Samstag, 9. November 2019

Frauen erzählen: Dorette


Dorette Balli, geboren am 31.01. 1955, ist in einer politischen Familie aufgewachsen. Schon ihr Vater war SP – Gemeinderat und diskutierte leidenschaftlich gerne mit seiner Tochter – meistens auf dem Schulweg. Schon früh realisierte Dorette, dass ihr aufgrund ihres Geschlechts, das Wahlrecht verwehrt blieb. Als ihre Mutter zum ersten Mal an einer Abstimmung teilnehmen durfte, wurde der Urnengang in ihrer Familie zum Festakt. Hinterher ging man in die Beiz. „Das gab es wirklich selten!“ Und Appenzellerkäse kaufte Dorette jahrelang nicht. „Das war meine Form des Protests“, schmunzelt sie heute, hat doch der Kanton Appenzell Innerrhoden sich hartnäckig geweigert, das Wahl – und Stimmrecht für Frauen einzuführen.

Ihr eigener Weg in die Politik war nicht mit Rosen gestreut. Auch in der SP waren die Vorbehalte tief verwurzelt. Als sie als Listenfüllerin für den Nationalrat kandidierte, stiess das bei manchem Sozialdemokraten nicht auf Begeisterung. So äusserte sich sogar ihr eigener Sektionspräsident, in der Öffentlichkeit, negativ über sie. „Er und ein Grossratsmitglied sagten damals in der Tagwacht – das war die damalige sozialdemokratische Zeitung – sie müssten sich ja schämen, dass ich auf der Liste sei.“ Dorette war tief verletzt. Doch als sie die Chance bekam, in derselben Zeitung auf den Angriff zu reagieren, ging sie in die Offensive. Sie wehrte sich. „Von da an wurde ich ernstgenommen.“

Auch sexistische Äusserungen sind Dorette nicht fremd. „Ich erinnere mich, dass es einmal darum ging, wer an einer 1. Mai – Feier die Rede hält. Es war klar, dass es eine Frau sein soll. Und da gab es Männer, die meinten, dass sie auf keinen Fall Gret Haller wollen – weil sie schliesslich auch was fürs Auge möchten.“ Sie schüttelt noch heute den Kopf darüber. „Hei sie mi gfragt, ob i ihri dicke Ränze wott aluege?“ Manchmal waren es auch achtlos dahingeworfene Bemerkungen, die sie ärgerten. Wie die Frage, ob sie ihrem Mann denn zuhause vorgekocht habe, wenn sie jetzt hier am Arbeiten sei. Oder Äusserungen à la ob sie sich mit ihrem Mann den abgesprochen habe. „Ich fragte damals immer: Verliert man seine Mündigkeit, wenn man geheiratet hat?“ Sie setzte sich für Frauenrechte ein. Energisch, selbstbewusst und mit scharfer Zunge. Das brachte ihr einen gewissen Ruf ein. „Es hiess, ich würde schon zum Mittagessen einen Mann verspreisen.“

Inzwischen hat sich einiges für die Frauen zum Besseren gewendet. Dennoch, so Dorette, hat es den Frauenstreik 2019 gebraucht. Noch immer fehle die Lohngleichheit, würden die typischen Frauenberufe schlecht bezahlt und zu viel unentgeltliche Carearbeit geleistet. Ganz zu schweigen von den sexuellen Übergriffen, denen Frauen noch immer ausgesetzt seien. Für Dorette waren das mehr als genug Gründe, den Frauenstreik im Oberaargau zu organisieren. Und der Streik war ein voller Erfolg, 500 Männer und Frauen aus dem Oberaargau kamen zusammen, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Für Dorette war es ein inspirierender Anlass. Ihrer Freude tut es da auch keinen Abbruch, dass der Gemeinderat von Langenthal sich gegen eine finanzielle Unterstützung des Streiks entschieden hat. „Ich war schon ein wenig enttäuscht. Aber der Gemeinderat ist nun einmal bürgerlich dominiert. Und es gibt ein begrenztes Budget für solche Anlässe.“ Überhaupt, auch von den Budgets würden in erster Linie die Männer profitieren. So würden nicht selten die männlich dominierten Sportclubs gefördert. 

Sie selbst war eine Zeitlang Stadträtin, ein Amt, in dem sie sich schnell zurechtfand. „Ich arbeite gerne mit verschiedenen Leuten zusammen“, erklärt sie. Natürlich sei sie auch manchmal gefrustet gewesen. Trotzdem möchte sie rückblickend die Zeit im Stadtrat auf keinen Fall missen. „Ich bereue nichts.“ Die Politik habe ihren Horizont erweitert. Frauen hätten es aber in der Politik immer noch nicht leicht. Das Phänomen, dass Frauen eine Idee äussern, niemand dieser Beachtung schenkt, ein Mann dieselbe Idee wiederholt und plötzlich alle davon begeistert sind, kennt auch Dorette. 

Müssen politische Frauen denn mehr Kritik einstecken als Männer? „Ja“, bestätigt Dorette, „vor allem müssen sie mehr persönliche Kritik hinnehmen.“ Auch über das Aussehen einer Politikerin werde gern gelästert. Aber Dorette bringt noch einen weiteren Punkt an. „Politikerinnen dürfen nie mittelmässig sein. Sie müssen immer brillant sein.“ Dieses auf den Sockel stellen, diesen Anspruch an Frauen, dass sie perfekt sein müssen, während bei Männern ein durchschnittlicher politischer Leistungsausweis oft reiche, um aufzusteigen, auch das kritisiert Dorette.

Sie selbst erklomm die politische Karriereleiter, wurde Grossrätin und war eine der wenigen Stadtratspräsidentinnen von Langenthal. War es denn leicht, als Frau, ein männerdominiertes Parlament zu führen? „Ja, schon, es war ein gesittetes Gremium. Ich musste als Stadtratspräsidentin nicht gross eingreifen.“ Nur einmal wies sie einen Parlamentarier zurecht, der sich allzu sehr über eine Antwort des Gemeinderates ereiferte.
Laut Dorette führen Frauen anders als Männer. Allerdings ist sie nicht der Auffassung, dass Frauen emotionaler sind als Männer. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Männer die grössten Mimosen sind“, sagt sie grinsend. Sie selbst habe einen Führungsstil gepflegt, der zwar klare Grenzen setzte, aber auch auf Kooperation aufbaute. „Bei mir wusste man immer woran man ist“, fasst Dorette zusammen. Frauen seien keine einsamen Wölfe, auch in der Führungsebene suchten sie den Rückhalt des Rudels.

Dass so wenige Frauen im Langenthaler Parlament und Exekutive vertreten sind, hält Dorette für keinen Zufall. „Männer exponieren sich, äussern sich sehr frei, machen sich bekannt“, findet sie, „ausserdem kommen selbstbewusste Frauen oft nicht gut an. Sie sind dann schnell eine Zicke oder ein Räf.“ Dabei brauche es Frauen in der Politik, weil sich die Welt eines Mannes immer noch von der Alltagswelt einer Frau unterscheidet. Frauen achten mehr auf das Gemeinwohl, fokussieren sich eher auf das grosse Ganze. Natürlich liege das nicht in der Genetik, aber Mädchen würden nun einmal häufig anders erzogen als Jungs. 

Um den Frauenanteil in der Langenthaler Politik zu erhöhen, müssen die Parteien Frauen bewusst aufbauen und sie nicht nur als Listenfüllerinnen aufstellen, so Dorette. Doch es liege nicht nur an den politischen Playern. Schuld an dem Frauenmangel seien vor allem auch veraltete Strukturen, die es Frauen schwer mache, Beruf und Familie zu vereinbaren. Nur, warum gelingt dieser Spagat dann den Männern, die schliesslich auch Job und Kinder haben? Dorette überlegt kurz. „Es stimmt, im Grossrat hatten wir sicher mehr Väter als Mütter. Man muss aber auch sehen: Politiker haben mit ihrer Frau nicht selten jemanden, der sie unterstützt, zum Beispiel bei der Korrespondenz. Und ein Politiker kann einfach an den Schrank gehen und ein sauberes Hemd rausnehmen, weil sich die Frau um die Wäsche gekümmert hat.“ Der Haushalt hänge in den meisten Fällen immer noch an der Frau und damit könnten die Ehemänner auf eine gutgeölte Infrastruktur zurückgreifen.

Die vielgetätigte Aussage, dass man ja gerne mehr Frauen auf den Listen hätte, die sich aber immer zieren würden, lässt Dorette nicht gelten. Natürlich sei es schwierig Frauen zu motivieren, aber das läge auch daran, dass es für Frauen wirklich nicht einfach ist zu kandidieren. Und wenn sie es dann tun, würden sie von ihrer Partei oft schlecht vorbereitet. Deshalb brauche es Kurse für Frauen, man müsse ihnen Vorbilder aufzeigen, ohne diese zu Überfiguren hochzustilisieren. „Es ist wichtig, dass wir Frauen in der Politik auch über die Schwierigkeiten reden, mit denen wir zu kämpfen haben. Ich zum Beispiel, bin bei meinen ersten Reden innerlich vor Aufregung fast gestorben“, erzählt Dorette. Genau solche Geschichten brauche es, um Frauen Mut zu machen und ihnen die Angst zu nehmen. 

Frauensolidarität ist für Dorette ein wichtiger Schlüssel. In ihrer harzigen Anfangszeit waren es die SP Frauen Kanton Bern, die sie unterstützen und so ihr politisches Überleben sicherten. „Wir müssen uns besser vernetzen, supporten, den Rücken stärken und uns gegenseitig versichern, dass wir das schaffen!“ Frauen müssten sich aber auch bewusst sein, dass man sich in der Politik nicht immer Freunde macht. „Da wird dir auch mal die Liebe gekündet. Du bisch nume härzig, so lang du nid konkurrenziersch!“

Von immenser Wichtigkeit ist für Dorette auch die gendergerechte Sprache, also eine Sprache, die auch die weibliche Form konsequent verwendet. „Es ist elementar, wenn man in einer Sprache einfach nicht erscheint. Es ist das absolute Minimum, dass Frauen zumindest dort miteinbezogen wird.“ Darüber hat sie sich auch schon mit einem Gymnasiallehrer gefetzt. 

Dorette tritt energisch für Frauenechte ein. Sie mag es aber nicht, wenn Feminismus allzu missionarische Züge annimmt. „Und wenn es darum geht, sich bis auf die Unterwäsche ausziehen, bin ich auch nicht dabei“, fügt sie lachend hinzu. Feminismus bedeutet für sie auch nicht, dass Frauen sein müssen wie Männer, im Gegenteil. „Frauen dürfen anders sein.“

Der Frauenstreik hat in Dorette neue Hoffnung geweckt, Hoffnung, dass sich jetzt wieder etwas bewegt in Sachen Gleichberechtigung. Denn jetzt seien auch die bürgerlichen Frauen erwacht, vor allem die Landfrauen. Und gerade bei jüngeren Männern stellt Dorette ein Umdenken fest. Sie ist deshalb zuversichtlich, dass die Frauen bei den nächsten Langentaler Wahlen besser abschneiden werden. Man müsse jetzt einfach dranbleiben. Und auch der Support der Medien sei wichtig.

Und wann kommt die erste Langenthaler Stadtpräsidentin? „Hoffentlich noch zu mine Läbzyte!“

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