Sonntag, 6. Dezember 2020

Es grünt so grün

 

Ich will mich ja nicht allzu sehr brüsten, aber die Wahlen in Langenthal sind tatsächlich mehr oder wenig so ausgegangen, wie ich vermutet habe – wobei wohl die meisten mit diesem Ausgang gerechnet haben, von daher ist es jetzt auch nicht so die Spitzenleistung, dass ich nicht allzu sehr danebengelegen habe. Die grüne Welle hat auch Langenthal erwischt – spannend wird sein, welche Auswirkungen sie im Parlament haben wir.

Die Grünen können auf jeden Fall stolz sein auf ihren Wahlsieg. Sie haben einen Sitz dazu gewonnen, obwohl zwei Bisherige – darunter der erfahrene Serge Wüthrich – nicht zur Wiederwahl angetreten sind. Mit Fanny Zürn wurde zudem eine sehr junge Vertreterin des Klimastreiks gewählt, was man als deutliches Zeichen werten kann, dass sich auch die Langenthaler*innen über den Klimawandel Gedanken machen und sich eine ökologische Politik wünschen.

Zum zweiten Mal in Folge wären die Grünen stark genug, um eine eigene Fraktion zu bilden. Vor vier Jahren haben sie sich noch dagegen entschieden und erneut mit der SP zusammengespannt. Es ist gut möglich, dass sie sich erneut dafür entscheiden, unter dem Aspekt, dass die Linken geeint den Bürgerlichen besser die Stirn bieten können. Allerdings könnte es aus meiner Sicht für die Grünen durchaus auch eine Chance sein, eigene Wege zu gehen, ihre Positionen auch im Stadtrat deutlich zu machen und die Unterschiede zur SP hervor zu streichen. 

In den letzten vier Jahren geschah es nicht allzu oft, dass ein grüner Vertreter oder eine grüne Vertreterin* ans Rednerpult trat. Das ist bedauerlich, weil ich glaube, dass die Menschen von Langenthal durchaus interessiert daran wären, die grüne Stimme zu vernehmen. Vielleicht ändert sich das ja jetzt, wo gleich drei Neugewählte die Reihen der Grünen füllen.

Auch was die Gemeinderatswahlen betrifft, konnten die Grünen einen schönen Erfolg verbuchen. Matthias Wüthrich, vor vier Jahren noch eher reingerutscht, wurde glanzvoll wiedergewählt. Das ist besonders bemerkenswert, weil Wüthrich keine einfache Legislatur hinter sich hat. Bildungspolitische Vorlagen hatten einen schweren Stand im Parlament und führten oft zu emotionsgeladenen Debatten, die er nur schwer zu lenken vermochte. Das von ihm und der Schulkommissionen angestrebte komplett durchlässige Schulmodell wurde von den Bürgerlichen abgeschmettert und gegen ein weniger durchlässiges eingetauscht. Und auch die Umstellung auf das System der Betreuungsgutscheine wurde in die zweite Lesung geschickt, was deren Einführung wiederum verzögert. Inzwischen dürfte Wüthrich der Umgang mit dem widerspenstigen und widerspruchsfreudigen Parlament wahrlich gewöhnt sein.

Zumindest was die Gemeinderatswahlen betrifft, kann auch die SP zufrieden sein. Zwar kandidierte niemand gegen Stapi Reto, daher musste er nicht um die Wiederwahl bangen. Das Resultat eines Stadtpräsidenten dient in diesem Fall jedoch auch immer als Barometer für die Zufriedenheit der Bevölkerung. Reto Müller erhielt 3053 Stimmen. Damit steht ein Grossteil der Wählenden hinter dem Sozialdemokraten. Allerdings gingen 603 Stimmzettel leer ein, 283 waren ungültig. Diese leeren Stimmzettel dürften zumindest zum Teil von Menschen stammen, die sich daran störten, keine Auswahl zu haben, aber wohl auch von enttäuschten Wähler*innen, die nicht zufrieden sind mit der sozialliberalen Politik Reto Müllers. Für ihn wird es in den nächsten Jahren nicht unbedingt leichter werden, eine linke Politik in den bürgerlich dominierten Gemeinderat zu tragen, umso mehr, weil er den hohen Anspruch hat, möglichst ein Stapi für alle zu sei. Gerade der Fall Porzi wird in den nächsten Jahren zur Bewährungsprobe von Reto Müller. Vorerst kann er sich aber über den Rückhalt in der Bevölkerung freuen und gestärkt in die neue Legislatur starten.

Ein hervorragendes Resultat verbuchte auch SP – Gemeinderätin Martina Moser. Obwohl sie erst seit kurzem in Amt und Würde ist, hat sie nach Reto Müller das zweitbeste Resultat auf der Gemeinderatsliste erzielt. Ohnehin sprach sich das Volk klar für Rot – Grün aus. Die gemeinsame Liste von SP und Grüne ergatterte mit Abstand die meisten Stimmen. Wohl auch ein Resultat der grünen Welle.

Aber eben, es ist eine grüne Welle, keine rote Welle. Das bekam die SP bei den Stadtratswahlen zu spüren. Die Sozialdemokraten verloren einen Sitz. Allerdings dürfte der Verlust einigermassen verkraftbar sein. Zum einen, weil ja dafür die Grünen zulegen konnten, die ja die natürlichen Verbündeten der SP sind, zum anderen weil ihnen zumindest eine Abwahl erspart blieb, dadurch, dass drei Amtierende zurückgetreten sind. Von diesen freigewordenen Sitzen konnten die Sozialdemokraten nur zwei mit eigenen Leuten besetzen. Eine davon ist Nathalie Scheibli, womit eine erfahrene Politikerin ins Parlament zurückkehrt.

Ebenfalls einen Sitz verloren hat die FDP und bei ihnen kam es zu einer Abwahl. Überraschenderweise schaffte Thomas Multerer den Sprung nicht mehr ins Parlament. Neu gewählt wurde dagegen Irene Ruckstuhl. Das ist ebenfalls ein nationaler Trend, der sich in Langenthal durchsetzt: Während männliche Urgesteine abgewählt werden, können Newcomerinnen Sitze gewinnen. Bei der FDP führte das dazu, dass gleich viele Frauen wie Männer für die Partei im Parlament sitzen.

Eine Frau wird auch weiterhin die Jungliberalen im Stadtrat vertreten. Carole Howald gelingt mühelos die Wiederwahl, auch dank der zahlreichen Panaschierstimmen, die sie auf sich vereinen konnte. Der angestrebte zweite Sitz blieb jedoch in weiter Ferne, was jedoch nicht überraschend kommt. Schneidet die FDP nicht gut ab, ist es auch für die Jungliberalen schwer, gut abzuschneiden.

Während FDP und SP mit einem blauen Auge davongekommen sind, traf es die EVP hart. Sie verlor nicht nur zwei ihrer Sitze, gleich drei ihrer Bisherigen wurden abgewählt. Einzig Vizestadtratspräsident Paul Beyeler gelang die Wiederwahl. Neu gewählt wurde Michael Düby. Das ist ein harter Schlag für die Mittepartei. Es ist ihnen nicht nur missglückt, ihren verlorenen Gemeinderatssitz zurückzuholen, sie sind jetzt im Parlament so zusammengeschrumpft, dass sie auch keine eigene Fraktion mehr bilden können. Ein Grund dafür dürfte sein, dass die EVP zum ersten Mal seit langem ohne ihr Aushängeschild Daniel Steiner – Brütsch antreten musste. Und auch andere Stimmenfänger*innen wie Daniel Rüegger oder Rahel Lanz dürften gefehlt haben. Keine*r der im Jahr 2016 Gewählten, sass am Ende noch im Stadtrat.

Für die Fraktionspartnerin der EVP, die GLP, hätte es dagegen nicht besser laufen können. Sie gewinnen ganze 3 Sitze dazu. Dass es nicht einmal annährend geklappt hat, einen bisherigen Gemeinderatssitz ins Wackeln zu bringen, lässt sich da locker wegstecken. Möglich, dass sich viele Wähler*innen deshalb für die grüne Mitte entschieden haben, weil sie zwar für eine nachhaltige Politik sind, aber dem linken Gedankengut, das bei den Grünen mitschwingt, eher misstrauisch gegenüberstehen. Ein anderer Grund könnte sein, dass die GLP, die mit vielen jungen und unverbrauchten Gesichtern auftrumpfen konnte, einen Neuanfang verspricht.

Die GLP wird in den nächsten Jahren wohl die Rolle der heftig umgarnten Braut zufallen. Sie bildet die neue Mitte, die vor allem für die linken Parteien eine grosse Rolle spielen wird, wenn sie sich durchsetzen will. Für die GLP bedeutet das, dass sie in der kommenden Legislatur zunehmend Farbe wird bekennen müssen. Und es wird sich zeigen: Hält sie ihre grünen Versprechen?  Die Wähler*innen von Langenthal haben ihnen einen enormen Vertrauensvorschuss geschenkt. In vier Jahren werden wir wissen, ob sie dem gerecht geworden sind.

Durchaus zufrieden kann die SVP sein, die ihre Sitze souverän verteidigte. Zwar lag ein Sitzgewinn nicht drin, aber in Anbetracht der Themenkonjunktur, die der SVP so gar nicht in die Karten spielte, ist es schon ein Erfolg, dass es zu keinen Verlusten kam. Wohl aber zu einem Wechsel. Statt Christian Rutschmann kam Martin Lerch ins Parlament. Der ehemalige Regierungsstatthalter konnte auf einen gewissen Bekanntheitsbonus zählen. Auch der bestgewählte Stadtrat kommt aus den Reihen der SVP. Erneut konnte Patrick Freudiger das beste Ergebnis überhaupt einfahren. Sein weiblicher Gegenpart dagegen kommt aus den linken Reihen: Bestgewählte Stadträtin ist Saima Sägesser von der SP (und tatsächlich könnte man wohl kaum zwei Personen, die politisch gesehen weiter auseinander liegen, als die zwei). Auch bei den bürgerlichen Parteien wurden die bisherigen Gemeinderatsvertreter/innen wiedergewählt. 

Die Sitzverteilung sieht nun also folgendermassen aus: Die SP und die SVP kommen auf je 10 Sitze, die FDP auf neun Sitze, die Jungliberale auf einen Sitz, die EVP auf zwei Sitze, die Grünliberalen auf vier Sitze und die Grünen ebenfalls auf vier Sitze. Das bedeutet: Wenn die linken Parteien zusammenspannen, kommen sie auf vierzehn Stimmen. Vereinen sich die FDP und SVP – was in der Vergangenheit durchaus öfters geschehen ist – haben sie neunzehn Stimmen. Links braucht also immer noch die Hilfe von EVP und GLP, wenn sie sich gegen die Bürgerlichen durchsetzen wollen.

Insofern bleibt die bürgerliche Mehrheit im Stadtrat bestehen. Dennoch wäre es falsch zu sagen, dass sich im Parlament nichts geändert hätte. Es ist jünger und weiblicher geworden. Rein nach Parteienstärke mag sich nicht viel verschoben haben. Aber der Groove wird ein anderer sein. Möglich, dass dieses verjüngte Parlament mehr will als nur zu verwalten, sondern aktiv gestalten will.

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