Montag, 16. Dezember 2019

Das andere Stadtratsprotokoll XI


Im Angesicht der Tatsache, dass bald Weihnachten ist, betrat ich den Stadtratssaal schon in der Erwartung zumindest ein paar Lichterketten zu sehen. Oder einen geschmückten Tannenbaum. Oder Lametta, das von der Decke hängt. Vielleicht auch Stadträte im Engelskleid und Stadträtinnen im Nikolauskostüm (man beachte: Ich vermeide Geschlechterklischees) Aber nein: Der Raum war nicht nur bar jeglichen Schmuckes, sondern auch sonst ziemlich leer. Nur die fleissigen Heinzelmännchen und Heinzelfrauen (spricht das Stadtratssekretariat und der Informatiker)  waren bereits dabei, die Technik einzurichten und Unterlagen zu ordnen. 

Natürlich lag es auch daran, dass ich wieder einmal viel zu früh da war.  Daran ist mein eingebautes ich – muss – unbedingt – pünktlich – sein – Gen Schuld (Echt wahr. Früher habe ich mich sogar noch entschuldigt, wenn ich später an eine Parteiversammlung gekommen bin. Das habe ich mir inzwischen abgewöhnt), zum anderen aber auch, weil ich angesichts der Traktandenliste davon ausging, dass ich mich erst durch eine protestierende Klimajugend kämpfen muss und dann evtl. keinen Sitzplatz mehr bekomme (ich bin Pendlerin. Das ist quasi eine Grundangst von mir). Aber Fehlanzeige. Die Klimajugend kam zwar, allerdings war ich schneller. Was vielleicht daran lag, dass ich, im Gegensatz zu ihnen, an der Türe nicht von den anwesenden Polizisten kontrolliert wurde. Offenbar sehe ich so harmlos aus, dass mir niemand ernsthaft zutraut zu randalieren (wenn die wüssten, was ich in meiner Tasche habe! Kampfguetzli! Jawohl! Und die Waffe aller Pazifistinnen: Kugelschreiber!!!)

Stadtratspräsident Patrick Freudiger (SVP) schaffte es  dann in seinen Einleitungsworten doch noch einen Hauch von Weihnachten in den Raum zu zaubern. „Ihr habt eine Bibel auf dem Pult“, verkündete er stolz und fast erwartete ich, dass er sich in die Brust wirft und „Es begab sich aber zu der Zeit als Kaiser August…“ in die Runde schmettert. Aber nein, bei der sogenannte „Bibel“ handelte es sich um die neue Geschäftsordnung des Stadtrates, damit die Mitglieder auch in Zukunft wissen, wie sie sich zu benehmen haben.

Wie üblich korrekt bis in die Fingerspitzen, stürzte sich Freudiger in die Ratsgeschäfte und erklärte, dass sich ein neues Traktandum aufgetan hatte. Da Bernhard Marti (SP) als Mitglied der Geschäftsprüfungskommission zurückgetreten ist, brauchte es dringend einen Nachfolger bzw. eine Nachfolgerin. Insbesondere weil die GPK vor der Beratung wichtiger Geschäfte steht und deshalb vollständig sein muss. Damit war eine Dringlichkeit gegeben und so konnte das Stadtratsbüro das Traktandum quasi nachreichen (normalerweise kann die Traktandenliste nämlich nicht spontan erweitert werden.)

Bei Traktandum 1 ging es um die Verwendung des Ratskredits. Immer abwechselnd dürfen die Fraktionen entscheiden, welche Organisation/Institution in den Genuss von 1000 Franken kommt. In diesem Jahr gebührte der SP/GL Fraktion die Ehre und sie entschied sich für die Organisation wandelbar, die sich für nachhaltige Projekte einsetzt. So führt sie, unter anderem die Restessbar und organisiert das Repair Café. Wenig überraschend wurde das einstimmig gutgeheissen. Wobei ich für einen kurzen Moment glaubte, dass es eine Gegenstimme oder Enthaltung von Lars Schlappbach (SVP) geben würde, weil der die Stimmkarte nicht hob, bis ich dann bemerkte, dass er  schlichtweg seine Stimmkarte nicht finden konnte. Nach hektischem Wühlen hielt er einfach kurzentschlossen seine Stadtratssunterlagen hoch. Später tauchte die verlorene Stimmkarte dann wieder auf.

Auch die nächsten Traktanden führten zu keinerlei Diskussionen. Vizestadtpräsidentin Martina Moser (SP) wurde für das Jahr 2020 zur Stadtratspräsidentin gewählt. Sie hat schon als Vize bewiesen, dass sie auch in komplizierten Situationen den Überblick behält. Ihr zur Seite stehen wird als Vize, Paul Beyeler von der EVP (oder wie ich ihn nennen: Der mit den Kommata tanzt) und als Stimmenzähler bzw. Stimmenzählerin Roland Sommer aus der SVP – Fraktion und Franziska Zaugg – Streuli von den Freisinngen (das ist übrigens auch ein super anspruchsvoller, oft unterschätzter Job, da die Stadtratsmitglieder nicht immer gleich diszipliniert abstimmen. Einer hebt die Karte an der falschen Stelle, die andere hält die Karte so tief, dass man nicht wirklich weiss, ob sie jetzt abstimmt oder nicht und ein anderer lässt die Karte so schnell wieder sinken, dass man gar nicht dazu kommt, sie zu zählen).

Mit harmonischen Wahlen ging es dann auch gleich wieder. Der zurücktretende Paul Bayard (SP) stellte seine Nachfolgerin in der Finanzkommission gleich selber vor. Emanuela Ticli – Frezza sei für das Amt bestens geeignet, betonte er, schon von Berufes wegen. Sie ist nämlich Controllerin. „Ausserdem kandidiert sie  nächstes für den Stadtrat“, verkündete Paul stolz, fast, als wolle er betonen, dass bei der SP durchaus auch vernünftige Menschen mitmachen, die mit Geld umgehen können. 

Emanuela wurde einstimmig gewählt, genau wie Margit Eichenauer. Die Heilpädagogin erbt den Sitz von Claudia Horrisberger (SP) in der Sozialkommission. Und auch Martina Moser durfte sich freuen. Sie übernimmt den frei gewordenen Sitz in der GPK von Bernhard Marti. „Zweimal an einem Tag gewählt werden, das schafft nicht einmal ein Bundesrat“, lobte Patrick Freudiger seine Vizepräsidentin. Mit diesem Sesselrücken hat die SP auch dafür gesorgt, dass die beiden frauenlosen Kommissionen endlich weibliche Verstärkung enthalten. Das dürfte bei ihren Überlegungen auf jeden Fall eine Rolle gespielt haben.

Auch die nächsten Traktanden gingen sauber und schnell über die Bühne. Die GPK war beim Finanzamt zu Besuch (nicht um Kaffee zu trinken und Kekse zu futtern, sondern um zu kontrollieren, ob dort keine Orgien veranstaltet werden…nein, das war natürlich ein Scherz, die GPK hat die Pflicht bei Verwaltungsorganen vorbeizuschauen, um zu prüfen, ob alles seine Richtigkeit hat). Pascal Dietrich (FDP) erstattete Bericht über diesen Besuch und das in einem so begeisterten Ton, als wäre er an einen  Ed Sheeran Konzert gewesen. Der sonst eher kritische Pascal Dietrich war voll des Lobes über die professioneller Arbeit des Finanzamtes und die langjährige Treue der Mitarbeitenden (kein Exodus wie in anderen Verwaltungsbereichen). Lediglich einen Negativpunkt merkte er an: Das interne Kontrollsystem fehlt nach wie vor. Daran werde aber gearbeitet.

Der sonst ebenso streitfreudige Janisch Fankhauser (SVP) wurde ebenfalls von der weihnachtlichen Milde mitgerissen. Er zeigte sich angetan von der Berichterstattung zu der SVP Motion Drittbeteiligungen bei der Haslibrunnen AG und freute sich über den guten Ansatz. Es fehlte nur noch, dass er und der Gemeinderat sich in die Arme fallen und sich schluchzend ewige Freundschaft versprechen.

Nach so viel friedlicher Einstimmigkeit war ich hin und her gerissen zwischen „Oh wie schön, das läuft ja alles glatt, kommt lasst uns kuscheln“ und „o mein Gott, ich muss gleich brechen bei so viel Harmonie“, doch glücklicherweise kam es dann bei Traktandum 7 endlich zu Diskussionen (ich meine, ich sitz da nicht rein, um mir gegenseitige Lobeshymnen anzuhören! Ich will Blut, Schweiss und Tränen).

Bei Traktandum 7 ging es um die Motion von Bernhard Marti (SP) und Mitunterzeichnenden, die  das schlechte  Verkehrsregime Hübeli kritisiert (Verkehrsregime klingt so böse und diktatorisch. Findet ihr nicht auch?). Das Problem: Viele Leute meinen, die Hübeligasse sei eine Begegnungszone und verhalten sich dementsprechend. Sie achten nicht auf den Verkehr und gehen davon aus, dass sie als Fussgänger dort generell Vortritt haben. Dem ist aber nicht so. Die Hübeligasse ist eine 50er Zone. Um Unfälle zu verhindern, wollen die Motionäre diesen Stadtabschnitt in eine Begegnungszone umwandeln, damit endgültig Klarheit herrscht. 

(Ich oute mich hier jetzt mal als so ein „Verkehrslaueri“. Ich latsche dort auch immer rum, ohne dem Verkehr besondere Beachtung zu schenken. Wenn ihr also mal ein plattgefahrenes Lama findet …)

FDP - Gemeinderat Markus Gfeller (oder wie ich ihn nenne: Der Herr der Parkuhren) war dem Anliegen nicht abgeneigt. Es sei durchaus sinnvoll, in der Stadt ein einheitliches Verkehrsregime zu führen. Andererseits wolle der Gemeinderat auch keinen Schilderwald, der die Verkehrsteilnehmer wohlmöglich noch mehr irritiere und ablenke. Zudem verwies er auf den neuen  Verkehrsrichtplan, ausgearbeitet wird. Dennoch beantragte der Gemeinderat die Motion als erheblich zu erklären.  

Stadtrat Robert Kummer (FDP) kündigte jedoch an, dass seine Partei die Motion nicht unterstützen würde. Der Leidensdruck sei noch nicht gross genug, war die Begründung (wobei mir schleierhaft ist, wie man den Leidensdruck einer Strasse messen will. Möglicherweise meint er aber auch den Leidensdruck der Bevölkerung und da noch niemand unfreiwilligerweise seine Hirnmasse auf besagter Hübeligasse verteilt hat, ist der vielleicht tatsächlich noch nicht gross genug…)

Danach folgten zwei etwas verwirrende, weil sich widersprechende Voten der SVP – Fraktion, die offenbar mit internen Kommunikationsschwierigkeiten zu kämpfen hatte.  Jedenfalls war nicht ganz klar, wer jetzt die Fraktionsmeinung vertritt. Während Stefan Grossenbacher erklärte, dass die Fraktion die Motion unterstütze, scherte Janosch Fankhauser (SVP) aus. Er begrüsse zwar die Begegnungszone, aber schliesslich käme nächstes Jahr eben der Verkehrsrichtplan, die die gesamte Strassenführung behandle. Insofern mache es keinen Sinn jetzt einzelne Abschnitte zu genehmigen, argumentierte Fankhauser. Er blieb ungehört. Die Motion wurde als erheblich erklärt.

Markus Gfeller musste auch beim nächsten Traktandum für den Gemeinderat in den Kampf ziehen. Die Motion „Ergänzung des Ortspolizeireglements“ von Paul Bayard beschäftigte sich mit einer explosiven Thematik: Feuerwerk. Der Motionär verlangte, dass Feuerwerk in Langenthal grundsätzlich verboten wird, ausser am 1. August und am 31. Dezember. Dies sowohl aus Umweltschutz - als auch als Sicherheitsgründen. Laut Gfeller sei das aber kein Anliegen der Bevölkerung. Bis jetzt gingen bei der Stadt keine Beschwerden wegen dem Gebrauch von Feuerwerk ein. Zudem könne es schwer werden, die Daten abzugrenzen. Aus diesen Gründen lehne der Gemeinderat die Motion ab.

Obwohl Paul Bayard noch einmal Gas gab und auf die Gefährlichkeit von Feuerwerk hinwies – er selbst hat von einer Rakete ein bleibendes Souvenir erhalten: Einen Tinnitus – sowie auf die schädlichen Emissionen, erklärte der Stadtrat die Motion als nichterheblich. Oder um es anders auszudrücken: Den Leuten, die jetzt in der Hübeligasse nicht mehr überfahren werden, wird jetzt dafür beim Feuerwerk am 1. August der Arm oder das Bein abgesengt…

Es gibt Themen, die tauchen im Stadtrat so regelmässig auf, dass man sich manchmal wie in einer Zeitschleife fühlt. Oder wie in einer Dauerwerbesendung. Die Alte Mühe ist so ein Thema. Der SCL auch. Und die Marktgasse bzw. die ständigen Versuche, diese zu beleben. Gerhard Käser (SP) startete einen neuen Versuch. In seiner Motion forderte eine Allmendverordnung für Langenthal. Konkret möchte Gerhard Käser, dass Gewerbe und eben vor allem Gastronomie die Marktgasse aktiv gestalten und bewirtschaften kann. Bis jetzt ist das nicht möglich. 

Stadtpräsident Reto Müller (SP) bekundet Sympathie für die Motion, führte aber aus, warum das eben nicht so einfach sei. Da wären zum einen die dauerhaften Bauelemente in der Marktgasse, die man schliesslich nicht einfach so verschieben kann. Und dann ist da noch der Hochwasserschutz, der da selbstverständlich auch noch ein Wörtchen mitzureden hat. Auch hier spielt zudem der hängige Verkehrsrichtplan eine Rolle, der wohlmöglich wieder ganz andere Umstände schafft. Ausserdem ist da noch eine Motion der SVP hängig, die quasi das Gegenteil will. Der Gemeinderat beantragte aus diesen Gründen, die Motion zum Postulat zu wandeln. „Wir freuen uns auf eine engagierte Diskussion“, schloss Müller fröhlich und für einen Moment glaubte ich, ein manisches Glitzern in seinen Augen zu sehen. Ein Wunder bestellte er nicht gleich eine Tüte Popcorn.

Nur hatte der Stadtrat offenbar keine Lust darauf, dem Gemeinderat eine Show zu bieten. Gerhard Käser zeigte zwar noch einmal die Zähne, indem er deutlich machte, dass die SP/GL Fraktion die verkehrsfreie Marktgasse verteidigen werde – bis zum letzten Blutstropfen (na gut, so hat er das nicht ausgedrückt, aber ich finde, so klingt es hübscher). Dies, weil die oben erwähnte Motion der SVP, eben jene verkehrsfreie Zone angreifen will. Trotz herausgefahrener Stacheln wandelte Käser seine Motion dann allerdings doch noch in ein Postulat, das vom Stadtrat als erheblich erklärt wurde. 

Obwohl sich ja alle immer über die nichtbelebte Stadt ärgern, scheinen die eigentlich nicht anwesenden Leute jede Menge Müll zu produzieren. Das Postulat von Saima Sägesser (SP), Renate Niklaus (GLP) und Andri Lehmann (SP/GL Fraktion, parteilos) gab deshalb ein Postulat zur Bekämpfung von Littering ein (Littering bedeutet übersetzt: Müll, der einfach auf dem Boden geschmissen wird.) 

Gemeinderat Pierre Masson (SP) machte in seinem Votum deutlich, wie wichtig die Bekämpfung von Littering ist, betonte aber auch, dass die Stadt grundsätzlich sehr sauber sei. Das helfe auch bei der Eindämmung von Littering, denn wenn die Strassen nicht komplett zugemüllt sind, hat man sich natürlich auch weniger dafür, sein Kaugummipapier auf den Boden zu schmeissen. Masson führte weiter aus, dass es zwei Hebel für die Stadt gebe, mit denen sie in Bezug auf Littering arbeiten könne: Der eine sind genügend und richtig platzierte Abfalleimer, der andere das Korrigieren von Fehlverhalten von Einzelpersonen. Da gibt es einen Grund zum Feiern, Langenthal: Der Gemeinderat hat festgestellt, dass wir genügend Abfalleimer haben! Keine Schulsozialarbeit aber dafür ganz viele Abfalleimer. Der erste Schritt Richtung Zivilisation.

Saima Sägesser (SP) bemängelte jedoch die Art besagter Abfalleimer. In diese Schlitze könne man nichts Grösseres reinschieben, eine Pizzaschachtel verstopfe bereits alles, klagte sie. Zudem amüsierte sie sich über den Vorschlag des Gemeinderates, man könne ja mit Flyern auf das Problem aufmerksam machen. Denn wo die Flyer früher oder später landen ist ja klar. Jedenfalls nicht gerahmt in der Ahnengalerie (wisst ihr: Manchmal muss ich mich beim Schreiben gar nicht anstrengen. Manchmal sind Gemeinde – und Stadtrat einfach von alleine witzig).

Lars Schlappbach dagegen hat einen ganz anderen Lösungsansatz als das Design von Abfalleimern. Überwachungskameras hätten eine präventive Wirkung, dass beweise die Erfahrung von anderen Städten. Damit hat er sicher nicht ganz Unrecht. Nur ist mir nicht ganz klar: Angenommen ich werde dabei gefilmt, wie ich eine Bananenschale auf den Boden werfe. Wertet die Polizei das dann aus und schreibt mich zur Fahndung aus? Das Bananenlama?

Abfallkönig….äh ich meine natürlich, Gemeinderat Pierre Masson verteidigte seine Mülleimer mit dem Schlitz. „Bei offenen Mülleimern ist es einfach so, dass Privathaushalte ihre Abfallsäcke darin entsorgen!“ Er versprach aber, dass das Thema Littering auf keinen Fall in Sand verlaufen würde. Wenn dann in der Plastikflut…(Nein, das hat er nicht gesagt.)
Das nächste Postulat auf der Tagesordnung widmete sich einem tragischen Thema. Bootsflüchtlinge. Saima Sägesser führte die dramatischen Umstände aus, unter denen Menschen die gefährliche Flucht über das Meer wagen. Viele lassen ihr Leben dabei. Das Postulat verlangte vom Gemeinderat zu prüfen, was die Stadt tun kann, um diesen Flüchtenden zu helfen. Ungewöhnlich in diesem Fall: Der Gemeinderat hat dieses Postulat bereits beantwortet und für erheblich erklärt, bevor es in den Stadtrat kam. Das führte zu Irritationen.

Michael Schenk (SVP) wunderte sich über diese Reihenfolge und beschwerte sich, dass Personalressourcen hätten gespart werden können, wenn man mit der Bearbeitung dieses Postulats gewartet hätte. 

Das kam beim zuständigen Gemeinderat Michael Schär (FDP) schlecht an. „Ich weiss ja nicht, vielleicht seid ihr alle Expertem im Asylwesen,  aber wir sind es nicht. Deshalb brauchten wir einen Bericht und der hat die gestellten Fragen nun einmal beantwortet“, fauchte er. Und weil er gerade so schön in Schwung war, bekam auch die linke Seite ihr Fett weg. „Ihr habt drei Oberaargauer Grossräte. Die müsst ihr damit beauftragen“, belehrte er die SP, „und dann habt ihr ja auch noch andere Grossräte, die auch mithelfen würden!“

Damit legte er den Finger auf die Wunde bzw. auf den springenden Punkt: Das Postulat ist auf der falschen Ebene. Die Stadt ist extrem eingeschränkt in ihrem Handlungsspielraum, wenn es ums Asylwesen geht. Zudem störten sich die Stadträte Mike Siegrist (EVP) und Urs Zurlinden (FDP) daran, dass sich das Postulat nur mit den Bootsflüchtenden beschäftigt und nicht mit denen, die auf dem Landweg kommen und eine ebenso harte Reise hinter sich haben. „Das ist populistische Politik“, merkte Urs Zurlinden an. Das Postulat wurde als nichterheblich erklärt.

Und dann war es da. Das Traktandum, auf das alle gewartet haben. Jugendliche haben ein Postulat eingereicht, dass die Ausrufung des Klimanotstandes fordert. Das führte aus meiner Sicht dazu, dass sich der Stadtrat in eine etwas seltsame Diskussion verstrickte, die zwischendurch geradezu satirische Züge annahm.


Da war zum einen der Begriff Klimanotstand, der in manchem Stadtratsmitglied wohl eine Art Panikreaktion hervorrief. „Völlig daneben und absurd“, fand es zum Beispiel Corinna Grossenbacher (SVP), die sich vor allem darüber ärgerte, dass Jugendliche zwar ständig am Handy und am Laptop hängen, aber sich nicht fragen, woher denn die Batterien und der Strom dafür käme. 

Und auch Diego Clavadetscher (FDP) mochte sich nicht recht mit dem Begriff Klimanotstand anfreunden. Bei einem Notstand könne die Exekutive Grundrechte aushebeln und das sei nun einmal gefährlich. Ganz Unrecht hat er damit nicht. Notstände werden auch von Unrechtsstaaten ganz gerne ausgerufen, um ihr Regime zu halten. Allerdings: Bei einem Klimanotstand passiert…Nichts. Das hat reinen Symbolcharakter. Ob das etwas bringt oder nicht: Über das kann man geteilter Meinung sein.

Während die einen also fürchteten, dass man sie ihrer Rechte beraubt, verwechselten andere das Rednerpult mit dem Beichtstuhl. Janosch Fankhauser (SVP) erklärte geschlagene elf Minuten wie nachhaltig er lebt (wobei er das wirklich tut. Er hat sogar eine Gebäudesanierung – Auszeichnung von der Stadt bekommen), während Roland Loser (SP) gestand, er sei ein Klimasünder, schliesslich sei er nach Schottland gereist um YB zu schauen. Mit dem Flugzeug, nicht auf dem Pferd.

Ein wahrlich feuriges Votum hielt der sonst eigentlich eher zurückhaltende Serge Wüthrich (Grüne). Er stellte sich rigoros auf die Seite der Klimajugend und schlug auch gleich den Bogen zur Weltpolitik. Wieder sei eine Klimakonferenz ohne Ergebnis geblieben und auch wenn man jetzt vom grünen Hype rede: Der Klimawandel sei da und keine Erfindung von Greta. „Die Schweiz ist ein reiches Land. Wenn wir nicht anfangen, mit unserem Know – How und unseren Möglichkeiten zu arbeiten: Wer tut es dann?“, fragte er scharf. Und: „Natürlich wird uns das was kosten. Aber die Folgen des Klimawandels werden uns mehr kosten.“
Sein kleiner Temperamentausbruch wurde mit spontanen Applaus belohnt, der jedoch Patrick Freudiger (SVP) ein Dorn im Auge war. Applaus ist im Stadtrat nicht erlaubt – höchstens am Ende eines Geschäftes. Auch das löste einen kleinen Streit aus. Beat Hasler (SP/GL, parteilos), der die Forderung der Klimajugend unterstützte, warf dem Stadtratspräsident vor, den Applaus der Lehrerschaft beim letzten Mal nicht unterbunden zu haben. „Weil der am Ende des Geschäfts war!“, verteidigte sich Freudiger. Vielleicht sollte der Stadtrat anfangen, Applaus auf der Leinwand einzublenden, damit auch alle wissen, wann es okay und wann nicht.

Nachdem auch diese wichtige Frage geklärt wurde, wurde noch hin und her diskutiert, welche Umweltmassnahmen nun etwas bringen und welche nicht. Auch das hatte nichts mit der eigentlichen Sache zu tun (und warum fangen eigentlich alle immer mit diesen Elektroautos an?) und so war ich ehrlich gesagt froh, als schliesslich wieder Pierre Masson das Wort ergriff und die ganze Diskussion wieder etwas auf den Boden der Tatsachen brachte. 

Das Jugendpostulat wurde schliesslich mit Hängen und Würgen als erheblich geklärt. Was wohl auch ein bisschen den Umstand geschuldet war, dass es Jugendliche waren, die es eingegeben haben. Wer will schon junge Menschen frustrieren, die sich tatsächlich für Politik interessieren? 

Danach kamen wieder harmonischere Traktanden, ganz im Sinne der friedlichen Weihnachtszeit. Reto Müller blickte auf das letzte Regierungsjahr zurück und zeigte auf, welche Ziele der Gemeinderat erreicht hat. Sind tatsächlich ein paar…entgegen anderer Gerüchte. Und nein, es sind nicht nur die Parkuhren.

Fast am Ende der Sitzung dankte Martina Moser Patrick Freudiger für seine Arbeit als Stadtratspräsident. Als Bloggerin kann ich nur sagen: Es war tatsächlich ein praktischer Stadtratspräsident, weil er sehr klare Strukturen hatte und der Traktandenliste sehr exakt folgte. Ausserdem hat er immer sehr genau das Vorgehen erklärt, so dass man auch als Laie einigermassen durchblickte. Und sein Sinn für Humor sicherte mir viele Best of Sprüche. Aber ich denke, Martina Moser wird ein ähnliches Niveau halten.

Auch Rücktritte gab es zu verkünden. Bernhard Marti (SP) verabschiedete sich aus dem Rat Mit ihm verliert die SP/GL Fraktion ihren Juristen und einen erfahrenen Stadtrat. Ausserdem war auch er ein zuverlässiger Best of Lieferant. Das könnt ihr nicht machen, Leute! Ich habe mich gerade an euch gewöhnt!

Bleibt eigentlich nur noch zu erzählen, dass ich jetzt wohl endgültig zum Establishment gehöre. Ich wurde offiziell im Stadtrat erwähnt und verdankt. Danke für’s Danken. Jetzt, um drei Uhr morgens, mit schmerzenden Fingern, frage ich mich ehrlich gesagt auch, warum ich mir das antue. Aber ich denke, ich mach auch noch nächstes Jahr das Stadtratsgroupie.

Was sonst noch passiert ist:
-      Der sonst so korrekte und organisierte Diego Clavadetscher (wahrscheinlich auch Träger des Pünktlichkeitsgens) kam zu spät. Das führte dazu, dass Franziska Zaugg – Streuli für zwei Minuten Stimmenzählerin in der Sitzung war, was wohl als der kürzeste Einsatz in die Geschichte eingehen wird. Diego Clavadetscher tauchte später auf, mit einem knallroten Schal um den Hals. Zu spät und rotes Halstuch? Da ist wohl jemand zur SP gewechselt.

-      Roland Loser verpasste fast seinen Einsatz beim Appell, weil er auf dem Smartphone rumdrückte. Tss!

-      Es gab einen kleinen, unbeabsichtigten Entmachtungsversuch. Bei der Wahl des Vizestadtratspräsidiums wurde immer wieder vom Vizestadtpräsident geredet. Das wäre aber aktuell Markus Gfeller, der eigentlich gar nicht zur Abwahl stand…

-      Janosch Fankhauser vergass bei einer Abstimmung seine Stimmkarte zu heben, was Patrick Freudiger sichtlich nervte. Er hatte ungefähr denselben Gesichtsausdruck wie ich, wenn mir Kunden sagen, sie wüssten leider nichts vom Buch, nur dass es rot sei.
-      Verschiedene Stadträte – und Stadträtinnen sind sehr Social Media aktiv während der Sitzung. So beschwerte sich einer auf Facebook, er habe Hunger  und es ginge schon so lange. Es braucht einen Pizzaservice für den Stadtrat!

Best of:

„Merci, Paul Bayard, auch für den Wahlwerbespot!“ Stadtratspräsident Patrick Freudiger (SVP) deckt Schleichwerbung auf.

„Er (Gemeinderat Markus Gfeller) hat immerhin bewiesen, dass er den ersten Satz gelesen hat. Beim zweiten war er schon ermüdet!“ Die schlechte Pisa – Studie in Bezug auf Lesekompetenz hat offenbar auch seine Wirkung auf den Gemeinderat. Zumindest laut Bernhard Marti (SP)

„Ich habe das sehr wohl bis zum Ende gelesen.“ Markus Gfeller kontert. Hoffentlich hat er auch das Leseverständnis dazu gelöst. 

„Das ist eben keine Fussgängerzone. Ich könnte mit 50 dort reinkurven, wenn ich wollte – nicht dass ich das tun würde!“ Verkehrsrowdy Bernhard Marti.

„Wenn, dann müsste man Feuerwerk konsequent verbieten, auch an Feiertagen. Ich fahre schliesslich auch nicht in der 50er Zone 80, nur weil gerade Feiertag ist!“ Eine durchaus spannende Idee, wieder von Markus Gfeller.

„Das Dublin – Abkommen hält fest, dass Flüchtende dort aufgenommen werden, wo sie ankommen. Und das ist, bei Bootsflüchtenden vom Mittelmeer, nun einmal nicht die Schweiz.“ Geographie mit Beatrice Lüthi (FDP).

„Mir als Langenthaler tut es ja immer ein bisschen weh, wenn Olten uns überholt…“ Serge Wüthrich (Grüne) outet sich als Lokalpatriot.

„Tüet weniger lüpfe…äh lüfte. S’andere wär es Suva Problem.“ Janosch Fankhauser (SVP) verlüpft sich in der Formulierung.

„Ihr seht euer Postulat beschäftigt die alten weissen Männer…“
„Und was ist mit den Frauen?“
„Natürlich, es gibt auch ältere Frauen…“
Da stolpert doch tatsächlich die sonst so sattelfeste Saima Sägesser (SP) in die Genderfalle.

„Man muss uns nicht erklären, wie wir unsere Wäsche aufhängen sollen!“ Als Grüner lässt sich Serge Wüthrich nur ungern belehren, wie er seine Wäsche zu trocknen hat.

„Vielleicht hätte man es Klimadringlichkeit nennen sollen…“ Pierre Masson (Gemeinderat, SP) versucht sich als Angsttherapeut, indem er den Schrecken unbenennt.

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