll - die Zeitschlaufen - Edition (28.8.23)


Das Opening

  • Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe eurer monatlichen Lieblingstelenovela «Der Stadtrat von Langenthal». Für die heutige Episode stehen folgende Titel zur Auswahl «Die Abgründe des niedrigen Steuersatzes», «der Budgetalbtraum, Part 555» und «Die Kindergartenbande – ein philosophischer Kinderfilm». Ihr dürft dann aussuchen, welchen ihr wählen würdet. Oder wir nehmen sie einfach als Staffeltitel oder Prequelname, schliesslich gibt es heute keine Serie mehr ohne ein entsprechendes Prequel, ein Vor – Prequel – und ein Vor – vor – Prequel. Nicht zu vergessen, das Sequel und das nach – Sequel und das nach – nach – Sequel.

  • Ich habe mir kurz vorher den Kopf an einem halb heruntergelassenen Rollo angeschlagen (weil ich zu faul war, ihn ganz raufzuziehen, von daher ist es wahrscheinlich Karma) und irgendwie tut das immer noch ziemlich weh. Es tut mir also ehrlich leid, wenn ich wirres und irritierendes Zeug von mir gebe, ich habe nichts dafür, der Rollo ist schuld, ich habe wahrscheinlich an meiner latenten Gehirnerschütterung (wobei böse Zungen ja behaupten, dass mein Hirn immer durcheinander sei).
     
  • Wir fangen mit was Leichtem an: Ein neues Mitglied für die Finanzkommission wird gewählt, und zwar ist das der Sozialdemokrat Bruno Grossniklaus, Jahrgang 1988 (fast ein 90er Kind), der laut Fraktionsboss Baumgartner gerade einen CS – Kurst abschliesst, der juristische Sachen für Nichtjuristen erklärt (klingt nach einem Lehrgang, den alle im Stadtrat machen müssten, ha, ha, ha. Ja, dann viel Spass im Langenthaler Geldspeicher, Bruno. Möge Dagobert Duck stets mit dir sein.

    Teil 1: Geld macht nicht glücklich... aber es beruhigt

  • Super. Der Finanzplan wird präsentiert. Jetzt weiss ich wieder, warum ich erst gar nicht kommen wollte, es geht heute ja um Geld, Geld und nochmals Geld und um Zahlen, Zahlen, Zahlen. Mich überkommt gerade der Drang, mich aus dem Fenster zu stürzen, aber ich unterdrücke ihn.
     
  • Roberto di Nino erklärt, das Ziel der Stadt sei ein Weight Watchers Defizit. Also, eines das abnimmt, damit wir auch zukünftig Geld zum Fenster rausschmeissen…äh, ausgeben können. Effizienter wollten wir auch werden. Und wir wollen eine Steueranlage, die jeden Schönheitswettbewerb gewinnen würde, also möglichst attraktiv ist. Und einen niedrigen BMI hat. Also, wir wollen einen möglichst niedrigen Setuersatz, der deshalb attraktiv ist. War das verständlich? (Und Schönheitswetteberwerbe sind oberflächlich, einfach, dass ich das hier noch gesagt habe, nicht dass man mir vorwirft, ich würde hier sexistische Klischees verbreiten.

  • Aber unser oberstes Ziel ist natürlich, die steuergünstigste Gemeinde zu bleiben! Warum habe ich gerade das Gefühl, ein Deja – vu zu erleben? Ah ja stimmt, weil ich letztes Jahr GENAU das Gleiche schon mal gehört habe. Wir sind in einer Zeitschleife, Leute, in einer Zeitschleife, wir erleben jetzt immer und immer wieder die gleiche Diskussion und werden nie mehr über was anderes reden.
     
  • Der Gemeinderat hat das Ziel, kein höheres Defizit als 4'000'000 zu machen. Die Finanzkommission hat sich bei einem lustigen Happening namens «Budgetnachmittag» (gibt’s da eigentlich Kekse?) getroffen und mit ein paar Sparvorschlägen das Ziel erreicht. Ein Hoch auf die Finanzkommission, die verhindert, das Langenthal verlumpet.
     
  • Die Erfolgsrechnung schliesst besser ab als letztes Jahr. Rund 1.7 Mio. Noch mehr Applaus. Und das Budget hat auch schon schlechter ausgesehen. Juhu. Lasst die Korken knallen. Und krieg ich jetzt endlich meinen Freizeitpark?
     
  • Personalaufwand nimmt 2024 zu, weil verschiedene Stellen voraussichtlich besetzt werden. Und nächstes Jahr sind ja noch Wahlen, da muss auch mehr Leistung erbracht werden und das kostet halt. Grösste Position ist immer noch der Transferaufwand, das sind Zahlungen an dritte (Bund, Kanton, etc), die natürlich null beeinflussbar sind. Ausser wir würden versuchen den Kanton zu erpressen, indem wir beispielsweise damit drohen würden, uns abzuspalten und einen eigenen Kanton zu gründen (ja, ja, ich glaube an diesen Kanton Oberaargau, ich lasse mir diese Idee nicht mehr ausreden).
     
  • Ertrag: Grösster Ertrag durch Steuereinnahmen (also, das Geld, das ihr eingezahlt habt, ihr lieben Kinderchen), die Langenthaler Wirtschaft floriert, weil wir alle so fleissig giessen. Dividenden werden auch noch ausgeschüttet von der IBL und der Onyx – AG. Das sind unsere Obstbäume, um bei der Gartenmetapher zu bleiben.
     
  • Roberto Di Nino will uns reinen Wein einschenken und zeigt konkret mit Zahlen auf, wie sich die Steuererhöhungen auf die einzelnen Vermögen der natürlichen Personen (also von uns), auswirken. Das ist tatsächlich superpraktisch für Menschen, die unter Dyskalkulie leiden, so wie ich.
     
  • Um die Defizitgrenze nicht zu überschreiten, werden wir trotz Steueranpassungen weiter sparen müssen. Super. Da freue ich mich doch darauf. Zum Glück habe ich schon lange aufgehört, etwas vom Leben zu erwarten, sonst wäre ich jetzt richtig deprimiert. Aber dank der Erhöhungen können wir unseren Finanzhaushalt stabilisieren. Also, der hängt immer noch am Sauerstoffgerät und am Tropf, aber zumindest hat er keinen Kreislaufzusammenbruch mehr (sagt mir, dass meine Metaphern gut sind, ich finde mich gerade ziemlich genial, ehrlich gesagt.)

  • Jaja, wir haben die tiefsten Steuern. Winde Blumenkränze um mein Haupt, tralala und Hoppsesasa. Werde das bei Dates und Bewerbungen zukünftig immer erwähnen: «Hey, ich wohne in der Stadt mit dem tiefsten Steuersatz im Kanton Bern» und dann werden alle vor Ehrfurcht erstarren. De Nino beschwört die Anwesenden, die Langenthaler:innen daran zu erinnern. Ihr könnt ja einfach diesen Blog teilen, dann habt ihr das erledigt (*Schleichwerbung*)
     
  • Der Gemeinderat will Infrastrukturen erhalten. Wow. Überrascht mich jetzt. Ich dachte, der Gemeinderat hat das Ziel, alles verlottern zu lassen, weil es so sexy ist, in einer heruntergekommen Geisterstadt zu leben.
     
  • Defizit 3,85 Milionen, Steueranlage 1.44. So sieht die Zukunft aus. Und vergesst nicht, wer hat die tiefsten Steuern? LANGENTHAL!
     
  • Die GPK zeigt sich ganz angetan von der Arbeit des Gemeinderates – oder zumindest nicht komplett abgeneigt. Sie hatte nur noch einige Fragen, kam aber letztendlich zum Schluss, dass die angestrebte Steuererhöhung in Anbrecht der noch zu tätigenden Investitionen Sinn mache. Also, die Steuererhöhung, die letztes Mal noch eine Katastrophe war, ist jetzt annehmbar. So schnell dreht sich der Wind.
     
  • Diego Clavadetscher (FDP) bringt eine tröstliche Botschaft: Altgediente Mitglieder seien der Meinung, dass die Realität meist besser kommt als geplant (also, meine Realität kommt meist schlechter als geplant, aber vielleicht ist das nur mein ganz persönlich Unglück). Das gebe doch Hoffnung, verkündet er strahlend. Dennoch macht er sich Sorgen wegen der Zunahme von Schulden. Das sei schlecht für zukünftige Generationen, deshalb werde die FDP den höherem Steuersatz diesmal zustimmen. Aufgrund des immer noch sehr miesen Selbstfinanzierungsgrad lägen keine unnötigen Sprünge drin, da komme er zum gleichen Schluss wie der ehrenwerte Finanzminister.
     
  • Agnes Imhof (SP/GL) betont für die Linke noch einmal, dass Sparen alleine nun mal nicht mehr ausreiche und ihre Fraktion nur noch begrenzt Sparmassnahmen sehe. Man müsse mit den Steuern raufgehen aka mehr Einnahmen generieren.
     
  • Der Finanzplan wird zur Kenntnis genommen. Mehr kann der Stadtrat damit auch nicht mehr machen.

    Teil 2: Sie kamen, sie sahen, sie budgetierten

  • Wenden wir uns nun den wichtigen Dingen zu. Der Finanzplan ist ja im Grunde nur ein schönes Gemälde hinter einer Sicherheitsscheibe, das der Stadtrat bewundern oder kritisieren kann, aber beim Budget, da kann er selbst mitkritzeln und mitzeichnen und am Ende stolz seine Signatur daruntersetzen (oder, wie beim letztjährigen Budget, einfach behaupten, dass man eigentlich gar nicht mitgemacht hat und die merkwürdigen Striche darauf sicher nicht von ihm, sondern vom Gemeinderat stammen.)
     
  • Als erstes steht im Raum, ob wir wieder so eine lustige Variantenabstimmung durchführen wollen. Wird der Antrag angenommen, gibt es eine zweite Lesung. Aber wir beraten trotzdem alles durch. Oh ja, bitte macht, dass es eine zweite Lesung gibt, ich habe in diesem Jahr definitiv viel zu wenig über das Budget geredet, ich möchte unbedingt noch viel mehr darüber reden!
     
  • Patrick Fluri (SVP) erklärt, die Steuererhöhung sei nötig, aber sie komme nur durch, wenn der Wille zum Sparen wirklich da sei und davon spüre man zu wenig bei der Stadt, bemängelt er. Er wünsche sich mehr Unternehmertum. Deshalb stelle seine Fraktion zwei Anträge: Eine zur Variantenabstimmung und eine für eine zweite Lesung. Mir erschliesst sich die Logik, dass die Menschen viel lieber mehr Steuern zahlen, wenn sie dafür weniger Leistung erhalten, nicht ganz, aber ich bin ja bekanntlich auch linksversifft.
     
  • Diego Clavadetscher (FDP) erklärt, seine Fraktion unterstütze mehrheitlich die Erhöhung der Steueranlage (vielleicht sollte jemand den Bürgerlichen Fieber messen. Irgendwas läuft mit denen heute seltsam), allerdings würden die Stimmberechtigten diese Auffassung möglicherweise nicht ganz teilen, zumal der Abstimmungstermin wieder eher unglücklich ist, weil an dem Datum keine kantonalen oder nationalen Abstimmungen stattfinden (also, Abstimmungen, deren Ausgang die Menschen tatsächlich interessieren würden). Ansonsten zeigt er sich sanft konsterniert darüber, dass manche der Kürzungen, die der Stadtrat noch beim letzten Budget erfolgreich durchgebracht hat, nun wieder unter den Tisch gefallen sind. Und er nutzt seine Redezeit, um erneut auszuführen, dass der ganze Budgetprozess unglücklich angelegt sei, denn «politische Entscheide werden gefällt, ohne dass der Stadtrat Einfluss darauf nehmen kann.» Aufgrund dieser systemischen Voraussetzungen sei man also gezwungen «Konfrontativ miteinander zu ringen.» Wow. So schön hat noch niemand ausgedrückt, dass man vorhat, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen.
     
  • Die Mitte – Links Gang stehen hinter dem Budget, wobei es sich Gang Boss Sandro Baumgartner (SP) nicht nehmen lässt, noch einmal darauf hinzuweissen, dass es sich ja exakt genommen gar nicht um eine Steuererhöhung handelt, sondern vielmehr um eine Zurückführung auf den Steuerfuss aus dem Jahr 2010. Auf dieses Statement hin, schiebt sich Diego Clavadetscher so viel Ovo Schokolade in den Mund, als müsse er sich damit davon abhalten, zu einem weiteren Vortrag anzusetzen.
     
  • Martin Lerch (SVP), der ja irgendeinen Rang im Militär bekleidet (ich habe gerade vergessen welchen, aber ziemlich was Hohes) liefert uns dann freundlicherweise noch eine komplette Risikoanalyse, die ich gerne für euch rekapituliere: Erstens, die Stimmbevölkerung hat zweimal eine Steuererhöhung abgelehnt und der Stadtrat riskieren innerhalb von gerade mal elf Monaten eine dritte Ablehnung. «Will man wirklich sehenden Auges gegen eine Mauer zu knallen?», ruft Martin Lerch dem Stadtrat zu. Naja, vielleicht öffnet sich so ja das Tor zu Gleis 9 ¾ und um Hogwarts sehen zu dürfen, würde ich sogar mehr Steuern zahlen. Wirklich.
     
  • Weiter führt Lerch aus, sei es in der Schweiz eigentlich Konsens, dass man nach Abstimmungen eine gewisse Schonfrist einhalte bevor man mit demselben Anliegen wieder vors Volk gehe (ausser man bringt das gleiche Anliegen unter anderem Namen, wie es die SVP seit Jahren tut, dann ist es natürlich vollkommen okay) und die wirtschaftliche Situation der Bürger:innen habe sich nicht geändert und sehe nun einmal nicht gerade rosig aus. Ausserdem sei die Steuererhöhung keineswegs alternativlos, denn nichts im Leben ist alternativlos. Ausser sterben. Irgendwie habe ich den Teil verpasst, in dem er erklärt, welche Alternativen wir denn genau haben, um das strukturelle Defizit loszuwerden. Verkauf des Glaspalasts an irgendeinem verrückten Schlosssammler? Ja, es ist kein Schloss, aber wenn wir es ein wenig aufpeppen, geht es vielleicht als solches durch.
     
  • Diesmal steht die SVP aber ziemlich alleine da. Mike Sigrist (EVP) erklärt betont nüchtern, Risiken gebe es immer und ja, sicher auch immer Alternativen – nur seien die halt nicht immer sinnvoll. Selbst Pascal Dietrich (parteilos), letztes Jahr noch ein vehementer Gegner der Steuererhöhung, ist nun Team Steuersatz 1.44, denn die wirtschaftliche Lage habe sich inzwischen entspannt. «Und bei den Investitionen, die wir machen wollen, brauchen wir die Erhöhungen.» Variantenabstimmungen erachtet er als eher ungesunde Entwicklung bei Budgetdebatten, eine Haltung, die Nathalie Scheibli (SP) teilt. Sie redet zudem dem Stadtrat ins Gewissen, sich für dieses Budget einzusetzen, den höheren Steuersatz der Bevölkerung gegenüber offen zu vertreten und sich auch, wenn nötig dafür aus dem Fenster zu lehnen. Aber seid bitte vorsichtig, das ihr nicht rauskippt, das wäre schade um euch.  
     
  • Der Antrag auf Variantenabstimmung wird abgelehnt. Das erspart uns beim Ausfüllen, die damit einhergehende Ratlosigkeit, was genau wir da jetzt eigentlich ankreuzen sollen. Aber vielleicht habe nur ich damit Probleme, ich kann ja bekanntlich nicht so gut mit Demokratie umgehen.
     
    Teil 3: Worüber reden wir nochmal?
     
  • Kein Budget ohne zahlreiche Anträge. Eigentlich darf die SP ihre präsentiere, doch deren Chef, Sandro Baumgartner fragt lieber Patrick Freudiger (SVP), ob er die Anträge, vortragen möchte, worauf Freudiger, leicht irritiert, mein, er präsentiere lieber seine Anträge, als die der SP. Aber eigentlich fände ich das eine gute Idee, um das gegenseitige Verständnis im Stadtrat zu fördern. Vor der Sitzung werden jeweils die Anträge getauscht und jeder muss mal einen Antrag der anderen Parteien vortragen und versuchen, ihn durchzubringen. Das wäre wichtig für das gegenseitige Verständnis!
     
  • Die SP will mehrere Positionen streichen und das dadurch gesparte Geld für die Entlastung von Lehrpersonen (andere Städte nennen es auch Schulsozialarbeit) zur Seite legen. Niemand zeigt mehr Freude über den plötzlichen Sparwillen der Linken als Patrick Freudiger (SVP), der geradezu verzückt ist und sich so äussert, als sei die SP ein Haufen unerziehbarer Teenager, der sich für einmal richtig benimmt.
     
  • Die gute Stimmung erhält einen Dämpfer, als die Diskussion unterbrochen wird, weil niemand so richtig weiss, welche Positionen die SP/GL Fraktion jetzt genau einsparen will, bzw. was genau sich hinter denen von ihnen angegeben Konten verbrirgt. Gemeinderat Roberto di Nino (SVP) zeigt sich «überrascht darüber», dass die Antragsstellenden gar nicht wissen, wo sie sparen wollen, die Antragsstellenden – also, die SP/GL Fraktion – hält dagegent, dass sie ja schliesslich auch nie  wissen, was die anderen genau einsparen wollen und am Ende stimmen trotzdem alle der Kürzung zu. Hoffen wir, dass irgendjemand auf der Verwaltung weiss, was er jetzt da einsparen muss.
     
  • Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung mehr, von was wir da eigentlich reden, aber der Stadtrat hält immer einstimmig die Karten hoch, wahrscheinlich weil es ihnen völlig egal ist, wo wir sparen, Hauptsache es wird gespart. Aber schön zu sehen, wie der Gemeinderat völlig entnervt die Konten raussucht, damit zumindest der Anschein gewahrt wird, als wüsste irgendjemand, um was es geht.
     
  • Es entspinnt sich eine Diskussion um die sogenannte Besoldungsreserve. Patrick Freudiger (SVP) stösst sich daran, dass diese im Budget mit einer höheren Teuerung berechnet wird, obwohl diese für dieses Jahr wahrscheinlich niedriges ausfallen wird. Diego Clavadetscher (FDP) kann seinen Kollegen beruhigen, er sei mit derselben Frage zum Gemeinderat gegangen (mit denen kann man offenbar tatsächlich reden) und der habe ihn versichert, dass nur die effektive Höhe der Teuerung angepasst werden würde, nicht die prognostizierte. Deshalb hilft die die FDP für einmal nicht mit beim bekannten SVP - Spiel «Wie sorgen wir dafür, dass gar niemand mehr auf der Verwaltung arbeiten will?» Der Antrag wird folglich abgelehnt.
     
  • Der Wirtschaftslunch wird auch weggekürzt – richtig, wurde da nie eingeladen, ist ein Skandal, ich will auch essen und Champagner trinken und wenn ich nicht kann, sollen die anderen auch nicht – und diesmal wissen wenigstens alle, von was wir reden, deshalb kommt die Abstimmung diskussionslos durch. Kein Wirtschaftslunch mehr. So traurig. Nicht.
     
  • Ach ja, und das Budget für die Bundesfeier soll gekürzt werden. Ja, sorry, das ist wegen mir so hoch, meine Gage, wisst ihr, und dann musste die Stadt die Leute auch noch für meine bodenlos freche Rede entschädigen, deshalb ging das ins Geld und jetzt müssen sie meine Scharte auswetzen und eine Riesenparty schmeissen, damit die Leute sich wieder beruhigen, was noch einmal teurer wird. Tut mir echt leid.
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  • Nein, Spass, ich habe kein Geld dafür bekommen. Nur einen riesigen Geschenkkorb. Den ich schon leer gefuttert habe, nebenbei bemerkt. Aber die nächste Bundesfeier wird bescheidender ausfallen. Und ohne mich, ihr könnt also wieder hingehen.
     

    Teil 4: Jobs, Jobs, Jobs…oder auch nicht.

  • Eigentlich will der Gemeinderat neue Stellen schaffen, doch da hat er die Rechnung ohne Patrick Freudiger (SVP) gemacht, der sich klar gegen die Schaffung neuer Stellen ausspricht. So wie es die Finanzkommission im Vorfeld bereits getan hat, bevor der Gemeinderat den Beschluss wieder gekehrt habe, was die Steuerzahlenden rund 1 Mio. kosten wird.  Freudiger mahnt, der Gemeinderat habe sein selbst gestecktes Finanzziel nur deshalb erreicht, weil er die IBL – Dividende erhöht hat. Vor diesem Hintergrund sei es nun mal nicht richtig, neue Stellen zu schaffen. «Man muss das Notwendige vom Wünschbaren trennen», so Freudigers Mantra. Das ist ein guter Spruch, den könnte man zum Beispiel bringen, wenn das Kind rumtrotzt, weil es unbedingt ein Spielzeug haben will.
     
  • Diego Clavadetscher (FDP) spricht der SVP seine Unterstützung aus. Man wolle niemanden Lohn wegnehmen, sondern lediglich das Wachstum einschränken. Ich möchte den Moment nutzen, um kurz die Ironie dahinter zu bewundern, dass das Finanzamt wahrscheinlich keine neuen Stellen bewilligt kriegt, wegen fehlender Finanzen. Das ist fast schon tragisch, aber zumindest komisch.
     
  • Es ist jetzt halb zehn und wir dümpeln immer noch bei den einzelnen Kostenstellen rum und jetzt gibt es noch ein Sitzungsunterbruch, weil die SP/GL Fraktion nicht einfach so Handgelenk mal Pi über so viel Geld verfügen will. Sandro Baumgartner (SP) verkündet schliesslich freudestrahlend, dass seine Fraktion die Anträge der SVP teilweise unterstützen wird und hat einen kurzen innigen Moment mit Patrick Freudiger, der eifrig nickt und sich – wahrscheinlich zum ersten Mal seit Ewigkeiten – begeistert über das Votum eines SPlers zeigt.
     
  • Übrigens wissen manche der Anwesenden gar nicht, was diese Stellen eigentlich beinhalten würden. Vielleicht bin ich ja blöd, aber hätte man diese Stellenbeschreibungen dem Stadtrat nicht vor dieser Debatte vorlegen können? So wegen Effizienz und so? Ist es nicht komisch, Stellen bewilligen zu lassen, ohne die Leute darüber zu informieren, was das für Stellen sind? Ich meine, das könnte ja alles sein. Tomatenpflücker:innen. Büroklammerverbieger:innen. Zimmerpflanzenabstauber:innen. Die Palette ist unendlich.

  • Ich habe glaub selten so eine wirre Abstimmung gesehen. Frage mich, ob überhaupt noch einer der Anwesenden die Übersicht hat, über welche Konten man überhaupt abstimmt oder ob wir schon längst beim Zufall angekommen sind. Zum Glück verlangt niemand von mir, dass ich das genau protokolliere, ich kann hier ja schreiben, was ich will. Jedenfalls entscheidet sich der Stadtrat gegen die Stellen. Wow, der Stadtrat ist wirklich sparwillig und macht Nägel mit Köpfen. Das ist doch ganz ein anderes Bild als noch vor einem Jahr, wo viel gesagt, aber wenig gemacht wurde. Es wird immer noch viel gesagt, aber wenigstens auch einiges gemacht. Und wenn wir in dem Tempo weiter fahrend sind wir vielleicht vor 12 zuhause.

  • Spass. Never sind wir vor 12 zuhause.
     
    Teil 5: Back to the Future
     
  • Weil heute der Abend ist, wo gefühlt alles, was schon einmal aufs Tapet gekommen ist, nochmal durchackern, stellt die Mittelinksgang (ja, ich mag den Namen und SP/GL und EVP/GLP Fraktion ist so lang, also gewöhnt euch daran) den Antrag, die Kulturlegi wieder einzuführen, was sie – wir erinnern uns, schon einmal mittels Vorstoss versucht haben. Ist auch eine Strategie. So lange fragen, bis die Leute so entnervt sind, dass sie einfach zustimmen.
     
  • Das hat sich jetzt richtig gelohnt. Die Abstimmung geht genau gleich aus, wie schon beim letzten Mal, erneut gibt es im Stadtrat ein Patt, wieder gibt Michael Schenk den Stichentscheid und wieder geht die Kulturlegi deswegen unter. Man kann aber sagen, dass der Stadtrat sich zumindest treu bleibt und offenbar nicht innerhalb weniger Monat seine Meinung wechselt.
     
  • NOCH MEHR ANTRÄGE, ich kann nicht mehr, kann mir bitte jemand eine Fritteuse hinstellen, damit ich wahlweise Pommes Frites drin machen kann oder einfach meinen Kopf reinstecken kann, um diesem Elend ein Ende zu machen, ich will keine Kostenstellen mehr hören, das ist Tierquälerei. Selbst der Beamer ist gelangweilt und schläft ein.
     
  • Im Stadttheater soll gespart werden (auch das hatten wir schon mal). Weil das viel teurer ist, als ursprünglich angedacht ist und das Parlament eigentlich schon mal gesagt hat, dass hier gespart werden soll, wie Diego Clavadetscher (FDP) ausführt. Ausführungen, die er übrigens nur deshalb tätigen kann, weil er selbst Recherche betrieben hat, denn in den Grundlagenakten hat er keine tieferen Informationen gefunden und die GPK bekam laut seiner Aussage, zwar weitere Auskünfte, diese bezogen sich aber auf das laufende Jahr, nicht auf das nächste. Zudem moniert er, dass sie lange auf Antworten gewartet hätten, die Antworten sich aber nicht auf die gestellten Fragen bezogen hätten. Naja, wahrscheinlich weil sie lieber über andere Sachen reden wollten, als die GPK, was verständlich ist, ich zum Beispiel würde auch lieber über die Leben von Goethe und Schiller reden als über Geld, aber ich werde zugegebenermassen auch finanziell nicht von der Stadt unterstützt.
     
  • Diego Clavadetscher (FDP) eröffnet den Anwesenden dann auch, wieso die Angaben des Stadttheaters nicht besonders hilfreich gewesen wären. So sei es vollkommen irrelevant über wie viele Plätze das Stadttheater verfügt, relevant seien die Einnahmen. Weil, Stühle zahlen normalerweise keinen Eintritt. Zudem seien die Zahlen zu spät geliefert worden und die entscheidenden Grössen hätten gefehlt, so dass man mehrere Stunden investieren musste, um überhaupt zu Ergebnissen zu kommen. Ausserdem wundert er sich darüber, dass das Stadttheater zwar mit abnehmenden Zuschauerzahlen rechnen, aber trotzdem höhere Ausgaben veranschlagt. Vielleicht sind die Zuschauer: innen, die kommen, ja einfach besonders anspruchsvoll.
     
  • Falls es wen interessiert: Das Stadttheater hat laut eigenen Angaben 17'000 Gäste willkommen geheissen. Darin eingerechnet sind aber auch Zuschauer: innen, die gar nichts für ihr Vergnügen gezahlt haben. Die effektive Zuschauerzahl beläuft sich, laut Zählrahmen Diego Clavadetscher auf 10'000, was laut dem FDP – Stadt keine beeindruckende Zahl sei. Das ist relativ. Wenn mir 10'000 Leute zusehen würden, fände ich das ehrlich gesagt schon sehr beeindruckend.
     
  • Am Ende muss das Stadttheater Federn lassen. Wobei die SVP uns wieder daran erinnern, dass sie ohnehin vor Jahren gegen die Luxussanierung des Stadttheaters gewesen sind. Ich bin froh, dass sie das regelmässig erwähnen, ich habe manchmal Angst, dass ich es vergessen könnte. Genau wie das mit dem NIEDRIGSTEN Steuersatz im ganzen Kanton Bern. Wir dürfen aber gespannt sein, ob das Stadttheater und das Amt für Kultur und Sport die Einsparungen diesmal annehmen, oder sie einfach wieder geflissentlich ignorieren, so wie die letzten Male, ganz nach dem Motto, was kümmert mich das Geschwätz des Stadtrats, ich mache hier Kunst!

    Teil 6: Lustig ist das Stadtratsleben

  • Jetzt sind so viele Kürzungen durchgekommen, dass die SP direkt wieder Lust bekommt, Geld auszugeben. Wobei eigentlich wollen sie umverteilen. Das, was dank ihren Anträgen eingespart werden soll, soll in die Entlastung der Lehrpersonen fliessen. Andere Städte nennen das Schulsozialarbeit, aber in Langenthal ist das ein böses Wort, deshalb sprechen wir es nicht laut aus.
     
  • Das Anliegen erntet Sympathien, was wohl auch an den Voten der Fraktionssprecher: innen liegt, die mit eindringlichen Worten klarmachen, dass die Situation sich verschlechtere. «Es ist, als würde es brennen und wir haben nicht genug Feuerwehrleute», erklärt Cornelia Gerber – Schärer und inzwischen sei es so, dass die Lehrkräfte nicht davonlaufen, sondern gar nicht erst kommen würden. Und, so warnt sie, zu lange zuwarten würden sich das irgendwann rächen.
     
  • Patrick Freudiger (SVP) stört sich an der fehlenden Rechtsgrundlage. Als Kompromiss schlägt Diego Clavadetscher (FDP) vor, man könne den Betrag ja mal provisorisch einstellen und die Diskussion, ob die Erhöhung nötig sei, ein anderes Mal führen. Ein Platzhalter, bis ein Reglementsbeschluss vorliegt. Freudiger wirkt immer noch nicht begeistert. Statements wie «lassen wir die Juristerei, stimmen wir einfach pragmatisch ab» sind wahrscheinlich ein Stich in sein Juristenherz, aber schlussendlich setzt sich die Ratslinke mit Hilfe der FDP durch, das Geld wird erst einmal auf dem Konto bereit gestellt. Aber noch nicht ausgegeben.
     
  • Möchte erwähnen, dass es jetzt bald 11 Uhr nachts ist und wir immer noch nicht durch mit dem Budget sind. Warum genau, hat die Sitzung eigentlich erst um 19:00 angefangen, wenn so viele Anträge eingereicht wurden? Vorspiegelung falscher Tatsachen nenne ich das.
     
  • Aber hey, der Stadtrat hat das Defizit tatsächlich verringert. Und er stimmt dem Budget zu. Dem Budget mit dem NIEDRIGSTEN Steuersatz im Kanton Bern! Allerdings hat er dafür fünf Stunden gebraucht und eigentlich stünden da ja noch Kindergärten auf dem Programm. Also, wirkliche Kindergärten, ich will dem Stadtrat keineswegs unterstellen, dass er sich wie ein Kindergarten benimmt.
     
  • Pascal Dietrich (parteilos) will die Sitzung abbrechen, doch relativ viele Stadträt:innen und auch der Stadtratspräsident wollen durchziehen, schliesslich sei man auch schon bis morgens um zwei dran gewesen. Ja, klar, und das ist super erstrebenswert, weil ja sicher niemand müde oder hungrig ist, sagt mal, seid ihr wahnsinnig, ich muss das Ganze noch ins Reine schreiben und ich bin bald alleinerziehende Katzenmama, ich kann nicht mehr bis in die Puppen aufbleiben, etwas Rücksicht auf das Lama bitte, ich habe HUNGER, HUNGER und mein Arsch tut weh, wieso quält ihr mich so???
     
  • Ganz knapp wird dem Ordnungsantrag zugestimmt. Danke, Stadtrat, ich liebe euch.
     
  • Über die Kindergärten wird bei einer spontan einberufenen Stadtratssitzung nächste Woche abgestimmt. Leider bin ich da nicht dabei, ich muss arbeiten. Ich glaube nicht, dass ich da sonderlich viel verpasse, ich finde Bauvorlagen ehrlich gesagt immer sterbenslangweilig. Und mein Hintern muss sich jetzt erstmal von diesen Strapazen erholen. Aber wenn es euch interessiert, geht zuschauen, mit etwas Glück wird sich eine Diskussion über Sinn und Unsinn der Zentralisierung von Kindergärten ergeben und das ist immer unterhaltsam.
     
  • Und vergesst nicht: Wir leben in der Gemeinde mit dem NIEDRIGEN Steuersatz im ganzen Kanton Bern!!!

 

Best of Stadtrat

 

«Zumindest seid ihr jetzt alle wach.» Michael Schenk (SVP, Stadtratspräsident), als die Anlage erst nicht funktioniert, dann mit einem Knall zum Leben erwacht und seine Stimme wie die Stimme Gottes durch den Raum hallt.

 

«Robert di Ninio.” Neues Pseudonym für Roberto di Nino, ausnahmsweise nicht von mir, sondern von Martin Lerch (SVP).

 

«Es ist nun wirklich nicht meine Art, dem Gemeinderat übermässig Kompetenzen zuzuschanzen.» Pascal Dietrich (parteilos) eilt der bedrängten Exekutive zur Hilfe und niemand ist davon überrascher als er selbst.

 

«Ihr wollt also eine Position einsetzen, für die gar kein Beschluss vorliegt – oder genau genommen sogar ein gegenteiliger Beschluss. Aber ich würde bald sagen, das passt zum heutigen Abend.» Roberto di Nino (SVP), mit seiner Version von «Macht doch, was ihr wollt.»

 

«Sandro Baumgartner…äh Roland Loser…ihr seid beide so schwarz angezogen.»

«Naja, ist ein trauriger Tag heute.» Roland Loser (SP) zeigt sich für einmal nicht nur kleidungstechnisch eher düster.

 

«Den Boomern finanzieren wir die Kultur, die Jungen sollen selber schauen.» Fabian Fankhauser (GLP) und das Boomer – Trauma seiner Generation.

 

«Über was stimmen wir nochmals ab?» Das fragen wir uns alle, Sandro Baumgartner (SP).

 

«Ich rede auch lieber zu euch, wenn ihr noch frisch seid.» Nathalie Scheibli (SP) mag den Stadtrat lieber, wenn er frisch aus dem Ofen kommt.

 

«Du hast hier gar nicht zu gähnen, du willst schliesslich unbedingt weitermachen, du hast kein Recht dazu!» Franziska Zaugg – Streuli (FDP) zu Fraktionsgspännli Diego Clavadetscher, der im Gegensatz zu ihr, sich noch ein wenig länger durch die Stadtratssitzung quälen möchte.

 


Donnerstag, 3. August 2023

Die etwas andere 1. August - Rede

 

Also, erst einmal: Es tut mir leid. Für euch. Ihr hättet es verdient, dass eine Bundesrät:in hier eine Rede hält oder zumindest eine echte Autorin. Und was bekommt ihr? Mich. Eine griesgrämige Bloggerin, die ihre Zeit damit verbringt, gepflegte Bösartigkeiten über Stadt – und Gemeinderat zu verbreiten. Kennt ihr das Märchen von Dornröschen, wo ganz am Anfang, die dreizehnte Fee die Party crasht? Das bin ich!

Ich kann euch aber beruhigen: Diese «Festrede» wird so, wie Beziehungen mit mir nun mal sind. Anstrengend, aber schnell vorbei.

Aber ich freue mich sehr, darf ich diese Rede heute halten, denn das war ehrlich gesagt schon immer ein Traum von mir. Früher, als ich noch ein kleines durchgemobbtes Kind war, dachte ich immer: Dési, wenn du einmal eine 1. August – Rede halten darfst, dann hast du es geschafft, dann hast du wirklich etwas erreicht in deinem Leben…oder du bist Politikerin geworden.

Kurz nach der Anfrage bin ich allerdings in Panik geraten, weil mir bewusstwurde, dass ich sehr wenig über Schweizer Geschichte weiss. Tatsächlich habe ich in meinem ganzen Leben nur ein einziges Schweizer Geschichtsbuch gelesen:  Globi und Wilhelm Tell.

Im Vorfeld habe ich mir deshalb ein Buch namens «die Geschichte der Schweiz» zu Gemüte geführt und habe erfahren, dass wir mal so ein richtig krasses Kriegervolk waren. Fast so ein bisschen Wikinger. Wir haben erobert! Vor allem die Berner, die haben sich ja alles unter den Nagel gerissen, was nicht bei drei auf dem Baum war. Ganz extrem waren zum Beispiel die Haslithaler, die wollten zwischendurch sogar einen eigenen Kanton gründen (warum sind wir nie auf die Idee gekommen? Kanton Oberaargau, das wäre es doch!)  

Und wir waren berühmt dafür! Armeen haben dafür bezahlt, dass Schweizer Söldner auf ihrer Seite kämpfen!

Heute sind unsere kämpferischen Fähigkeiten nicht mehr so gefragt. Das Einzige, was wir heute noch bewachen, ist der Papst. Und wer will den denn schon ernsthaft umbringen? Erstens, liegt sein…nennen wir es mal natürliches Ablaufdatum jetzt nicht in so weiter Ferne und zweitens kommt da ja immer ein neuer, der zwar anders heisst, aber exakt so aussieht wie der vorherige.

Aber wir müssen ja auch nicht kämpfen, wir sind neutral. Momentan wird darüber viel diskutiert: Neutralität, ist das noch zeitgemäss, ist das heldenhaft, ist das pazifistisch…ich finde, Neutralität ist wie der Kampf gegen den Klimawandel: Gesunder Selbsterhaltungstrieb. Mal ehrlich, unsere Armee dient doch vor allem dazu, jungen Menschen das Denken ab – und das Rauchen anzugewöhnen. Die männliche Schweiz hat uns Frauen wenigstens einmal was Gutes getan: Als sie uns die Wehrpflicht erspart haben.

Wir haben vielleicht nicht die beste Armee der Welt, was wir aber haben, ist die beste Demokratie der Welt. Direkte Demokratie. Was für eine Errungenschaft. Wir, also die einfachen Bürger:innen, dürfen mithelfen unser Land runtzerzuwirtschaften…äh, ich meine, zu gestalten. Grossartig. Aber ganz ehrlich: Manchmal finde ich direkte Demokratie schon anstrengend. Also, jetzt nicht, weil die Abstimmungsvorlagen so kompliziert wären. Ich war nur einmal intellektuell überfordert, dann als es Kuhhörner ging. Nein, was mich regelmässig an meine Grenzen bringt, ist dieses BESCHISSENE ABSTIMMUNGSCOUVERT!

Ich meine, ich bin jetzt wirklich kein aggressiver Mensch, aber diese Dinger, ich schwöre, wer hat sich das ausgedacht? Da reisst du voller Euphorie das Couvert auf, weil du so heiss darauf bist, deine Meinung abzugeben und dann merkst du, du hast schon alles falsch gemacht, weil man dieses Couvert ja nicht normal öffnen darf. Und wenn du es dann geschafft hast, alles auszufüllen und pünktlich abzuschicken, hast du zwei Tage später dein Stimmcouvert wieder im Briefkasten, weil du Dödel es dir nämlich selber zugeschickt hast.

Was mich auch stört an der direkten Demokratie: Du bekommst nie Feedback. Du weisst gar nicht, ob du es richtig gemacht hast. Vielleicht fülle ich seit Jahren meine Stimmunterlagen so kreuzfalsch aus, dass sie immer ungültig sind. Und ich weiss es einfach nicht.

Gut, zur Not haben wir auch noch Parteien. Die wären theoretisch für das seriöse Politisieren zuständig. Man merkt nur gerade nicht so viel davon, denn jetzt ist Wahljahr, darum drehen sie alle wieder durch. Die FDP setzt auf künstliche Intelligenz. Naja, man arbeitet halt mit dem, was man hat. Wenigstens ist das Wahlprogramm der FDP einfach zu verstehen: Wir kümmern uns um euch. Ausser ihr seid arm, krank oder alt, dann schaut bitte selbst zu euch!

Die Grünen heulen rum, weil sie immer noch keinen Bundesratssitz haben. Wahrscheinlich dauert es nicht mehr lange, bis sie sich aus Protest gegen diese Ungerechtigkeit ans Bundeshaus pappen.  Und die Mitte…keine Ahnung was die Mitte eigentlich so treibt, die sind halt irgendwie auch mit dabei und quäken zwischendurch «wir sind weder links noch rechts», was ein bisschen so rüberkommt, wie wenn ich meinen Arbeitgeber versichern würde, ich sei zwar stinkfaul, aber immerhin weder drogenabhängig noch gewalttätig. Die GLP dagegen will den Klimawandel mit Technologie bekämpfen. Also, mit Technologie, die noch gar nicht erfunden worden ist. Und die soziale Ungerechtigkeit beseitigen wir mithilfe von Einhörnern.

Die SVP benimmt sich zusehends wie so ein überaus cholerischer und antiquierter Grossvater, den man zu grossen Anlässen im Keller versteckt, damit er nicht wieder was Unpassendes sagt. Wobei, sie werden auch oft falsch. Sie haben zum Beispiel nicht explizit etwas gegen Muslime. Sie können einfach grundsätzlich nicht verstehen, wie man überhaupt einen anderen Gott als Christoph Blocher anbeten kann. Denn schliesslich hiess es schon in der Herrliberg Bibel: Du sollst neben mir keine anderen Götter ehren!

Die SP ist das Gegenteil der SVP, nämlich ein schlimm pubertierender Teenager: Sie sind entweder gerade wegen irgendwas sehr traurig oder sehr wütend. Und wenn jemand was Falsches zu ihnen sagt, ziehen sie sich gerne schmollend in die Ecke zurück oder reisen spontan nach Bali, um sich wieder selbst zu finden und über die Schlechtigkeit der Welt nachzudenken. Falls Sie aber Angst davor haben, die SP könnte ihre Drohung vom Klassenkampf wahrmachen und eine Revolution anzetteln, kann ich Sie beruhigen: Das wird nicht passieren, denn wenn die Revolution nicht in einem geschützten Raum, ohne Konsumzwang, mit genau gleich viel Frauen wie Männern und unter Einbezug aller Minderheiten stattfindet, machen wir da sowieso nicht mit.

Dass die Linken sich nicht mehr um die Arbeitnehmenden kümmern, ist allerdings gelogen. Das beweist die JUSO, die will nämlich die 25 – Stunden Woche einführen. Die 42 Stunden Woche werde den Bedürfnissen der Menschen nicht gerecht. Ich bin ehrlich beeindruckt. Also, nicht von der Forderung, sondern davon, dass die JUSO weiss, dass wir die 42 Stunden Woche haben. Irgendjemand muss ihnen das erzählt haben, denn aus eigener Erfahrung können sie es ja nicht wissen.

Arbeit ist uns Schweizer:innen sehr wichtig. Es gibt da diese philosophisch angehauchte Frage: Arbeiten wir, um zu leben oder leben wir, um zu arbeiten? In der Schweiz fragen wir uns das nicht, wir wissen, wir arbeiten, damit wir die Krankenkasse bezahlen können, damit die wiederum unsere regelmässigen Aufenthalte in der Burn – out Klinik bezahlen können. In der Schweiz existiert sogar noch Kinderarbeit. Heute heisst es einfach «Papiersammlung.» Man sollte meinen, die Schule habe den Auftrag, den Kindern dabei zu helfen ein Rückgrat zu entwickeln und nicht, es ihnen zu brechen.

Ich wurde als Kind in der Schule ohnehin nachhaltig traumatisiert. Es fällt mir heute noch schwer, öffentlich darüber zu reden, aber ich…ich…ich war ein Bonne Chance Kind! Überdrehte Puppen namens Pierrot et Pierrette wurden auf mich losgelassen, um mir Französisch beizubringen. Das war verstörend. Französisch habe ich auch nicht gelernt, dafür weiss ich immer noch, dass der Hund von Familie Chatalain Merlot hiess und die Katze Minette. Gut, die heutigen Schüler:innen sind noch ärmer, die wurden mit dem Mille Feuilles unterrichtet dran und wissen nicht einmal, dass das, was sie gelernt haben, Französisch sein soll.

Dabei wäre Französisch so schön. In der Schweiz sprechen wir ohnehin nur schöne Sprachen. Französisch, italienisch, rätoromanisch…und Schwyzerdütsch. Das ist reine Poesie. Mal ehrlich, was ist das schnöde und kalte «ich liebe dich» gegen ein beherztes «i ha di gärn»? Und den zärtlichen Ausdruck «es Gspüri ha» könnte nicht einmal Goethe angemessen übersetzen. Wobei das schönste schweizerdeutsche Wort hat mir meine Grossmutter beigebracht, damals, als ich noch ein kleines Mädchen war. «Schaffseckel.»

Meine Eltern brauchten dann recht lange, um mir beizubringen, dass «Grüezi, Schafseckel» keine angemessene Begrüssung von Fremden ist.

Schwyzerdütsch wird ungerechterweise im Ausland oft belächelt. Nichts ist schlimmer, als deutsche Komiker:innen, die unseren Dialekt nachahmen und dabei Worte wie «Fränkli» verwenden. Als würde irgendjemand von uns «Fränkli» sagen. Ausserdem wir uns ja gerne nachgesagt, wir seien so «unterkühlt.» Bitte, wie lächerlich ist denn das? Wir sind nicht «untergekühlt», wir sind ein sehr emotionales Volk und grosse Romantiker, wir verheiraten sogar unsere Banken.

Aber gut, die meisten Länder meinen ja auch, das Zürich unsere Hauptstadt ist. Die Hauptstadt der Schweiz ist, natürlich, Langenthal. Und kommt mir jetzt nicht mit Bern. Die haben vielleicht das Bundeshaus, aber wir, wir haben den Glaspalast, ist ja sonnenklar, wer von uns der wahre Mittelpunkt der Schweiz ist. Schade, begreift das ausser uns niemand so wirklich, denn der Oberaargau ist in der Schweiz das, was der Osten in Deutschland ist: Nationale Aufmerksamkeit bekommen wir nur dann, wenn wir mal wieder Nazis ins Parlament wählen.

Aber die Schweiz ist schon schön. Ich mag an der Schweiz sogar Dinge, die andere nicht mögen. Zum Beispiel SRF. Viele beklagen sich über das Schweizer Fernsehen, so von wegen, es sei zu links oder zu rechts oder zu langweilig, aber ganz ehrlich, SRF trifft mich mindestens einmal im Jahr fest ins Herz.

Dann, wenn ich die Serafe Rechnung bekomme.

Nein, ehrlich, SRF hilft mir sehr im alltäglichen Leben. Zum Beispiel mit dem Literaturclub. Als Buchhändlerin bin ich verpflichtet, mir jede Sendung anzusehen. Damit ich weiss, was ich meinen Kund:innen ganz bestimmt nicht empfehlen werde. Schweizer Literatur lässt sich ohnehin in zwei Kategorien unterteilen. Krimis – rein literarisch wird bei uns so munter gemordet, wenn das wirklich so wäre, müsste die SVP sich nicht in die Hosen machen, von wegen «10 Millionen Schweiz» - und Bücher, die lassen bei dir das Gefühl zurück, dass es vielleicht besser wäre, sich gleich in die Aare zu stürzen und dieses Dasein zu beenden, weil eh alles sinnlos ist.

Bei der Literatur haben wir durchaus Verbesserungspotenzial. Und wisst ihr, wo wir noch Verbesserungspotential haben? Bei der Nationalhymne. Ich meine, sorry, dieser Schweizer Psalm? Was will der denn aussagen? Hurra, wir sind die Schweiz, wir haben Sonnenaufgänge, manchmal aber auch Nebel und egal was für Wetter ist, wir bleiben fromm und beten zu Gott? Und dann die Melodie… ich bezweifle das die Eidgenossen zu einer solchen Melodie in den Kampf gezogen wären, weil dazu kann man nicht marschieren. Dazu geht höchstens Ausdruckstanz.

Dabei gebe es bessere Alternativen. Wie wäre es denn zum Beispiel mit etwas Fetzigem wie «Wenn eine tannige Hose het?» Das verbreitet doch gleich gute Laune! Oder «s’Vogelisi»? Wir könnten auch was Modernes nehmen, wie zum Beispiel «D’Wnuss vo Bümplitz». Oder irgendöppis vom Baschi…wobei lieber nicht, diese Texte kann man nur singen, wenn man bekifft ist.

Doch warum in die Ferne schweifen, wo das Gute so nah ist? Es gäbe da bereits eine sehr schöne Hymne, die perfekt zu uns passen würde: Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum! Deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt, alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt.

 

Ja, ja, ich weiss, was ihr jetzt sagt: Ihhh, Eurohymne, was soll das, die EU ist böse, wir wollen nicht in die EU! Aber was wäre, wenn nicht wir Teil der EU werden, sondern die EU - Teil von uns? Versteht ihr, wir fragen die europäischen Länder einfach, ob sie sich nicht uns anschließen und zu Kantonen werden wollen. Und die kämen wahrscheinlich sogar, weil wir haben das, was der EU fehlt: Geld. Wäre das nicht geil? Wir müssten dann nicht immer alle über Ostern ins Tessin runterrasen, wir könnten dann einfach im Kanton Griechenland oder im Kanton Schweden chillen. So viele Probleme wären gelöst. Die Linken wären endlich Teil von Europa, wie sie es sich immer gewünscht haben und die SVP müsste sich nicht mehr über Ausländer:innen aufregen, weil das wären dann ja alle Schweizer:innen.

 

Wenn wir dann diese neue große Schweiz haben, brauchen wir natürlich eine neue Regierung dafür. Eine kompetente Regierung. Das heißt alle Männer scheiden schon einmal aus. Es heißt ja schließlich auch „die Schweiz“ und nicht „der Schweiz“. Und eigentlich würde ja auch eine Frau reichen, oder? Eine kluge, weitsichtige, vielseitig talentierte Frau als neue Königin Helvetia. Bescheiden und demütig. Ich will mich nicht aufdrängen, aber ich…ich hätte Zeit. Ich hätte genau den richtigen Groove dafür. Lama I. Königin von Langenthals Gnaden, Herrscherin über die Schweiz…das klingt doch gut.

 

Und wisst ihr, was das Erste ist, was ich machen würde? Ich würde diese SCHEISS ABSTIMMUNGSCOUVERT ABSCHAFFEN! Statt abzustimmen, könnt ihr eure Zeit mit was viel Besserem verbringen: Mir zu huldigen. Wer ist cool und unwiderstehlich, welche Untertanen sind selig?

 

Also, denkt immer daran, wenn ihr euch über diese schrecklich langsame Demokratie in der Schweiz, die nervigen Wahlen  und die unfähigen Politker:innen ärgert

 

Es könnte schlimmer sein. Ihr könntet auch mich haben.

 

Schöne 1. August.

 

 

 

 

Das andere Stadtratsprotokoll - Die Ostern - Edition: Der (Fast) Liveticker zur Stadtratssitzung vom 25.3.2024

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