Nun lebte in
Langenthal schon seit vielen Jahren ein Mann, den alle nur den Professor
nannten, denn er war ein kluger Kopf, was er auch nie vergaß, allen unter die
Nase zu reiben, die er für weniger gescheit hielt als sich selbst. Und er war
ein Mann, der all sein Streben und Leben stets nach den Fakten ausrichteten.
Nach beweisbaren Fakten, wie er betonte, denn er glaubte an nichts, woran er
nicht selbst geforscht hatte, und er ärgerte sich über seine Mitmenschen, die seiner
Meinung nach, ihren eigenen Verstand nicht nutzten, sondern zugunsten von
Reality – TV verkümmern ließen. Selbst Märchenbücher empfand er als perfiden
Angriff auf die Aufklärung.
Man kann sich also
vorstellen, wie sehr ihm das ständige Gerede von Geistern und Vampiren gegen
den Strich ging und wie sehr er es verabscheute, dass seine Stadt, diese so
wunderbar geordnete, nüchterne und ganz und gar langweilige Stadt, sich
zusehends in ein Tollhaus verwandelte und sich die sonst so vernünftigen
Einheimischen gebärdeten, als hätten sie zu viel von den falschen Pilzen
genascht. Er verachtete sie für ihre Ängstlichkeit und ihre Leichtgläubigkeit
und sie gingen ihn auf die Nerven mit ihrem Knoblauch, ihren Taschenlampen und
ihren wispernden Gesprächen über das grauenvolle Unheil, dass angeblich im
Schorenwald lauerte.
Schliesslich
entschloss sich der Professor, diesem unsinnigen Treiben ein Ende zu bereiten.
Er würde beweisen, dass im Schorenwald nichts, aber auch gar nichts war, dass
man zu fürchten brauchten – ausser vielleicht ein paar begrabene
Aufstiegsträume des SC Langenthals. Und so brach er auf, im Dienste der
Aufklärung, fest davon überzeugt, dass sich für all diese Vorkommnisse eine
plausible Erklärung finden würde, die nichts, aber auch gar nichts, mit
irgendwelchen übernatürlichen Wesen zu tun hatte.
Es war eine kühle
Herbstnacht und der Mond hing schön und satt über dem Wald, dessen Bäume schon
beinahe kahl waren, denn der Herbst war weit fortgeschritten und der Winter
stand vor der Tür. Doch der Professor liess sich weder von der Kälte noch von
der Dunkelheit einschüchtern. Er klappte einfach den Kragen seines Mantels hoch
und marschierte in den Wald, mit dem Mut eines Mannes, der glaubte, alles schon
gesehen zu haben.
Der Professor war
erst einige Schritte gegangen, da glaubte er, Geflüster zu hören. Er redete
sich ein, dass sei nur der Wind, der durch die Äste pfiff. Dann meinte er Augen
aufblitzen zu sehen, leuchtende, gelbe Augen, die ihn fixierten. Glühwürmchen,
überzeugte er sich selbst, einfach nur Glühwürmchen, kein Grund zur Besorgnis. Und
auch als er das Fauchen vernahm, ein zischendes warnendes Fauchen, drehte er
nicht um, sondern ging weiter, voller Trotz.
Dennoch schlich sich
die Furcht in sein Herz, denn je weiter er in den Wald ging, desto mehr
schienen die Bäume näher zu rücken und ihre Äste schienen sich wie Finger
anklagend auf ihn zu richten. Der Professor ging immer schneller und dennoch
war ihm, als würde er kaum vorwärtskommen. Die Wege verflochten sich
ineinander, wurden zu einem undurchdringlichen Labyrinth und bald hatte er ganz
die Orientierung verloren, er wusste nicht mehr, von wo er gekommen war und
wohin er eigentlich gewollt hatte.
Verwirrt blieb der
Professor schliesslich stehen – so oft war er schon in diesem Wald gewesen und
doch erschien er ihm nun wie ein völlig fremder Ort. Erschöpft wollte er sich an
einem Baum abstützen, doch als er die Hand auf den Stamm legte, begann dieser
zu knurren. Die Wurzeln des Baumes hoben sich aus der Erde und grapschten nach
ihm. Schreiend wirbelte der Professor herum und rannte davon. Äste schlugen ihm
ins Gesicht, Dornenranken rissen an seinen Kleidern, seine Lunge brannte und
seine Seiten schmerzten, aber er rannte immer weiter, bis seine Füße an einem
Stein hängen blieben und er der Länge nach hinstürzte.
Benommen blieb er
liegen. Da fielen sie über ihn her, die Schatten, die ihn seit Betreten des
Waldes verfolgt und belauert hatten. Waldkatzen, riesige wilde Waldkatzen, in
deren goldenen Augen Intelligenz und Grausamkeit leuchteten. Ihre Krallen
rissen an seinen Kleidern, ihre Zähne bohrten sich in sein Fleisch und ihre
Pfoten drückten ihn nieder – Waldkatzen, riesige wilde Waldkatzen. Er schrie
und versuchte, die Tiere abzuschütteln, aber es waren zu viele und sie waren zu
stark. Und während er schrie, glaubte er, eine Stimme zu hören, eine spöttische
und boshafte Stimme. Wir haben euch gewarnt. Ihr seid nicht willkommen.
Dann hörte er etwas
anderes. Das Krächzen von Raben. Nur, dass es ganz anders klang. Nicht mehr so
misstönend, sondern eher lockend, verheißend. Die Katzen hielten in ihrem
brutalen Treiben inne und spitzten die Ohren. Dann, so plötzlich wie sie über
ihn hergefallen waren, ließen sie von ihm ab und verschwanden zwischen den
Bäumen, so leise wie Diebe in der Nacht.
Der Professor
richtete sich auf. Er blutete aus mehreren Kratzen – und Bisswunden und der
Schreck saß ihn in den Gliedern. Er sollte gehen, er wusste es, er sollte den
Wald verlassen, die Warnung war deutlich gewesen. Er konnte es nicht. Zu stark
war die Neugier, zu groß sein Verlangen irgendeine natürliche Erklärung für das
ganze Geschehen zu finden. Und dann war da noch der Rabengesang…denn das
Krächzen hatte sich nun endgültig verwandelt, in eine schöne dunkle Melodie,
die ihn anzog, wie sie die Katzen angezogen hatte.
Etwas rief die
Geschöpfe des Waldes zu sich.
Also rappelte der Professor
sich auf. Er konnte kaum gehen, er taumelte eher, als er wie ein Schlafwandler
der Melodie folgte. Es dauerte nicht lange, da sah er einen rötlichen Schein,
der durch die Bäume schimmerte und er
stolperte darauf zu, wie eine Motte, die vom für sie tödlichen Licht angezogen
wird. Feuer. Es musste ein Feuer sein, dachte der Professor, wahrscheinlich
feierte jemand eine wilde Party und hatte sich diese Gruselshow ausgedacht, um
ungestört zu sein. Er würde sie für diese Geschmacklosigkeit stellen – die
kläglichen Reste seines Verstandes klammerten sich an diese Erklärung, die
jedoch noch einmal gehörig ins Wanken geriet, als er die Kröten erblicke. Die
Kröten, die den Weg säumten, warzige und bucklige Wächter, die ihm grösser
schienen als alle Kröten, die er je gesehen hatte.
Dennoch kehrte er
nicht um, sondern humpelte weiter auf den Feuerschein zu, schob sich durch das
Dickicht… bis er schliesslich so nahe war, dass er die Quelle erkennen konnte.
Ihm stockte der Atem.
Das Feuer war riesig.
Wie ein Leuchtturm loderte es, ungezähmt und wild, die Flammen so hoch, dass
sie den Himmel zu berühren schienen. Um das Feuer, ungestört von der Hitze,
flogen sie, die Raben und sangen schön wie die Nachtigallen, doch es war nicht
das, was den Professor schockierte und sein Blut gefrieren liess, es waren die
Frauen. Die Frauen, die barfuß um das Feuer tanzten und dabei sangen und
lachten, als gebe es kein Morgen.
Es waren alte und
junge Frauen, aber sie alle waren grässlich schön, wie sie herumtobten, ihre
bunten Röcke wirbeln ließen und ihr langes Haarschüttelten. In ihren Händen
hielten sie Besen, die sie mal geschickt über ihre Köpfe wirbeln ließen, dann
wieder energisch auf die Erde stießen. Und um ihre Füße strichen die
Waldkatzen, schlossen sich ihrem wilden Tanz an, so wie die Raben es taten. Funken
stoben um die Tanzenden, doch der Professor hätte sie eigentlich nicht
gebraucht, um zu wissen, was er hier sah: Hexen.
Noch bevor er den
Gedanken an Weglaufen in seinem Kopf formen konnte, hatte ihn eine der Hexen,
eine große weißhaarige Frau schon entdeckt. Sie entblößte ihre Zähne zu einem
fürchterlichen Lächeln und winkte ihn mit ihrem Zeigefinger zu sich, worauf
sich seine Füße von selbst in Bewegung setzten, bis er vor ihr stand. Sie hob
die Arme und rief: „Schwestern, wir haben einen ungebetenen Gast. Lasst ihn uns
willkommen heißen.“ Kreischend und
lachend, stürzten die Hexen herbei und griffen nach seinen Händen und zwangen
ihn, mit ihnen, um das Feuer zu tanzen.
Es war kein hübscher Tanz. Die Hexen zogen ihn
unbarmherzig mit sich, stießen ihn von einer zu anderen, sie rissen ihn an den
Haaren, schlugen die langenFingernägel in seine Haut und drehten ihn immer
schneller um die eigene Achse, so dass ihm bald so schwindlig war, dass er
nicht mehr richtig sehen konnte. Das Feuer, die Raben, die Katzen, die bunten Röcke
der Hexen…alles verschwamm zu einem undeutlichen Wirbel. Nur die Augen der
Hexen, die konnte er klarsehen, die anklagenden grünen Augen der Hexen, die
seine Seele entblößten und sein Inneres ihn Brand setzten. Bald schmerzten
seine Füße so sehr, dass er glaubte, jeden Moment tot zur Erde zu sinken, aber
die Hexen rissen ihn mit sich, als wäre er ihre Puppe, mit denen sie spielten.
Immer dichter zogen
die Hexen ihre Kreise und immer mehr drängten sie ihn zum Feuer. Er konnte die
Flammen auf seiner Haut spüren. Der Rauch machte ihm das Atmen schwer und er
hustete, was bei den Hexen zu Gelächter führte. „Na, quält dich das Feuer?
Fühlst du schon seine tödliche Hitze? Unsere Schwestern haben es auch gespürt“,
sprach da die weißhaarige Hexe, „unsere Schwestern, die ihr verfolgt und
ermordet habt, ihr Männer, die ihr alles fürchtet, was mehr Macht hat als ihr.
Gestorben sind sie, unter Schmerzen, schreiend und ihr habt euch an ihren
Qualen geweidet. Aber ihr habt uns nicht vernichtet, wir sind noch da und immer,
wenn wir uns zum Tanz versammeln, gedenken wir unserer toten Schwestern und du
hast es gewagt uns zu stören, weil du zu arrogant warst, die Gefahr zu erkennen.
Das wirst du nun büßen! Ins Feuer mit dir!“
„Ins Feuer!“, schrien die anderen Hexen und ehe der Professor um Erbarmen flehen konnte, hatte sie ihn schon gepackt. „Brennen sollst du, wie sie gebrannt haben!“ Und sie warfen ihn ins Feuer, als sei er nicht mehr als ein Holzstück und die Flammen labten sich an ihm, verschlangen ihn und seine Schreie wurden erstickt durch die Asche, die ihm in Mund und Atemwege gelang. Sein Körper wurde zu einer eitrigen Wunde und als die Schmerzen ihm endgültig den Verstand raubten, auf dem er doch so stolz gewesen war, fiel er in eine gnädige Dunkelheit.
Als er wieder zu sich
kam, lag er in einem weichen weißen Bett und eine freundliche Pflegefachfrau
beugte sich lächelnd über ihn. Seine erregten Fragen nach Hexen und Katzen und
Raben ignorierte sie. Sie erzählte ihm stattdessen, Spaziergängen hätten ihn am
frühen Morgen ohnmächtig am Waldrand gefunden. Er hätte eine Gehirnerschütterung
und sei unterkühlt, aber das würde schon wieder werden. Wahrscheinlich,
erklärte sie ihm, während sie seine Vitalwerte überprüfte, habe er sich im
nächtlichen Wald den Kopf an einem Ast gestoßen, das erkläre zumindest die
unschöne Kopfwunde.
Das erschien dem
Professor eine logische Erklärung, zumal er an seinem Körper weder
Verbrennungen noch Biss – oder Kratzwunden finden konnte. Ja, so musste es
gewesen sein. Er hatte sich einfach den Kopf angeschlagen und hatte aufgrund
der Gehirnerschütterung diesen entsetzlichen Hexentanz zusammenfantasiert.
Alles nur ein böser Traum. Obwohl er immer noch glaubte, die Hitze des Feuers
zu spüren, weshalb er die Pflegefrau bat, das Fenster zu öffnen, was sie ohne
Umschweife tat, wobei sie die Bemerkung fallen liess, wie schön es doch sei,
mal wieder die Sterne am Nachthimmel zu sehen – der Nebel hatte sich nämlich
endgültig verzogen.
Erleichtert liess
sich der Professor in die Kissen zurücksinken. Der Nebel war verschwunden und
mit ihm wahrscheinlich auch die Raben und die Kröten. Bestimmt hatte das
irgendeinen Zusammenhang mit dem Klimawandel, dachte der Professor, während er
die Augen schloss, eine seriöse naturwissenschaftliche Erklärung…sobald er
wieder bei Kräften war, würde er alles daransetzen, eine zu liefern, damit
dieser Hokuspokus endlich ein Ende hatte.
Von fern erklangen
die Schläge der Turmuhr.
Dreizehnmal.
Du bist verstoßen
aus der Welt,
Du bist auf Dich
allein gestellt,
Die Waldluft hüllt
Dich tröstend ein,
Sie scheint dir
Freund und Schutz zu sein,
Du hast den Kampf
noch nicht verloren,
Du kommst zurück,
hast Du geschworen,
Und wenn die Hexe
wiederkehrt,
Dann bleibt kein
Richter unversehrt!
Aus: „Schrei es in
die Winde“ von Faun
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