Freitag, 8. November 2019

Frauen erzählen: Beatrice


Beatrice Lüthi ist Stadträtin der FDP Langenthal. Die Juristin nimmt kein Blatt vor dem Mund. Weder, wenn es darum geht, den Stadtrat auf gewisse rechtliche Grundlagen hinzuweisen, noch wenn sie für die Gleichstellung zwischen Mann und Frau kämpft. 

Ihr Interesse an Politik erwachte während ihrer Arbeit als Assistentin bei einem Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Hochschule St. Gallen. Das Zusammenspiel zwischen Politik und Recht faszinierte sie. Später landete sie im Bundesamt für Landwirtschaft wo Gesetze angepasst wurden. Hier ging es darum, für die verschiedenen Interessengruppen Lösungen zu finden. Oder um es mit Beatrices Worten auszudrücken: „Du konntest dir aussuchen ob du nun die Bauern, die Milchproduzenten oder die Endverbraucher sauer machen willst.“ Rechtsetzung bedeute eben auch immer, wie man es dann konkret umsetzt und das wiederum hänge auch mit Politik zusammen. 

Als die FDP Langenthal Leute für ihre Wahlliste suchte, liess sie sich aufstellen und rutschte später in den Stadtrat nach. Inzwischen gehört sie zu den „alten Hasen“. Das sei insofern ein Vorteil, dass man wisse, was schon einmal zur Debatte stand und welche Ideen man schon vor langer Zeit verworfen habe. Bereits in ihrer Anfangszeit vertrat Beatrice ihren Standpunkt selbstbewusst. Sie stellte sich ans Rednerpult und sprach frei. Wenn dann hinterher die Stadtratssekretärin kam um für das Protokoll, um ihren Text zu bitten, konnte Beatrice ihr oft nur einen Fresszettel in die Hand drücken. Stichworte genügen Beatrice. 

Ihr Jurastudium helfe ihr insofern, dass sie das Staatsgefüge genau kenne. Nur seien die juristischen Leitplanken den Nichtausgebildeten oft einfach nicht so wichtig. Das wiederum führe dazu, dass sie oft als Spielverderberin wahrgenommen werde. „Schon im Bundesamt für Landwirtschaft hiess es manchmal, ‚die Lüthi wieder‘, wenn ich anmerkte, dass etwas rechtlich nicht ‚verhebt‘. Dabei mache ich ja nicht die Spielregeln.“ Auch im Stadtrat sorgen Äusserungen wie „lasst uns das mal nach Bauchgefühl entscheiden“ bei ihr für Stirnrunzeln. „Das ist, wie wenn du Eile mit Weile spielst und plötzlich entscheidest, ich fahre jetzt rückwärts, obwohl die Regeln besagen, dass du vorwärts musst!“

Würde man ihre Einwände denn ernster nehmen, wenn sie ein Jurist wäre und keine Juristin? Das sei schwer zu sagen, findet Beatrice. Sie könne ja schliesslich nicht beurteilen, wie es als Mann sei. Im Bundesamt für Landwirtschaft habe sie es schon zu spüren bekommen, dass sie kein Bauernsohn sei. „Und dann habe ich natürlich Jus studiert und nicht Agronomie und schliesslich kommt man in diesem Thema nur draus, wenn man Agronomie studiert hat“, meint sie sarkastisch. 

Beatrice bewegt sich in Männerdomänen selbstbewusst und sagt direkt, wenn ihr etwas nicht passt. Als Fraktionschefin der FDP/jll Langenthal, ist es ihr zwar wichtig, dass man ohne Not nicht die Fraktionsmeinung angreift oder in Frage stellt. Geht es aber darum, Frauen bessere Chancen zu verschaffen, kämpft sie dafür am Rednerpult – auch gegen die eigene Partei, wenn es sein muss. Dass die FDP Schweiz sich so dagegen sträubt, sich für mehr Gleichberechtigung einzusetzen, versteht Beatrice nicht. „Wir sind doch liberal. Nur, wenn es um das Thema Frauen geht, plötzlich nicht mehr.“

Es ärgert sie, wenn Männer erklären, die Gleichberechtigung sei erreicht und Frauen hätten keine Nachteile mehr. „Ich sage diesen Männern dann jeweils, sie sollen doch mal einen Monat als Blinder oder Tauber in der Stadt Bern leben. Hinterher würden sie dann auch nicht mehr behaupten, dass es einfach sei, als Behinderter zurechtzukommen.“ Mit diesem Beispiel versucht sie darzustellen, dass Männer schlicht nicht beurteilen können, ob die Gleichberechtigung erreicht ist. Weil sie es nicht am eigenen Leib erfahren. Nicht nur in der Politik würden Frauen benachteiligt, auch in der Wirtschaft werden ihnen Steine in den Weg gelegt. „Es ist doch so: Wir haben Studien, die eindeutig nachweisen, dass gemischte Teams besser arbeiten. Wenn die Wirtschaft diesen Vorteil bewusst nicht nutzt, müssen doch sachfremde Überlegungen dahinterstecken. Also haben Frauen doch von vornerein die schlechteren Chancen!“

Beatrice ist Mitglied des Zentralvorstands bei den Business Professional Women Switzerland. Eine Herzensangelegenheit für Beatrice. Die Interessenvertretung setzt sich für mehr Gleichberechtigung in Beruf und Politik ein. So bereiten sie Frauen auf politische Ämter vor, bieten Mentorings an und vergeben Stipendien. Ein wichtiger Anlass ist zudem der Equal Pay Day. Bis zu diesem Tag arbeiten die Frauen, aufgrund der Lohnunterschiede, in der Schweiz gratis. Errechnet wird das Datum vom BPW Switzerland. Ausserdem versucht der BPW nötigenfalls auch politisch Einfluss zu nehmen. So lobbyierten sie im Hintergrund, als es im Parlament um das Gleichstellungsgesetz und den Vaterschaftsurlaub ging. Beatrice geniesst die Arbeit mit den engagierten Frauen, auch weil hier ihre Gedankengänge nicht als „Gendergedöns“ abgetan werden, sondern alle am selben Strick ziehen. 

Auch sie selbst wurde im Berufsleben schon damit konfrontiert, dass für sie nicht dieselben Voraussetzungen gelten wie für Männer. Bei Bewerbungsgesprächen werde sie gefragt ob sie sich das denn zutraue, wie ihre Familienplanung aussehe oder ob sie sich bewerbe, weil sie eine Frau sei. Auf Letzteres weiss sie eine schlagfertige Antwort. „Ich kann mich ja schlecht als Mann bewerben! Oder soll ich noch eine Geschlechtsumwandlung machen?“ Auch im Alltag würden Frauen gerne weniger ernstgenommen. Als sie einmal ein Spielzeugauto für ihr Patenkind kaufen wollte, erklärte der Verkäufer nicht ihr, wie es funktioniert, sondern ihrem Lebenspartner. Und genau solche Vorkommnisse, denen Frauen immer wieder ausgesetzt sind, würden von Männern oft kleingeredet. „Reg dich doch nicht darüber auf“ heisse es dann. „Statt dass sie mal sagen würden: du hast Recht, das ist eine Sauerei!“

Immer wieder klagen Politikerinnen darüber, dass sie persönlich angegriffen werden und dabei auf ihr Äusseres gezielt wird. Erlebt hat Beatrice das selbst noch nie. „Aber man hat es natürlich im Hinterkopf, dass es passieren kann.“ Frauen werde gerne das Gefühl gegeben, sie seien nicht kompetent genug. Und sie geraten schnell in Kritik. „Als Frau wirst du von den Medien ständig nach deiner Haltung zu Quoten oder zum Frauenstreik gefragt. Egal wie du antwortest, du kannst dir einen Teil der Wählerschaft abschminken. Du kannst dir einfach aussuchen, welchen.“ Deshalb sei es auch schwierig, Frauen auf Wahllisten zu bringen. Sie hätten dann – naturgemäss – viel mehr Vorbehalte. „Frauen müssen sich nicht auf einen Wahlkampf einstellen, sondern auf eine Hexenjagd.“

In der Wirtschaft setzt sich Beatrice Lüthi für Quoten ein, eine Haltung, die viele Männer in ihrer Partei nicht teilen. „Mich nervt es total, wenn unser Ständerat Andrea Caroni erzählt, er sei für Qualität statt Quoten. Er ist noch so jung und doch in  einigen Bereichen so von gestern.  Na gut, er ist aus Appenzell Ausserrhoden, das erklärt es vielleicht.“ Diese Argumentation ist in Beatrices Augen vor allem deshalb fehlerhaft, weil sie impliziere, dass bei Männern die Qualität zweitrangig sei, während sie bei Frauen ein Muss ist. 

In der Politik dagegen, findet es Beatrice eher schwierig, mit Quoten zu arbeiten. „Also zum einen kann man den Parteien schlecht vorschreiben, wie sie ihre Listen gestalten sollen und zum anderen muss man natürlich auch den Wählerwillen akzeptieren.“ Bei den letzten Gemeinderatswahlen ist die FDP mit einer Frauenliste ins Rennen gestiegen – ohne Erfolg, die Frauenliste hat weitaus weniger Stimmen gemacht, als die Männerliste. „Das war zu erwarten“, meint Beatrice. Frauenlisten hätten es bei bürgerlichen Wählenden schwieriger. „Es war klar, dass die getrennten Listen eher den Männern nützen, als den Frauen.“

Wieso aber generell so wenige Frauen in der Langenthaler Exekutive zu finden sind, kann Beatrice nicht beantworten. Sie persönlich wünscht sich mehr Frauen in Gemeinderat, denn kaum Frauen im Gemeinderat bedeutet letztendlich auch, dass sich die Chancen auf eine Stadtpräsidentin verringern. „Man hat sicher die besseren Karten, wenn man schon im Gemeinderat sitzt. Da klemmt in Langenthal natürlich schon die Zufuhr.“ Es gebe noch andere Gründe, der zeitintensive und aufreibende Wahlkampf zum Beispiel. „Und dann ist es so, bevor eine Frau Erfolg haben kann, müssen andere Frauen vor ihr scheitern.“ So sei es auch auf Bundesebene gewesen. Die erste Bundesratskandidatin Lilian Uchtenhagen: Nicht gewählt. Elisabeth Kopp: In Ungnade gefallen und vorzeitig zurückgetreten. Ruth Metzler – Arnold: Abgewählt. „Es braucht immer Vorreiterinnen, die den Weg frei machen.“ Die fehlen in Langenthal.  Paula Schaub hat den Kampf ums Stadtpräsidium gewagt. „Aber dieser Effekt ist inzwischen verpufft“, meint Beatrice.  

„Um mehr Frauen in die aktive Politik zu bringen, müssen wir sie in bessere Ausgangssituationen bringen. Heute starten sie zehn Meter hinter der Linie. Wir müssen dafür sorgen, dass sie mindestens auf der Linie starten können.“ Dafür setzt sich Beatrice ein. Sie wünscht sich, dass das Ziel der Gleichberechtigung von allen mitgetragen wird, auch von den Männern. Die zeigen zumindest bei den Bürgerlichen allerdings oft wenig Interesse daran, etwas an den Zuständen zu ändern. Sie sagen zwar, es sei schade, dass so wenige Frauen dabei wären, aber aktiv etwas dafür tun, würden sie nie. Das überlassen sie den Frauen. Dabei sei es wichtig, dass Männer Frauen supporten und ihnen den Rücken stärken.
Besonders entnervend sei es, wenn man ständig gute Tipps von Männern bekomme. „Merkt man bei einer Sitzung über die Listengestaltung an, eine Frau mehr wäre nett, wird man ignoriert und später dafür kritisiert, dass man sich nicht energischer dafür eingesetzt hat. Haut man auf dem Tisch und sagt: hey, ich will Frauen, finden sie, du seist zu rabiat.“ Wie frau es auch macht, sie dürfe sich hinterher anhören, dass sie es anders hätte machen müssen, um Erfolg zu haben. 

Dem vielzitierten Spruch, dass Frauen eben Frauen wählen müssten, kann Beatrice nicht viel abgewinnen. „Auch Männer dürfen Frauen wählen“, erwidert sie dann und überhaupt sei es keineswegs so, dass keine Frauensolidarität herrsche. Sie werde nur immer totgeredet. „Aber natürlich ist es absoluter Blödsinn zu erwarten, dass 51% der Bevölkerung genau gleich denkt.“ Was Frauen allerdings lernen müssten: Die Lebensbilder von anderen Frauen zu akzeptieren. „Ich empfinde es manchmal so, dass sich Familienfrauen dafür rechtfertigen müssen, dass sie sich gegen einen Beruf entschieden haben und umgekehrt die Karrierefrauen dafür, dass sie im Job Gas geben. So lassen wir uns viel zu leicht gegeneinander ausspielen.“ 

Dass Frauen sich alles mühsam erkämpfen müssen, frustriert Beatrice. „Die Lohngleichheit ist in der Verfassung festgeschrieben. Sie steht uns zu, man schuldet uns das. Es ist eben keine Verhandlungssache, wie uns das immer vorgebetet wird.“ In der Politik sei es ähnlich. „Das Parlament ist eine Volksvertretung. Dazu gehören 51% Frauen, deshalb müssen sie mitreden können.“ 

Ein wichtiges Signal ist für Beatrice der vergangene Frauenstreik. Sie selbst hat, ganz in lila, in Bern daran teilgenommen. „Der Zulauf war enorm, viel grösser als gedacht. Darüber kann die Politik nicht einfach hinwegsehen.“ Sie hofft, dass es nicht nur ein buntes Feuerwerk gewesen ist, sondern der Anfang einer längerfristigen Bewegung. 

Was rät denn die erfahrene Stadträtin Frauen, die in die Politik einsteigen wollen? „Du musst Spass an der Sache haben. Das ist das Wichtigste. Und dann solltest du dir eine dicke Haut zulegen, lernen, nicht alles persönlich zu nehmen und Rückgrat zeigen.“ Gerade weil die Kommissionen geschlechtermässig so schlecht verteilt sind, sei es wichtig, dass Frauen sich auch an Themen wie Finanzen – oder Bauplanung heranwagten. „Wenn man mal etwas aktiv mitgestalten konnte, wird man machtbewusst.“ Frauen müssen ihre Ansprüche melden, auch wenn ihnen dafür die Liebe entzogen wird. Beatrice selbst, kann das. Obwohl sie auch schon mal eine Abwahl erlebt hat und ihre Wiederwahl oft um Haaresbreite schafft, politisiert sie, wie sie ist: geradeaus. Es ist ihr wichtiger authentisch zu sein, als beliebt zu sein. Vielleicht ist das auch ihr wichtigster Tipp an die Frauen. „Machs wie‘s für di stimmt – denn stimmt‘s!“

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