Samstag, 30. Mai 2020

Wenn der Sport ruft und die Politik rennt


Ein längerer Blogeintrag zum Thema „Warum regt dich die Rettung des Lauberhorn – Rennens dermassen auf“. Dass ich in Sachen Spitzensport eine unpopuläre Ansicht vertrete ist den regelmässigen Leser*innen meines jetzigen und meines früheren Blog ja bekannt. Mir ist es wichtig, hier auch aufzuzeigen, was ich genau kritisiere. Mir geht es nicht generell darum, einzelne Sportarten schlecht zu reden. Mir geht es darum, die verkitschte Vorstellung von der heilen Sportwelt, die uns immer wieder präsentiert wird, aufzuweichen. 

Natürlich ist Sport grundsätzlich eine feine Sache und gesund für Körper und Seele. Das stelle ich überhaupt nicht in Frage, genauso wenig wie den positiven Effekt von Mannschaftssport auf die Sozialkompetenz. Und selbstverständlich kann man seine Zeit auch wesentlich dümmer verbringen – zum Beispiel mit dem Schauen von GNTM. Die ganze Geschichte ums Lauberhorn steht meiner Meinung nach aber symptomatisch für alles, was ich am Spitzensport kritisiere. 

Da ist zum einen die schnelle Bereitschaft der Politik zu handeln. Der Konflikt ist ja entstanden, weil das Organisationskomitee der Lauberhornrennen  sich daran störte, dass sie einen Grossteil der Kosten selbst stemmen müssen. Auch mit der Verteilung der TV – Gelder war man nicht einverstanden. Es begann ein Seilziehen mit Swiss – Ski  darum, wer jetzt was zahlen soll. Schlussendlich erhöhte Swiss - Ski den Druck, indem sie sich anschickten das Lauberhornrennen aus dem offiziellen Rennkalender zu streichen – ein Schock für die Skiwelt, denn schliesslich geht es um DEN Rennklassiker überhaupt. Und siehe da: Auf einmal sprangen die Politiker*innen im Dreieck. Alt- Bundesrat, Bundesrätin Regierungsrat – sie alle eilten herbei, um das Rennen zu retten.

Würden die Damen und Herren genau den gleichen Aktionismus in Sachen Klimawandel, sozialer Ungleichheit oder Pflegenotstand an den Tag legen, wären wir möglicherweise schon weiter. Gut, das sind weitaus komplexere Themen, die sich nicht mal eben so lösen lassen. Aber es sind die Probleme, die uns früher oder später um die Ohren fliegen werden, wenn wir den Hintern nicht endlich mal hochkriegen. Wenn wir die gelöst haben – oder zumindest zu einer Teillösung gekommen sind – kann die Kantonsregierung zurecht stolz in die Kamera lächeln. Die „Rettung“ eines Skiklassikers – der ja nur in Gefahr war, weil der Skiverband seine Muskeln spielen liess, nicht wegen äusserer Umstände – ist kein Grund dafür, sich auf die Schulter zu klopfen.

Dass Pressekonferenzen abgehalten werden, in denen alle Beteiligten so tun, als wäre ihnen die Versöhnung von Israel und Palästina gelungen, zeigt aber den hohen Stellenwert den der Spitzensport geniesst. Besonders natürlich die dominanten Sportarten in der Schweiz: Ski, Hockey, Fussball. Hinter all diesen Sportarten stecken mächtige Verbände, die viel Einfluss in der Politik haben. Meiner Meinung nach ist das eine ungesunde Verflechtung, die wenig mit den hehren Werten des Sports zu tun hat. Es geht dabei nicht um Fairness, Sportgeist oder harte Arbeit. Es geht um Macht, Abhängigkeiten, Gefälligkeiten. Und um Geld. Viel Geld. 

Früher – und so lange ist das gar nicht her – gab es noch keinen Spitzensport, wie wir ihn heute kennen. Früher war noch nicht alles mit Werbung zugepflastert. Früher hat man die Ausstrahlungsrechte nicht teuer verkauft. Früher gab es auch keine Spitzensportler*innen. Früher hat man sich einfach aus Freude miteinander gemessen, ohne eine riesige Marketingkampagne ins Leben zu rufen. Und die Menschen haben trotzdem gerne zugesehen. Weil der Sport im Grunde den ganzen aufgeblasenen Zirkus, der heute abgezogen wird, gar nicht braucht. Weil er auch einfach so seine Wirkung entfalten kann.
Früher fanden die Skirennen dann statt, wenn genügend Schnee lag. Da gab es noch keinen Weltcup – Kalender, den man einhalten musste. Da hat man noch keinen Tonnen von Kunstschnee produziert. Was im Übrigen alles andere als umweltschonend ist. Aber auch das interessiert kaum jemanden. Ich bin immer wieder erstaunt, dass sich manche Menschen – gerade im linken Lager – tödlich darüber aufregen können, wenn es in einer Kantine kein veganes Menü gibt, aber achselzuckend darüber hinweggehen, dass im Profisport der ökologische Aspekt kaum Beachtung findet. Spieler*innen fliegen für ein Spiel oder ein Rennen, das nur wenige Tage dauert, in der Weltgeschichte herum? Egal. Stadions werden inmitten der schönsten Natur gebaut, nur um dann praktisch ungenutzt zu verfallen? Egal. Ski – und Eishockeysaisons starten im Oktober und enden erst im März? Egal. 

Aber auch sonst wird gerne alles andere hinten angestellt, wenn es um die Durchführung von sportlichen Grossanlässen geht. Die Fussball – WM findet in einem Land statt, das sich kaum um Menschenrechte kümmert oder in Armut versinkt? Interessiert allerhöchstens ein paar kritische Medien (die dann auch prompt als Spielverderber gelten). Und wenn es zur Sprache kommt, erzählt man gerne etwas von der positiven Macht des Sportes, die ganze Völker verbindet. Oder man redet von dem wirtschaftlichen Aufschwung, den die WM den Austragungsländern bringt. Was vielleicht sogar tatsächlich der Fall wäre, wenn der korrupte Haufen namens Fifa nicht alle Gelder einstreichen würde. Und das mit der Völkerverbindung hat auch meist nur einen symbolischen, kurzfristigen Effekt (auch wenn es in der Vergangenheit erfreuliche Ausnahmen gab). 

Paradox ist: Der Profisport mag sich nicht mit gesellschaftlichen und politischen Themen auseinandersetzen. Es soll um den Sport gehen, pflegen die Funktionäre salbungsvoll zu sagen, um den Wettkampf, um die Leistung, um Fairness. Man bemüht sich, das Bild des „reinen“ Sports aufrechtzuerhalten. Das ist eine Illusion. Die Sportverbände sind bestens vernetzt in der Politik und scheuen sich nicht, ihre Strippen zu ziehen, um ihre Ziele durchzusetzen. Die Politik ist umgekehrt nur zu gerne bereit, dem Profisport entgegenzukommen. Egal ob links oder rechts, geht’s um die Durchführung von prestigeträchtigen Sportevents wirft manch einer seine sonstigen Prinzipien über Bord. Dafür gibt’s dann einen Platz in der VIP – Lounge. Und Glanz und Glamour, denn mit ein bisschen Glück kann man schliesslich mit einem Skistar posieren. Ein Beat Feuz macht sich halt besser auf dem Foto, als ein Asylbewerber. Oder ein Sozialhilfebezüger. Oder ein halb verhungerter Eisbär. 

Der Grund, warum ich mich dermassen darüber aufrege, dass das Lauberhornrennen mit kantonaler Hilfe gerettet wird, ist nicht in erster Linie der Betrag, der sich voraussichtlich zwischen 500‘000 und 900‘000 bewegen wird. Es ist die Nonchalance mit dem er gesprochen wurde. Als sei das selbstverständlich, dass man ein einziges Skirennen finanziell unterstützt. Mich stört es, wenn Regierungsratspräsident  Christoph Ammann verkündet, er müsse zwar noch erst seine Regierungsgspännli fragen, aber er könne die ja recht gut einschätzen. Botschaft: Darüber debattieren wir gar nicht, natürlich sprechen wir da Geld, weil schliesslich geht es um Sport und Tourismusförderung. 

Gerade im Kanton Bern finde ich das ein falsches Signal. Seit Jahren wird hier im Gesundheitswesen gespart. In der Sozialhilfe wird gespart. Denjenigen, die ohnehin schon wenig haben, wird jeder Franken, den sie von Kanton erhalten, missgönnt. Das Pflegepersonal wird für seine Forderungen belächelt. Aber wenn’s um ein Skirennen geht und um die Bedürfnisse des Spitzensports, wird nicht einmal der Anschein einer Diskussion gewahrt. Darüber rege ich mich auf. 

Ich verlange nicht, dass man keine Sportanlässe mehr durchführt. Mir ist auch klar, dass man die Entwicklungen des Spitzensports nicht mehr zurückstufen kann. Und ich finde auch nicht, dass man sich jetzt keine Skirennen oder Fussballspiele oder Hockeymatchs ansehen soll. Aber ich bin der Ansicht, dass es an der Zeit wäre,  sich den Schattenseiten in der Sportwelt zu stellen. 

Bevor sie überhand nehmen.


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