Montag, 30. Dezember 2019

Die prägenden Persönlichkeiten des Stadtrates 2019




Während des politisch intensiven Jahres hatten die Stadträte und Stadträtinnen ausreichend Gelegenheit sich in Szene zu setzen. Und manche von ihnen taten das so ausgiebig und genüsslich, dass sie einen eigenen Blogeintrag verdient haben…wobei, vielleicht sollte man eher sagen: Sie haben sich einen eigenen Blogeintrag eingehandelt. 

Der Ungestüme

Egal ob Stadtratspräsident, Gemeinderat oder auch mal die eigene Partei: Janosch Fankhauser, Fraktionssprecher der SVP überfährt sie alle mit seiner unbändigen Energie. Wenn er sich erst einmal Schwung geholt hat, kann ihn so schnell nichts mehr bremsen. So entriss er dem sichtlich erstaunten Patrick Freudiger (SVP) das Zepter und wollte gleich selbst eine Abstimmung durchführen („Wer sich mir anschliessen will, der hebe die Hand!“). Auch die Krone für das wohl längste Votum überhaupt, gebührt wohl ihm: Ganze elf Minuten dauerte sein ausuferndes Statement zum Thema Klimanotstand. Einen Redenotstand braucht das Parlament auf jeden Fall nicht zu fürchten, so lange Janosch Fankhauser dabei ist.

Der Besonnene

Quasi das Gegenstück zum quirligen SVP – Fraktionspräsidenten ist sein linkes Gspännli Roland Loser. Der Fraktionssprecher der Sozialdemokraten lässt sich nicht so schnell von einer Diskussion mitreissen und behält stets einen kühlen Kopf. Allerdings, auch er kann ganz schön bissig werden, etwa, bei der Diskussion ums Behördenreglement, als seine SP angegriffen wurde, von wegen, normalerweise seien die ja auch dagegen, wenn sich in der Privatwirtschaft die CEOs ihre Löhne selbst erhöhen würden. Das liess Loser nicht auf sich sitzen und seine Entgegnung in Richtung SVP war ungewohnt scharf („Das ist anders als in der Privatwirtschaft, wo EURE CEOs sich selbst willkürlich Boni ausschütten!“) Ansonsten ist Loser eigentlich immer tiefenentspannt. Sogar wenn es um sein Herzensthema ging, den SCL, bewies er einen kühlen Kopf – vielleicht liegt es ja an den regelmässigen Besuchen im Eisstadion.

Die Amazonen

2019 war das Frauenjahr, das war auch in Langenthal zu spüren. Der Frauenstreik trieb die Frauen in die Marktgasse und im Stadtrat sorgten vor allem zwei Frauen dafür, dass das Thema Gleichberechtigung nicht einfach unter den Teppich gekehrt wurde: Saima Sägesser (SP) und Beatrice Lüthi (FDP). Erstere ist noch nicht so lange im Stadtrat und politisiert klar links, letztere ist eine erfahrene Stadträtin auf bürgerlicher Seite. Gemein ist ihnen jedoch: Sie setzen sich vehement für eine bessere Vertretung der Frauen in politischen Gremien ein. So erreichte eine Allianz aus der Ratslinken, den FDP Frauen und ein paar solidarischen FDP Männern, dass in Zukunft auf eine angemessene Vertretung von Frauen in den Kommissionen Rücksicht zu nehmen ist. Derselbe Passus steht jetzt auch in der Geschäftsordnung des Stadtrates.

Auf jeden Fall hielten die beiden Damen den Stadtrat auf Trab. Sie beharrten auf das konsequente Verwenden der weiblichen Form (und sorgten damit bei manchen Stadträten für grammatikalische Verwirrung), widersprachen vehement den Männern, wenn diese sich herablassend über das „Genderzeug“ äusserten und scheuten sich nicht, den einen oder anderen mit wohlplatzierten Spitzen kräftig auf die Zehen zu treten. Wenn die zwei sich auf ihre Pferde schwingen und in die Schlacht reiten, geht man(n) besser in Deckung.


Der Pointierte

Manchmal hatte man beinahe das Gefühl, der Gemeinderat zucke im Plenum zusammen, wenn er an das Rednerpult trat: Pascal Dietrich von der FDP, nahm kein Blatt vor den Mund und kritisierte die Exekutive scharf, wenn die in seinen Augen „Gugus“ fabrizierte. Auch den scharfzüngigen Stadtpräsidenten, wies er in seine Schranken, als dieser etwas gar flapsig wurde („Es ist nicht nötig zu sticheln, Reto Müller!“). Egal ob er sich nun für den SCL ins Zeug legte, als Sprecher der GPK auftrat oder erklärte, dass man aus seiner Sicht das hässliche Mühlesilo ruhig sprengen könnte, seine Statements gehörten eindeutig zu den Unterhaltsamsten und sorgten stets für den richtigen Pfeffer. Und manches Mal schaffte es Pascal Dietrich mit seiner geradlinigen Art, komplizierte Inhalte für das Stadtratspublikum verständlich zu machen. Dafür ist das Lama ebenso dankbar, wie für das zuverlässige Liefern von spritzigen Sprüchen  - schliesslich braucht es das für das Best of.

Die Exakten

Wären die beiden Herren Indianer, würde ihr Kriegsname wohl „Adlerauge“ und „Häuptling Rechtssicherheit“ lauten: Paul Beyeler von der EVP und Diego Clavadetscher von der FDP, nehmen es gerne sehr genau. Während es sich Ersterer zur Aufgabe gemacht hatte, redaktionellen Fehler in Reglementen oder Abstimmungsbotschaften auszuspähen – inklusive Kommafehlern – war es Letzterem besonders wichtig, dass aus juristischer Sicht alles hieb – und stichfest war.
Ihr Hang für genaue Formulierungen und klare Verhältnisse, sorgten für manche detaillierte Beratung. Niemand widmete sich so hingebungsvoll sämtlichen Eventualitäten wie Diego Clavadetscher und keiner studierte die Akten wohl so genau wie Paul Beyeler. Zumindest weiss der Stadtrat, dass mit diesen beiden kein Komma je am falschen Platz stehen wird. Und würde man Fleisskärtchen verteilen, hätten die beiden zweifellos schon einen ganzen Karton davon verdient.

Die Greta

Die Greta von Langenthal ist eigentlich ein Greto. Serge Wüthrich von den Grünen lieferte an der letzten Stadtratssitzung eine Performance ab, die Regula Rytz vor Neid hätte erblassen lassen. Leidenschaftlich und kühn beschwor er den Rat, etwa gegen den Klimawandel zu unternehmen. Für dieses engagierte und wohlformulierte Votum gab’s sogar Applaus von der anwesenden Klimajugend – Greta hat einen Verbündeten in Langenthal. 

Der Tätschmeister

Er war zweifellos dieses Jahr die prägende Figur des Stadtrats, schon von Amtes wegen: Stadtratspräsident Patrick Freudiger (SVP) hielt die Zügel fest in der Hand und peitschte die Geschäfte durch den Stadtrat. Im Bestreben alles zu erledigen, nahm er auch die eine oder andere Monstersitzung in Kauf. Hin und wieder konnte man sich des Eindruckes nicht erwehren, dass der ambitionierte Stadtratspräsident auch die eine oder andere Essenspause gerne etwas gekürzt hätte, um noch speditiver sein zu können. Wer braucht schon Nahrung, wenn er auch einen schönen, politischen Schlagabtausch haben kann? 

Wohl auch aufgrund seines ausgezeichneten juristischen Hintergrunds behielt er auch in den kompliziertesten Debatten die Übersicht und liess dabei auch immer wieder Humor aufblitzen. Es stellt sich jetzt die Frage, wie er im nächsten Jahr als einfaches Stadtratsmitglied politisieren wird. Ob er wohl seine Vorliebe für Wortspielereien beibehält („Wir sind überzeugt, dass es mit Herrn Bircher kein Müsli geben wird.“)

Sonntag, 29. Dezember 2019

Ein Jahr als Lama



Das Jahr neigt sich dem Ende zu und damit beginnt auch der offizielle Countdown voll mit sentimentalen und dramatischen Rückblicken, unterlegt mit epischer Filmmusik und pathetischen Kommentaren. Nun, was SRF kann, kann ich auch, also kommt ihr nun in den Genuss eines lamatastischen Jahresrückblicks. 

Ein ganzes Jahr lang habe ich jede Stadtratssitzung besucht (mit einer Ausnahme: Die erste habe ich verpasst, weil ich das Datum falsch im Kopf hatte, wofür ich mich in den Hintern hätte beissen können) und manches Mal wurde ich von Leuten gefragt, wieso ich mir das freiwillig antue. Nun, ich will nicht lügen: Manchmal wenn ich mich um drei Uhr morgens durch meine Notizen kämpfte und versuchte daraus einen Fliesstext zu basteln oder mich mit zunehmender Verzweiflung bemühte, das neue Wahl – und Abstimmungsreglement zu raffen, fragte ich mich das auch. Und wenn ich mich an schönen Sommerabenden in das stickig heisse Ratszimmer setzte, statt mich mit einem Buch auf den Balkon zu fläzen, da überlegte ich mir hin und wieder schon, mir ein anderes Hobby zuzulegen – zum Beispiel Golfen oder Segeln, wobei beides wohl an meiner Unsportlichkeit scheitern würde. 

Im Grossen und Ganzen jedoch, fand ich den Stadtrat wunderbar unterhaltsam und spannend. Ich verfolgte die emotionale und leidenschaftliche Debatte um den Unterstützungsbeitrag an den SCL Nachwuchs, die gar Fraktionen spaltete und mir deutlich machte, dass das Thema Eishockey in Langenthal nicht so unumstritten ist, wie ich das lange Zeit annahm, sondern dass es da durchaus auch kritische Stimmen gibt. Jene unterlagen im Stadtrat knapp, nach einer hitzigen Diskussion wurde der Unterstützungsbeitrag schliesslich gutgeheissen. Das wiederum führte zu einem Referendum, so dass nun die Langenthaler Bevölkerung darüber befinden kann, ob die Stadt dem SCL Nachwuchs finanziell unter die Arme greift oder eben nicht. Als es dann darum ging, den Text fürs Abstimmungsbüchlein abzusegnen, gerieten sich die Stadträte und Stadträtinnen erneut in die Haare. Streitpunkt war, ob das Referendumskomitee zu viel Platz zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Einer der Stadträte wollte sogar den Text gleich eigenmächtig abändern,  ein ungewöhnliches Ansinnen, das schlussendlich abgeschmettert wurde. Der letzte Akt dieses Dramas ist allerdings noch nicht über die Bühne gegangen, das Grande Finale steht noch aus. Nur wird das nicht vom Stadtrat, sondern vom Volk geschrieben werden. 

Die Nachwehen, die dieses Geschäft ausgelöst hat, sind beeindruckend. Neben dem Referendumskomitee hat sich auch noch eine andere Gruppe formiert: Operation Eissport, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den SCL politisch zu stützen und seinen Anliegen auf Social Media Gehör zu verschaffen. Langweilig wird es dieser Operation auch nach der Abstimmung über das Referendum nicht werden, denn da ist ja noch das neue Eisstadion, das im Stadtrat ebenfalls wieder für rote Köpfe sorgte. Wobei, eigentlich war es das alte Stadion, das den Blutdruck einiger Stadträte – und Stadträtinnen in die Höhe trieb.

Das Problem war Folgendes: In das alte Stadion müsste noch einmal investiert werden, denn bis das neue Stadion steht (was durchaus noch einige Jahre dauern könnte), muss der Eisbahnbetrieb irgendwie aufrechterhalten werden. Dafür, und für die Überbauungsordnung des neuen Stadions (das bis jetzt nur in der Fantasie der Langenthaler – und Langenthalerinnen lebt und für das man, bis jetzt, gerade mal einen Standort gefunden hat) beantragte der Gemeinderat einen Rahmenkredit von 2,25 Millionen Franken und legte diesen den Stadtrat zur Genehmigung vor. 

Doch der zeigte sich zögerlich und widerspenstig. Die GPK fand nicht, dass die beiden Dinge – Investition ins alte Stadion, Planungsgeld fürs neue Stadion – wirklich zusammengehören, weshalb sie die formale Richtigkeit des Geschäfts in Frage stellte. Insbesondere wurde kritisiert, dass der Gemeinderat die Akten, die sie der GPK versprochen hatten, nicht rechtzeitig lieferte und so wichtige Informationen fehlten. Aufgrund dieser Mängel beantragte die GPK eine zweite Lesung. Sie hatten, wenn auch knapp, Erfolg damit.  Das Geschäft wird im nächsten Jahr noch einmal aufs Tapet kommen – hoffentlich mit allen gewünschten Akten. Dadurch verschiebt sich auch die geplante Volksabstimmung über die Zukunft Eissport. 

Der Stadtrat befindet sich bei dieser Sache in der berühmten Zwickmühle. Das neue Stadion und der Eissport liegen vielen Langenthaler und Langenthalerinnen im Herzen und der SCL hat Macht und Einfluss. Es geht auf die Wahlen zu, das heisst, manche Stadträte – und Stadträtinnen werden sich hüten, unpopuläre Entscheide zu treffen. Aber es geht nun einmal um viel Geld, in einer Zeit, in der die Stadt schon sehr viel investiert (ICT4Kids, ESP Bahnhof) und so steht die Frage im Raum, wie verantwortungsvoll es ist, noch einmal ein Grossprojekt aufzugleisen. Kann man sich immer über das Budget beklagen und dann doch weiter fröhlich auf Einkaufstour gehen? Und wahrscheinlich wird sich auch manches Stadtratsmitglied die Frage stellen, wie sinnvoll es ist, noch einmal Geld in ein Gebäude einzupumpen, das angezählt ist. Da die Geschäfte jetzt jedoch untrennbar miteinander verwoben sind (wer der Bauordnung für das neue Stadion zustimmt, sagt auch ja, zum Erhalt des alten), wird dem Stadtrat wohl nichts anderes übrig bleiben als in den sauren Apfel zu beissen. So oder so: Bei der zweiten Lesung werden sie Farbe bekennen und entweder Ja oder Nein zum Rahmenkredit sagen müssen. Man darf gespannt sein (ich persönlich glaube, dass es ein „Ja“ werden wird. Der Stadtrat wird das Eisstadion wohl kaum versenken. 

Neben dem Stadion gab es noch andere Themen, die den Stadtrat auf Trab hielten. Zum Beispiel die Revision von zahlreichen Reglementen. So beugte sich der Stadtrat auch über das Wahl – und Abstimmungsreglement, das schon seit längerer Zeit einige Lücken aufweist. Wirklich begeistert zeigte sich niemand vom Werk. Wohlmöglich war man auch einfach zu ambitioniert. Im Bemühen jede juristische Eventualität zu berücksichtigen und den Wählerwillen so exakt wie möglich abzubilden, ist ein Flickenteppich entstanden, so
O – Ton Stadtrat. Besser ein Flickenteppich, als kalte Füsse dachten sich die Stadträte – und Stadträtinnen schliesslich, und winkte das Reglement nach zahlreichen Änderungsanträgen schliesslich durch.

Dabei legte der Stadtrat erstaunlich viel Risikofreude an den Tag, denn um einen heiklen Punkt bei der neuen Wahlordnung durchzupauken, riskiert er sogar eine Auseinandersetzung mit dem Amt für Gemeinden – und Raumordnung (kurz AGR oder wie ich es nenne: Oger). Grund dafür sind die neuen Bestimmungen nach denen in Zukunft die Gemeinderatswahlen stattfinden sollen. Das Reglement sieht dabei vor, dass die Stimmen, die auf den Stapi entfallen, als ungültig gelten. Eine ungewöhnliche Regelung, die der Gemeinderat so nicht wollte, eben weil sie einen Rechtsstreit mit dem AGR nachziehen könnte. Der Stadtrat schlug die Warnungen in den Wind und beharrte auf diesen Absatz. Und auch das Stimmvolk hiess das Reglement gut (also zumindest der mickrige Teil, der tatsächlich an der Abstimmung teilgenommen hat). Jetzt ist die Frage, ob das AGR wirklich ernst macht. Wenn ja, darf sich die Stadt mit ihnen auf juristischem Weg darüber streiten. Eine andere Variation wäre, dass jemand aus dem Stimmvolk Beschwerde einreicht. Auch das ist vorstellbar. So oder so: Mit der Mission ein einfaches, unkompliziertes und unantastbares Wahl – und Abstimmungsreglement zu fabrizieren, ist der Stadtrat gescheitert.

Eine erbitterte Schlacht führte der Gemeinderat mit dem Stadtrat bei der Überarbeitung der Geschäftsordnung des Stadtrates (die festlegt, welche Kompetenzen der Stadtrat hat und wie er sich zu benehmen hat). Schon in der ersten Lesung des Geschäfts hatte der Stadtrat seinen Machtanspruch deutlich gemacht. So haben sie durchgebracht, dass bei Motionen neu nicht mehr der zuständige Gemeinderat, sondern der Motionät das Schlusswort hält und dass der Gemeinderat ein Geschäft nicht mehr zurückziehen kann, wenn erst einmal Eintreten beschlossen wurde. Zudem verlangte das Parlament Akteneinsicht, ohne diese, wie bisher, explizit einfordern zu müssen und das Recht, selbst externe Fachpersonen hinzuziehen zu dürfen, sollte die GPK Fragen an diese haben. Auch in der zweiten Lesung räumte sich das Parlament selbst weitere Kompetenzen ein. So wird in Zukunft die GPK über die Anstellung des Stadtratssekretärs oder der Stadtratssekretärin entscheiden. Egal welche Einwände der Gemeinderat ins Feld führte: Der Stadtrat zerpflückte sie. Das Parlament will mitgestalten, mitentscheiden und den Gemeinderat an die kurze Leine nehmen.

An der heftig geführten Diskussion rund um die neue Geschäftsordnung lässt sich leicht ablesen, wie angespannt das Verhältnis der Legislative zur Exekutive zuweilen sein kann. Der Gemeinderat hat zwangsläufig einen Informationsvorsprung gegenüber dem Stadtrat, weil er die Geschäfte vorbereitet, sich intensiv damit auseinandersetzt und auch auf Fachpersonal zugreifen kann. Dennoch braucht er den Stadtrat, um Geschäfte durchzubringen. Deshalb muss er dafür Sorge tragen, diesen zu überzeugen. Und das scheint sich in Langenthal schwierig zu gestalten. Die Fülle an zweiten Lesungen, die im letzten Jahr beantragt wurden, sprechen dafür, genau wie die immer wieder vom Stadtrat angeprangerten Kommunikationsschwierigkeiten. Und tatsächlich haben Stadt – und Gemeinderat eine seltene Begabung dafür, aneinander vorbeizureden. Oder gar nicht zu reden. Während des letzten Jahre konnte ich mich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass man sich manche Interpellation und auch die eine oder andere Eingabe hätte sparen können, wenn man einfach mal direkt beim Gemeinderat nachgehakt hätte (und zwar immer dann, wenn die berühmte Wendung „Der Stadtrat rennt beim Gemeinderat offene Türen ein“ fiel.)

Bei der Überarbeitung des Behördenreglements kam es zu keiner erneuten Ehekrise von Legislative und Exekutive, dafür verliefen für einmal die Parteilinien sehr klar. Während die Anträge der SVP auf eine schlanke und kostengünstige Verwaltung  abzielten, wollte die SP ein möglichst familienfreundliches Reglement. Obwohl die einzelnen Anträge zum Teil heiss umkämpft waren, schlussendlich konnte der Stadtrat ein modernisiertes Reglement verabschieden.

Auch sonst gab es durchaus nicht nur zähe Verhandlungen, nein, hin und wieder fielen den Stadträten – und Stadträtinnen auch die Früchte ihrer harten Arbeit in den Schoss. Der ESP Bahnhof wurde vom Traum zum konkreten Projekt,  die Schulen bekommen eine topmoderne Informatik, die Stadt neue Parkuhren und die Fussballer ihr neues Kunstrasenfeld. Und am Ende streiften sogar noch die grossen Themen der Weltpolitik durch das Städtchen: Ein Jugendpostulat forderte die Ausrufung des Klimanotstands. Die anwesenden Klimaaktivisten – und Aktivistinnen konnten sich freuen. Zwar mussten sie ihre mitgebrachten Kartonschilder draussen lassen, der Stadtrat erklärte das Postulat trotz fehlender Sprechchöre als erheblich. Und eigentlich ist es ein hübscher Jahresabschluss. Ein Anliegen von der Strasse wurde in den Rat getragen und aufgenommen. Wenn das mal nicht gelebte Demokratie ist.

Abschliessend lässt sich sagen, dass es ein intensives Jahr war. Im Ratszimmer wurde manches Mal gestritten und gefaucht, aber auch viel gelacht und gewitzelt. Freunde wurden zu Feinden und Feinde zu Freunden, wer sich eben noch bis aufs Blut bekämpft hatte, lag sich plötzlich wieder versöhnt in den Armen und schwor sich ewige Treue. Es gab Zeiten, da entblätterte sich vor den Augen der staunenden Betrachterin ein wahrer Abenteuerroman und dann wieder wurde es so langweilig, dass sie aufpassen musste, nicht über ihren Notizen einzuschlafen. Auch das ist Stadtpolitik, mal ist sie stürmisch und aufregend und dann wieder eher eine Valium Tablette.

Jetzt werde ich hin und wieder gefragt, was ich denn von der Arbeit des Stadtrats halte. Nun wäre es zweifellos etwas vermessen als Laie Manöverkritik zu üben, zumal die meisten Menschen im Stadtrat erheblich mehr Lebenserfahrung und auch wesentlich mehr politisches Wissen ihr Eigen nennen. Ich erlaube es mir trotzdem (Schliesslich bin ich ein Lama, ich schere mich nicht um Konventionen). Wenn ich einen Wunsch äussern dürfte, dann der, dass der Stadtrat im kommenden Jahr vielleicht auf den einen oder anderen juristischen Exkurs verzichtet und nicht immer alles so rabenschwarz malt, sondern positiv und mutig in die Zukunft schreitet. Man kann nicht auf jedes Unglück vorbereitet sein.

Eines kann man dem Stadtrat auf jeden Fall nicht vorwerfen: Dass er die ihm gestellten Aufgaben nicht ernstnehmen oder leichtfertig mit der Macht umgehen würde. Dass so viel diskutiert wurde, ist für mich ein gutes Zeichen – auch wenn es bedeutete, dass manch eine ohnehin schon lange Sitzung, noch später fertig wurde. Auch die Art und Weise wie einander begegnet wird, habe ich als positiv wahrgenommen. Der Umgang miteinander war trotz aller Differenzen freundlich und zum Glück zeigte der Stadtrat immer wieder viel Humor. Das macht das Zuhören leichter. Und ich bin immer der Meinung, dass sich verhärtete Fronten am Schnellsten durch Lachen lösen.

Ich persönlich habe in den Stadtratssitzungen viel gelernt – nicht nur im Bereich der Kommasetzung. Manchmal kann man eine Entscheidung besser nachvollziehen, wenn man sich alle Argumente angehört hat – nicht nur die der eigenen Partei. Und ganz abgesehen davon: Ich war nie besser über das politische Geschehen in Langenthal informiert. Manchmal, wenn ich an einer der neuen Parkuhren vorbeigehen, möchte ich sie umarmen, ihr einen Kuss geben und seufzen: „Ich war dabei, als du entschieden wurdest.“

Jetzt bin ich gespannt auf das Jahr 2020, das schon allein deshalb spannend wird, weil es ein Wahljahr ist. Und wenn’s cho wähle chunnt, ticken die Uhren auch in Langenthal anders.

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Das andere Stadtratsprotokoll - Die Ostern - Edition: Der (Fast) Liveticker zur Stadtratssitzung vom 25.3.2024

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