Donnerstag, 7. November 2019

Frauen erzählen: Renate


Sie sei „reingemüpft“ worden, antwortet Renate Niklaus lachend auf die Frage, wie sie denn in der Politik gelandet ist. Denn obwohl ihr Vater einst im Stadtrat gewirkt hat und sie von Natur aus ein engagierter Mensch ist, hat die Politik sie nie sonderlich interessiert. Auch weil es ihr immer schwer fiel, sich voll und ganz mit einer Partei zu identifizieren. In der GLP, einer Mittepartei, fand sie schliesslich eine politische Heimat. In erster Linie ist es ihr ein Anliegen, der Stadt etwas zurückzugeben. Sie will eine Stimme für alle Bürgerinnen – und Bürger  von Langenthal sein.

Für die GLP kandidierte Renate 2016 schliesslich als Stadträtin. „Ich sah mich nie als Listenfüllerin“, betont sie. Sie gab Gas und engagierte sich im Wahlkampf. Statt Flyer zu verteilen, lockte sie Passantinnen – und Passanten mit Spielen aus der Ludothek an. Ihre Kreativität und ihr Einsatz wurden belohnt, sie landete auf dem ersten Ersatzplatz. Nach dem Rücktritt von Christoph Stäger, rückte sie in den Stadtrat nach. Angst machte ihr das neue Amt keineswegs. „Ich bin jemand, der sich alles zutraut. Und überhaupt: Nüt wird so heiss gässe wie kochet“, erklärt sie gelassen.

Einfach sei die Arbeit als Stadträtin natürlich nicht. Renate ist keine Juristin, dadurch fehlt ihr, nach eigener Aussage, in manchen Bereichen das Hintergrundwissen. Das könne schon verunsichern. Dennoch ist sie der festen Überzeugung, dass gerade in einem Stadtrat nicht nur Juristinnen – und Juristen vertreten sein sollen. Denn das Parlament sei schliesslich ein Abbild der Bevölkerung, die ja auch nicht nur aus Rechtsgelehrten bestehe. Und fehlendes Wissen könne man sich auch aneignen. „Manchmal muss man auch einfach ‚dumme‘ Fragen stellen, um etwas besser zu verstehen.“ 

Genau dieses Selbstbewusstsein, sich auch in unbekannte Gewässer zu wagen, fehle vielen Frauen. Es fällt ihnen schwer sich zu äussern, wenn sie nicht absolut dossierfest sind. Das wird auch nicht einfacher, wenn man dazu immer zur Minderheit gehört. In Renates Fall gehört sie sogar im doppelten Sinn dazu. Sie ist die einzige Frau in der kleinsten Stadtratsfraktion. „Das ist schon manchmal frustrierend“, bestätigt Renate, die den einzigen GLP – Sitz hält. Vieles wäre einfacher, wenn sie ein Gspännli zum Austauschen hätte. Auch eine breitere Vernetzung unter den Frauen in der Langenthaler Politik würde sie schätzen. „Deshalb habe ich mich auch über die Anfrage des Frauenstamms der SP gefreut.“ 

Dennoch hat Renate nicht das Gefühl, dass sie von den Männern in der Politik herablassend behandelt wird. Selbst wenn es so wäre, würde sie sich nicht darum scheren. „Ich bin einfach ich, mein Geschlecht spielt keine Rolle.“ Nach ihrem Empfinden herrscht im Stadtrat auch keineswegs ein Geschlechterkampf, sondern eher ein Parteienkampf. Gerade deshalb brauche es mehr Frauen. Denn sie würden ausgleichen und Brücken schlagen. 

Aber auch aus anderen Gründen gehörten aus Renates Sicht mehr Frauen in die Langenthaler Politik. „Frauen bringen oft ein ganz anderes Umfeld mit als Männer. Frauen sind in den Schulen, in der Pflege und generell in den sogenannten Care – Berufen besser vernetzt als Männer.“ Sie erläutert es an einem Beispiel in der eigenen Fraktion. „Ruth Trachsel, die inzwischen zurückgetreten ist, war sehr sozial ausgerichtet. Ihr Nachfolger, Paul Beyeler, ist eher ein Zahlenmensch.“ Das sei per se nichts Schlechtes und Paul Beyeler sei ohne Frage ein Gewinn für die Fraktion. Doch Renate bedauert das fehlende weibliche Element, das gerade in Umwelt – und Sozialfragen nötig wäre. 

Einige Stadtratsentscheide wären wohl anders ausgefallen, hätten mehr Frauen mitreden können. So hat der Stadtrat in dieser Legislatur beschlossen, die finanziellen Zuschüsse an das Integrationsprogramm „Schrittweise“ nicht zu erhöhen. „Ich bin überzeugt, mit mehr Stadträtinnen wäre das durchgekommen.“ Und auch die stark umstrittene Schulsozialarbeit, wäre wahrscheinlich schon Realität, so Renate.

Nur, warum kommen sie dann nicht in die Politik, die Frauen, wenn es sie doch so dringend braucht? Renate kennt einige Gründe: „Zeitmangel zum Beispiel. Viele Frauen sind schon genügend eingebunden mit Familie und Beruf, ein politisches Engagement passt da oft einfach nicht mehr rein. Zudem ist das alte Rollenbild einfach manchmal noch sehr in den Köpfen der Menschen verankert.“ Und früher habe man auch nicht viel in die Ausbildung von Mädchen investiert. 

„Die Rollenbilder werden sich dann umkehren, wenn es mehr Frauen in den bessergestellten Berufen gibt. Natürlich entscheiden sich Familien dafür, dass der Mann den Job behält und die Frau sich um die Kinder kümmert, wenn er mehr Geld Nachhause bringt“, erläutert Renate. Und das vielgepriesene Job – Sharing sei in der Realität oft schwer umsetzbar. 

Das negative Image, das Hausfrauen anhängt, ärgert sie.  Als junge Mutter blieb sie zuhause. „Es war eine Zeit, die ich sehr genossen habe.“ Doch glücklicherweise ändere sich das Bild vom «Doofi am Herd» langsam. „Heute sieht man die Leistung, die dahinter steckt eher als früher.“ Zumal Mütter auch häufig viele ehrenamtliche Pflichten übernehmen würden. „Die Rolle der Mutter muss gestärkt werden. Es braucht eine faire Entlohnung, Steuerabzüge und Betreuungsgeld.“

Renate ist für einen gesunden Feminismus. Mit Aussagen à la „Wir Frauen sind sie armen und Männer sind die bösen“, kann sie wenig anfangen. „Es gibt auch Männer, die unter Frauen leiden.“ Sie mag es auch nicht sonderlich, wenn man im Zusammenhang mit Frauenrechten stets vom Kämpfen spricht. „Frauen werden dann schnell verbissen.“ Dabei gebe es durchaus weibliche Waffen mit denen Frauen punkten könnten. Humor, Anmut und Charme. „So bringt man Männer eher zu etwas, als wenn wir versuchen ihren Politstil zu kopieren.“ Sie selbst eiferte als junge Frau einem beeindruckenden Mann in Führungsposition nach und versuchte diesen zu kopieren. Bis sie feststellte, dass der Stil überhaupt nicht zu ihr passt. „Wir müssen nicht wie Männer sein. Wir können stolz darauf sein, Frauen zu sein.“

Viele Anliegen des Frauenstreiks unterstützt Renate. „Dass Frauen für die gleiche Arbeit weniger verdienen als Männer ist einfach eine Sauerei!“ Selbst konnte sie am Streik aus beruflichen Gründen nicht teilnehmen. Sie führt ein privates Spitex – Unternehmen, auf das sehr viele Frauen angewiesen sind. „Hätten ich und meine Mitarbeiterinnen den Streik durchgezogen, wäre manche Frau im Bett liegen geblieben.“

Für Quoten kann Renate sich nicht erwärmen. Gerade wenn es um Kommissionssitze geht, sieht sie wenig Sinn darin. Denn schliesslich soll niemand gezwungen werden in einer Kommission mitzuwirken, für die er oder sie kein Interesse aufbringe. „Die Leute müssen nach ihren Fähigkeiten eingesetzt werden, nicht nach ihrem Geschlecht. Wenn wir das tun würden, ginge wohlmöglich viel Fachwissen verloren. Wir müssen der Sache dienen, nicht einer Quote“, führt sie ihren Standpunkt weiter aus. Es läge vielleicht auch einfach aufgrund der unterschiedlichen Lebensumstände nahe, dass sich Frauen lieber in der Sozialkommission als in einer GPK politisieren. „Obwohl es sicher auch Frauen gibt, die das können.“ 

Zweifellos hätte es in der Vergangenheit auch Frauen gegeben, die fähig gewesen wären, das Amt der Stadtpräsidentin auszuüben. Und doch hat es in Langenthal noch nie eine gegeben. „Das liegt zum einen sicher daran, dass es einfach mehr Männer in der Politik gibt. Dadurch hat man viel mehr potentielle Kandidaten als Kandidatinnen.“ Eine Stadtpräsidentin müsste man gezielt aufbauen, so Renate. Und unabdingbar sei es, dass Frauen, Frauen unterstützen. Erlebt hat Renate das bei einem Workshop der Landfrauen „Dort wurden wir angeleitet, wie wir am besten Reden halten können.“ Von den Bäuerinnen könne man ohnehin sehr viel lernen, denn sie übernähmen auf ihren Höfen oft die Regentschaft und seien sehr selbstbewusst in ihrem Auftreten. Dennoch sieht Renate auch hier, dass sich Weiblichkeit zum Nachteil auswirken kann. „Die Altersvorsorge von vielen Bäuerinnen ist extrem schlecht.“

Um mehr Frauen für die Politik zu begeistern, müssten sich die Frauen innerhalb der Parteien zusammenschliessen. „Frauen können Frauen sicher besser motivieren als Männer, weil sie eher die Themen ansprechen, die Frauen anziehen.“ Generell stellt Renate aber fest, dass es nicht leicht ist, neue Leute für die Politik zu motivieren. „Viele Menschen haben einfach Mühe mit Parteien, weil sie ein festgefahrenes Bild von ihnen haben.“ Sie selbst mag kein Schubladendenken und verrät deshalb vielen Gesprächspartner – und Gesprächspartnerinnen gar nicht erst, dass sie im Stadtrat ist. „Sie reden dann viel unbefangener mit mir“, stellt sie zufrieden fest. 

Und was können die Frauen selber tun? Kontakt zueinander suchen, sich Vorbilder nehmen und sich an die Politik ran tasten. „Vor allem aber, müssen wir Frauen zusammenhalten. Wir sind zu wenige, um gegeneinander zu arbeiten!“

Renate ist sich gewöhnt, die einzige Frau unter Männern zu sein. Ihre offene, fröhliche Art macht es ihr leicht, Beziehungen zu knüpfen. Auch in der Langenthaler Fasnachtsgesellschaft, die lange eine reine Männerdomäne war – weil manche der Herren der Meinung gewesen sind, junge Frauen würden nur Ärger machen – hat sie sich einen festen Platz erobert. Inzwischen ist sie auch dort nicht mehr die Einzige. Es verändert sich eben doch was. Nur langsam. 

Renate lässt sich davon nicht entmutigen. „In meiner damaligen Ausbildung zur Gärtnerin habe ich gelernt, dass die Dinge nicht besser wachsen, wenn man mit Gewalt daran zieht. Dermit öppis wachst bruchts Dünger…und viu Geduld!“

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