Beatrice Lüthi ist Stadträtin der FDP
Langenthal. Die Juristin nimmt kein Blatt vor dem Mund. Weder, wenn es darum
geht, den Stadtrat auf gewisse rechtliche Grundlagen hinzuweisen, noch wenn sie
für die Gleichstellung zwischen Mann und Frau kämpft.
Ihr Interesse an Politik erwachte während
ihrer Arbeit als Assistentin bei einem Professor für Staats- und
Verwaltungsrecht an der Hochschule St. Gallen. Das Zusammenspiel zwischen
Politik und Recht faszinierte sie. Später landete sie im Bundesamt für
Landwirtschaft wo Gesetze angepasst wurden. Hier ging es darum, für die
verschiedenen Interessengruppen Lösungen zu finden. Oder um es mit Beatrices
Worten auszudrücken: „Du konntest dir aussuchen ob du nun die Bauern, die
Milchproduzenten oder die Endverbraucher sauer machen willst.“ Rechtsetzung
bedeute eben auch immer, wie man es dann konkret umsetzt und das wiederum hänge
auch mit Politik zusammen.
Als die FDP Langenthal Leute für ihre
Wahlliste suchte, liess sie sich aufstellen und rutschte später in den Stadtrat
nach. Inzwischen gehört sie zu den „alten Hasen“. Das sei insofern ein Vorteil,
dass man wisse, was schon einmal zur Debatte stand und welche Ideen man schon
vor langer Zeit verworfen habe. Bereits in ihrer Anfangszeit vertrat Beatrice
ihren Standpunkt selbstbewusst. Sie stellte sich ans Rednerpult und sprach
frei. Wenn dann hinterher die Stadtratssekretärin kam um für das Protokoll, um
ihren Text zu bitten, konnte Beatrice ihr oft nur einen Fresszettel in die Hand
drücken. Stichworte genügen Beatrice.
Ihr Jurastudium helfe ihr insofern, dass sie
das Staatsgefüge genau kenne. Nur seien die juristischen Leitplanken den
Nichtausgebildeten oft einfach nicht so wichtig. Das wiederum führe dazu, dass
sie oft als Spielverderberin wahrgenommen werde. „Schon im Bundesamt für
Landwirtschaft hiess es manchmal, ‚die Lüthi wieder‘, wenn ich anmerkte, dass
etwas rechtlich nicht ‚verhebt‘. Dabei mache ich ja nicht die Spielregeln.“
Auch im Stadtrat sorgen Äusserungen wie „lasst uns das mal nach Bauchgefühl
entscheiden“ bei ihr für Stirnrunzeln. „Das ist, wie wenn du Eile mit Weile
spielst und plötzlich entscheidest, ich fahre jetzt rückwärts, obwohl die
Regeln besagen, dass du vorwärts musst!“
Würde man ihre Einwände denn ernster nehmen,
wenn sie ein Jurist wäre und keine Juristin? Das sei schwer zu sagen, findet
Beatrice. Sie könne ja schliesslich nicht beurteilen, wie es als Mann sei. Im
Bundesamt für Landwirtschaft habe sie es schon zu spüren bekommen, dass sie
kein Bauernsohn sei. „Und dann habe ich natürlich Jus studiert und nicht
Agronomie und schliesslich kommt man in diesem Thema nur draus, wenn man
Agronomie studiert hat“, meint sie sarkastisch.
Beatrice bewegt sich in Männerdomänen
selbstbewusst und sagt direkt, wenn ihr etwas nicht passt. Als Fraktionschefin
der FDP/jll Langenthal, ist es ihr zwar wichtig, dass man ohne Not nicht die
Fraktionsmeinung angreift oder in Frage stellt. Geht es aber darum, Frauen bessere
Chancen zu verschaffen, kämpft sie dafür am Rednerpult – auch gegen die eigene
Partei, wenn es sein muss. Dass die FDP Schweiz sich so dagegen sträubt, sich
für mehr Gleichberechtigung einzusetzen, versteht Beatrice nicht. „Wir sind
doch liberal. Nur, wenn es um das Thema Frauen geht, plötzlich nicht mehr.“
Es ärgert sie, wenn Männer erklären, die
Gleichberechtigung sei erreicht und Frauen hätten keine Nachteile mehr. „Ich
sage diesen Männern dann jeweils, sie sollen doch mal einen Monat als Blinder
oder Tauber in der Stadt Bern leben. Hinterher würden sie dann auch nicht mehr
behaupten, dass es einfach sei, als Behinderter zurechtzukommen.“ Mit diesem
Beispiel versucht sie darzustellen, dass Männer schlicht nicht beurteilen
können, ob die Gleichberechtigung erreicht ist. Weil sie es nicht am eigenen
Leib erfahren. Nicht nur in der Politik würden Frauen benachteiligt, auch in
der Wirtschaft werden ihnen Steine in den Weg gelegt. „Es ist doch so: Wir
haben Studien, die eindeutig nachweisen, dass gemischte Teams besser arbeiten.
Wenn die Wirtschaft diesen Vorteil bewusst nicht nutzt, müssen doch sachfremde
Überlegungen dahinterstecken. Also haben Frauen doch von vornerein die
schlechteren Chancen!“
Beatrice ist Mitglied des Zentralvorstands
bei den Business Professional Women Switzerland. Eine Herzensangelegenheit für
Beatrice. Die Interessenvertretung setzt sich für mehr Gleichberechtigung in
Beruf und Politik ein. So bereiten sie Frauen auf politische Ämter vor, bieten
Mentorings an und vergeben Stipendien. Ein wichtiger Anlass ist zudem der Equal
Pay Day. Bis zu diesem Tag arbeiten die Frauen, aufgrund der Lohnunterschiede,
in der Schweiz gratis. Errechnet wird das Datum vom BPW Switzerland. Ausserdem
versucht der BPW nötigenfalls auch politisch Einfluss zu nehmen. So lobbyierten
sie im Hintergrund, als es im Parlament um das Gleichstellungsgesetz und den
Vaterschaftsurlaub ging. Beatrice geniesst die Arbeit mit den engagierten
Frauen, auch weil hier ihre Gedankengänge nicht als „Gendergedöns“ abgetan
werden, sondern alle am selben Strick ziehen.
Auch sie selbst wurde im Berufsleben schon
damit konfrontiert, dass für sie nicht dieselben Voraussetzungen gelten wie für
Männer. Bei Bewerbungsgesprächen werde sie gefragt ob sie sich das denn
zutraue, wie ihre Familienplanung aussehe oder ob sie sich bewerbe, weil sie
eine Frau sei. Auf Letzteres weiss sie eine schlagfertige Antwort. „Ich kann
mich ja schlecht als Mann bewerben! Oder soll ich noch eine
Geschlechtsumwandlung machen?“ Auch im Alltag würden Frauen gerne weniger
ernstgenommen. Als sie einmal ein Spielzeugauto für ihr Patenkind kaufen
wollte, erklärte der Verkäufer nicht ihr, wie es funktioniert, sondern ihrem
Lebenspartner. Und genau solche Vorkommnisse, denen Frauen immer wieder
ausgesetzt sind, würden von Männern oft kleingeredet. „Reg dich doch nicht
darüber auf“ heisse es dann. „Statt dass sie mal sagen würden: du hast Recht,
das ist eine Sauerei!“
Immer wieder klagen Politikerinnen darüber,
dass sie persönlich angegriffen werden und dabei auf ihr Äusseres gezielt wird.
Erlebt hat Beatrice das selbst noch nie. „Aber man hat es natürlich im
Hinterkopf, dass es passieren kann.“ Frauen werde gerne das Gefühl gegeben, sie
seien nicht kompetent genug. Und sie geraten schnell in Kritik. „Als Frau wirst
du von den Medien ständig nach deiner Haltung zu Quoten oder zum Frauenstreik
gefragt. Egal wie du antwortest, du kannst dir einen Teil der Wählerschaft
abschminken. Du kannst dir einfach aussuchen, welchen.“ Deshalb sei es auch
schwierig, Frauen auf Wahllisten zu bringen. Sie hätten dann – naturgemäss –
viel mehr Vorbehalte. „Frauen müssen sich nicht auf einen Wahlkampf einstellen,
sondern auf eine Hexenjagd.“
In der Wirtschaft setzt sich Beatrice Lüthi
für Quoten ein, eine Haltung, die viele Männer in ihrer Partei nicht teilen.
„Mich nervt es total, wenn unser Ständerat Andrea Caroni erzählt, er sei für
Qualität statt Quoten. Er ist noch so jung und doch in einigen Bereichen so von gestern. Na gut, er ist aus Appenzell Ausserrhoden,
das erklärt es vielleicht.“ Diese Argumentation ist in Beatrices Augen vor
allem deshalb fehlerhaft, weil sie impliziere, dass bei Männern die Qualität
zweitrangig sei, während sie bei Frauen ein Muss ist.
In der Politik dagegen, findet es Beatrice
eher schwierig, mit Quoten zu arbeiten. „Also zum einen kann man den Parteien
schlecht vorschreiben, wie sie ihre Listen gestalten sollen und zum anderen
muss man natürlich auch den Wählerwillen akzeptieren.“ Bei den letzten
Gemeinderatswahlen ist die FDP mit einer Frauenliste ins Rennen gestiegen –
ohne Erfolg, die Frauenliste hat weitaus weniger Stimmen gemacht, als die
Männerliste. „Das war zu erwarten“, meint Beatrice. Frauenlisten hätten es bei
bürgerlichen Wählenden schwieriger. „Es war klar, dass die getrennten Listen
eher den Männern nützen, als den Frauen.“
Wieso aber generell so wenige Frauen in der
Langenthaler Exekutive zu finden sind, kann Beatrice nicht beantworten. Sie
persönlich wünscht sich mehr Frauen in Gemeinderat, denn kaum Frauen im
Gemeinderat bedeutet letztendlich auch, dass sich die Chancen auf eine
Stadtpräsidentin verringern. „Man hat sicher die besseren Karten, wenn man
schon im Gemeinderat sitzt. Da klemmt in Langenthal natürlich schon die
Zufuhr.“ Es gebe noch andere Gründe, der zeitintensive und aufreibende Wahlkampf
zum Beispiel. „Und dann ist es so, bevor eine Frau Erfolg haben kann, müssen
andere Frauen vor ihr scheitern.“ So sei es auch auf Bundesebene gewesen. Die
erste Bundesratskandidatin Lilian Uchtenhagen: Nicht gewählt. Elisabeth Kopp:
In Ungnade gefallen und vorzeitig zurückgetreten. Ruth Metzler – Arnold:
Abgewählt. „Es braucht immer Vorreiterinnen, die den Weg frei machen.“ Die
fehlen in Langenthal. Paula Schaub hat den Kampf ums Stadtpräsidium gewagt. „Aber dieser Effekt ist inzwischen verpufft“, meint
Beatrice.
„Um mehr Frauen in die aktive Politik zu
bringen, müssen wir sie in bessere Ausgangssituationen bringen. Heute starten
sie zehn Meter hinter der Linie. Wir müssen dafür sorgen, dass sie mindestens
auf der Linie starten können.“ Dafür setzt sich Beatrice ein. Sie wünscht sich,
dass das Ziel der Gleichberechtigung von allen mitgetragen wird, auch von den
Männern. Die zeigen zumindest bei den Bürgerlichen allerdings oft wenig
Interesse daran, etwas an den Zuständen zu ändern. Sie sagen zwar, es sei
schade, dass so wenige Frauen dabei wären, aber aktiv etwas dafür tun, würden
sie nie. Das überlassen sie den Frauen. Dabei sei es wichtig, dass Männer
Frauen supporten und ihnen den Rücken stärken.
Besonders entnervend sei es, wenn man ständig
gute Tipps von Männern bekomme. „Merkt man bei einer Sitzung über die
Listengestaltung an, eine Frau mehr wäre nett, wird man ignoriert und später
dafür kritisiert, dass man sich nicht energischer dafür eingesetzt hat. Haut
man auf dem Tisch und sagt: hey, ich will Frauen, finden sie, du seist zu
rabiat.“ Wie frau es auch macht, sie dürfe sich hinterher anhören, dass sie es
anders hätte machen müssen, um Erfolg zu haben.
Dem vielzitierten Spruch, dass Frauen eben
Frauen wählen müssten, kann Beatrice nicht viel abgewinnen. „Auch Männer dürfen
Frauen wählen“, erwidert sie dann und überhaupt sei es keineswegs so, dass
keine Frauensolidarität herrsche. Sie werde nur immer totgeredet. „Aber
natürlich ist es absoluter Blödsinn zu erwarten, dass 51% der Bevölkerung genau
gleich denkt.“ Was Frauen allerdings lernen müssten: Die Lebensbilder von
anderen Frauen zu akzeptieren. „Ich empfinde es manchmal so, dass sich
Familienfrauen dafür rechtfertigen müssen, dass sie sich gegen einen Beruf
entschieden haben und umgekehrt die Karrierefrauen dafür, dass sie im Job Gas
geben. So lassen wir uns viel zu leicht gegeneinander ausspielen.“
Dass Frauen sich alles mühsam erkämpfen
müssen, frustriert Beatrice. „Die Lohngleichheit ist in der Verfassung
festgeschrieben. Sie steht uns zu, man schuldet uns das. Es ist eben keine
Verhandlungssache, wie uns das immer vorgebetet wird.“ In der Politik sei es
ähnlich. „Das Parlament ist eine Volksvertretung. Dazu gehören 51% Frauen,
deshalb müssen sie mitreden können.“
Ein wichtiges Signal ist für Beatrice der
vergangene Frauenstreik. Sie selbst hat, ganz in lila, in Bern daran
teilgenommen. „Der Zulauf war enorm, viel grösser als gedacht. Darüber kann die
Politik nicht einfach hinwegsehen.“ Sie hofft, dass es nicht nur ein buntes
Feuerwerk gewesen ist, sondern der Anfang einer längerfristigen Bewegung.
Was rät denn die erfahrene Stadträtin Frauen,
die in die Politik einsteigen wollen? „Du musst Spass an der Sache haben. Das
ist das Wichtigste. Und dann solltest du dir eine dicke Haut zulegen, lernen,
nicht alles persönlich zu nehmen und Rückgrat zeigen.“ Gerade weil die
Kommissionen geschlechtermässig so schlecht verteilt sind, sei es wichtig, dass
Frauen sich auch an Themen wie Finanzen – oder Bauplanung heranwagten. „Wenn
man mal etwas aktiv mitgestalten konnte, wird man machtbewusst.“ Frauen müssen
ihre Ansprüche melden, auch wenn ihnen dafür die Liebe entzogen wird. Beatrice
selbst, kann das. Obwohl sie auch schon mal eine Abwahl erlebt hat und ihre
Wiederwahl oft um Haaresbreite schafft, politisiert sie, wie sie ist:
geradeaus. Es ist ihr wichtiger authentisch zu sein, als beliebt zu sein.
Vielleicht ist das auch ihr wichtigster Tipp an die Frauen. „Machs wie‘s für di
stimmt – denn stimmt‘s!“
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