Ruhig und bescheiden im Auftreten, hartnäckig
und entschlossen, wenn es gilt in der
Politik etwas durchzusetzen, was ihr am Herzen liegt: Christine Blum,
die Frau mit dem herzlichen Lächeln wird in Diskussionen nie laut, doch sie
platziert ihre Argumente gekonnt und würzt sie mit fundierten Fakten, statt mit
Effekthascherei. Das weiss die Stimmbevölkerung zu schätzen. Christine vertritt
seit 2016 die SP Oberaargau im Grossrat des Kantons Bern.
Die Politik begleitet sie schon ihr Leben
lang. Geboren und aufgewachsen ist sie in Gondiswil, wo ihr Vater während einigen Jahren als Gemeinderat
waltete. Als Vertreter der BGB, dem Vorläufer der SVP. „Ja, wir haben schon das
eine oder andere Mal miteinander diskutiert. Aber weniger um politische, als
vielmehr um gesellschaftliche Themen“, bestätigt Christine.
Trotz der eher konservativ ausgerichteten
Partei, führten ihre Eltern ein sehr modernes Familienleben. Ihre Mutter
arbeitete auch nach der Geburt der Kinder weiter als Handarbeitslehrerin, der
Vater packte ganz selbstverständlich mit im Haushalt an und kümmerte sich um
die Kinder. Und dann führte er nebenbei auch noch ein Schuhgeschäft. „Es ist ja
irgendwie auch verständlich, dass er als Gewerbler den linken Ideen, die damals
oft als einschränkend und bevormundend galten, eher kritisch gegenüberstand.“
Von ihrem Vater lernte sie, was es heisst,
ein Projekt anzustossen, zu begleiten und wenn nötig auch zu verteidigen.
Christine erinnert sich an die Diskussionen, rund um den Bau einer Turnhalle in
Gondiswil. Nicht alle im Dorf wollten diese Turnhallte. Ihr Vater kämpfte dafür
und musste deswegen auch einstecken. Schlussendlich wurde die Halle gebaut. Und
steht bis heute noch. Auch ihre Mutter war sehr engagiert, aber nicht auf
politischem Parkett. „Meine Mutter setzte sich in verschiedenen Vereinen ein.
Sie war weniger kämpferisch veranlagt – das habe ich eher von meinem Vater
geerbt.“
Politische und geschichtliche Zusammenhänge,
vor allem jedoch Umweltthemen, vermochten es, Christine schon früh zu
begeistern. Bei einer der ersten Aktionen, an
die sie sich erinnert, ging es um den autofreien Sonntag. Mit anderen Jugendlichen genoss sie demonstrativ die
ungewohnte Bewegungsfreiheit der Fussgänger auf den leeren Strassen.
Eine andere, ebenfalls grüne Bewegung, die sie unterstützte war die
„Gewaltfreie Aktion Graben“ (GAG), die zum Ziel hatte, den Bau eines AKW zu
verhindern. Christine war zwar nicht im Komitee, dafür eifrige Sympathisantin.
„Mein Anreiz war immer, dass man ändern kann, was einen stört“, erinnert sie
sich.
Die Berufswahl fiel ihr als junge Frau nicht
leicht, sie wusste lange nicht, welchen Weg sie einschlagen sollte, vor allem wenn es um eine akademische Ausbildung
gehen sollte. Nach intensiven Diskussionen in der Familie entschied sie sich
für die Ausbildung im Lehrerseminar, eine gute Grundlage mit einem soliden
Abschluss. So wurde Christine Lehrerin, was sich als gute Wahl
herausstellte. „Ich habe mich immer für den Dialog, den Austausch und für
Kinderentwicklung interessiert“, fasst sie zusammen.
Ihre erste Anstellungen fand Christine in
einem Heim für sozial auffällige Kinder. So entdeckte sie auch ihre Affinität
zu Kindern mit besonderen Bedürfnissen. „Ich habe mich zu ihnen immer
hingezogen gefühlt“, erklärt Christine und so überrascht es nicht, dass sie
sich schliesslich zur Heilpädagogin ausbilden liess. 2003 übernahm sie
schliesslich die Leitung der heilpädagogischen Schule Oberaargau. Dreizehn
Jahre lang blieb sie in dieser Funktion, bis sie sie schliesslich abgab.
Wohnhaft ist Christine seit 1984 in Melchnau,
und auch wenn sie hier eher aus Zufall gelandet ist, gefällt es ihr in dem
„Dörfchen“ noch immer ausgesprochen gut. Sie sei nie eine Stadtpflanze gewesen.
In ihren Augen ist Melchnau ein Dorf mit Tradition, in dem sich viele
Familienstämme angesiedelt haben. Zugleich ist es ein Ort im Wandel, wo
Initiativen möglich und erwünscht sind. „Und es gibt viele Grünflächen und Menschen mit einem grünen Daumen in Melchnau“,
fügt sie lächelnd hinzu. Das Grün um sie herum ist ihr ebenso wichtig wie die
gute Verkehrsanbindung.
Acht Jahre lang konnte Christine das
Geschehen in Melchnau prägen. 2006 wurde sie überraschend in den Gemeinderat
gewählt, als Parteilose auf der Liste der SP. Damit hatte sie nicht gerechnet,
dennoch nahm sie die Herausforderung an. Nach ihrer Wahl trat sie schliesslich
auch endgültig der SP bei, ein Schritt, den sie vorher nicht gewagt hat. Zwar
waren ihre Positionen immer links, dennoch mochte sie sich nicht endgültig
einer Partei verschreiben. Aber die SP hatte sie in den Gemeinderat portiert
und dieses Vertrauen wollte sie zurückgeben. „Von den Positionen her, hätten es
auch die Grünen werden können.“
Es war nicht immer leicht, als einzige
Linke in einem bürgerlich geprägten Gemeinderat zu politisieren. „Ich lernte in
dieser Zeit pragmatisch zu sein“, reflektiert Christine, „ich suche lieber nach
Lösungen, als zu blockieren. Und mängisch muess mer eifachs Beschte usere nid
perfekte Lösig mache.“
Dennoch, gerade im sozialen Bereich sei
Melchnau vorwärts gekommen. „Wir hatten früh Tagesschulangebote – früher als
Langenthal!“, bemerkt sie stolz. Vielleicht lag dieser Erfolg auch daran, dass
der Gemeinderat sehr weiblich geprägt war – vier von fünf Exekutivmitgliedern
waren zu Christines Zeit Frauen. Ging es um Anliegen, die Familien betrafen,
fiel es Christine nicht schwer, Brücken zu bauen.
Wenn der Gemeinderat
Melchnau einen Entschluss fällte, dann standen alle Mitglieder dafür ein, egal
ob er sich mit ihren persönlichen Wünschen und Einstellungen deckte oder nicht. „Wenn man dann auf
der Strasse mit Vorwürfen konfrontiert wird, ist das nicht immer leicht. Und
ich bin dann auch nicht die, die mit dem Kollegialitätsprinzip bricht.“
Inzwischen ist Christine
Grossrätin und damit Teil einer Legislative. Das Amt ist ziemlich zeitintensiv mit dem Aktenstudium, der
Meinungsbildung, mit dem Schreiben von Stellungnahmen oder Vorstössen und dann
natürlich die Sessionen. Die dauern in der Regel zwei Wochen und nehmen
pro Tag etwa 7 Stunden im Anspruch. Da ist vor allem Zuhören angesagt, was
allerdings durchaus Christines Wesen entspricht. Um das Rednerpult reisst sie
sich nicht unbedingt. „Wenn ich aber der Meinung bin, dass ich in einem Thema sattelfest
bin und etwas dazu beitragen kann, dann mische ich mich ein.“
Trotz der langen Grossratssitzungen,
langweilig wird es Christine nicht. „Es ist immer anregend, weil man auch mit
Themen konfrontiert wird, denen man vorher gar nie gross Beachtung geschenkt
hat.“ Und wenn es gar zu fade ist, dann gehe sie eben Kaffee holen, scherzt
sie. Zum Alltag einer Grossrätin gehören
auch die Fraktionssitzungen, die Christine besonders schätzt. „Hier entstehen
unmittelbare, intensive Diskussionen. Später im Grossrat hat man sich als
Partei ja abgesprochen und weiss, wer welches Votum abgeben wird.“
Inzwischen ist Christine im Grossrat
angekommen, obwohl sie eigentlich nie richtig mit ihrer Wahl gerechnet hat.
2014 landete sie auf der SP – Liste auf dem ersten Ersatzplatz. Und wie bei
ihrer Wahl in den Gemeinderat war sie über das fantastische Resultat völlig
verdutzt. „Es war nicht so, dass ich es mir nicht zutraute, das Amt auszuüben.
Ich fragte mich einfach immer: Wer wählt mich denn hier alles?“, lacht sie. Deshalb
war sie auch nicht enttäuscht, dass es nicht ganz für den Grossrat gereicht
hat, sondern eher erleichtert.
Als dann Pierre Masson aus familiären Gründen
zurücktrat, musste sie sich entscheiden, ob sie für ihn nachrücken will oder
nicht. Sie erbat sich Bedenkzeit. Und beschloss, die Chance zu ergreifen. 2018
schaffte sie die Wiederwahl, jetzt folgt die Kandidatur als Nationalrätin. Auf
die Frage, was sie am nationalen Parlament reize, antwortet sie ohne gross zu
überlegen: „Auf eidgenössischer Ebene kann man sehr viel erreichen, gerade in
den grossen Themen wie IV, AHV oder
Klima. Da ist man kantonal schon mehr eingeengt.“
Wahlkampf wird auch gerne als Ochsentour
bezeichnet. Für die Kandidierenden bedeutet es, dass sie eine grosse Präsenz an
den Tag legen müssen. Das ist für Christine nicht immer so einfach, weil sie,
laut eigener Aussage, „nicht gerne im Schaufenster steht.“ Und dennoch, ihr
Verantwortungsgefühl und ihre Lust auf die Politik, lässt sie auch diese
Herausforderung annehmen. „Ich sehe mich als Politikerin auch immer ein wenig
als Handwerkerin. Du musst dir das richtige Werkzeug suchen und es gebrauchen.“
Ausserdem ist Christine davon überzeugt, dass
es Frauenkandidaturen braucht. Auch wenn sie sich selbst nicht als Feministin
bezeichnen mag. „So ein Begriff ist auch immer abgrenzend. Ich bin für
Gleichstellung, dafür, dass es allen möglich ist, sich persönlich zu
verwirklichen.“ Rollenklischees lehnt sie ab, dennoch mag sie es auch, Frau zu
sein. „Ich stricke zum Beispiel sehr gerne – aber keine Pussyhats“, meint sie
augenzwinkernd.
Dass es für Frauen schwierig ist, Familie und
Beruf unter einen Hut zu bringen, weiss Christine aus eigener Erfahrung. Neben
ihrer Arbeit, ihrem Nachstudium und ihrem freiwilligen Engagement, zog sie auch
drei Töchter gross. Unterstützt wurde sie dabei von ihrem Mann, ihren Eltern und Schwiegereltern, die ihr vieles
ermöglichten. „Es war eine gute und intensive Phase. Dennoch ist es eine
Tatsache, dass Frauen oft zu Gunsten der Männer auf Führungspositionen verzichten.
Auch weil es in den höheren Stellungen zu wenig Teilpensen gibt“, betont sie.
Frauen werden schon anders beurteilt, als
Männer, findet Christine. Als sie beschlossen hat, sich zur Schulleiterin
weiterzubilden und dafür eine Stelle suchte, habe ihr offener Wunsch, in die
Rolle der Leitung zu wechseln, auch einige Leute irritiert. Frauen, die aktiv
nach einer Führungsrolle streben, seien Exotinnen. Auch in der Politik bekam es
Christine zu spüren, dass sie für manches mehr kämpfen muss, als ihre männlichen
Gspänli. „Ein Mann kann überzeugen, wenn er sich hinstellt und sagt: Ich finde
das eine gute Sache, vertraut mir. Eine Frau muss viel mehr Fakten liefern und
sattelfester sein, um ernst genommen zu werden.“ Doch Christine ist auch
überzeugt, dass sich die Dinge richtig entwickeln. Die Frauen würden immer
einflussreicher.
Die Frage, bei welchem Flügel der SP sie sich
verorten würde, kann sie nicht abschliessend beantworten. „Das kommt ganz auf
die Themen an. Ich bin – auch durch mein früheres Exekutivamt – für vernünftige
Lösungen und sehe oft beide Seiten einer Medaille. Wogegen ich mich aber klar
wehre, sind Repressionen, deswegen war ich auch gegen das Polizeigesetz.“ Die
persönliche Freiheit des Einzelnen, stellt Christine über alles andere.
Und dann ist da natürlich die Umwelt, die
Christine schon seit jungen Jahren beschäftigt. „Wenn ich einen Tag Kaiserin
der Schweiz wäre und allein entscheiden könnte, würde ich viele Gesetze zu
Gunsten der Umwelt ändern. Denn, wenn uns die Welt wegbricht, weil wir nicht
Sorge tragen, brauchen wir auch nicht mehr über soziale Themen zu debattieren. Für den Erhalt der Umwelt ist es wirklich fünf
vor Zwölf!“, ist Christine überzeugt.
Doch auch das sagt sie ohne laut zu werden,
ohne übertriebenen Pathos in der Stimme. Eindringlich, dennoch auch mit dieser
ruhigen Nachdenklichkeit, die sie ebenso ausmacht, wie die Ausgewogenheit in
ihren Voten. Sie ist niemand, der zum rhetorischen Hammer greift oder
irgendwelche Katastrophenszenarien
erfindet. Andere Politiker – und Politikerinnen schlagen da einen ganz anderen
Ton an. „Vieles ist heute populistischer geworden. Die Zwischentöne
verblassen“, bedauert Christine. Das hängt in ihren Augen auch mit der
veränderten Medienwelt zusammen, mit den immer schneller auftauchenden
Schlagzeilen und dem immer grösseren Zeitdruck, der seriöse journalistische
Arbeit fast verunmöglicht. „Das
Argumentieren wird auch schwieriger, weil immer so viele Themen gleichzeitig
die Öffentlichkeit beschäftigen.“
Sie selbst beschreibt einen guten Politiker
und eine gute Politikerin als jemanden mit einer grossen Überzeugung. „Man muss
an die Gesellschaft glauben und für die Demokratie einstehen.“ Schlechte
Politiker, fährt sie fort, seien solche, die sich in leeren Phrasen verlieren,
sich statt an Themen an irgendeiner Lobby orientieren, personenbezogen
argumentieren und statt debattieren dozieren. Vorbilder von Christine sind
starke Politikerinnen wie Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern, aber
auch die ehemaligen SP – Bundesrätinnen Calmy – Rey und Dreyfuss.
Christine selbst ist ein sehr positiver
Mensch, der immer versucht, das Gute zu sehen, egal wie vertrackt oder
schwierig die Angelegenheit ist. Für sie ist das Glas halb voll, nicht halb
leer. „Lueg ufs Positive und konzentrier di uf das!“, sagt sie, die viele
Herausforderungen angenommen hat. Ein Rat, der nicht nur in der Politik
nützlich ist. Aber gerade dort dringend gebraucht wird.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen