Sie sei „reingemüpft“ worden, antwortet
Renate Niklaus lachend auf die Frage, wie sie denn in der Politik gelandet ist.
Denn obwohl ihr Vater einst im Stadtrat gewirkt hat und sie von Natur aus ein
engagierter Mensch ist, hat die Politik sie nie sonderlich interessiert. Auch
weil es ihr immer schwer fiel, sich voll und ganz mit einer Partei zu
identifizieren. In der GLP, einer Mittepartei, fand sie schliesslich eine
politische Heimat. In erster Linie ist es ihr ein Anliegen, der Stadt etwas
zurückzugeben. Sie will eine Stimme für alle Bürgerinnen – und Bürger von Langenthal sein.
Für die GLP kandidierte Renate 2016
schliesslich als Stadträtin. „Ich sah mich nie als Listenfüllerin“, betont sie.
Sie gab Gas und engagierte sich im Wahlkampf. Statt Flyer zu verteilen, lockte
sie Passantinnen – und Passanten mit Spielen aus der Ludothek an. Ihre
Kreativität und ihr Einsatz wurden belohnt, sie landete auf dem ersten Ersatzplatz.
Nach dem Rücktritt von Christoph Stäger, rückte sie in den Stadtrat nach. Angst
machte ihr das neue Amt keineswegs. „Ich bin jemand, der sich alles zutraut.
Und überhaupt: Nüt wird so heiss gässe wie kochet“, erklärt sie gelassen.
Einfach sei die Arbeit als Stadträtin
natürlich nicht. Renate ist keine Juristin, dadurch fehlt ihr, nach eigener
Aussage, in manchen Bereichen das Hintergrundwissen. Das könne schon
verunsichern. Dennoch ist sie der festen Überzeugung, dass gerade in einem
Stadtrat nicht nur Juristinnen – und Juristen vertreten sein sollen. Denn das
Parlament sei schliesslich ein Abbild der Bevölkerung, die ja auch nicht nur
aus Rechtsgelehrten bestehe. Und fehlendes Wissen könne man sich auch aneignen.
„Manchmal muss man auch einfach ‚dumme‘ Fragen stellen, um etwas besser zu
verstehen.“
Genau dieses Selbstbewusstsein, sich auch in
unbekannte Gewässer zu wagen, fehle vielen Frauen. Es fällt ihnen schwer sich
zu äussern, wenn sie nicht absolut dossierfest sind. Das wird auch nicht einfacher,
wenn man dazu immer zur Minderheit gehört. In Renates Fall gehört sie sogar im
doppelten Sinn dazu. Sie ist die einzige Frau in der kleinsten
Stadtratsfraktion. „Das ist schon manchmal frustrierend“, bestätigt Renate, die
den einzigen GLP – Sitz hält. Vieles wäre einfacher, wenn sie ein Gspännli zum
Austauschen hätte. Auch eine breitere Vernetzung unter den Frauen in der
Langenthaler Politik würde sie schätzen. „Deshalb habe ich mich auch über die
Anfrage des Frauenstamms der SP gefreut.“
Dennoch hat Renate nicht das Gefühl, dass sie
von den Männern in der Politik herablassend behandelt wird. Selbst wenn es so
wäre, würde sie sich nicht darum scheren. „Ich bin einfach ich, mein Geschlecht
spielt keine Rolle.“ Nach ihrem Empfinden herrscht im Stadtrat auch keineswegs
ein Geschlechterkampf, sondern eher ein Parteienkampf. Gerade deshalb brauche
es mehr Frauen. Denn sie würden ausgleichen und Brücken schlagen.
Aber auch aus anderen Gründen gehörten aus
Renates Sicht mehr Frauen in die Langenthaler Politik. „Frauen bringen oft ein
ganz anderes Umfeld mit als Männer. Frauen sind in den Schulen, in der Pflege
und generell in den sogenannten Care – Berufen besser vernetzt als Männer.“ Sie
erläutert es an einem Beispiel in der eigenen Fraktion. „Ruth Trachsel, die
inzwischen zurückgetreten ist, war sehr sozial ausgerichtet. Ihr Nachfolger,
Paul Beyeler, ist eher ein Zahlenmensch.“ Das sei per se nichts Schlechtes und
Paul Beyeler sei ohne Frage ein Gewinn für die Fraktion. Doch Renate bedauert
das fehlende weibliche Element, das gerade in Umwelt – und Sozialfragen nötig
wäre.
Einige Stadtratsentscheide wären wohl anders
ausgefallen, hätten mehr Frauen mitreden können. So hat der Stadtrat in dieser
Legislatur beschlossen, die finanziellen Zuschüsse an das Integrationsprogramm
„Schrittweise“ nicht zu erhöhen. „Ich bin überzeugt, mit mehr Stadträtinnen
wäre das durchgekommen.“ Und auch die stark umstrittene Schulsozialarbeit, wäre
wahrscheinlich schon Realität, so Renate.
Nur, warum kommen sie dann nicht in die Politik,
die Frauen, wenn es sie doch so dringend braucht? Renate kennt einige Gründe:
„Zeitmangel zum Beispiel. Viele Frauen sind schon genügend eingebunden mit
Familie und Beruf, ein politisches Engagement passt da oft einfach nicht mehr
rein. Zudem ist das alte Rollenbild einfach manchmal noch sehr in den Köpfen
der Menschen verankert.“ Und früher habe man auch nicht viel in die Ausbildung
von Mädchen investiert.
„Die Rollenbilder werden sich dann umkehren,
wenn es mehr Frauen in den bessergestellten Berufen gibt. Natürlich entscheiden
sich Familien dafür, dass der Mann den Job behält und die Frau sich um die
Kinder kümmert, wenn er mehr Geld Nachhause bringt“, erläutert Renate. Und das
vielgepriesene Job – Sharing sei in der Realität oft schwer umsetzbar.
Das negative Image, das Hausfrauen anhängt,
ärgert sie. Als junge Mutter blieb sie
zuhause. „Es war eine Zeit, die ich sehr genossen habe.“ Doch glücklicherweise
ändere sich das Bild vom «Doofi am Herd» langsam. „Heute sieht man die
Leistung, die dahinter steckt eher als früher.“ Zumal Mütter auch häufig viele
ehrenamtliche Pflichten übernehmen würden. „Die Rolle der Mutter muss gestärkt
werden. Es braucht eine faire Entlohnung, Steuerabzüge und Betreuungsgeld.“
Renate ist für einen gesunden Feminismus. Mit
Aussagen à la „Wir Frauen sind sie armen und Männer sind die bösen“, kann sie
wenig anfangen. „Es gibt auch Männer, die unter Frauen leiden.“ Sie mag es auch
nicht sonderlich, wenn man im Zusammenhang mit Frauenrechten stets vom Kämpfen
spricht. „Frauen werden dann schnell verbissen.“ Dabei gebe es durchaus
weibliche Waffen mit denen Frauen punkten könnten. Humor, Anmut und Charme. „So
bringt man Männer eher zu etwas, als wenn wir versuchen ihren Politstil zu
kopieren.“ Sie selbst eiferte als junge Frau einem beeindruckenden Mann in
Führungsposition nach und versuchte diesen zu kopieren. Bis sie feststellte,
dass der Stil überhaupt nicht zu ihr passt. „Wir müssen nicht wie Männer sein.
Wir können stolz darauf sein, Frauen zu sein.“
Viele Anliegen des Frauenstreiks unterstützt
Renate. „Dass Frauen für die gleiche Arbeit weniger verdienen als Männer ist
einfach eine Sauerei!“ Selbst konnte sie am Streik aus beruflichen Gründen
nicht teilnehmen. Sie führt ein privates Spitex – Unternehmen, auf das sehr
viele Frauen angewiesen sind. „Hätten ich und meine Mitarbeiterinnen den Streik
durchgezogen, wäre manche Frau im Bett liegen geblieben.“
Für Quoten kann Renate sich nicht erwärmen.
Gerade wenn es um Kommissionssitze geht, sieht sie wenig Sinn darin. Denn
schliesslich soll niemand gezwungen werden in einer Kommission mitzuwirken, für
die er oder sie kein Interesse aufbringe. „Die Leute müssen nach ihren
Fähigkeiten eingesetzt werden, nicht nach ihrem Geschlecht. Wenn wir das tun
würden, ginge wohlmöglich viel Fachwissen verloren. Wir müssen der Sache
dienen, nicht einer Quote“, führt sie ihren Standpunkt weiter aus. Es läge
vielleicht auch einfach aufgrund der unterschiedlichen Lebensumstände nahe,
dass sich Frauen lieber in der Sozialkommission als in einer GPK politisieren.
„Obwohl es sicher auch Frauen gibt, die das können.“
Zweifellos hätte es in der Vergangenheit auch
Frauen gegeben, die fähig gewesen wären, das Amt der Stadtpräsidentin
auszuüben. Und doch hat es in Langenthal noch nie eine gegeben. „Das liegt zum
einen sicher daran, dass es einfach mehr Männer in der Politik gibt. Dadurch
hat man viel mehr potentielle Kandidaten als Kandidatinnen.“ Eine
Stadtpräsidentin müsste man gezielt aufbauen, so Renate. Und unabdingbar sei
es, dass Frauen, Frauen unterstützen. Erlebt hat Renate das bei einem Workshop
der Landfrauen „Dort wurden wir angeleitet, wie wir am besten Reden halten
können.“ Von den Bäuerinnen könne man ohnehin sehr viel lernen, denn sie
übernähmen auf ihren Höfen oft die Regentschaft und seien sehr selbstbewusst in
ihrem Auftreten. Dennoch sieht Renate auch hier, dass sich Weiblichkeit zum
Nachteil auswirken kann. „Die Altersvorsorge von vielen Bäuerinnen ist extrem
schlecht.“
Um mehr Frauen für die Politik zu begeistern,
müssten sich die Frauen innerhalb der Parteien zusammenschliessen. „Frauen
können Frauen sicher besser motivieren als Männer, weil sie eher die Themen
ansprechen, die Frauen anziehen.“ Generell stellt Renate aber fest, dass es
nicht leicht ist, neue Leute für die Politik zu motivieren. „Viele Menschen
haben einfach Mühe mit Parteien, weil sie ein festgefahrenes Bild von ihnen
haben.“ Sie selbst mag kein Schubladendenken und verrät deshalb vielen
Gesprächspartner – und Gesprächspartnerinnen gar nicht erst, dass sie im
Stadtrat ist. „Sie reden dann viel unbefangener mit mir“, stellt sie zufrieden
fest.
Und was können die Frauen selber tun? Kontakt
zueinander suchen, sich Vorbilder nehmen und sich an die Politik ran tasten.
„Vor allem aber, müssen wir Frauen zusammenhalten. Wir sind zu wenige, um
gegeneinander zu arbeiten!“
Renate ist sich gewöhnt, die einzige Frau
unter Männern zu sein. Ihre offene, fröhliche Art macht es ihr leicht,
Beziehungen zu knüpfen. Auch in der Langenthaler Fasnachtsgesellschaft, die
lange eine reine Männerdomäne war – weil manche der Herren der Meinung gewesen
sind, junge Frauen würden nur Ärger machen – hat sie sich einen festen Platz
erobert. Inzwischen ist sie auch dort nicht mehr die Einzige. Es verändert sich
eben doch was. Nur langsam.
Renate lässt sich davon nicht entmutigen. „In
meiner damaligen Ausbildung zur Gärtnerin habe ich gelernt, dass die Dinge
nicht besser wachsen, wenn man mit Gewalt daran zieht. Dermit öppis wachst
bruchts Dünger…und viu Geduld!“
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