Dienstag, 31. Oktober 2023

Die Uhr schlägt dreizehn, Teil 2

 

Nun lebte in Langenthal schon seit vielen Jahren ein Mann, den alle nur den Professor nannten, denn er war ein kluger Kopf, was er auch nie vergaß, allen unter die Nase zu reiben, die er für weniger gescheit hielt als sich selbst. Und er war ein Mann, der all sein Streben und Leben stets nach den Fakten ausrichteten. Nach beweisbaren Fakten, wie er betonte, denn er glaubte an nichts, woran er nicht selbst geforscht hatte, und er ärgerte sich über seine Mitmenschen, die seiner Meinung nach, ihren eigenen Verstand nicht nutzten, sondern zugunsten von Reality – TV verkümmern ließen. Selbst Märchenbücher empfand er als perfiden Angriff auf die Aufklärung.

Man kann sich also vorstellen, wie sehr ihm das ständige Gerede von Geistern und Vampiren gegen den Strich ging und wie sehr er es verabscheute, dass seine Stadt, diese so wunderbar geordnete, nüchterne und ganz und gar langweilige Stadt, sich zusehends in ein Tollhaus verwandelte und sich die sonst so vernünftigen Einheimischen gebärdeten, als hätten sie zu viel von den falschen Pilzen genascht. Er verachtete sie für ihre Ängstlichkeit und ihre Leichtgläubigkeit und sie gingen ihn auf die Nerven mit ihrem Knoblauch, ihren Taschenlampen und ihren wispernden Gesprächen über das grauenvolle Unheil, dass angeblich im Schorenwald lauerte.

Schliesslich entschloss sich der Professor, diesem unsinnigen Treiben ein Ende zu bereiten. Er würde beweisen, dass im Schorenwald nichts, aber auch gar nichts war, dass man zu fürchten brauchten – ausser vielleicht ein paar begrabene Aufstiegsträume des SC Langenthals. Und so brach er auf, im Dienste der Aufklärung, fest davon überzeugt, dass sich für all diese Vorkommnisse eine plausible Erklärung finden würde, die nichts, aber auch gar nichts, mit irgendwelchen übernatürlichen Wesen zu tun hatte.

Es war eine kühle Herbstnacht und der Mond hing schön und satt über dem Wald, dessen Bäume schon beinahe kahl waren, denn der Herbst war weit fortgeschritten und der Winter stand vor der Tür. Doch der Professor liess sich weder von der Kälte noch von der Dunkelheit einschüchtern. Er klappte einfach den Kragen seines Mantels hoch und marschierte in den Wald, mit dem Mut eines Mannes, der glaubte, alles schon gesehen zu haben.

Der Professor war erst einige Schritte gegangen, da glaubte er, Geflüster zu hören. Er redete sich ein, dass sei nur der Wind, der durch die Äste pfiff. Dann meinte er Augen aufblitzen zu sehen, leuchtende, gelbe Augen, die ihn fixierten. Glühwürmchen, überzeugte er sich selbst, einfach nur Glühwürmchen, kein Grund zur Besorgnis. Und auch als er das Fauchen vernahm, ein zischendes warnendes Fauchen, drehte er nicht um, sondern ging weiter, voller Trotz.

Dennoch schlich sich die Furcht in sein Herz, denn je weiter er in den Wald ging, desto mehr schienen die Bäume näher zu rücken und ihre Äste schienen sich wie Finger anklagend auf ihn zu richten. Der Professor ging immer schneller und dennoch war ihm, als würde er kaum vorwärtskommen. Die Wege verflochten sich ineinander, wurden zu einem undurchdringlichen Labyrinth und bald hatte er ganz die Orientierung verloren, er wusste nicht mehr, von wo er gekommen war und wohin er eigentlich gewollt hatte.

Verwirrt blieb der Professor schliesslich stehen – so oft war er schon in diesem Wald gewesen und doch erschien er ihm nun wie ein völlig fremder Ort. Erschöpft wollte er sich an einem Baum abstützen, doch als er die Hand auf den Stamm legte, begann dieser zu knurren. Die Wurzeln des Baumes hoben sich aus der Erde und grapschten nach ihm. Schreiend wirbelte der Professor herum und rannte davon. Äste schlugen ihm ins Gesicht, Dornenranken rissen an seinen Kleidern, seine Lunge brannte und seine Seiten schmerzten, aber er rannte immer weiter, bis seine Füße an einem Stein hängen blieben und er der Länge nach hinstürzte.

Benommen blieb er liegen. Da fielen sie über ihn her, die Schatten, die ihn seit Betreten des Waldes verfolgt und belauert hatten. Waldkatzen, riesige wilde Waldkatzen, in deren goldenen Augen Intelligenz und Grausamkeit leuchteten. Ihre Krallen rissen an seinen Kleidern, ihre Zähne bohrten sich in sein Fleisch und ihre Pfoten drückten ihn nieder – Waldkatzen, riesige wilde Waldkatzen. Er schrie und versuchte, die Tiere abzuschütteln, aber es waren zu viele und sie waren zu stark. Und während er schrie, glaubte er, eine Stimme zu hören, eine spöttische und boshafte Stimme. Wir haben euch gewarnt. Ihr seid nicht willkommen.

Dann hörte er etwas anderes. Das Krächzen von Raben. Nur, dass es ganz anders klang. Nicht mehr so misstönend, sondern eher lockend, verheißend. Die Katzen hielten in ihrem brutalen Treiben inne und spitzten die Ohren. Dann, so plötzlich wie sie über ihn hergefallen waren, ließen sie von ihm ab und verschwanden zwischen den Bäumen, so leise wie Diebe in der Nacht.

Der Professor richtete sich auf. Er blutete aus mehreren Kratzen – und Bisswunden und der Schreck saß ihn in den Gliedern. Er sollte gehen, er wusste es, er sollte den Wald verlassen, die Warnung war deutlich gewesen. Er konnte es nicht. Zu stark war die Neugier, zu groß sein Verlangen irgendeine natürliche Erklärung für das ganze Geschehen zu finden. Und dann war da noch der Rabengesang…denn das Krächzen hatte sich nun endgültig verwandelt, in eine schöne dunkle Melodie, die ihn anzog, wie sie die Katzen angezogen hatte.

Etwas rief die Geschöpfe des Waldes zu sich.

Also rappelte der Professor sich auf. Er konnte kaum gehen, er taumelte eher, als er wie ein Schlafwandler der Melodie folgte. Es dauerte nicht lange, da sah er einen rötlichen Schein, der durch die Bäume schimmerte  und er stolperte darauf zu, wie eine Motte, die vom für sie tödlichen Licht angezogen wird. Feuer. Es musste ein Feuer sein, dachte der Professor, wahrscheinlich feierte jemand eine wilde Party und hatte sich diese Gruselshow ausgedacht, um ungestört zu sein. Er würde sie für diese Geschmacklosigkeit stellen – die kläglichen Reste seines Verstandes klammerten sich an diese Erklärung, die jedoch noch einmal gehörig ins Wanken geriet, als er die Kröten erblicke. Die Kröten, die den Weg säumten, warzige und bucklige Wächter, die ihm grösser schienen als alle Kröten, die er je gesehen hatte.

Dennoch kehrte er nicht um, sondern humpelte weiter auf den Feuerschein zu, schob sich durch das Dickicht… bis er schliesslich so nahe war, dass er die Quelle erkennen konnte.

Ihm stockte der Atem.

Das Feuer war riesig. Wie ein Leuchtturm loderte es, ungezähmt und wild, die Flammen so hoch, dass sie den Himmel zu berühren schienen. Um das Feuer, ungestört von der Hitze, flogen sie, die Raben und sangen schön wie die Nachtigallen, doch es war nicht das, was den Professor schockierte und sein Blut gefrieren liess, es waren die Frauen. Die Frauen, die barfuß um das Feuer tanzten und dabei sangen und lachten, als gebe es kein Morgen.

Es waren alte und junge Frauen, aber sie alle waren grässlich schön, wie sie herumtobten, ihre bunten Röcke wirbeln ließen und ihr langes Haarschüttelten. In ihren Händen hielten sie Besen, die sie mal geschickt über ihre Köpfe wirbeln ließen, dann wieder energisch auf die Erde stießen. Und um ihre Füße strichen die Waldkatzen, schlossen sich ihrem wilden Tanz an, so wie die Raben es taten. Funken stoben um die Tanzenden, doch der Professor hätte sie eigentlich nicht gebraucht, um zu wissen, was er hier sah: Hexen.

Noch bevor er den Gedanken an Weglaufen in seinem Kopf formen konnte, hatte ihn eine der Hexen, eine große weißhaarige Frau schon entdeckt. Sie entblößte ihre Zähne zu einem fürchterlichen Lächeln und winkte ihn mit ihrem Zeigefinger zu sich, worauf sich seine Füße von selbst in Bewegung setzten, bis er vor ihr stand. Sie hob die Arme und rief: „Schwestern, wir haben einen ungebetenen Gast. Lasst ihn uns willkommen heißen.“  Kreischend und lachend, stürzten die Hexen herbei und griffen nach seinen Händen und zwangen ihn, mit ihnen, um das Feuer zu tanzen.

Es  war kein hübscher Tanz. Die Hexen zogen ihn unbarmherzig mit sich, stießen ihn von einer zu anderen, sie rissen ihn an den Haaren, schlugen die langenFingernägel in seine Haut und drehten ihn immer schneller um die eigene Achse, so dass ihm bald so schwindlig war, dass er nicht mehr richtig sehen konnte. Das Feuer, die Raben, die Katzen, die bunten Röcke der Hexen…alles verschwamm zu einem undeutlichen Wirbel. Nur die Augen der Hexen, die konnte er klarsehen, die anklagenden grünen Augen der Hexen, die seine Seele entblößten und sein Inneres ihn Brand setzten. Bald schmerzten seine Füße so sehr, dass er glaubte, jeden Moment tot zur Erde zu sinken, aber die Hexen rissen ihn mit sich, als wäre er ihre Puppe, mit denen sie spielten.

Immer dichter zogen die Hexen ihre Kreise und immer mehr drängten sie ihn zum Feuer. Er konnte die Flammen auf seiner Haut spüren. Der Rauch machte ihm das Atmen schwer und er hustete, was bei den Hexen zu Gelächter führte. „Na, quält dich das Feuer? Fühlst du schon seine tödliche Hitze? Unsere Schwestern haben es auch gespürt“, sprach da die weißhaarige Hexe, „unsere Schwestern, die ihr verfolgt und ermordet habt, ihr Männer, die ihr alles fürchtet, was mehr Macht hat als ihr. Gestorben sind sie, unter Schmerzen, schreiend und ihr habt euch an ihren Qualen geweidet. Aber ihr habt uns nicht vernichtet, wir sind noch da und immer, wenn wir uns zum Tanz versammeln, gedenken wir unserer toten Schwestern und du hast es gewagt uns zu stören, weil du zu arrogant warst, die Gefahr zu erkennen. Das wirst du nun büßen! Ins Feuer mit dir!“

„Ins Feuer!“, schrien die anderen Hexen und ehe der Professor um Erbarmen flehen konnte, hatte sie ihn schon gepackt. „Brennen sollst du, wie sie gebrannt haben!“ Und sie warfen ihn ins Feuer, als sei er nicht mehr als ein Holzstück und die Flammen labten sich an ihm, verschlangen ihn und seine Schreie wurden erstickt durch die Asche, die ihm in Mund und Atemwege gelang. Sein Körper wurde zu einer eitrigen Wunde und als die Schmerzen ihm endgültig den Verstand raubten, auf dem er doch so stolz gewesen war, fiel er in eine gnädige Dunkelheit. 

Als er wieder zu sich kam, lag er in einem weichen weißen Bett und eine freundliche Pflegefachfrau beugte sich lächelnd über ihn. Seine erregten Fragen nach Hexen und Katzen und Raben ignorierte sie. Sie erzählte ihm stattdessen, Spaziergängen hätten ihn am frühen Morgen ohnmächtig am Waldrand gefunden. Er hätte eine Gehirnerschütterung und sei unterkühlt, aber das würde schon wieder werden. Wahrscheinlich, erklärte sie ihm, während sie seine Vitalwerte überprüfte, habe er sich im nächtlichen Wald den Kopf an einem Ast gestoßen, das erkläre zumindest die unschöne Kopfwunde.

Das erschien dem Professor eine logische Erklärung, zumal er an seinem Körper weder Verbrennungen noch Biss – oder Kratzwunden finden konnte. Ja, so musste es gewesen sein. Er hatte sich einfach den Kopf angeschlagen und hatte aufgrund der Gehirnerschütterung diesen entsetzlichen Hexentanz zusammenfantasiert. Alles nur ein böser Traum. Obwohl er immer noch glaubte, die Hitze des Feuers zu spüren, weshalb er die Pflegefrau bat, das Fenster zu öffnen, was sie ohne Umschweife tat, wobei sie die Bemerkung fallen liess, wie schön es doch sei, mal wieder die Sterne am Nachthimmel zu sehen – der Nebel hatte sich nämlich endgültig verzogen.

Erleichtert liess sich der Professor in die Kissen zurücksinken. Der Nebel war verschwunden und mit ihm wahrscheinlich auch die Raben und die Kröten. Bestimmt hatte das irgendeinen Zusammenhang mit dem Klimawandel, dachte der Professor, während er die Augen schloss, eine seriöse naturwissenschaftliche Erklärung…sobald er wieder bei Kräften war, würde er alles daransetzen, eine zu liefern, damit dieser Hokuspokus endlich ein Ende hatte.

Von fern erklangen die Schläge der Turmuhr.

Dreizehnmal.

Du bist verstoßen aus der Welt,

Du bist auf Dich allein gestellt,

Die Waldluft hüllt Dich tröstend ein,

Sie scheint dir Freund und Schutz zu sein,

Du hast den Kampf noch nicht verloren,

Du kommst zurück, hast Du geschworen,

Und wenn die Hexe wiederkehrt,

Dann bleibt kein Richter unversehrt!

Aus: „Schrei es in die Winde“ von Faun

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