Nebel hing über Langenthal.
Böse Zungen mochte
behaupten, das sei nun wahrlich nichts Neues, Nebel gehöre zum Oberaargau wie
die absurd hohe Anzahl von Kreiseln. Aber dieser Nebel war anders. Zäh wie
Kaugummi legte er sich über die Straßen und keinem Sonnenstrahl gelang es, das
gespenstische Weiss zu durchdringen, so dass die Langenthaler: innen zusehends
orientierungslos in ihrer eigenen Stadt rumtapsten (wobei, auch da waren sie
sich einiges gewöhnt, denn schliesslich entbehrte die Strassenbeschilderung
seit jeher jeglicher Logik).
Die Stadt ging mit
dem ungewöhnlichen Wetterphänomen so um, wie sie es immer mit Problemen zu tun
pflegte: Sie ignorierte es, solange es ging. Bis jemand von den hohen Trottoirs
stürzte und sich das Bein brach. Zwar stellte sich schnell heraus, dass das
Opfer sich ein bisschen zu viel vom Langenthaler Fürobebier hinter die Binde
gekippt und dass der Nebel bei dem Sturz wohl nur eine zweitrangige Rolle
gespielt hatte, trotzdem schickte der Gemeinderat nach diesem Vorfall
vorsorglich jedem Langenthaler Haushalt eine Taschenlampe, mit der
eindringlichen Bitte, diese auch zu benutzen.
Die
Langenthaler:innen zeigten sich durchaus zufrieden mit diesen Lösungsansatz
(bis auf einige Stadträt:innen, die erbost verkündeten, sie ließen sich vom
Gemeinderat nicht vorschreiben, welche Lichtquellen sie zu verwenden haben und
lieber mit Kerzenleuchter durch die Gegend rannten) und der Gemeinderat glaubte schon, die Krise
überstanden zu haben, da begann die Choufhüsiuhr verrückt zu spielen.
Um Mitternacht
erklangen nämlich plötzlich nicht mehr zwölf Schläge. Sondern dreizehn.
Zuerst hielt man es
für einen normalen Defekt, der ja durchaus auch mal vorkommen konnte,
schliesslich hatte das Zeigerwerk schon mal versagt. Doch keiner der eilig
herbeigerufenen Uhrenexperten vermochte es, das Uhrwerk wieder auf Kurs zu
bringen: Was sie auch anstellten, die Uhr beharrte auf ihren dreizehn Schlägen.
Und auch der Versuch, sie ganz abzudrehen scheiterte.
Der Stadtrat
kritisiere das, wie er es nannte, eklatante Versagen der Regierung,
schliesslich widerspreche das eigenwillige Gebaren der Uhr dem städtischen
Beläutungskonzept. Er forderte sofortige Gegenmaßnahmen, alles andere sei
unzumutbar. Das wiederum veranlasste den entnervten Stadtpräsidenten zu der
Bemerkung, dass es den meisten Langenthaler:innen wohl herzlich egal sein
dürfte, ob die Uhr um Mitternacht jetzt zwölf oder dreizehn schlage,
schliesslich sei um diese Zeit ohnehin niemand mehr in der Stadt unterwegs und
überhaupt sei eine durchgedrehte Uhr nun wirklich nicht das Ende der Welt.
Tatsächlich dauerte
es nicht lange, da sehnte sich der Stadtrat förmlich nach den Zeiten, als Nebel
und Uhr noch die größten Probleme von Langenthal darstellten (ganz zu schweigen
von Zeiten als man sich noch leidenschaftlich über falsche gesetzte Kommata in
Abstimmungsbotschaften gestritten hatte), denn dann kamen die Raben.
Und die Raben
blieben.
Nicht, dass Vögel im
Allgemeinen oder Raben im Speziellen im Oberaargau so selten gewesen wären, aber
noch nie, und da waren sich die Ornitholog:innen alle einig, hatten sie sich
dermaßen in Scharen in einer Stadt niedergelassen, wie es in Langenthal nun der
Fall war. Grüppchenweise ließen sie sich
auf Schildern nieder und beobachteten die vorbeilaufenden Menschen aus klugen
dunklen Augen, ganz so, als ahnten sie eine finstere Zukunft voraus. Das allein
wäre wahrlich schon unheimlich genug gewesen, aber ihr lautes Krächzen drang
selbst durch die dicken Mauern des Stadttheaters, so dass schliesslich sogar
ein Konzert abgebrochen werden musste (wobei einige Besuchende im Nachgang meinten,
das Krächzen hätte sich eigentlich gar nicht so sehr von der Gesangsdarbietung
der Künstlerin unterschieden, denn es handelte sich um Konzert der modernen
Klassik, ein weiterer verzweifelter Versuch, der fasnachtsversuchten
Bevölkerung wenigstens etwas hochstehende Kultur einzubläuen).
Die Raben waren aber
nicht ganz so schlimm wie die Kröten die sich wie eine Plage in der ganzen
Stadt ausbreiteten, so dass man bald keinen Schritt mehr gehen konnte, ohne
fürchten zu müssen, eine zu betreten. Am beliebten Wochenmarkt kam es gar zu
Tumulten, als an einem Stand mehrere Kröten aus den Körben gesprungen kamen.
Während die Menschen kreischend zurückwichen, krochen die Kröten frohgemut
weiter (tatsächlich kamen sie mit den Pflastersteinen besser klar als manche
Langenthaler:innen), wobei sie eine widerlich schleimige Spur hinter sich
herzogen, die der Werkhof schliesslich mühselig wieder entfernen musste.
Mehrere
Marktbesuchende erlitten Nervenzusammenbrüche und begannen vom „Fluch der
Kröten“ zu faseln, was gewissermaßen der Startschuss war für das Aufblühen allerlei
Gespenstertheorien. Nebel, Uhr, Raben, Kröten – das alles, so die einhellige Meinung
der meisten Langenthaler:innen deutete eindeutig auf übernatürliche
Geschehnisse hin. Man war sich nur nicht ganz einig in der Frage, ob
Gespenster, Vampire oder doch die guten alten Hexen für die merkwürdigen
Geschehnisse verantwortlich waren. Bald waren in der Bibliothek sämtliche
Bücher, die sich mit alten Legenden und Sagen befassten, ausgeliehen und es
entstand ein schwunghafter Handel mit allerlei Talismanen und Amuletten, die
vor übernatürlichen Feinden schützen sollten. Ganz abgesehen davon, dass viele
Leute dazu übergingen, sich mit Knoblauch zu behängen, was wiederum zur Folge
hatte, dass Langenthal nun nicht mehr als durchschnittlichste Stadt, sondern
als die stinkendste Stadt der Schweiz galt.
Im ganzen Trubel fiel niemanden auf, dass in sämtlichen
Geschäften alle Reisigbesen ausverkauft waren.
Natürlich gab es
einige Langenthaler:innen, die nicht an Übernatürliches glaubten und das Gerede
abfällig als Hirngespinsten abtaten. Wetterphänomene hatte es schliesslich
immer schon gegeben, Uhren gingen nun mal auch kaputt und wer wusste schon, was
in den Köpfen von Amphibien vor sich ging, meinten sie und bedachten ihre
ängstlichen und hysterischen Mitbürger:innen mit spöttischem Kopfschütteln.
Der Spott verging
ihnen jedoch schnell, als es im Schorenwald zu einem merkwürdigen Geschehnis
kam. Zwei Fans des SC Langenthals wollten sich nach einem Match - der in einer
krachenden Niederlage geendet hatte – noch ein wenig die Beine vertreten. Sie
kehrten nicht zurück. Am nächsten Morgen fand man sie, zitternd und bleich am Waldrand, die Augen
weit aufgerissen, mit Kratzen an Armen und Beinen. Diese, so erzählten sie
später mit klappernden Zähnen, stammten von Waldkatzen. Diese hätten sie
attackiert, kaum hätten sie einen Fuß in den Wald gesetzt. Und dann, hätten die
Bäume angefangen zu sprechen und zu lachen und sie hätten gerufen, dass sie
hier nicht willkommen seien, der Wald gehöre jetzt anderen Mächten und sie
sollen sich hüten, ihn aufzusuchen, bis der Vollmond vergangen und das letzte
Herbstblatt gefallen sei.
Zwar tat man die
Geschichte erst als das Hirngespinst zweier Betrunkener ab, doch bei der
Untersuchung im Krankenhaus stellte sich heraus, dass die beiden stocknüchtern
waren und dass die Kratzer tatsächlich von Katzen stammten. Und so entschied
der Gemeinderat, dass der Schorenwald vorerst von niemanden betreten werden
durfte, wobei die offizielle Version lautete, im Wald treibe ein vom Zoo
entlaufener Panther sein Unwesen.
Aber die Menschen in
Langenthal wussten es besser.
Was auch immer im
Schorenwald sein Unwesen trieb: Es war kein Tier.
Es war etwas anderes.
Etwas Mächtiges.
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