Dorette Balli, geboren am 31.01. 1955, ist in
einer politischen Familie aufgewachsen. Schon ihr Vater war SP – Gemeinderat
und diskutierte leidenschaftlich gerne mit seiner Tochter – meistens auf dem
Schulweg. Schon früh realisierte Dorette, dass ihr aufgrund ihres Geschlechts,
das Wahlrecht verwehrt blieb. Als ihre Mutter zum ersten Mal an einer
Abstimmung teilnehmen durfte, wurde der Urnengang in ihrer Familie zum Festakt.
Hinterher ging man in die Beiz. „Das gab es wirklich selten!“ Und
Appenzellerkäse kaufte Dorette jahrelang nicht. „Das war meine Form des
Protests“, schmunzelt sie heute, hat doch der Kanton Appenzell Innerrhoden sich
hartnäckig geweigert, das Wahl – und Stimmrecht für Frauen einzuführen.
Ihr eigener Weg in die Politik war nicht mit
Rosen gestreut. Auch in der SP waren die Vorbehalte tief verwurzelt. Als sie
als Listenfüllerin für den Nationalrat kandidierte, stiess das bei manchem
Sozialdemokraten nicht auf Begeisterung. So äusserte sich sogar ihr eigener
Sektionspräsident, in der Öffentlichkeit, negativ über sie. „Er und ein
Grossratsmitglied sagten damals in der Tagwacht – das war die damalige
sozialdemokratische Zeitung – sie müssten sich ja schämen, dass ich auf der
Liste sei.“ Dorette war tief verletzt. Doch als sie die Chance bekam, in
derselben Zeitung auf den Angriff zu reagieren, ging sie in die Offensive. Sie
wehrte sich. „Von da an wurde ich ernstgenommen.“
Auch sexistische Äusserungen sind Dorette
nicht fremd. „Ich erinnere mich, dass es einmal darum ging, wer an einer 1. Mai
– Feier die Rede hält. Es war klar, dass es eine Frau sein soll. Und da gab es
Männer, die meinten, dass sie auf keinen Fall Gret Haller wollen – weil sie schliesslich
auch was fürs Auge möchten.“ Sie schüttelt noch heute den Kopf darüber. „Hei
sie mi gfragt, ob i ihri dicke Ränze wott aluege?“ Manchmal waren es auch
achtlos dahingeworfene Bemerkungen, die sie ärgerten. Wie die Frage, ob sie
ihrem Mann denn zuhause vorgekocht habe, wenn sie jetzt hier am Arbeiten sei.
Oder Äusserungen à la ob sie sich mit ihrem Mann den abgesprochen habe. „Ich
fragte damals immer: Verliert man seine Mündigkeit, wenn man geheiratet hat?“
Sie setzte sich für Frauenrechte ein. Energisch, selbstbewusst und mit scharfer
Zunge. Das brachte ihr einen gewissen Ruf ein. „Es hiess, ich würde schon zum
Mittagessen einen Mann verspreisen.“
Inzwischen hat sich einiges für die Frauen
zum Besseren gewendet. Dennoch, so Dorette, hat es den Frauenstreik 2019
gebraucht. Noch immer fehle die Lohngleichheit, würden die typischen
Frauenberufe schlecht bezahlt und zu viel unentgeltliche Carearbeit geleistet.
Ganz zu schweigen von den sexuellen Übergriffen, denen Frauen noch immer
ausgesetzt seien. Für Dorette waren das mehr als genug Gründe, den Frauenstreik
im Oberaargau zu organisieren. Und der Streik war ein voller Erfolg, 500 Männer
und Frauen aus dem Oberaargau kamen zusammen, um auf ihre Anliegen aufmerksam
zu machen. Für Dorette war es ein inspirierender Anlass. Ihrer Freude tut es da
auch keinen Abbruch, dass der Gemeinderat von Langenthal sich gegen eine
finanzielle Unterstützung des Streiks entschieden hat. „Ich war schon ein wenig
enttäuscht. Aber der Gemeinderat ist nun einmal bürgerlich dominiert. Und es
gibt ein begrenztes Budget für solche Anlässe.“ Überhaupt, auch von den Budgets
würden in erster Linie die Männer profitieren. So würden nicht selten die
männlich dominierten Sportclubs gefördert.
Sie selbst war eine Zeitlang Stadträtin, ein
Amt, in dem sie sich schnell zurechtfand. „Ich arbeite gerne mit verschiedenen
Leuten zusammen“, erklärt sie. Natürlich sei sie auch manchmal gefrustet
gewesen. Trotzdem möchte sie rückblickend die Zeit im Stadtrat auf keinen Fall
missen. „Ich bereue nichts.“ Die Politik habe ihren Horizont erweitert. Frauen
hätten es aber in der Politik immer noch nicht leicht. Das Phänomen, dass
Frauen eine Idee äussern, niemand dieser Beachtung schenkt, ein Mann dieselbe
Idee wiederholt und plötzlich alle davon begeistert sind, kennt auch Dorette.
Müssen politische Frauen denn mehr Kritik
einstecken als Männer? „Ja“, bestätigt Dorette, „vor allem müssen sie mehr
persönliche Kritik hinnehmen.“ Auch über das Aussehen einer Politikerin werde
gern gelästert. Aber Dorette bringt noch einen weiteren Punkt an.
„Politikerinnen dürfen nie mittelmässig sein. Sie müssen immer brillant sein.“
Dieses auf den Sockel stellen, diesen Anspruch an Frauen, dass sie perfekt sein
müssen, während bei Männern ein durchschnittlicher politischer Leistungsausweis
oft reiche, um aufzusteigen, auch das kritisiert Dorette.
Sie selbst erklomm die politische
Karriereleiter, wurde Grossrätin und war eine der wenigen
Stadtratspräsidentinnen von Langenthal. War es denn leicht, als Frau, ein
männerdominiertes Parlament zu führen? „Ja, schon, es war ein gesittetes
Gremium. Ich musste als Stadtratspräsidentin nicht gross eingreifen.“ Nur
einmal wies sie einen Parlamentarier zurecht, der sich allzu sehr über eine
Antwort des Gemeinderates ereiferte.
Laut Dorette führen Frauen anders als Männer.
Allerdings ist sie nicht der Auffassung, dass Frauen emotionaler sind als
Männer. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Männer die grössten Mimosen
sind“, sagt sie grinsend. Sie selbst habe einen Führungsstil gepflegt, der zwar
klare Grenzen setzte, aber auch auf Kooperation aufbaute. „Bei mir wusste man
immer woran man ist“, fasst Dorette zusammen. Frauen seien keine einsamen
Wölfe, auch in der Führungsebene suchten sie den Rückhalt des Rudels.
Dass so wenige Frauen im Langenthaler
Parlament und Exekutive vertreten sind, hält Dorette für keinen Zufall. „Männer
exponieren sich, äussern sich sehr frei, machen sich bekannt“, findet sie,
„ausserdem kommen selbstbewusste Frauen oft nicht gut an. Sie sind dann schnell
eine Zicke oder ein Räf.“ Dabei brauche es Frauen in der Politik, weil sich die
Welt eines Mannes immer noch von der Alltagswelt einer Frau unterscheidet.
Frauen achten mehr auf das Gemeinwohl, fokussieren sich eher auf das grosse
Ganze. Natürlich liege das nicht in der Genetik, aber Mädchen würden nun einmal
häufig anders erzogen als Jungs.
Um den Frauenanteil in der Langenthaler
Politik zu erhöhen, müssen die Parteien Frauen bewusst aufbauen und sie nicht
nur als Listenfüllerinnen aufstellen, so Dorette. Doch es liege nicht nur an
den politischen Playern. Schuld an dem Frauenmangel seien vor allem auch
veraltete Strukturen, die es Frauen schwer mache, Beruf und Familie zu
vereinbaren. Nur, warum gelingt dieser Spagat dann den Männern, die
schliesslich auch Job und Kinder haben? Dorette überlegt kurz. „Es stimmt, im
Grossrat hatten wir sicher mehr Väter als Mütter. Man muss aber auch sehen:
Politiker haben mit ihrer Frau nicht selten jemanden, der sie unterstützt, zum
Beispiel bei der Korrespondenz. Und ein Politiker kann einfach an den Schrank
gehen und ein sauberes Hemd rausnehmen, weil sich die Frau um die Wäsche
gekümmert hat.“ Der Haushalt hänge in den meisten Fällen immer noch an der Frau
und damit könnten die Ehemänner auf eine gutgeölte Infrastruktur zurückgreifen.
Die vielgetätigte Aussage, dass man ja gerne
mehr Frauen auf den Listen hätte, die sich aber immer zieren würden, lässt
Dorette nicht gelten. Natürlich sei es schwierig Frauen zu motivieren, aber das
läge auch daran, dass es für Frauen wirklich nicht einfach ist zu kandidieren.
Und wenn sie es dann tun, würden sie von ihrer Partei oft schlecht vorbereitet.
Deshalb brauche es Kurse für Frauen, man müsse ihnen Vorbilder aufzeigen, ohne
diese zu Überfiguren hochzustilisieren. „Es ist wichtig, dass wir Frauen in der
Politik auch über die Schwierigkeiten reden, mit denen wir zu kämpfen haben.
Ich zum Beispiel, bin bei meinen ersten Reden innerlich vor Aufregung fast
gestorben“, erzählt Dorette. Genau solche Geschichten brauche es, um Frauen Mut
zu machen und ihnen die Angst zu nehmen.
Frauensolidarität ist für Dorette ein
wichtiger Schlüssel. In ihrer harzigen Anfangszeit waren es die SP Frauen
Kanton Bern, die sie unterstützen und so ihr politisches Überleben sicherten.
„Wir müssen uns besser vernetzen, supporten, den Rücken stärken und uns
gegenseitig versichern, dass wir das schaffen!“ Frauen müssten sich aber auch
bewusst sein, dass man sich in der Politik nicht immer Freunde macht. „Da wird
dir auch mal die Liebe gekündet. Du bisch nume härzig, so lang du nid
konkurrenziersch!“
Von immenser Wichtigkeit ist für Dorette auch
die gendergerechte Sprache, also eine Sprache, die auch die weibliche Form
konsequent verwendet. „Es ist elementar, wenn man in einer Sprache einfach
nicht erscheint. Es ist das absolute Minimum, dass Frauen zumindest dort
miteinbezogen wird.“ Darüber hat sie sich auch schon mit einem Gymnasiallehrer
gefetzt.
Dorette tritt energisch für Frauenechte ein.
Sie mag es aber nicht, wenn Feminismus allzu missionarische Züge annimmt. „Und wenn
es darum geht, sich bis auf die Unterwäsche ausziehen, bin ich auch nicht
dabei“, fügt sie lachend hinzu. Feminismus bedeutet für sie auch nicht, dass
Frauen sein müssen wie Männer, im Gegenteil. „Frauen dürfen anders sein.“
Der Frauenstreik hat in Dorette neue Hoffnung
geweckt, Hoffnung, dass sich jetzt wieder etwas bewegt in Sachen
Gleichberechtigung. Denn jetzt seien auch die bürgerlichen Frauen erwacht, vor
allem die Landfrauen. Und gerade bei jüngeren Männern stellt Dorette ein
Umdenken fest. Sie ist deshalb zuversichtlich, dass die Frauen bei den nächsten
Langentaler Wahlen besser abschneiden werden. Man müsse jetzt einfach
dranbleiben. Und auch der Support der Medien sei wichtig.
Und wann kommt die erste Langenthaler
Stadtpräsidentin? „Hoffentlich noch zu mine Läbzyte!“
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