Im Angesicht der Tatsache,
dass bald Weihnachten ist, betrat ich den Stadtratssaal schon in der Erwartung
zumindest ein paar Lichterketten zu sehen. Oder einen geschmückten Tannenbaum.
Oder Lametta, das von der Decke hängt. Vielleicht auch Stadträte im Engelskleid
und Stadträtinnen im Nikolauskostüm (man beachte: Ich vermeide
Geschlechterklischees) Aber nein: Der Raum war nicht nur bar jeglichen
Schmuckes, sondern auch sonst ziemlich leer. Nur die fleissigen Heinzelmännchen
und Heinzelfrauen (spricht das Stadtratssekretariat und der Informatiker) waren bereits dabei, die Technik einzurichten
und Unterlagen zu ordnen.
Natürlich lag es auch daran,
dass ich wieder einmal viel zu früh da war. Daran ist mein eingebautes ich – muss –
unbedingt – pünktlich – sein – Gen Schuld (Echt wahr. Früher habe ich mich
sogar noch entschuldigt, wenn ich später an eine Parteiversammlung gekommen
bin. Das habe ich mir inzwischen abgewöhnt), zum anderen aber auch, weil ich
angesichts der Traktandenliste davon ausging, dass ich mich erst durch eine
protestierende Klimajugend kämpfen muss und dann evtl. keinen Sitzplatz mehr
bekomme (ich bin Pendlerin. Das ist quasi eine Grundangst von mir). Aber
Fehlanzeige. Die Klimajugend kam zwar, allerdings war ich schneller. Was
vielleicht daran lag, dass ich, im Gegensatz zu ihnen, an der Türe nicht von
den anwesenden Polizisten kontrolliert wurde. Offenbar sehe ich so harmlos aus,
dass mir niemand ernsthaft zutraut zu randalieren (wenn die wüssten, was ich in
meiner Tasche habe! Kampfguetzli! Jawohl! Und die Waffe aller Pazifistinnen:
Kugelschreiber!!!)
Stadtratspräsident Patrick
Freudiger (SVP) schaffte es dann in
seinen Einleitungsworten doch noch einen Hauch von Weihnachten in den Raum zu
zaubern. „Ihr habt eine Bibel auf dem Pult“, verkündete er stolz und fast
erwartete ich, dass er sich in die Brust wirft und „Es begab sich aber zu der
Zeit als Kaiser August…“ in die Runde schmettert. Aber nein, bei der sogenannte
„Bibel“ handelte es sich um die neue Geschäftsordnung des Stadtrates, damit die
Mitglieder auch in Zukunft wissen, wie sie sich zu benehmen haben.
Wie üblich korrekt bis in
die Fingerspitzen, stürzte sich Freudiger in die Ratsgeschäfte und erklärte,
dass sich ein neues Traktandum aufgetan hatte. Da Bernhard Marti (SP) als
Mitglied der Geschäftsprüfungskommission zurückgetreten ist, brauchte es
dringend einen Nachfolger bzw. eine Nachfolgerin. Insbesondere weil die GPK vor
der Beratung wichtiger Geschäfte steht und deshalb vollständig sein muss. Damit
war eine Dringlichkeit gegeben und so konnte das Stadtratsbüro das Traktandum
quasi nachreichen (normalerweise kann die Traktandenliste nämlich nicht spontan
erweitert werden.)
Bei Traktandum 1 ging es um die
Verwendung des Ratskredits. Immer abwechselnd dürfen die Fraktionen
entscheiden, welche Organisation/Institution in den Genuss von 1000 Franken
kommt. In diesem Jahr gebührte der SP/GL Fraktion die Ehre und sie entschied
sich für die Organisation wandelbar, die sich für nachhaltige Projekte
einsetzt. So führt sie, unter anderem die Restessbar und organisiert das Repair
Café. Wenig überraschend wurde das einstimmig gutgeheissen. Wobei ich für einen
kurzen Moment glaubte, dass es eine Gegenstimme oder Enthaltung von Lars
Schlappbach (SVP) geben würde, weil der die Stimmkarte nicht hob, bis ich dann
bemerkte, dass er schlichtweg seine
Stimmkarte nicht finden konnte. Nach hektischem Wühlen hielt er einfach
kurzentschlossen seine Stadtratssunterlagen hoch. Später tauchte die verlorene
Stimmkarte dann wieder auf.
Auch die nächsten Traktanden
führten zu keinerlei Diskussionen. Vizestadtpräsidentin Martina Moser (SP)
wurde für das Jahr 2020 zur Stadtratspräsidentin gewählt. Sie hat schon als
Vize bewiesen, dass sie auch in komplizierten Situationen den Überblick behält.
Ihr zur Seite stehen wird als Vize, Paul Beyeler von der EVP (oder wie ich ihn
nennen: Der mit den Kommata tanzt) und als Stimmenzähler bzw. Stimmenzählerin
Roland Sommer aus der SVP – Fraktion und Franziska Zaugg – Streuli von den
Freisinngen (das ist übrigens auch ein super anspruchsvoller, oft
unterschätzter Job, da die Stadtratsmitglieder nicht immer gleich diszipliniert
abstimmen. Einer hebt die Karte an der falschen Stelle, die andere hält die
Karte so tief, dass man nicht wirklich weiss, ob sie jetzt abstimmt oder nicht
und ein anderer lässt die Karte so schnell wieder sinken, dass man gar nicht
dazu kommt, sie zu zählen).
Mit harmonischen Wahlen ging
es dann auch gleich wieder. Der zurücktretende Paul Bayard (SP) stellte seine Nachfolgerin
in der Finanzkommission gleich selber vor. Emanuela Ticli – Frezza sei für das
Amt bestens geeignet, betonte er, schon von Berufes wegen. Sie ist nämlich
Controllerin. „Ausserdem kandidiert sie nächstes für den Stadtrat“, verkündete Paul
stolz, fast, als wolle er betonen, dass bei der SP durchaus auch vernünftige
Menschen mitmachen, die mit Geld umgehen können.
Emanuela wurde einstimmig
gewählt, genau wie Margit Eichenauer. Die Heilpädagogin erbt den Sitz von
Claudia Horrisberger (SP) in der Sozialkommission. Und auch Martina Moser
durfte sich freuen. Sie übernimmt den frei gewordenen Sitz in der GPK von
Bernhard Marti. „Zweimal an einem Tag gewählt werden, das schafft nicht einmal
ein Bundesrat“, lobte Patrick Freudiger seine Vizepräsidentin. Mit diesem
Sesselrücken hat die SP auch dafür gesorgt, dass die beiden frauenlosen
Kommissionen endlich weibliche Verstärkung enthalten. Das dürfte bei ihren
Überlegungen auf jeden Fall eine Rolle gespielt haben.
Auch die nächsten Traktanden
gingen sauber und schnell über die Bühne. Die GPK war beim Finanzamt zu Besuch
(nicht um Kaffee zu trinken und Kekse zu futtern, sondern um zu kontrollieren,
ob dort keine Orgien veranstaltet werden…nein, das war natürlich ein Scherz,
die GPK hat die Pflicht bei Verwaltungsorganen vorbeizuschauen, um zu prüfen,
ob alles seine Richtigkeit hat). Pascal Dietrich (FDP) erstattete Bericht über
diesen Besuch und das in einem so begeisterten Ton, als wäre er an einen Ed Sheeran Konzert gewesen. Der sonst eher
kritische Pascal Dietrich war voll des Lobes über die professioneller Arbeit
des Finanzamtes und die langjährige Treue der Mitarbeitenden (kein Exodus wie
in anderen Verwaltungsbereichen). Lediglich einen Negativpunkt merkte er an:
Das interne Kontrollsystem fehlt nach wie vor. Daran werde aber gearbeitet.
Der sonst ebenso
streitfreudige Janisch Fankhauser (SVP) wurde ebenfalls von der weihnachtlichen
Milde mitgerissen. Er zeigte sich angetan von der Berichterstattung zu der SVP
Motion Drittbeteiligungen bei der Haslibrunnen AG und freute sich über den
guten Ansatz. Es fehlte nur noch, dass er und der Gemeinderat sich in die Arme
fallen und sich schluchzend ewige Freundschaft versprechen.
Nach so viel friedlicher
Einstimmigkeit war ich hin und her gerissen zwischen „Oh wie schön, das läuft
ja alles glatt, kommt lasst uns kuscheln“ und „o mein Gott, ich muss gleich
brechen bei so viel Harmonie“, doch glücklicherweise kam es dann bei Traktandum
7 endlich zu Diskussionen (ich meine, ich sitz da nicht rein, um mir
gegenseitige Lobeshymnen anzuhören! Ich will Blut, Schweiss und Tränen).
Bei Traktandum 7 ging es um
die Motion von Bernhard Marti (SP) und Mitunterzeichnenden, die das schlechte Verkehrsregime Hübeli kritisiert (Verkehrsregime
klingt so böse und diktatorisch. Findet ihr nicht auch?). Das Problem: Viele
Leute meinen, die Hübeligasse sei eine Begegnungszone und verhalten sich
dementsprechend. Sie achten nicht auf den Verkehr und gehen davon aus, dass sie
als Fussgänger dort generell Vortritt haben. Dem ist aber nicht so. Die
Hübeligasse ist eine 50er Zone. Um Unfälle zu verhindern, wollen die Motionäre
diesen Stadtabschnitt in eine Begegnungszone umwandeln, damit endgültig
Klarheit herrscht.
(Ich oute mich hier jetzt
mal als so ein „Verkehrslaueri“. Ich latsche dort auch immer rum, ohne dem
Verkehr besondere Beachtung zu schenken. Wenn ihr also mal ein plattgefahrenes
Lama findet …)
FDP - Gemeinderat Markus
Gfeller (oder wie ich ihn nenne: Der Herr der Parkuhren) war dem Anliegen nicht
abgeneigt. Es sei durchaus sinnvoll, in der Stadt ein einheitliches
Verkehrsregime zu führen. Andererseits wolle der Gemeinderat auch keinen
Schilderwald, der die Verkehrsteilnehmer wohlmöglich noch mehr irritiere und
ablenke. Zudem verwies er auf den neuen Verkehrsrichtplan, ausgearbeitet wird. Dennoch
beantragte der Gemeinderat die Motion als erheblich zu erklären.
Stadtrat Robert Kummer (FDP)
kündigte jedoch an, dass seine Partei die Motion nicht unterstützen würde. Der
Leidensdruck sei noch nicht gross genug, war die Begründung (wobei mir
schleierhaft ist, wie man den Leidensdruck einer Strasse messen will.
Möglicherweise meint er aber auch den Leidensdruck der Bevölkerung und da noch
niemand unfreiwilligerweise seine Hirnmasse auf besagter Hübeligasse verteilt
hat, ist der vielleicht tatsächlich noch nicht gross genug…)
Danach folgten zwei etwas
verwirrende, weil sich widersprechende Voten der SVP – Fraktion, die offenbar
mit internen Kommunikationsschwierigkeiten zu kämpfen hatte. Jedenfalls war nicht ganz klar, wer jetzt die
Fraktionsmeinung vertritt. Während Stefan Grossenbacher erklärte, dass die
Fraktion die Motion unterstütze, scherte Janosch Fankhauser (SVP) aus. Er
begrüsse zwar die Begegnungszone, aber schliesslich käme nächstes Jahr eben der
Verkehrsrichtplan, die die gesamte Strassenführung behandle. Insofern mache es
keinen Sinn jetzt einzelne Abschnitte zu genehmigen, argumentierte Fankhauser.
Er blieb ungehört. Die Motion wurde als erheblich erklärt.
Markus Gfeller musste auch
beim nächsten Traktandum für den Gemeinderat in den Kampf ziehen. Die Motion „Ergänzung
des Ortspolizeireglements“ von Paul Bayard beschäftigte sich mit einer
explosiven Thematik: Feuerwerk. Der Motionär verlangte, dass Feuerwerk in
Langenthal grundsätzlich verboten wird, ausser am 1. August und am 31. Dezember.
Dies sowohl aus Umweltschutz - als auch als Sicherheitsgründen. Laut Gfeller
sei das aber kein Anliegen der Bevölkerung. Bis jetzt gingen bei der Stadt
keine Beschwerden wegen dem Gebrauch von Feuerwerk ein. Zudem könne es schwer
werden, die Daten abzugrenzen. Aus diesen Gründen lehne der Gemeinderat die
Motion ab.
Obwohl Paul Bayard noch
einmal Gas gab und auf die Gefährlichkeit von Feuerwerk hinwies –
er selbst hat von einer Rakete ein bleibendes Souvenir erhalten: Einen Tinnitus
– sowie auf die schädlichen Emissionen, erklärte der Stadtrat die Motion als
nichterheblich. Oder um es anders auszudrücken: Den Leuten, die jetzt in der
Hübeligasse nicht mehr überfahren werden, wird jetzt dafür beim Feuerwerk am 1.
August der Arm oder das Bein abgesengt…
Es gibt Themen, die tauchen
im Stadtrat so regelmässig auf, dass man sich manchmal wie in einer
Zeitschleife fühlt. Oder wie in einer Dauerwerbesendung. Die Alte Mühe ist so
ein Thema. Der SCL auch. Und die Marktgasse bzw. die ständigen Versuche, diese zu
beleben. Gerhard Käser (SP) startete einen neuen Versuch. In seiner Motion
forderte eine Allmendverordnung für Langenthal. Konkret möchte Gerhard Käser,
dass Gewerbe und eben vor allem Gastronomie die Marktgasse aktiv gestalten und
bewirtschaften kann. Bis jetzt ist das nicht möglich.
Stadtpräsident Reto Müller
(SP) bekundet Sympathie für die Motion, führte aber aus, warum das eben nicht
so einfach sei. Da wären zum einen die dauerhaften Bauelemente in der
Marktgasse, die man schliesslich nicht einfach so verschieben kann. Und dann
ist da noch der Hochwasserschutz, der da selbstverständlich auch noch ein
Wörtchen mitzureden hat. Auch hier spielt zudem der hängige Verkehrsrichtplan
eine Rolle, der wohlmöglich wieder ganz andere Umstände schafft. Ausserdem ist
da noch eine Motion der SVP hängig, die quasi das Gegenteil will. Der
Gemeinderat beantragte aus diesen Gründen, die Motion zum Postulat zu wandeln. „Wir
freuen uns auf eine engagierte Diskussion“, schloss Müller fröhlich und für
einen Moment glaubte ich, ein manisches Glitzern in seinen Augen zu sehen. Ein
Wunder bestellte er nicht gleich eine Tüte Popcorn.
Nur hatte der Stadtrat
offenbar keine Lust darauf, dem Gemeinderat eine Show zu bieten. Gerhard Käser
zeigte zwar noch einmal die Zähne, indem er deutlich machte, dass die SP/GL
Fraktion die verkehrsfreie Marktgasse verteidigen werde – bis zum letzten
Blutstropfen (na gut, so hat er das nicht ausgedrückt, aber ich finde, so
klingt es hübscher). Dies, weil die oben erwähnte Motion der SVP, eben jene
verkehrsfreie Zone angreifen will. Trotz herausgefahrener Stacheln wandelte
Käser seine Motion dann allerdings doch noch in ein Postulat, das vom Stadtrat
als erheblich erklärt wurde.
Obwohl sich ja alle immer
über die nichtbelebte Stadt ärgern, scheinen die eigentlich nicht anwesenden
Leute jede Menge Müll zu produzieren. Das Postulat von Saima Sägesser (SP),
Renate Niklaus (GLP) und Andri Lehmann (SP/GL Fraktion, parteilos) gab deshalb
ein Postulat zur Bekämpfung von Littering ein (Littering bedeutet übersetzt:
Müll, der einfach auf dem Boden geschmissen wird.)
Gemeinderat Pierre Masson
(SP) machte in seinem Votum deutlich, wie wichtig die Bekämpfung von Littering
ist, betonte aber auch, dass die Stadt grundsätzlich sehr sauber sei. Das helfe
auch bei der Eindämmung von Littering, denn wenn die Strassen nicht komplett
zugemüllt sind, hat man sich natürlich auch weniger dafür, sein Kaugummipapier
auf den Boden zu schmeissen. Masson führte weiter aus, dass es zwei Hebel für
die Stadt gebe, mit denen sie in Bezug auf Littering arbeiten könne: Der eine sind
genügend und richtig platzierte Abfalleimer, der andere das Korrigieren von
Fehlverhalten von Einzelpersonen. Da gibt es einen Grund zum Feiern,
Langenthal: Der Gemeinderat hat festgestellt, dass wir genügend Abfalleimer
haben! Keine Schulsozialarbeit aber dafür ganz viele Abfalleimer. Der erste
Schritt Richtung Zivilisation.
Saima Sägesser (SP)
bemängelte jedoch die Art besagter Abfalleimer. In diese Schlitze könne man
nichts Grösseres reinschieben, eine Pizzaschachtel verstopfe bereits alles,
klagte sie. Zudem amüsierte sie sich über den Vorschlag des Gemeinderates, man
könne ja mit Flyern auf das Problem aufmerksam machen. Denn wo die Flyer früher
oder später landen ist ja klar. Jedenfalls nicht gerahmt in der Ahnengalerie
(wisst ihr: Manchmal muss ich mich beim Schreiben gar nicht anstrengen.
Manchmal sind Gemeinde – und Stadtrat einfach von alleine witzig).
Lars Schlappbach dagegen hat
einen ganz anderen Lösungsansatz als das Design von Abfalleimern.
Überwachungskameras hätten eine präventive Wirkung, dass beweise die Erfahrung
von anderen Städten. Damit hat er sicher nicht ganz Unrecht. Nur ist mir nicht
ganz klar: Angenommen ich werde dabei gefilmt, wie ich eine Bananenschale auf
den Boden werfe. Wertet die Polizei das dann aus und schreibt mich zur Fahndung
aus? Das Bananenlama?
Abfallkönig….äh ich meine
natürlich, Gemeinderat Pierre Masson verteidigte seine Mülleimer mit dem
Schlitz. „Bei offenen Mülleimern ist es einfach so, dass Privathaushalte ihre
Abfallsäcke darin entsorgen!“ Er versprach aber, dass das Thema Littering auf
keinen Fall in Sand verlaufen würde. Wenn dann in der Plastikflut…(Nein, das
hat er nicht gesagt.)
Das nächste Postulat auf der
Tagesordnung widmete sich einem tragischen Thema. Bootsflüchtlinge. Saima
Sägesser führte die dramatischen Umstände aus, unter denen Menschen die
gefährliche Flucht über das Meer wagen. Viele lassen ihr Leben dabei. Das
Postulat verlangte vom Gemeinderat zu prüfen, was die Stadt tun kann, um diesen
Flüchtenden zu helfen. Ungewöhnlich in diesem Fall: Der Gemeinderat hat dieses
Postulat bereits beantwortet und für erheblich erklärt, bevor es in den
Stadtrat kam. Das führte zu Irritationen.
Michael Schenk (SVP) wunderte sich
über diese Reihenfolge und beschwerte sich, dass Personalressourcen hätten
gespart werden können, wenn man mit der Bearbeitung dieses Postulats gewartet
hätte.
Das kam beim zuständigen
Gemeinderat Michael Schär (FDP) schlecht an. „Ich weiss ja nicht, vielleicht
seid ihr alle Expertem im Asylwesen,
aber wir sind es nicht. Deshalb brauchten wir einen Bericht und der hat
die gestellten Fragen nun einmal beantwortet“, fauchte er. Und weil er gerade
so schön in Schwung war, bekam auch die linke Seite ihr Fett weg. „Ihr habt
drei Oberaargauer Grossräte. Die müsst ihr damit beauftragen“, belehrte er die
SP, „und dann habt ihr ja auch noch andere Grossräte, die auch mithelfen
würden!“
Damit legte er den Finger
auf die Wunde bzw. auf den springenden Punkt: Das Postulat ist auf der falschen
Ebene. Die Stadt ist extrem eingeschränkt in ihrem Handlungsspielraum, wenn es
ums Asylwesen geht. Zudem störten sich die Stadträte Mike Siegrist (EVP) und
Urs Zurlinden (FDP) daran, dass sich das Postulat nur mit den Bootsflüchtenden
beschäftigt und nicht mit denen, die auf dem Landweg kommen und eine ebenso
harte Reise hinter sich haben. „Das ist populistische Politik“, merkte Urs
Zurlinden an. Das Postulat wurde als nichterheblich erklärt.
Und dann war es da. Das
Traktandum, auf das alle gewartet haben. Jugendliche haben ein Postulat
eingereicht, dass die Ausrufung des Klimanotstandes fordert. Das führte aus
meiner Sicht dazu, dass sich der Stadtrat in eine etwas seltsame Diskussion
verstrickte, die zwischendurch geradezu satirische Züge annahm.
Da war zum einen der Begriff
Klimanotstand, der in manchem Stadtratsmitglied wohl eine Art Panikreaktion
hervorrief. „Völlig daneben und absurd“, fand es zum Beispiel Corinna
Grossenbacher (SVP), die sich vor allem darüber ärgerte, dass Jugendliche zwar
ständig am Handy und am Laptop hängen, aber sich nicht fragen, woher denn die
Batterien und der Strom dafür käme.
Und auch Diego Clavadetscher
(FDP) mochte sich nicht recht mit dem Begriff Klimanotstand anfreunden. Bei
einem Notstand könne die Exekutive Grundrechte aushebeln und das sei nun einmal
gefährlich. Ganz Unrecht hat er damit nicht. Notstände werden auch von
Unrechtsstaaten ganz gerne ausgerufen, um ihr Regime zu halten. Allerdings: Bei
einem Klimanotstand passiert…Nichts. Das hat reinen Symbolcharakter. Ob das
etwas bringt oder nicht: Über das kann man geteilter Meinung sein.
Während die einen also
fürchteten, dass man sie ihrer Rechte beraubt, verwechselten andere das
Rednerpult mit dem Beichtstuhl. Janosch Fankhauser (SVP) erklärte geschlagene
elf Minuten wie nachhaltig er lebt (wobei er das wirklich tut. Er hat sogar
eine Gebäudesanierung – Auszeichnung von der Stadt bekommen), während Roland
Loser (SP) gestand, er sei ein Klimasünder, schliesslich sei er nach Schottland
gereist um YB zu schauen. Mit dem Flugzeug, nicht auf dem Pferd.
Ein wahrlich feuriges Votum
hielt der sonst eigentlich eher zurückhaltende Serge Wüthrich (Grüne). Er
stellte sich rigoros auf die Seite der Klimajugend und schlug auch gleich den
Bogen zur Weltpolitik. Wieder sei eine Klimakonferenz ohne Ergebnis geblieben
und auch wenn man jetzt vom grünen Hype rede: Der Klimawandel sei da und keine
Erfindung von Greta. „Die Schweiz ist ein reiches Land. Wenn wir nicht
anfangen, mit unserem Know – How und unseren Möglichkeiten zu arbeiten: Wer tut
es dann?“, fragte er scharf. Und: „Natürlich wird uns das was kosten. Aber die
Folgen des Klimawandels werden uns mehr kosten.“
Sein kleiner
Temperamentausbruch wurde mit spontanen Applaus belohnt, der jedoch Patrick
Freudiger (SVP) ein Dorn im Auge war. Applaus ist im Stadtrat nicht erlaubt –
höchstens am Ende eines Geschäftes. Auch das löste einen kleinen Streit aus.
Beat Hasler (SP/GL, parteilos), der die Forderung der Klimajugend unterstützte,
warf dem Stadtratspräsident vor, den Applaus der Lehrerschaft beim letzten Mal
nicht unterbunden zu haben. „Weil der am Ende des Geschäfts war!“, verteidigte
sich Freudiger. Vielleicht sollte der Stadtrat anfangen, Applaus auf der
Leinwand einzublenden, damit auch alle wissen, wann es okay und wann nicht.
Nachdem auch diese wichtige
Frage geklärt wurde, wurde noch hin und her diskutiert, welche Umweltmassnahmen
nun etwas bringen und welche nicht. Auch das hatte nichts mit der eigentlichen Sache
zu tun (und warum fangen eigentlich alle immer mit diesen Elektroautos an?) und
so war ich ehrlich gesagt froh, als schliesslich wieder Pierre Masson das Wort
ergriff und die ganze Diskussion wieder etwas auf den Boden der Tatsachen
brachte.
Das Jugendpostulat wurde
schliesslich mit Hängen und Würgen als erheblich geklärt. Was wohl auch ein
bisschen den Umstand geschuldet war, dass es Jugendliche waren, die es
eingegeben haben. Wer will schon junge Menschen frustrieren, die sich
tatsächlich für Politik interessieren?
Danach kamen wieder
harmonischere Traktanden, ganz im Sinne der friedlichen Weihnachtszeit. Reto
Müller blickte auf das letzte Regierungsjahr zurück und zeigte auf, welche
Ziele der Gemeinderat erreicht hat. Sind tatsächlich ein paar…entgegen anderer
Gerüchte. Und nein, es sind nicht nur die Parkuhren.
Fast am Ende der Sitzung
dankte Martina Moser Patrick Freudiger für seine Arbeit als Stadtratspräsident.
Als Bloggerin kann ich nur sagen: Es war tatsächlich ein praktischer
Stadtratspräsident, weil er sehr klare Strukturen hatte und der Traktandenliste
sehr exakt folgte. Ausserdem hat er immer sehr genau das Vorgehen erklärt, so
dass man auch als Laie einigermassen durchblickte. Und sein Sinn für Humor
sicherte mir viele Best of Sprüche. Aber ich denke, Martina Moser wird ein
ähnliches Niveau halten.
Auch Rücktritte gab es zu
verkünden. Bernhard Marti (SP) verabschiedete sich aus dem Rat Mit ihm verliert
die SP/GL Fraktion ihren Juristen und einen erfahrenen Stadtrat. Ausserdem war
auch er ein zuverlässiger Best of Lieferant. Das könnt ihr nicht machen, Leute!
Ich habe mich gerade an euch gewöhnt!
Bleibt eigentlich nur noch
zu erzählen, dass ich jetzt wohl endgültig zum Establishment gehöre. Ich wurde
offiziell im Stadtrat erwähnt und verdankt. Danke für’s Danken. Jetzt, um drei
Uhr morgens, mit schmerzenden Fingern, frage ich mich ehrlich gesagt auch,
warum ich mir das antue. Aber ich denke, ich mach auch noch nächstes Jahr das
Stadtratsgroupie.
Was sonst noch passiert ist:
-
Der sonst so korrekte und organisierte Diego
Clavadetscher (wahrscheinlich auch Träger des Pünktlichkeitsgens) kam zu spät.
Das führte dazu, dass Franziska Zaugg – Streuli für zwei Minuten Stimmenzählerin
in der Sitzung war, was wohl als der kürzeste Einsatz in die Geschichte
eingehen wird. Diego Clavadetscher tauchte später auf, mit einem knallroten
Schal um den Hals. Zu spät und rotes Halstuch? Da ist wohl jemand zur SP
gewechselt.
-
Roland Loser verpasste fast seinen Einsatz
beim Appell, weil er auf dem Smartphone rumdrückte. Tss!
-
Es gab einen kleinen, unbeabsichtigten
Entmachtungsversuch. Bei der Wahl des Vizestadtratspräsidiums wurde immer
wieder vom Vizestadtpräsident geredet. Das wäre aber aktuell Markus Gfeller,
der eigentlich gar nicht zur Abwahl stand…
-
Janosch Fankhauser vergass bei einer
Abstimmung seine Stimmkarte zu heben, was Patrick Freudiger sichtlich nervte.
Er hatte ungefähr denselben Gesichtsausdruck wie ich, wenn mir Kunden sagen,
sie wüssten leider nichts vom Buch, nur dass es rot sei.
-
Verschiedene Stadträte – und Stadträtinnen
sind sehr Social Media aktiv während der Sitzung. So beschwerte sich einer auf
Facebook, er habe Hunger und es ginge
schon so lange. Es braucht einen Pizzaservice für den Stadtrat!
Best of:
„Merci, Paul Bayard, auch für den Wahlwerbespot!“
Stadtratspräsident Patrick Freudiger (SVP) deckt Schleichwerbung auf.
„Er (Gemeinderat Markus Gfeller) hat immerhin bewiesen,
dass er den ersten Satz gelesen hat. Beim zweiten war er schon ermüdet!“ Die
schlechte Pisa – Studie in Bezug auf Lesekompetenz hat offenbar auch seine
Wirkung auf den Gemeinderat. Zumindest laut Bernhard Marti (SP)
„Ich habe das sehr wohl bis zum Ende gelesen.“ Markus
Gfeller kontert. Hoffentlich hat er auch das Leseverständnis dazu gelöst.
„Das ist eben keine Fussgängerzone. Ich könnte mit 50
dort reinkurven, wenn ich wollte – nicht dass ich das tun würde!“ Verkehrsrowdy
Bernhard Marti.
„Wenn, dann müsste man Feuerwerk konsequent verbieten,
auch an Feiertagen. Ich fahre schliesslich auch nicht in der 50er Zone 80, nur
weil gerade Feiertag ist!“ Eine durchaus spannende Idee, wieder von Markus
Gfeller.
„Das Dublin – Abkommen hält fest, dass Flüchtende dort
aufgenommen werden, wo sie ankommen. Und das ist, bei Bootsflüchtenden vom
Mittelmeer, nun einmal nicht die Schweiz.“ Geographie mit Beatrice Lüthi (FDP).
„Mir als Langenthaler tut es ja immer ein bisschen weh,
wenn Olten uns überholt…“ Serge Wüthrich (Grüne) outet sich als Lokalpatriot.
„Tüet weniger lüpfe…äh lüfte. S’andere wär es Suva
Problem.“ Janosch Fankhauser (SVP) verlüpft sich in der Formulierung.
„Ihr
seht euer Postulat beschäftigt die alten weissen Männer…“
„Und
was ist mit den Frauen?“
„Natürlich,
es gibt auch ältere Frauen…“
Da stolpert doch tatsächlich die sonst so sattelfeste
Saima Sägesser (SP) in die Genderfalle.
„Man muss uns nicht erklären, wie wir unsere Wäsche
aufhängen sollen!“ Als Grüner lässt sich Serge Wüthrich nur ungern belehren,
wie er seine Wäsche zu trocknen hat.
„Vielleicht hätte man es Klimadringlichkeit nennen sollen…“
Pierre Masson (Gemeinderat, SP) versucht sich als Angsttherapeut, indem er den
Schrecken unbenennt.
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