Samstag, 25. Mai 2019

Kommentar: Herr Witschi geht






Es ist doch eher ungewöhnlich, wenn ein Gemeinderat oder eine Gemeinderätin während der laufenden Legislatur zurücktritt. Noch ungewöhnlicher ist es, wenn der oder die Scheidende noch jung an Jahren ist und theoretisch noch eine weitere Legislatur dranhängen könnte. Wir erinnern uns: Die letzte Gemeinderätin, die noch vor Ende ihrer Amtszeit zurückgetreten ist, war Christine D’Ingiandi - Bobst (JLL), die wegen der Amtszeitbeschränkung nicht noch einmal hätte kandidieren können. Markus Gfeller rückte für sie nach und damit konnte die FDP bei den nachfolgenden Wahlen mit einem Bisherigen antreten – was immer ein Vorteil ist, weil, die Wähler sich gerne für jemanden entscheiden, den sie schon kennen à la „der/die hat die Stadt nicht in die Luft gejagt, der wird schon okay sein“.

Jetzt geht wieder ein FDP – Gemeinderat vorzeitig – allerdings nicht aus wahltaktischen Überlegungen. Michael Witschi, Ressortleiter Sozialwesen, Altersfragen und Gesundheit, schmeisst den Bettel hin, um es salopp auszudrücken. Und begründet das nicht etwa mit einer zu hohen Belastung in Beruf oder mit dem Wunsch mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, sondern macht deutlich, dass er mit dem Exekutivamt zu kämpfen hatte. Nicht, weil es ihn überfordert hätte, sondern weil es von ihm abverlangte, die eigene Meinung zurückzustellen.

Witschi schlägt in einem Interview mit der BZ sehr kritische Töne an. Er habe das Gefühl, dass die gut vernetzten und fordernden  Bürger von einer zweiten Umverteilung der Steuergelder überproportional profitieren würden. Auf Nicht – Politiker Deutsch übersetzt heisst das so viel wie: Der Gemeinderat lässt sich von einflussreichen Leuten und Vereinen von aussen steuern, statt seine Entscheide auf der nüchternen Sachebene zu fällen (zumindest interpretiere ich die Aussage so.) 

Michael Witschi zielt damit vor allem auf ein bestimmtes Geschäft: Den Unterstützungsbeitrag für den SCL Nachwuchs, der auf Antrag des Gemeinderats, erhöht wurde.  Witschi kann dieser finanziellen Sympathiebekundung nur wenig abgewinnen. Er fürchtet, dass aus dieser grosszügigen Geste früher oder später Steuererhöhungen resultieren werden – etwas, was er als Liberaler ungefähr so sehr fürchtet wie der Vampir das Weihwasser. Um das zu verhindern, engagiert sich Witschi sogar im Referendumskomitee gegen die Erhöhung des SCL – Nachwuchsbeitrags. Fast könnte man glauben, der stets so gelassen wirkende Bauunternehmer sei auf seinen ganz persönlichen Kreuzzug, wobei er auch ganz wie die Ritter aus dem Mittelalter seinen weltlichen Gütern – sprich, in seinem Fall dem Gemeinderatsamt – entsagt hat, um sich ganz auf seine Mission zu konzentrieren.

Der überstürzte Rücktritt hinterlässt einen fahlen Beigeschmack, vor allem weil Michael Witschi in seiner Stellungnahme einen Grundpfeiler der Exekutive kritisiert. Denn, dass der Gemeinderat Entscheide gemeinsam trägt und nicht jeder einfach seine eigene Meinung vertritt, hat durchaus seine Gründe. Im Gegensatz zum Stadtparlament, wo die Stadträte und Stadträtinnen ihre Meinung sagen dürfen – und dabei auch eine andere Haltung als ihre Fraktion vertreten dürfen - tritt der Gemeinderat gegen aussen stets als Gremium auf. Wenn jetzt zum Beispiel der Gemeinderat bei einer Sitzung beschliesst, einen glitzernden Einhornpark in Langenthal zu bauen und Gemeinderat Gfeller dagegen ist, darf er in der Stadtratssitzung nicht zum Mikrofon sprinten und erklären, er sei dann dagegen gewesen, sondern muss die Haltung des Gemeinderats vertreten. Mitgehangen, mitgefangen, wie man so schön sagt.

Dass das zuweilen schwer ist, ist unbestritten. Es bedeutet nicht nur, dass man hin und wieder für etwas kämpfen muss, was man selbst nicht so dolle findet, sondern auch dass eigenen Ansichten zurückstehen müssen, etwas, was Politikern nicht zwingend liegt, denn schliesslich ist jeder von ihnen doch irgendwie der Meinung, dass seine Ideen die besten sind. Nur, hat dieses Kollegialprinzip eben auch grosse Vorteile. Es  verhindert, dass sich die einzelnen Mitglieder gegenseitig zerfleischen und die Schuld zuschieben, es sorgt dafür, dass überparteilich Lösungen gesucht werden und es stabilisiert letztendlich auch die Regierung. Ich meine, stellt euch mal das Chaos vor, wenn plötzlich all unsere Gemeinderäte – und Gemeinderätinnen machen was sie wollen, ohne Rücksicht aufeinander zu nehmen – und stellt euch vor wie unendlich lange die Stadtratssitzungen dauern würden, wenn auch noch jeder Gemeinderat zu jedem Geschäft seinen Senf dazu gäbe…

Wenn Michael Witschi in seinem Interview durchschimmern lässt, der Gemeinderat sei nicht frei in seinen Entscheidungen, vernachlässigt er die Tatsache, dass Gemeinderatssitzungen nicht öffentlich sind. Wer dort wie abstimmt, bleibt unter den Beteiligten und dringt – im Normallfall – nicht nach draussen. Das gibt den einzelnen Gemeinderäten – und Gemeinderätinnen auch die Möglichkeit, unpopuläre Entscheidungen zu fällen. Denn es kann auch Druck bedeuten, die Stimmkarte unter den Augen der Öffentlichkeit heben zu müssen, so wie es im Stadtrat der Fall ist.

Was die Sache mit der Beeinflussung angeht: Ja, ich bin auch der Meinung – und habe das auch schon geschrieben – dass der SCL es versteht, seine Strippen zu ziehen. Auch das gehört jedoch zur Politik. Hier prallen verschiedene Interessengruppen aufeinander und jede versucht, sich durchzusetzen. n. Beim SCL sind sicherlich immer Emotionen im Spiel und die werden zweifellos ihre Spuren in der Entscheidungsfindung hinterlassen haben. Auch die gehören dazu. Oder wollen wir Roboter, die alles nur kühl und sachlich beschliessen? Dann wird es ziemlich schnell, ziemlich ungemütlich auf der Welt (wobei ich persönlich mir ja wünschte, dass sich diese Gefühlswallungen nicht nur beim sportlichen Bereich zeigen würde).

Kommen wir zum letzten Punkt, der von Michael Witschi aufgeworfen wurde. Er empfindet die Politik des bürgerlichen Gemeinderates als zu wenig bürgerlich. Hier stellt sich meiner Meinung nach die Frage, ob es schlau von den Bürgerlichen wäre, ihre Mehrheit knallhart auszunutzen. Das könnte dazu führen, dass der Gemeinderat zum Feindbild der Linken mutiert, wie wir es zurzeit auf kantonaler Ebene beobachten können. Zudem ist es ja nicht so, dass es eine wahnsinnig grosse Mehrheit wäre. Das Verhältnis ist 3:4, also relativ ausgeglichen. Abgesehen davon ist es meiner Meinung nach ein Zeichen von gesunden politischen Verhältnissen, wenn die Exekutivmitglieder hin und wieder in der Lage sind, ihre Parteibüchlein zur Seite zu legen und zum Wohle der Stadt zu entscheiden statt zum Wohle des eigenen Klientel oder der eigenen Basis.

Das Beispiel von Michael Witschi zeigt eines. Auch wenn jemand grosses politisches Talent hat, bedeutet das nicht zwingend, dass er sich in der Exekutive zurechtfindet. Wer kein Teamplayer ist und Mühe hat, sich einer anderen Meinung unterzuordnen, sollte das mit dem Gemeinderat lieber sein lassen. Es bleibt zu hoffen, dass Witschis Nachfolger weniger mit dem Kollegialitätsprinzip hat. Nachrücken wird jetzt Michael Schär, FDP – Stadtrat, der damit das Kunststück fertig bringt, nach nur drei Jahren im Stadtrat in den Gemeinderat aufzusteigen. Wenn er in dem Tempo weitermacht, haben wir bis in fünf Jahren wieder einen Bundesrat aus Langenthal.

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