Dienstag, 29. Oktober 2024

Das Wahldramalama, letzter Teil: Das Nachspiel

 

Vielleicht muss ich meine seherischen Fähigkeiten noch ein bisschen trainieren. Oder ich brauche neue Tarotkarten, weil so ganz habe ich mit meinen Vorhersagen nicht ins Schwarze getroffen. Zwar habe ich vermutet, dass die SVP im Stadtrat zulegt, dass sie aber den dritten Sitz im Gemeinderat holen kam überraschend – diesen Sitzgewinn hätte ich eher dem Mittebündnis zugetraut. Oder uns – also der SP (möglicherweise habe ich mir das auch einfach sehr gewünscht und das hat mein drittes Auge getrübt). Aber der Reihe nach.

Der neue alte Stapi

Reto Müller hat die Wiederwahl geschafft – allerdings war ihm Marco Burkhalter näher auf den Fersen, als ihm lieb sein kann. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen hat bis jetzt jeder Stapi mit fortlaufender Amtszeit an Popularität eingebüsst. 2012 machte der damals konkurrenzlos antretende Thomas Rufener (SVP) beispielsweise ein deutlich schlechteres Resultat als sein damaliges Gemeinderatsgspänli Reto Müller.  Zum anderen hatte Müller mit dem misslungenen Kindergartenprojekt und dem gescheiterten Eisstadion unschöne Altlasten.

Obwohl die Bürgerlichen selbst keine Kandidatur stellen mochten, machten sie auch keinen Hehl aus ihrer Unzufriedenheit mit Reto Müller (wobei sie sie oft als Kritik an der ‘Stadt’ verpackten) und so dürfte auch aus ihren Reihen, die eine oder andere Proteststimme auf Marco Burkhalter gefallen sein.

Dazu möchte ich einfach Folgendes sagen: Protestwahlen sind selten eine gute Idee. Fakt ist, dass wir bis zum Schluss nicht wussten, wo Burkhalter politisch jetzt genau steht und auch nicht, ob sein Wahlkampfhelfer, der früher bei der PNOS mitgemischt hat, sich inzwischen von diesem Gedankengut distanziert hat (was ja sein kann, Menschen können sich ändern). Und selbst wenn wir das alles ignorieren, hat sich Burkhalter nicht sonderlich bemüht, sich mit den politischen Institutionen in Langenthal auseinanderzusetzen, was schon noch so eine Grundvoraussetzung wäre, um als Stapi regieren zu können.

So jemanden zu wählen, nur um den linken Stapi ans Bein zu pissen, kann böse ins Auge gehen, denn das Ding beim Wählen ist: Ihr könnt den Leuten dann nicht einfach kündigen, wenn euch ihre Arbeit nicht mehr gefällt. Das heisst nicht, dass ihr jemanden wählen müsst, den ihr nicht wollt. Es gibt immer noch die Möglichkeit Stimmzettel leer einzulegen. Oder ihr schreibt was Lustiges drauf, dann hat der Wahlausschuss noch was zu lachen. Und glaubt mir: Auch das hat Signalwirkung.

Der (fast) neue Gemeinderat

Für den linken Stapi wird die nächste Legislatur nicht einfacher, denn er regiert mit einem Gemeinderat, der nochmal nach rechts gerückt ist. Die SVP erobert den Sitz der Grünen und stellt mit Patrick Freudiger, Patrick Fluri und Martin Lerch drei von sieben Gemeinderät:innen. Zusammen mit der FDP ist das Verhältnis von bürgerlich zu links also 5:2.

Dass die Grünen den Sitz verlieren, kommt nicht ganz überraschend – dass ihn aber die SVP schnappt, schon. Sicher, da war auch Glück im Spiel – wäre die SP eine Listenverbindung mit dem Mitte – Bündnis eingegangen, hätten sie den Sitz wohl geholt (hat mir ein Zahlenmensch gesteckt), aber es ist natürlich müssig, darüber zu diskutieren: Gewonnen ist gewonnen. Und die SVP hatte eine starke Liste mit populären Kandidierenden, die auch ihre Parteibasis gut mobilisieren konnten.

Die FDP darf ebenfalls zufrieden sein, sie kann ihre zwei Sitze souverän verteidigen. Den Sitz von Markus Gfeller (der wegen Amtszeitbeschränkung nicht mehr antreten konnte) holt die jetzige Parteipräsidentin Stefanie Barben, Michael Schär wird klar wiedergewählt, obwohl im Vorfeld hin und wieder gemunkelt wurde, dass es für ihn knapp werden könnte – wohl auch, weil er durch seinen Fokus auf ökologische Themen ein schwieriges Gebiet innerhalb der FDP besetzt.

Die SP bleibt mit Reto Müller und Martina Moser bei ihren zwei Sitzen – wobei letztere für sich in Anspruch nehmen kann, bestgewählte Gemeinderätin zu sein. Vielleicht tröstet sie das ein wenig darüber hinweg, dass sie in gleich doppelter Hinsicht in Unterzahlt bleiben wird: Als Linke – und als Frau, denn auch diese Legislatur werden wir hauptsächlich von Männern regiert werden.

 

Einmal auf rechts gedreht

Ihr werdet es bereits gelesen haben: Auch im Stadtrat verschieben sich die Kräfte nach rechts.  FDP, SVP, Liste 49 (also, eigentlich Pascal Dietrich) und JLL kommen zusammen auf 22 Sitze, Grüne, SP, GLP und EVP auf 18. Grüne und GLP verlieren je einen Sitz, die ins bürgerliche Lager wechseln. Bei der SP kommt es zwar zu einem internen Wechsel (Dan Weber verdrängt Päivi Lehmann), die Sitzanzahl bleibt aber gleich. Damit können sie die Verluste der Grünen nicht ausgleichen. Die GLP dagegen muss ihren Status als Mehrheitssmacherin aufgeben: Künftig sind die Bürgerlichen – wenn sie geeint sind, natürlich – nicht mehr auf ihre Unterstützung angewiesen.

Damit erfüllt sich der Wunsch der Bürgerlichen: Sie konnten die Blockade durchbrechen und eine klare Mehrheit erringen. Das bringt die Linken – vor allem die SP – in eine komplizierte Lage. Einerseits wäre es bei diesen Mehrheitsverhältnissen fast schon Pflicht für sie, in die Opposition zu gehen (soweit das geht, wir sind ja nicht in Deutschland), andererseits stellen sie nach wie vor den Stapi – sie werden sich also nicht ständig gegen den Gemeinderat stemmen können, egal wie viele SVPler da drinsitzen, zumal sie ohne Bürgerliche nichts mehr reissen können und auf eine Zusammenarbeit angewiesen sind.

Die Bürgerlichen dagegen müssen jetzt liefern. Sie haben in der letzten Legislatur viel kritisiert, bei diesen Mehrheitsverhältnissen liegt es jetzt an ihnen, ihre Verbesserungen anzubringen. Ob die Konflikte zwischen Gemeinderat und Ständerat nun weniger werden, weil sowohl Legislative als auch Exekutive klar bürgerlich dominiert sind, bleibt abzuwarten – gerade beim Gezerre um die Finanzen dürfte es weiterhin spannend bleiben.

Aus grosser Kraft folgt grosse Verantwortung, so ein Sprichwort aus Spiderman. Es ist die Frage, wie die Bürgerlichen mit ihrer Macht umgehen. Setzen sie einfach ihren Willen durch oder nehmen sie Rücksicht auf die Ratsminderheit? Müssen sie das überhaupt? Und wie eng bleibt die Bindung zwischen FDP und SVP? Reicht das Traumpaar möglicherweise während der Legislatur die Scheidung ein? Das wird die Zeit zeigen. Denn was auf dem Papier steht, ist das eine – hinter allen Zahlen stehen aber immer auch Menschen, die zu komplex sind, um sie in Parteibüchlein einzuteilen. Deshalb dürfte es auch weiterhin zu Diskussionen kommen – egal wie harmonisch die Bürgerlichen sind.

Mein persönlicher Senf

Mir wurde letzthin attestiert, ich sei authentisch und ich möchte diesem Ruf gerecht werden. Wie die meisten von euch wissen, bin ich bei der SP (und für die, die es nicht wussten: Überraschung!) und ihr könnt euch ausrechnen, dass ich jetzt nicht so super happy mit den Wahlresultaten bin. Wenn ich mir den Gemeinderat so ansehe, ist mein Geschlecht, meine politische Gesinnung, mein Jahrgang und erst recht meine Gehaltsklasse untervertreten oder gar nicht vorhanden. Das find ich schon nicht so geil.

Ausserdem habe ich am Wahltag meinen versprochenen Kuchen nicht bekommen.

Was mich aber wirklich aufregt ist die niedrige Wahlbeteiligung von 34 Prozent. Ich habe zwar schon damit gerechnet, weil das Interesse an diesen Wahlen einfach mau war, aber Leute, ganz ehrlich: Wenn schon ständig über den Stadtrat und Gemeinderat gejammert wird, dann setzt euch auch mal konkret mit den Inhalten auseinander und geht wählen! Es geht mir einfach auf den Keks, dass so viele so tun, als hätte Politik keinen Einfluss auf sie. Hat es, also hört auf so tun, als würde es euch nichts angehen und kümmert euch darum, euch zu informieren, statt ständig rumzunölen, dass die Politik ja eh macht, was sie will, weil, wisst ihr, wenn ihr den Mund nicht aufmacht, weiss ja auch niemand, was ihr wollt!

So, das musste jetzt auch mal raus.

Mein persönliches Highlight in diesem Wahlkampf war übrigens das Wahlpodium, das ich gemeinsam mit den OC – Leuten organisiert und durchgezogen habe. Nicht nur der Abend selbst hat Spass gemacht – ich habe es geliebt, zu moderieren – sondern auch das Entwickeln des Konzepts. Einfach mal Ideen austauschen, ausprobieren und nicht immer die gleichen ausgetretenen Pfade nutzen – gerne wieder.

Und damit wäre die Wahldramalamaserie beendet. Ich hoffe, ihr seid bei der Lektüre nicht eingeschlafen. Ich werde mich jetzt von den Wahlen erholen, mit denen ich mich doch wieder viel intensiver beschäftigt habe, als es ursprünglich geplant war. Ich kann einfach meine Schnauze nicht halten.

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