Montag, 30. Oktober 2023

Die Uhr schlägt dreizehn, Teil 1



Nebel hing über Langenthal.

Böse Zungen mochte behaupten, das sei nun wahrlich nichts Neues, Nebel gehöre zum Oberaargau wie die absurd hohe Anzahl von Kreiseln. Aber dieser Nebel war anders. Zäh wie Kaugummi legte er sich über die Straßen und keinem Sonnenstrahl gelang es, das gespenstische Weiss zu durchdringen, so dass die  Langenthaler: innen zusehends orientierungslos in ihrer eigenen Stadt rumtapsten (wobei, auch da waren sie sich einiges gewöhnt, denn schliesslich entbehrte die Strassenbeschilderung seit jeher jeglicher Logik).

Die Stadt ging mit dem ungewöhnlichen Wetterphänomen so um, wie sie es immer mit Problemen zu tun pflegte: Sie ignorierte es, solange es ging. Bis jemand von den hohen Trottoirs stürzte und sich das Bein brach. Zwar stellte sich schnell heraus, dass das Opfer sich ein bisschen zu viel vom Langenthaler Fürobebier hinter die Binde gekippt und dass der Nebel bei dem Sturz wohl nur eine zweitrangige Rolle gespielt hatte, trotzdem schickte der Gemeinderat nach diesem Vorfall vorsorglich jedem Langenthaler Haushalt eine Taschenlampe, mit der eindringlichen Bitte, diese auch zu benutzen.

Die Langenthaler:innen zeigten sich durchaus zufrieden mit diesen Lösungsansatz (bis auf einige Stadträt:innen, die erbost verkündeten, sie ließen sich vom Gemeinderat nicht vorschreiben, welche Lichtquellen sie zu verwenden haben und lieber mit Kerzenleuchter durch die Gegend rannten) und der  Gemeinderat glaubte schon, die Krise überstanden zu haben, da begann die Choufhüsiuhr verrückt zu spielen.

Um Mitternacht erklangen nämlich plötzlich nicht mehr zwölf Schläge. Sondern dreizehn.

Zuerst hielt man es für einen normalen Defekt, der ja durchaus auch mal vorkommen konnte, schliesslich hatte das Zeigerwerk schon mal versagt. Doch keiner der eilig herbeigerufenen Uhrenexperten vermochte es, das Uhrwerk wieder auf Kurs zu bringen: Was sie auch anstellten, die Uhr beharrte auf ihren dreizehn Schlägen. Und auch der Versuch, sie ganz abzudrehen scheiterte.

Der Stadtrat kritisiere das, wie er es nannte, eklatante Versagen der Regierung, schliesslich widerspreche das eigenwillige Gebaren der Uhr dem städtischen Beläutungskonzept. Er forderte sofortige Gegenmaßnahmen, alles andere sei unzumutbar. Das wiederum veranlasste den entnervten Stadtpräsidenten zu der Bemerkung, dass es den meisten Langenthaler:innen wohl herzlich egal sein dürfte, ob die Uhr um Mitternacht jetzt zwölf oder dreizehn schlage, schliesslich sei um diese Zeit ohnehin niemand mehr in der Stadt unterwegs und überhaupt sei eine durchgedrehte Uhr nun wirklich nicht das Ende der Welt.

Tatsächlich dauerte es nicht lange, da sehnte sich der Stadtrat förmlich nach den Zeiten, als Nebel und Uhr noch die größten Probleme von Langenthal darstellten (ganz zu schweigen von Zeiten als man sich noch leidenschaftlich über falsche gesetzte Kommata in Abstimmungsbotschaften gestritten hatte), denn dann kamen die Raben.

Und die Raben blieben.

Nicht, dass Vögel im Allgemeinen oder Raben im Speziellen im Oberaargau so selten gewesen wären, aber noch nie, und da waren sich die Ornitholog:innen alle einig, hatten sie sich dermaßen in Scharen in einer Stadt niedergelassen, wie es in Langenthal nun der Fall war.  Grüppchenweise ließen sie sich auf Schildern nieder und beobachteten die vorbeilaufenden Menschen aus klugen dunklen Augen, ganz so, als ahnten sie eine finstere Zukunft voraus. Das allein wäre wahrlich schon unheimlich genug gewesen, aber ihr lautes Krächzen drang selbst durch die dicken Mauern des Stadttheaters, so dass schliesslich sogar ein Konzert abgebrochen werden musste (wobei einige Besuchende im Nachgang meinten, das Krächzen hätte sich eigentlich gar nicht so sehr von der Gesangsdarbietung der Künstlerin unterschieden, denn es handelte sich um Konzert der modernen Klassik, ein weiterer verzweifelter Versuch, der fasnachtsversuchten Bevölkerung wenigstens etwas hochstehende Kultur einzubläuen).

Die Raben waren aber nicht ganz so schlimm wie die Kröten die sich wie eine Plage in der ganzen Stadt ausbreiteten, so dass man bald keinen Schritt mehr gehen konnte, ohne fürchten zu müssen, eine zu betreten. Am beliebten Wochenmarkt kam es gar zu Tumulten, als an einem Stand mehrere Kröten aus den Körben gesprungen kamen. Während die Menschen kreischend zurückwichen, krochen die Kröten frohgemut weiter (tatsächlich kamen sie mit den Pflastersteinen besser klar als manche Langenthaler:innen), wobei sie eine widerlich schleimige Spur hinter sich herzogen, die der Werkhof schliesslich mühselig wieder entfernen musste.

Mehrere Marktbesuchende erlitten Nervenzusammenbrüche und begannen vom „Fluch der Kröten“ zu faseln, was gewissermaßen der Startschuss war für das Aufblühen allerlei Gespenstertheorien. Nebel, Uhr, Raben, Kröten – das alles, so die einhellige Meinung der meisten Langenthaler:innen deutete eindeutig auf übernatürliche Geschehnisse hin. Man war sich nur nicht ganz einig in der Frage, ob Gespenster, Vampire oder doch die guten alten Hexen für die merkwürdigen Geschehnisse verantwortlich waren. Bald waren in der Bibliothek sämtliche Bücher, die sich mit alten Legenden und Sagen befassten, ausgeliehen und es entstand ein schwunghafter Handel mit allerlei Talismanen und Amuletten, die vor übernatürlichen Feinden schützen sollten. Ganz abgesehen davon, dass viele Leute dazu übergingen, sich mit Knoblauch zu behängen, was wiederum zur Folge hatte, dass Langenthal nun nicht mehr als durchschnittlichste Stadt, sondern als die stinkendste Stadt der Schweiz galt.

Im ganzen Trubel  fiel niemanden auf, dass in sämtlichen Geschäften alle Reisigbesen ausverkauft waren.

Natürlich gab es einige Langenthaler:innen, die nicht an Übernatürliches glaubten und das Gerede abfällig als Hirngespinsten abtaten. Wetterphänomene hatte es schliesslich immer schon gegeben, Uhren gingen nun mal auch kaputt und wer wusste schon, was in den Köpfen von Amphibien vor sich ging, meinten sie und bedachten ihre ängstlichen und hysterischen Mitbürger:innen mit spöttischem Kopfschütteln.

Der Spott verging ihnen jedoch schnell, als es im Schorenwald zu einem merkwürdigen Geschehnis kam. Zwei Fans des SC Langenthals wollten sich nach einem Match - der in einer krachenden Niederlage geendet hatte – noch ein wenig die Beine vertreten. Sie kehrten nicht zurück. Am nächsten Morgen fand man sie,  zitternd und bleich am Waldrand, die Augen weit aufgerissen, mit Kratzen an Armen und Beinen. Diese, so erzählten sie später mit klappernden Zähnen, stammten von Waldkatzen. Diese hätten sie attackiert, kaum hätten sie einen Fuß in den Wald gesetzt. Und dann, hätten die Bäume angefangen zu sprechen und zu lachen und sie hätten gerufen, dass sie hier nicht willkommen seien, der Wald gehöre jetzt anderen Mächten und sie sollen sich hüten, ihn aufzusuchen, bis der Vollmond vergangen und das letzte Herbstblatt gefallen sei.

Zwar tat man die Geschichte erst als das Hirngespinst zweier Betrunkener ab, doch bei der Untersuchung im Krankenhaus stellte sich heraus, dass die beiden stocknüchtern waren und dass die Kratzer tatsächlich von Katzen stammten. Und so entschied der Gemeinderat, dass der Schorenwald vorerst von niemanden betreten werden durfte, wobei die offizielle Version lautete, im Wald treibe ein vom Zoo entlaufener Panther sein Unwesen.

Aber die Menschen in Langenthal wussten es besser.

Was auch immer im Schorenwald sein Unwesen trieb: Es war kein Tier.

Es war etwas anderes.

Etwas Mächtiges.

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