Hatte die Stadtratssitzung als leichte
Operette begonnen, hatte sie zu diesem Zeitpunkt die Ausmasse einer Wagner –
Oper angenommen. Die übrig gebliebenen Zuschauer - und Zuschauerinnen, die noch
nicht die Flucht ergriffen hatten, waren entschlossen, sich dieses letzte,
dramatische Aufbäumen nicht entgehen zu lassen, ging es doch nicht um irgendein
Thema, sondern um DAS Thema in Langenthal: Das neue Eishockeystadion.
Beziehungsweise eigentlich ging es irgendwie auch um das alte Stadion. Und
genau dieses „irgendwie“ stellte sich als die grosse Knacknuss heraus.
Beim Geschäft mit dem malerischen Titel
„Zukunft Eissport“ ging es um Geld. Genauer gesagt um einen Rahmenkredit für
2,25 Millionen Franken, der zum Teil in die Überbauungsordnung des neuen
Stadions im Hard fliessen soll, zum anderen aber in den Erhalt der
Infrastruktur des alten Stadions im Schoren, denn da der neue Eissporttempel
wahrscheinlich nicht innerhalb von drei Wochen stehen wird, muss der Betrieb
dort noch aufrecht gehalten werden. Schliesslich können der SCL und der
Eiskunstlaufclub schlecht in der Marktgasse Schlittschuh laufen. Der Kredit
muss vom Stadtrat abgesegnet werden und kommt dann am 15. Dezember vors Volk.
Wenn denn der Stadtrat den gewünschten Segen
gibt. Am Montag zeigte er sich nicht sonderlich entscheidungsfreudig. Helena
Morgenthaler (SVP) schilderte als Ressortleiterin „Sport und Kultur“ die
Ausgangslage und legte ausführlich die Gründe dar, wieso der sachliche
Zusammenhalt zwischen „Erhalt altes Stadion“ und „Planung neues Stadion“
gegeben sei. Beides beeinflusse einander. Das klang relativ nachvollziehbar.
Denn wenn kein Geld für ein neues Stadion gesprochen werden würde, müsste man
ja noch länger mit dem alten klarkommen, was ganz andere Neuerungen bedeuten
würde. Wenn es dagegen kein Geld für das alte Stadion geben würde, dafür aber
für das neue, steht man vor dem Problem, dass auch der vorübergehende
Eisbetrieb – wenn überhaupt – nur noch auf Sparflamme aufrechterhalten kann.
Zudem hat die Burgergemeinde, die als Grundeigentümerin auftritt, signalisiert,
dass sie den Baurechtsvertrag höchstens
bis 2031 verlängern werde.
Trotz der drohenden Konsequenzen und der
knappen Zeit, war nach dem Statement der GPK klar, dass es keine leichte Geburt
werden würde. Daniel Bösiger (SVP) machte als Sprecher der
Geschäftsprüfungskommission klar, dass für sie, der Sachzusammenhalt zwischen
„Kredit für Überbauungsordnung“ und „Kredit für Erhalt Infrastruktur Schoren“
nicht zwingend ist. Damit sei für sie die formelle Richtigkeit des Geschäfts nicht gegeben.
Zudem beklagte er sich darüber, dass die Akten, die der GPK versprochen wurden,
nicht geliefert wurden. Die GPK beantragte infolgedessen eine zweite Lesung
(bedeutet, das Geschäft wird in einer späteren Stadtratssitzung noch einmal
aufs Tapet kommen), verlangte, dass die versprochenen Akten nachgeliefert
werden müssen und dass man „Neubau Eisstadion“
und „Erhalt altes Stadion“ getrennt behandelt.
Vielleicht lag es an der fortgeschrittenen
Stunde, aber ich hatte das Gefühl, dass sich die nachfolgende Debatte im Kreis
drehte. Irgendwie konnte sich fast niemand zu einem klaren Statement durchringen.
Einig waren sich alle Parteien darin, dass es an der Zeit sei, das Volk zu
befragen, wie es zum Thema Eishalle steht, wobei gleichzeitig von mehreren
bemängelt wurde, dass man den Kredit absichtlich sehr hoch berechnet hat, um
die 2 Millionen Grenze zu knacken (das habe ich erst überhaupt nicht
geschnallt. Normalerweise versucht man ja einen Kredit eher tief zu halten,
wenn man ihn durchbringen will. Bis ich dann begriff, dass ein Kredit offenbar
so hoch sein muss, um eine Volksabstimmung auszulösen).
Sorgen machte manchen Stadträten – und
Stadträtinnen auch die Finanzierung des Megaprojekts. „Können wir uns das
leisten?“, fragte Diego Clavadetscher
(FDP) zweifelnd und mahnte, dass es bei mehr Ausgaben auch mehr Einnahmen geben
müsste, um das auszugleichen. Und wie kommt eine Stadt zu mehr Geld? Mit
Steuern. Wie schon bei der Diskussion rund um den SCL Nachwuchs vertrat
Clavadetscher den Standpunkt, dass man dem Volk diese mögliche Konsequenz nicht
vorenthalten dürfte. Ähnlich sah es Mike Siegrist von der EVP, der zudem
fürchtete, dass vor allem im sozialen Bereich abgebaut werden würde, um die
Kosten aufzufangen.
Der SP/GL Fraktion fiel es, laut Roland Loser
(SP) schwer überhaupt eine einheitliche Meinung zu finden. Immerhin spürte die
Linke noch Sparpotential auf und zwar bei den Parkplätzen im Schoren. In die
107‘000 Franken zu investieren, mache so gar keinen Sinn, fanden sie. Auch der
restliche Stadtrat stimmte ihrem Antrag zu. Wer braucht in Zeiten der grünen
Welle schon Parkplätze? Schliesslich gibt es Pferde.
Roland Loser selbst machte deutlich, dass er
den Weg des Gemeinderats für richtig hält. Man rede schon viel zu lange von
diesem neuen Stadion, ohne was Konkretes auf den Weg zu bringen. Ebenfalls im
Team „Lasst – uns –endlich – Schlittschuh - laufen“ waren Beat Hasler
(parteilos, SP/GL Fraktion und (Überraschung!) Pascal Dietrich (FDP), der in
die Diskussion warf, dass im Falle einer Ablehnung des Geschäfts definitiv
fertig sei mit Spitzensport in Langenthal (also mit Hockey. Nicht mit Ballett…)
Bernhard Marti(SP) dagegen hatte ganz andere
Probleme. Er störte sich an der Eigentumsbereinigung im Schoren zwischen SCL und KEBAG (nicht zu
verwechseln mit Kebab). Das sei keine Eigentumsbereinigung sondern ein A –
fonds – perdu Beitrag an den SCL, beharrte er (zur Begriffserklärung: ein A –
fonds – perdu Beitrag ist ein sogenannter verlorene Beitrag. Das sind Beiträge, auf deren Rückzahlung die
öffentliche Hand von vornherein verzichtet. Und ja, das habe ich gegoogelt…)
Eine sehr bizarre Geschichte war die Story
mit den Akten, die ihren Weg nicht zur Geschäftsprüfungskommission gefunden
haben. Laut Helena Morgenthaler (SVP) .waren Kommunikationsschwierigkeiten,
auch bedingt durch die vielen personellen Wechsel in der Stadtverwaltung, der
Grund dafür. Kann passieren. Ist allerdings natürlich blöd, wenn das
ausgerechnet bei einem ohnehin umstrittenen Geschäft passiert, das so
zusätzlich geschwächt wird. Die Gemeinderätin wurde dann noch unfreiwillig
komisch, als sie Bernhard Marti erklärte, das er ganz anders reden würde, wenn
er die Akten hätten lesen können…wohlgemerkt jene Akten, die er ja eben nicht hat lesen können, weil er sie gar
nie hatte.
Für Urs Zurlinden (FDP) dagegen war die Wichtigkeit dieser Akten fraglich. Er bezeichnete die fehlenden Unterlagen als "ominös" und "nebulös". Wie er zu diesem Schluss kommt,
bleibt wohl sein Geheimnis. Vielleicht hat er einfach eine ausgeprägte
Aktenallergie. So oder so, aus diesem Krimi rund um die verschollenen Akten,
liesse sich eine prima Geschichte machen. („Die haarsträubenden Fälle des
Phillip Maloney: Die verschwundenen Akten…“).
Während der ganzen Diskussion war der Zeiger
unerbittlich Richtung Mitternacht vorgerutscht. Der Stadtrat hatte inzwischen
Ähnlichkeit mit dem Gefangenenchor von Nabucco, die Zuschauer waren unruhig.
Man sehnte sich das Ende herbei. Die Abstimmungen über die Anträge sorgten noch
einmal für Spannungsaufbau. Der Stadtrat beschloss, dass die versprochenen
Akten der GPK zur Verfügung gestellt werden müssen. Und dass es eine zweite
Lesung geben wird. Bei letzterem kam Stadtratspräsident Patrick Freudiger (SVP)
in den Genuss, den Stichentscheid geben zu müssen. Abgelehnt wurde dagegen der
Antrag, die Geschäfte aufzusplitten. Damit wären wir wieder am Anfang.
Fortsetzung folgt (Irgendwie haben Diskussionen rund um den Eissport in
Langenthal immer was vom Leiterlispiel. Drei Felder vor, zwei zurück, dann
wieder nach vorne, nur um wieder zum Start runterzurutschen).
Nach diesem Grande Finale war das Stück zur
Ende und es bleibt dem Publikum überlassen, ob es nun eine Komödie, eine
Tragödie, ein Lustspiel, ein Schwank oder doch eher ein Kasperlitheater gesehen
hat.
Was sonst noch passiert ist
- Vielleicht lag es an der übermässig langen Sitzungszeit, die ihren Tribut von den Anwesenden forderte oder einfach an der stickigen Luft, auf jeden Fall kam es zu relativ vielen Abstimmungspannen. Urs Zurlinden (FDP) packte seine Stimmkarte zu früh weg und musste in seiner Mappe danach wühlen. Janosch Fankhauser (SVP) dagegen hob seine zu schnell und Diego Clavadetscher (FDP) unterstützte versehentlich einen Antrag der SP/GL. Zudem musste eine Abstimmung wiederholt werden, weil von einer falschen Anzahl anwesender Stadträte – und Stadträtinnen ausgegangen worden war. Während es in anderen Städten wegen solcher Dinge zu regelrechten Tumulten kam, ging man in Langenthal mit einem Lachen darüber hinweg.
- Der
Stadtschreiber ist nach längerer Rekonvaleszenz wieder da. Welcome back.
- Das Stadtratsbüro hatte während der Sitzung mit einem Wasserschaden zu kämpfen. Die Überschwemmung betraf auch das Macbook der Protokollführerin, die versuchte zu retten was zu retten ist. Mit einem Flipchart wäre das nicht passiert…
-
Pascal Dietrich (FDP) bat darum, die Lüftung einzuschalten. Später teilte Patrick Freudiger mit, dass man das nur könne, wenn man den Beamer ausschalte. Woraufhin der Informatiker korrigierend eingriff und meinte, der Beamer würde schon noch laufen, aber das Bild sei halt verwackelt. Auch hier: Mit einem Flipchart wäre das nicht passiert.
- Diverse Anwesende hatten Sichtprobleme. Der Stadtratspräsident benannte Beat Hasler (parteilos/SP, GL) konsequent falsch und entschuldigte sich mit: „Ich brauch jetzt dann eine Brille.“ Roland Loser (SP) meinte, er könnte das auf der Leinwand ohne Brille nicht lesen und Helena Morgenthaler (SVP) konnte sich nie recht entscheiden, ob sie die Brille jetzt auf der Nase haben will oder nicht. Ich empfehle, Hunziker Optik.
Best of/Epilog
„Wir wissen, der Stadtrat hat die Zügel gerne
fest in der Hand.“ Stadtpräsident Reto Müller (SP) über die wechselhafte Ehe
von Legislative und Exekutive.
„Habt ihr vielleicht Lust darüber zu
streiten, ob ihr nun die Formulierung „zur Hälfte“ oder „hälftig“ verwenden
wollt?“ Stadtratspräsident Patrick Freudiger (SVP) erkundigt das
Konfliktpotential bei FDP und SVP, die praktisch identische Anträge eingereicht
haben.
„Ich
hab’s vergeigt!“ Der selbstkritische Stimmzähler Diego Clavadetscher (FDP).
„Ohne,
dass jetzt irgendjemand, irgendwas vergeigt hat…“ Patrick Freudiger nimmt ihn in
Schutz.
„Mit
der Formulierung, Nachmittage des 1. Mais, ist nicht der Mais gemeint, der an diesem Tag
manchmal veranstaltet wird…“ Patrick Freudiger kann sich eine Spitze nicht ganz
verkneifen.
„Ladies
first!“ Patrick Freudiger gibt Saima Sägesser (SP) den Vorzug gegenüber
Bernhard Marti (ebenfalls SP).
„Wir
geben den 1. Mai nicht kampflos auf!“ Besagte Lady, Saima Sägesser, bei ihrem
Statement zur Frage, ob die Stadtverwaltung auch am 1. Mai nachmittags frei
bekommen soll.
„Ich nehme
an, du wolltest dasselbe sagen?“ Patrick Freudiger zu Bernhard Marti, in
derselben Debatte.
„Deckungsgleich
aber nicht so schön kämpferisch“, bestätigt Marti.
„Deswegen
wollte ich Stadträtin Sägesser…“ Cäsar Freudiger scheint Gefallen daran zu
finden, Gladiatoren bzw. Gladiatorinnen in die Arena zu schicken. Lasset die
Spiele beginnen!
„Also,
wenn ich wählen kann zwischen Arbeit und erbrechenden Kind betreuen…“
Stapi-Papi Reto Müller. Die Steigerungsform wäre wahrscheinlich erbrechendes
Kind auf Arbeit betreuen.
„Stellt
euch jetzt nicht vor, dass sich Personalverbände vor Freiwilligen kaum retten
können und uns die Tür einrennen!“ Pascal Dietrich (FDP) mit einer
wahrscheinlich sehr realistischen Einschätzung zur Beliebtheit von
Personalverbänden.
„Ich
stehe hier eigentlich nicht als Einzelsprecherin, sondern als entsetztes
juristisches Gewissen!“ Beatrice Lüthi (FDP) aka Jiminy Cricket, die Grille.
„Wir
können diesen Hosenlupf durchaus wagen...ich bitte euch, standhaft zu bleiben!“
Heerführer Pascal Dietrich.
„Die
SVP zeichnet sich ja auch durch eine besonders starke Frauenvertretung aus…“
Sarkastische Bemerkung von Beatrice Lüthi, in der Debatte um die Frage nach der
Geschlechtervertretung in den Kommissionen.
„Ja!
Und wir haben sogar Leute mit Migrationshintergrund!“, wehrt sich Helena
Morgenthaler (SVP), notabene die einzige Gemeinderätin Langenthals.
„Wir
laden die Stimmbevölkerung zu einer Fahrt ins Blaue ein!“ Diego Clavadetscher.
Nun, so lange es unterwegs ein Picknick gibt, habe ich nichts dagegen.
„Säget
em Büsi, Büsi und nid plötzlich Chatz!“ Miau! Zoologe Bernhard Marti
(ausnahmsweise auf Mundart, weil’s so schön klingt).
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen