Diego Clavadetscher ist Notar, Anwalt und diplomierter
Steuerexperte. Der Vater von zwei Töchtern ist Präsident der FDP Langenthal.
Seit vier Jahren sitzt er im Stadtrat. Im Interview streicht er die Stärken
seiner Partei heraus und berichtet schmunzelnd, von seiner jugendlich rebellischen Phase.
Bist du eher ein Träumer oder ein Realist?
Wahrscheinlich beides. Ich habe schon eine starke träumerische Komponente in mir, weil ich gerne Visionen bzw. neue Ideen, zu realisieren versuche. Ich sehe das was ist, nicht einfach als gegeben an. Realist bin ich insofern, dass ich mit meiner Lebenserfahrung besser einschätzen kann, was möglich ist. Aber meistens ist wesentlich mehr möglich, als man auf den ersten Blick meint.
Ist Politik in der Familie auch ein Thema?
Ja, vor allem mit meinen Töchtern gibt es schon öfters Diskussionen. Unsere ältere Tochter hat zum Beispiel angeregt, dass wir unseren Lebensstil als Familie nachhaltiger und ökologischer gestalten. Ihre Meinung hat durchaus Gewicht bei uns.
Was ist herausfordernder: Kinder zu erziehen
oder eine Partei zu führen?
inder zu erziehen. Weil da geht es darum, einem Menschen
etwas mit auf den Weg zu geben. Bei
einer Partei muss man unterschiedliche Meinungen von gefestigten
Persönlichkeiten zusammen bringen und neue Menschen für Politik motivieren. In
liberalen Parteien geht es nicht darum, als Präsident seine eigene Meinung
durchzusetzen, sondern die verschiedenen Ansichten abzuholen und niemanden
dabei zu vergessen oder zu verlieren.
Das ist weniger anspruchsvoll als Kindern Werte mitzugeben und sie zu
selbstständigen Menschen zu erziehen.
Warst du selber brav als Jugendlicher?
Zuhause war ich relativ brav. Die Lehrerschaft hat mich
wahrscheinlich eher als aufmüpfig wahrgenommen. Ich hatte ein unkonventionelles
Auftreten und stellte durchaus auch Autoritäten in Frage. An der Kantonsschule Zofingen habe ich einmal
einen Mensastreik angezettelt, weil die Preise so hoch waren. Schon damals war
ich kritisch gegenüber der Obrigkeit.
Welches Studium hättest du dir neben Jura noch vorstellen können?
Bevor ich mich für das Jurastudium entschied, habe ich auch mit Informatik und Theologie geliebäugelt. Der Glaube ist eine wichtige Stütze für mich.
Ist ein juristischer Hintergrund in der Politik vom Vorteil?
Eigentlich nicht. Letztendlich ist alles Juristische einfach eine Umsetzung davon, was die Politik entscheidet. Tatsächlich habe ich den Eindruck, dass mir meine Affinität zur Informatik eher dabei hilft, in der Politik Lösungen zu finden, als mein juristisches Rüstzeug.
Wann hast du dich zum letzten Mal so richtig geärgert?
Das weiss ich gar nicht. Also, ich ärgere mich schon mal, aber eigentlich wische ich das immer schnell wieder zur Seite.
Wenn du ein Tier wärst: Welches wäre das?
Wahrscheinlich ein Rabe. Der wird gerne unterschätzt und ist schnell an einem anderen Ort.
Ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau erreicht?
Nein. Die Frage ist, ob und wann sie überhaupt je
erreicht sein wird. Frauen und Männer sind
für mich nicht gleich. Die Herangehensweise an Themen und auch der
zwischenmenschliche Umgang unterscheiden sich bei den Geschlechtern. Dadurch
sind auch die Kompetenzen anders gelagert. Natürlich nicht was die Intelligenz
betrifft – ich lebe in einem Haushalt mit drei Frauen, die mir intellektuell
überlegen sind – aber die Ambitionen und Problemlösungsstrategien sind nicht
gleich. Das macht es ja spannend. Der Punkt ist, woran wir Gleichberechtigung
messen. Formell haben Männer und Frauen gleiche Rechte. Aber wir wissen alle,
dass Frauen nicht am gleichen Ort sind wie Männer.
Was denkst du, was war in dieser Legislatur der grösste Erfolg der FDP in Langenthal?
Dass es uns gelungen ist, Lösungsvorschläge einzubringen, die zu besseren Ergebnissen führen. Zum Beispiel beim Mehrwertabgabereglement, bei der Motion Unterstützung für Lehrpersonen, bei Verkehrsfragen, bei der Relativierung des Kommissionsgeheimnis oder auch beim Wahl– und Abstimmungsreglement. Bei vielen Geschäften haben wir es geschafft, Mehrheiten zu finden. Es geht nicht darum zwischen rechts oder links zu entscheiden, sondern zwischen guten und nicht so guten Lösungen. Und da hatte die FDP in dieser Legislatur massgeblich die Finger im Spiel.
Und was hat die FDP Langenthal in dieser Legislatur versäumt?
Noch mehr Mehrheiten zu finden. Es ist zum Beispiel nicht gelungen, die anderen Parteien von der Notwendigkeit einer Modernisierung des Langenthaler Politsystems zu überzeugen. Auch standen wir oft vor der Fragestellung: Müssen wir zu diesem Geschäft jetzt ja sagen oder hätte man das nicht anders oder besser lösen können? Wenn sich das Parlament in einem früheren Zeitpunkt in den politischen Prozess einbringen könnte (und nicht erst in den letzten zwanzig Tagen), bestünde weniger die Gefahr, dass fertig ausgearbeitete Geschäfte den Bach runtergehen. So werden Ressourcen verschwendet. Die Exekutive legt zwar Legislaturziele fest, sogar sehr feinmaschige. Der Stadtrat darf sie einfach zur Kenntnis nehmen und hat nichts dazu zu sagen, bis dann das fertige Geschäft auf der Traktandenliste steht.
Was bedeutet für dich das Wort liberal?
Dass die Freiheit der Menschen im Mittelpunkt steht. Die Freiheit, sich so zu entwickeln, wie man es möchte – in allen Bereichen. Das bringt natürlich eine gewisse Last mit sich. In unserer Partei sind wir uns bewusst, dass die Eigenverantwortung Grenzen hat und nicht alle Menschen gleich gut damit umgehen können. Deshalb muss man sie wo nötig unterstützen. Die Freiheit des Einzelnen wird begrenzt durch die Freiheit des anderen und wo sie aneinander stossen, muss man ausgleichen, so dass beide ein Maximum an Freiheit haben.
Wo hat Langenthal Verbesserungspotential?
Langenthal sollte sich mehr auf seine Stärken besinnen und diese entwickeln, statt den Schwächen nachzuspringen und zu versuchen, dort etwas zu erreichen. Die Stadt liegt mitten in der Schweiz, sie ist vielerlei Hinsicht ein attraktiver Standort. Gestützt darauf könnte sie Angebote aus dem wirtschaftlichen, kulturellen oder bildungsbezogenen Bereich anziehen, die gesamtschweizerisch Ausstrahlung haben. Aber dafür muss man es zuerst schaffen, auf Langenthal aufmerksam zu machen. Und dann muss den potentiellen
Angeboten auch Raum geben, um sich zu entfalten. Dafür braucht es schnelle
Bewilligungen, statt einer überbordenden Bürokratie und es braucht verlässliche Ansprechpersonen, die das, was in ihrem Kompetenzbereich liegt, schnell umsetzen und für das Weitere rasche Entscheide herbeiführen können.
Was unterscheidet Langenthal von anderen Kleinstädten?
Das Kompakte. Die Menschen hier sind eng miteinander verbunden. Sowohl der kulturelle, als auch der wirtschaftliche Bereich sind gut miteinander vernetzt. Immer wenn es gelingt, diesen kompakten Kern in Bewegung zu bringen, entfaltet sich eine grosse Wucht. Momentan ist Langenthal eher in einer statischen als in einer dynamischen Phase. Dabei sind solche Bewegungen in der Vergangenheit schon entstanden. Im frühen 20. Jahrhundert hat sich die Stadt zu einem industriellen Brennpunkt entwickelt. Der
Maschinen – und
Textilbereich entwickelte sich stark und Langenthal konnte weit über die
Schweizer Grenzen strahlen. Auch politisch gab es diese Aufbrüche. Die SP hatte
beispielsweise über die Arbeiterbewegung Selbstbewusstsein entwickelt und
konnte die Einführung des Langenthaler Parlaments erzwingen. Im kulturellen
Bereich sehen wir, dass viele Einzelkünstler*innen in Langenthal ihre Wurzeln
haben. Hier ist also ein guter Nährboden Innovationen und erfolgreiche
Umsetzungen.
Dein Lieblingsbuch?
Von Gert Theissen „Der Anwalt des Paulus“. Regt sehr zum Denken an und enthält viele Passagen, die mich beeinflusst haben. Aber auch „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“, gehört zu meinen Lieblingsbüchern. Weil dort jemand sein Potential erkennt und so nutzt, wie es ihm andere nicht zugetraut haben. Und das auf eine fröhliche Art und Weise.
Welche Werte sind dir persönlich wichtig?
Freiheit, Respekt und Toleranz. Ich nehme für mich nicht in Anspruch, dass es nur eine Wahrheit gibt oder nur eine richtige Meinung.
Was war die beste Entscheidung in deinem Leben?
Meine Frau zu heiraten. Das war eine spontane Entscheidung, nachdem ich sie aus einem Wirbel der Aare gezogen hatte.
Und was war die schlechteste Entscheidung in deinem Leben?
Ich würde nicht sagen, dass es DIE schlechteste Entscheidung gab. Es gibt sicher Momente, in denen ich anderen Menschen Unrecht getan habe. Was ich bereue ist, sind die Dinge, die ich als richtig empfunden habe, aber nicht mit letzter Konsequenz umgesetzt habe.
Was ist die grösste Herausforderung für Langenthal in der Zukunft?
Dass wir uns aufs Mögliche beschränken müssen und dieses dafür konsequent umsetzen. Und dafür müssen wir unter den politischen Playern den Konsens finden.
Wer ist dein politisches Vorbild?
Es gibt viele Menschen, die gute Arbeit leisten, aber ich
eifere jetzt niemanden nach. Wer mich immer beeindruckt hat, war Philipp Müller, der
ehemalige Präsident der FDP Schweiz. Für mich vereinte er zwei Fähigkeiten. Zum
einen war er sehr kompetent: Von der
Ausbildung her war er Maler – und Gipsermeister und obwohl es nicht sein
Fachgebiet war, hat er mich bei der Besprechung von Gesetzestexten und
Vorstössen immer wieder herausgefordert. Zum anderen hat er unabhängig von Popularität seinen Standpunk immer klar vertreten. Und er
konnte komplizierte Sachen einfach erklären.
Was gefällt dir an Langenthal am besten?
Die Langete zwischen der Alten Mühle und der Waldhofstrasse.
Welche Sendung verpasst du nie im Fernsehen?
Ich habe in den letzten zehn Jahren generell wenig Fernsehen geschaut. Aus Zeitgründen, aber auch weil es mir wenig sagt.
Wie gehst du damit um, wenn du als Stadtrat kritisiert wirst?
Ich prüfe für mich immer, ob die Kritik berechtigt ist. Wenn
ja, dann versuche ich mich entsprechend anzupassen. Wenn die Kritik polemischer
Natur ist, hoffe ich, dass ich sie nach einmal schlafen, weglegen kann. Es beschäftigt mich schon,
aber ich kann es dann auch gut ausblenden. Man muss dazu auch sagen, dass es im
Stadtrat selber fast nie persönliche Angriffe gibt.
Dein Held oder deine Heldin aus der Kindheit?
Jonathan Löwenherz aus „Brüder Löwenherz“, der sein Leben für seinen kranken Bruder hingab. Ich habe das Buch x - mal gelesen. Mich bewegte seine Liebe zu seinem Bruder, genauso wie seine Grossherzigkeit, sein Mut und seine Abgeklärtheit.
Dein Mittel zur Entspannung?
Das suche ich gerade, finde es aber nicht…. Am ehesten wohl lesen.
Was hat dir im Lockdown am meisten gefehlt?
Der Kontakt mit anderen Menschen, also der direkte persönliche Kontakt
von Angesicht zu Angesicht.
Welche Eigenschaften muss für dich ein guter Politiker mitbringen?
Sachlichkeit, Vorausdenken und den Mut sich zu exponieren
und zu seiner Meinung zu stehen, auch wenn sie nicht gerade
hoch im Kurs ist.
Abschlussfrage: Wie würdest du feiern, wenn die FDP einen grandiosen Wahlsieg davontragen würde?
Dann würde ein grosses Lächeln über mein Gesicht huschen, aber damit hat es sich schon. Unter den gegebenen Umständen, fände wohl keine Wahlparty statt. Die Parteimitglieder würden, wahrscheinlich länger für einen Schwatz bleiben, als wenn wir die Hälfte der Sitze verlieren würden.
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