Das Jahr neigt sich dem Ende zu und damit
beginnt auch der offizielle Countdown voll mit sentimentalen und dramatischen
Rückblicken, unterlegt mit epischer Filmmusik und pathetischen Kommentaren.
Nun, was SRF kann, kann ich auch, also kommt ihr nun in den Genuss eines
lamatastischen Jahresrückblicks.
Ein ganzes Jahr lang habe ich jede
Stadtratssitzung besucht (mit einer Ausnahme: Die erste habe ich verpasst, weil
ich das Datum falsch im Kopf hatte, wofür ich mich in den Hintern hätte beissen
können) und manches Mal wurde ich von Leuten gefragt, wieso ich mir das
freiwillig antue. Nun, ich will nicht lügen: Manchmal wenn ich mich um drei Uhr
morgens durch meine Notizen kämpfte und versuchte daraus einen Fliesstext zu
basteln oder mich mit zunehmender Verzweiflung bemühte, das neue Wahl – und
Abstimmungsreglement zu raffen, fragte ich mich das auch. Und wenn ich mich an
schönen Sommerabenden in das stickig heisse Ratszimmer setzte, statt mich mit
einem Buch auf den Balkon zu fläzen, da überlegte ich mir hin und wieder schon,
mir ein anderes Hobby zuzulegen – zum Beispiel Golfen oder Segeln, wobei beides
wohl an meiner Unsportlichkeit scheitern würde.
Im Grossen und Ganzen jedoch, fand ich den
Stadtrat wunderbar unterhaltsam und spannend. Ich verfolgte die emotionale und
leidenschaftliche Debatte um den Unterstützungsbeitrag an den SCL Nachwuchs,
die gar Fraktionen spaltete und mir deutlich machte, dass das Thema Eishockey
in Langenthal nicht so unumstritten ist, wie ich das lange Zeit annahm, sondern
dass es da durchaus auch kritische Stimmen gibt. Jene unterlagen im Stadtrat
knapp, nach einer hitzigen Diskussion wurde der Unterstützungsbeitrag
schliesslich gutgeheissen. Das wiederum führte zu einem Referendum, so dass nun
die Langenthaler Bevölkerung darüber befinden kann, ob die Stadt dem SCL
Nachwuchs finanziell unter die Arme greift oder eben nicht. Als es dann darum
ging, den Text fürs Abstimmungsbüchlein abzusegnen, gerieten sich die Stadträte
und Stadträtinnen erneut in die Haare. Streitpunkt war, ob das
Referendumskomitee zu viel Platz zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Einer
der Stadträte wollte sogar den Text gleich eigenmächtig abändern, ein ungewöhnliches Ansinnen, das
schlussendlich abgeschmettert wurde. Der letzte Akt dieses Dramas ist
allerdings noch nicht über die Bühne gegangen, das Grande Finale steht noch
aus. Nur wird das nicht vom Stadtrat, sondern vom Volk geschrieben werden.
Die Nachwehen, die dieses Geschäft ausgelöst
hat, sind beeindruckend. Neben dem Referendumskomitee hat sich auch noch eine
andere Gruppe formiert: Operation Eissport, die es sich zur Aufgabe gemacht
hat, den SCL politisch zu stützen und seinen Anliegen auf Social Media Gehör zu
verschaffen. Langweilig wird es dieser Operation auch nach der Abstimmung über
das Referendum nicht werden, denn da ist ja noch das neue Eisstadion, das im
Stadtrat ebenfalls wieder für rote Köpfe sorgte. Wobei, eigentlich war es das
alte Stadion, das den Blutdruck einiger Stadträte – und Stadträtinnen in die
Höhe trieb.
Das Problem war Folgendes: In das alte
Stadion müsste noch einmal investiert werden, denn bis das neue Stadion steht
(was durchaus noch einige Jahre dauern könnte), muss der Eisbahnbetrieb
irgendwie aufrechterhalten werden. Dafür, und für die Überbauungsordnung des
neuen Stadions (das bis jetzt nur in der Fantasie der Langenthaler – und
Langenthalerinnen lebt und für das man, bis jetzt, gerade mal einen Standort
gefunden hat) beantragte der Gemeinderat einen Rahmenkredit von 2,25 Millionen
Franken und legte diesen den Stadtrat zur Genehmigung vor.
Doch der zeigte sich zögerlich und
widerspenstig. Die GPK fand nicht, dass die beiden Dinge – Investition ins alte
Stadion, Planungsgeld fürs neue Stadion – wirklich zusammengehören, weshalb sie
die formale Richtigkeit des Geschäfts in Frage stellte. Insbesondere wurde
kritisiert, dass der Gemeinderat die Akten, die sie der GPK versprochen hatten,
nicht rechtzeitig lieferte und so wichtige Informationen fehlten. Aufgrund
dieser Mängel beantragte die GPK eine zweite Lesung. Sie hatten, wenn auch
knapp, Erfolg damit. Das Geschäft wird
im nächsten Jahr noch einmal aufs Tapet kommen – hoffentlich mit allen gewünschten
Akten. Dadurch verschiebt sich auch die geplante Volksabstimmung über die
Zukunft Eissport.
Der Stadtrat befindet sich bei dieser Sache
in der berühmten Zwickmühle. Das neue Stadion und der Eissport liegen vielen
Langenthaler und Langenthalerinnen im Herzen und der SCL hat Macht und Einfluss.
Es geht auf die Wahlen zu, das heisst, manche Stadträte – und Stadträtinnen
werden sich hüten, unpopuläre Entscheide zu treffen. Aber es geht nun einmal um
viel Geld, in einer Zeit, in der die Stadt schon sehr viel investiert
(ICT4Kids, ESP Bahnhof) und so steht die Frage im Raum, wie verantwortungsvoll
es ist, noch einmal ein Grossprojekt aufzugleisen. Kann man sich immer über das
Budget beklagen und dann doch weiter fröhlich auf Einkaufstour gehen? Und
wahrscheinlich wird sich auch manches Stadtratsmitglied die Frage stellen, wie
sinnvoll es ist, noch einmal Geld in ein Gebäude einzupumpen, das angezählt
ist. Da die Geschäfte jetzt jedoch untrennbar miteinander verwoben sind (wer
der Bauordnung für das neue Stadion zustimmt, sagt auch ja, zum Erhalt des
alten), wird dem Stadtrat wohl nichts anderes übrig bleiben als in den sauren
Apfel zu beissen. So oder so: Bei der zweiten Lesung werden sie Farbe bekennen
und entweder Ja oder Nein zum Rahmenkredit sagen müssen. Man darf gespannt sein
(ich persönlich glaube, dass es ein „Ja“ werden wird. Der Stadtrat wird das
Eisstadion wohl kaum versenken.
Neben
dem Stadion gab es noch andere Themen, die den Stadtrat auf Trab hielten. Zum
Beispiel die Revision von zahlreichen Reglementen. So beugte sich der Stadtrat auch
über das Wahl – und Abstimmungsreglement, das schon seit längerer Zeit einige
Lücken aufweist. Wirklich begeistert zeigte sich niemand vom Werk. Wohlmöglich
war man auch einfach zu ambitioniert. Im Bemühen jede juristische Eventualität
zu berücksichtigen und den Wählerwillen so exakt wie möglich abzubilden, ist
ein Flickenteppich entstanden, so
O –
Ton Stadtrat. Besser ein Flickenteppich, als kalte Füsse dachten sich die
Stadträte – und Stadträtinnen schliesslich, und winkte das Reglement nach
zahlreichen Änderungsanträgen schliesslich durch.
Dabei
legte der Stadtrat erstaunlich viel Risikofreude an den Tag, denn um einen
heiklen Punkt bei der neuen Wahlordnung durchzupauken, riskiert er sogar eine
Auseinandersetzung mit dem Amt für Gemeinden – und Raumordnung (kurz AGR oder
wie ich es nenne: Oger). Grund dafür sind die neuen Bestimmungen nach denen in
Zukunft die Gemeinderatswahlen stattfinden sollen. Das Reglement sieht dabei
vor, dass die Stimmen, die auf den Stapi entfallen, als ungültig gelten. Eine
ungewöhnliche Regelung, die der Gemeinderat so nicht wollte, eben weil sie
einen Rechtsstreit mit dem AGR nachziehen könnte. Der Stadtrat schlug die
Warnungen in den Wind und beharrte auf diesen Absatz. Und auch das Stimmvolk
hiess das Reglement gut (also zumindest der mickrige Teil, der tatsächlich an
der Abstimmung teilgenommen hat). Jetzt ist die Frage, ob das AGR wirklich
ernst macht. Wenn ja, darf sich die Stadt mit ihnen auf juristischem Weg
darüber streiten. Eine andere Variation wäre, dass jemand aus dem Stimmvolk
Beschwerde einreicht. Auch das ist vorstellbar. So oder so: Mit der Mission ein
einfaches, unkompliziertes und unantastbares Wahl – und Abstimmungsreglement zu
fabrizieren, ist der Stadtrat gescheitert.
Eine
erbitterte Schlacht führte der Gemeinderat mit dem Stadtrat bei der
Überarbeitung der Geschäftsordnung des Stadtrates (die festlegt, welche
Kompetenzen der Stadtrat hat und wie er sich zu benehmen hat). Schon in der
ersten Lesung des Geschäfts hatte der Stadtrat seinen Machtanspruch deutlich
gemacht. So haben sie durchgebracht, dass bei Motionen neu nicht mehr der
zuständige Gemeinderat, sondern der Motionät das Schlusswort hält und dass der
Gemeinderat ein Geschäft nicht mehr zurückziehen kann, wenn erst einmal
Eintreten beschlossen wurde. Zudem verlangte das Parlament Akteneinsicht, ohne
diese, wie bisher, explizit einfordern zu müssen und das Recht, selbst externe
Fachpersonen hinzuziehen zu dürfen, sollte die GPK Fragen an diese haben. Auch
in der zweiten Lesung räumte sich das Parlament selbst weitere Kompetenzen ein.
So wird in Zukunft die GPK über die Anstellung des Stadtratssekretärs oder der
Stadtratssekretärin entscheiden. Egal welche Einwände der Gemeinderat ins Feld
führte: Der Stadtrat zerpflückte sie. Das Parlament will mitgestalten,
mitentscheiden und den Gemeinderat an die kurze Leine nehmen.
An der
heftig geführten Diskussion rund um die neue Geschäftsordnung lässt sich leicht
ablesen, wie angespannt das Verhältnis der Legislative zur Exekutive zuweilen
sein kann. Der Gemeinderat hat zwangsläufig einen Informationsvorsprung
gegenüber dem Stadtrat, weil er die Geschäfte vorbereitet, sich intensiv damit
auseinandersetzt und auch auf Fachpersonal zugreifen kann. Dennoch braucht er
den Stadtrat, um Geschäfte durchzubringen. Deshalb muss er dafür Sorge tragen,
diesen zu überzeugen. Und das scheint sich in Langenthal schwierig zu
gestalten. Die Fülle an zweiten Lesungen, die im letzten Jahr beantragt wurden,
sprechen dafür, genau wie die immer wieder vom Stadtrat angeprangerten
Kommunikationsschwierigkeiten. Und tatsächlich haben Stadt – und Gemeinderat
eine seltene Begabung dafür, aneinander vorbeizureden. Oder gar nicht zu reden.
Während des letzten Jahre konnte ich mich manchmal des Eindrucks nicht
erwehren, dass man sich manche Interpellation und auch die eine oder andere
Eingabe hätte sparen können, wenn man einfach mal direkt beim Gemeinderat
nachgehakt hätte (und zwar immer dann, wenn die berühmte Wendung „Der Stadtrat
rennt beim Gemeinderat offene Türen ein“ fiel.)
Bei
der Überarbeitung des Behördenreglements kam es zu keiner erneuten Ehekrise von
Legislative und Exekutive, dafür verliefen für einmal die Parteilinien sehr
klar. Während die Anträge der SVP auf eine schlanke und kostengünstige
Verwaltung abzielten, wollte die SP ein
möglichst familienfreundliches Reglement. Obwohl die einzelnen Anträge zum Teil
heiss umkämpft waren, schlussendlich konnte der Stadtrat ein modernisiertes
Reglement verabschieden.
Auch
sonst gab es durchaus nicht nur zähe Verhandlungen, nein, hin und wieder fielen
den Stadträten – und Stadträtinnen auch die Früchte ihrer harten Arbeit in den
Schoss. Der ESP Bahnhof wurde vom Traum zum konkreten Projekt, die Schulen bekommen eine topmoderne Informatik, die
Stadt neue Parkuhren und die Fussballer ihr neues Kunstrasenfeld. Und am Ende
streiften sogar noch die grossen Themen der Weltpolitik durch das Städtchen:
Ein Jugendpostulat forderte die Ausrufung des Klimanotstands. Die anwesenden
Klimaaktivisten – und Aktivistinnen konnten sich freuen. Zwar mussten sie ihre
mitgebrachten Kartonschilder draussen lassen, der Stadtrat erklärte das
Postulat trotz fehlender Sprechchöre als erheblich. Und eigentlich ist es ein
hübscher Jahresabschluss. Ein Anliegen von der Strasse wurde in den Rat
getragen und aufgenommen. Wenn das mal nicht gelebte Demokratie ist.
Abschliessend
lässt sich sagen, dass es ein intensives Jahr war. Im Ratszimmer wurde manches
Mal gestritten und gefaucht, aber auch viel gelacht und gewitzelt. Freunde
wurden zu Feinden und Feinde zu Freunden, wer sich eben noch bis aufs Blut
bekämpft hatte, lag sich plötzlich wieder versöhnt in den Armen und schwor sich
ewige Treue. Es gab Zeiten, da entblätterte sich vor den Augen der staunenden
Betrachterin ein wahrer Abenteuerroman und dann wieder wurde es so langweilig,
dass sie aufpassen musste, nicht über ihren Notizen einzuschlafen. Auch das ist
Stadtpolitik, mal ist sie stürmisch und aufregend und dann wieder eher eine
Valium Tablette.
Jetzt
werde ich hin und wieder gefragt, was ich denn von der Arbeit des Stadtrats
halte. Nun wäre es zweifellos etwas vermessen als Laie Manöverkritik zu üben,
zumal die meisten Menschen im Stadtrat erheblich mehr Lebenserfahrung und auch
wesentlich mehr politisches Wissen ihr Eigen nennen. Ich erlaube es mir
trotzdem (Schliesslich bin ich ein Lama, ich schere mich nicht um
Konventionen). Wenn ich einen Wunsch äussern dürfte, dann der, dass der
Stadtrat im kommenden Jahr vielleicht auf den einen oder anderen juristischen
Exkurs verzichtet und nicht immer alles so rabenschwarz malt, sondern positiv
und mutig in die Zukunft schreitet. Man kann nicht auf jedes Unglück
vorbereitet sein.
Eines
kann man dem Stadtrat auf jeden Fall nicht vorwerfen: Dass er die ihm
gestellten Aufgaben nicht ernstnehmen oder leichtfertig mit der Macht umgehen
würde. Dass so viel diskutiert wurde, ist für mich ein gutes Zeichen – auch
wenn es bedeutete, dass manch eine ohnehin schon lange Sitzung, noch später
fertig wurde. Auch die Art und Weise wie einander begegnet wird, habe ich als positiv
wahrgenommen. Der Umgang miteinander war trotz aller Differenzen freundlich und
zum Glück zeigte der Stadtrat immer wieder viel Humor. Das macht das Zuhören
leichter. Und ich bin immer der Meinung, dass sich verhärtete Fronten am
Schnellsten durch Lachen lösen.
Ich
persönlich habe in den Stadtratssitzungen viel gelernt – nicht nur im Bereich
der Kommasetzung. Manchmal kann man eine Entscheidung besser nachvollziehen,
wenn man sich alle Argumente angehört hat – nicht nur die der eigenen Partei.
Und ganz abgesehen davon: Ich war nie besser über das politische Geschehen in
Langenthal informiert. Manchmal, wenn ich an einer der neuen Parkuhren
vorbeigehen, möchte ich sie umarmen, ihr einen Kuss geben und seufzen: „Ich war
dabei, als du entschieden wurdest.“
Jetzt
bin ich gespannt auf das Jahr 2020, das schon allein deshalb spannend wird,
weil es ein Wahljahr ist. Und wenn’s cho wähle chunnt, ticken die Uhren auch in
Langenthal anders.
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