Sonntag, 10. November 2019

Frauen erzählen: Carole


Eigentlich hat sich Carole Howald lange nicht für Politik interessiert. „Klar hatten wir in der Schule Staatskunde, aber da hatte ich eher einen Fensterplatz“, gesteht sie grinsend. 2012 liess sie sich dennoch erstmals für die Jungliberalen als Stadträtin aufstellen. 2016 kandidierte sie erneut – zu ihrer eigenen Überraschung sehr erfolgreich, sie holte sich viele Panaschierstimmen und landete auf einem der vorderen Plätze. Das gute Resultat motivierte sie, sich noch mehr in die politische Welt reinzuknien und sie trat den Jungliberalen bei, wo sie schnell zu den aktivsten Mitgliedern gehörte. Sie wurde Teil des Vorstands und übernahm das Ressort Events. „Wenn ich etwas mache, dann will ich es richtig machen“, begründet sie ihr Engagement. Sie wollte Politik miterleben und mitgestalten.

Dazu bekam sie bald Gelegenheit. Als der bisherige JLL – Stadtrat Lukas Bissegger, aus dem Stadtrat zurücktrat, war sie die nächste Kandidatin auf der Liste. Zuerst schlug sie das Mandat aus. Aus zeitlichen Gründen, denn Carole ist nicht nur Sportstudentin, sondern auch aktive Curlerin und dadurch bedingt, viel unterwegs. Aber ihr instinktives Zurückschrecken hatte auch mit einer gewissen Scheu zu tun. „Ich dachte, wow, im Stadtrat sitzen wirklich die Profis, die echt Ahnung von der Politik haben…und dann komm ich“, erklärt sie ihr damaliges Zögern. Ausserdem sei sie vorher nie an einer Stadtratssitzung gewesen und kannte die Abläufe daher kaum.

Bevor sie jedoch offiziell mit Unterschrift verzichten konnte, kam ein Telefonanruf von Lukas Felber, einem ehemaligen JLL – Stadtrat. Er, der sie einst dazu brachte, für die Stadtratsliste zu kandidieren, redete ihr jetzt auch zu, diese neue Aufgabe anzunehmen. „Stadtrat ist auf jeden Fall eine gute Lebensschule!“, ermunterte er sie. Und dann waren da natürlich die Wähler – und Wählerinnen, denen sich Carole verpflichtet fühlte. Sie hatten ihr die Stimme gegeben, jetzt wollte sie auch ihr Versprechen einlösen und für sie da sein. Also sagte sie schliesslich doch ja. „Es war auch mitten in der Legislatur. Wenn es gar nicht gegangen wäre, hätte ich ja die Möglichkeit gehabt, nach einer aufzuhören.“

Doch sie fand sich schnell zurecht. Ihre erste Stadtratssitzung dauerte eine Stunde. „Mir wurde aber sofort gesagt, dass das dann nicht immer der Fall sei“, lacht Carole. An die Themen der Sitzung kann sie sich allerdings kaum noch erinnern. „Mir war es wichtig, möglichst rasch alle Stadträte – und Stadträtinnen zu kennen. Ich war damals sehr beschäftigt damit, mir alle Gesichter zu merken und mir die Abläufe einzuprägen.“ Sie lernte schnell und wusste bald, was eine Motion oder eine Interpellation ist. Schliesslich konnte sie auch erste Erfolge verbuchen. Easy Vote wurde auf ihr Bestreben hin in Langenthal eingeführt.

Vor ihren ersten Einsatz am Rednerpult, hatte sie schon ein wenig Respekt. Ihr kam zugute, dass sie durch ihr Sportstudium auch kommunikationstechnisch geschult ist und auch genau weiss, wie man sich mental am besten darauf vorbereitet, vor Leuten zu sprechen. Dennoch, sei es natürlich eine Herausforderung. „Es ist vor allem schwierig, weil die Fraktionen ja schon vor der Besprechung im Stadtrat ihre Meinung gebildet haben. Und ist die mal gefestigt, braucht es schon extreme Redekunst um den Stadtrat noch zu beeinflussen.“

Als Profisportlerin bringt Carole viele Eigenschaften mit, die sie auch als Politikerin weiterbringen. Geduld zum Beispiel, aber auch die Fähigkeit mit Rückschlägen umzugehen. Auch ansonsten kann Carole mühelos Parallelen zwischen Sport und Politik ziehen. „Im Sport geht vieles über Emotionen, das ist in der Politik genauso. Und genau wie im Sport, können zu viel Emotionen gute Leistungen verhindern.“ Zudem sei es im Sport auch wichtig, sich kurzfristige, mittelfristige und langfristige Ziele zu setzen – genau wie in der Politik. „Und das Schöne ist: Sowohl im Sport als auch in der Politik muss man zusammenarbeiten, um etwas zu erreichen.“ Auch deshalb hat Carole als überparteilichen Event einen Ausflug in den Adventure - Raum geplant, wo man sich gemeinsam durchrätseln muss. „Solche Dinge machen mir Spass“, strahlt sie.

Als Stadträtin setzt sie sich nicht nur für den Zusammenhalt der Legislative ein. Sie möchte auch, dass sich Langenthal weiterhin als Sportstadt etabliert. „Wir haben ein super Schulsportangebot – das müssen wir unbedingt bewahren!“, nennt sie ein Beispiel. Sie will aber auch die Stimme der Jugend sein. Und mehr junge Menschen dazu bringen, sich ihrer politischen Macht bewusst zu sein. „Junge motivieren sich gegenseitig, wählen zu gehen. Wenn alle in deinem Umfeld wählen, ist es dir eher peinlich nicht zu gehen.“ Nur, ist es eben nicht so einfach, überhaupt jemanden aus der jungen Generation zu motivieren. „Man kann sie zwar schnell für politische Themen sensibilisieren, aber ob sie das Couvert dann wirklich öffnen und ausfüllen ist eine andere Frage.“

Natürlich würde sie sich freuen, wenn die jungen Langenthaler – und Langenthalerinnen vor allem den Jungliberalen ihre Stimmen geben würden. „Hauptsache ist jedoch, dass sie überhaupt an die Urne gehen. Die Wahlbeteiligung muss rauf.“ Um das zu erreichen, müsse man aufklären, zum Beispiel im Ausgang. Und natürlich sei Social Media ein wichtiges Instrument, um die junge Generation zu erreichen. „Nur motzen, aber dann nicht abstimmen oder wählen gehen: Das sollte verboten werden!“

Nicht nur junge Menschen fehlen in der Langenthaler Politik, auch Frauen sind eher Mangelware. Den Grund dafür sieht Carole in der Geschichte. Lange waren Frauen von der Politik ausgeschlossen und konnten weder abstimmen noch wählen, geschweige denn, sich aufstellen lassen. „Im Sport war es auch so. Bis vor 50 Jahren durften Frauen an zahlreichen Läufen gar nicht teilnehmen, weshalb sich manche Frauen als Männer verkleideten, um mitmachen zu können.“ Dadurch fehlten heute natürlich die Vorbilder und die Selbstverständlichkeit, dass auch Frauen politisch mitentscheiden können.

Heute befänden wir uns in einem Prozess, in dem sich das Bewusstsein der Gesellschaft ändere und die Frauen langsam politischer würden. „Man muss ihnen auch aufzeigen, dass Politik sehr viel mit ihrem Leben zu tun hat.“ „Ob es nun um genügend KITAS geht oder um die Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten – alles hängt mit Politik zusammen“, führt Carole aus. Man muss den Frauen klarmachen, dass sie was ändern können. Und das Politik nicht so schlimm sei, wie man sich das oft vorstelle. Neben der historischen Komponente seien vielleicht auch die charakterlichen Unterschiede zwischen Frau und Mann mitentscheidend, dass es mehr Politiker als Politikerinnen gibt. Frauen hätten oft weniger Selbstbewusstsein und würden Auseinandersetzungen auch eher aus dem Weg gehen.

„Hey, wart nume!“, antwortet sie lachend auf die Frage, wieso Langenthal noch nie eine Stadtpräsidentin hatte. Die Gründe dafür seien ähnlich, wie die für den generellen Mangel an Frauen in der aktiven Politik. „Männer trauen sich das Amt wahrscheinlich eher zu und sind oft schon länger in der Politik verwurzelt, als die meisten Frauen.“ Bei den Vereinen sehe es ja ähnlich aus. Die meisten Präsis seien männlich.

Carole selbst, strebt in der Politik keine 50:50 Verhältnisse an. „Auch Männer leisten gute Arbeit in der Politik“, betont sie. Für sie spiele das Geschlecht keine Rolle. Als Kinder halfen sie und ihre Schwester beiden Elternteilen bei den Hausarbeiten – egal ob es um den Abwasch oder um Rasen mähen ging. „Es soll nicht um das Geschlecht gehen, sondern um die Qualität der erbrachten Leistungen.“ Für eine kurze Zeit seien im Bundesrat ja auch mehr Frauen als Männer gesessen – ein politischer Unterschied bzw. eine bessere Performance sei aber nicht wirklich spürbar gewesen. „Ausserdem sollte man die Geschlechter nicht gegeneinander ausspielen.“

Sie selbst empfindet es auch nicht so, dass Frauen in der Politik anders beurteilt werden als Männer. Klar, Frauen würden oft als das schwächere Geschlecht bezeichnet und gerade konservative Menschen hätten eher das Gefühl, dass Männer automatisch Führungsstärke mitbringen. „Ich selbst denke, dass Frauen und Männer gleich viel, gleich gut können.“ Im Stadtrat spüre sie auch nicht, dass Frauen völlig anders politisieren würden, als Männer. „Vielleicht werden Frauen ein bisschen schneller emotional.“

Als gelernte Hochbauzeichnerin ist sie es sich auch gewohnt, sich in einem männlich dominierten Umfeld zu bewegen. „Auf der Baustellte hast du auch viel mit Männern zu tun, denen du teilweise auch Anweisungen gibst.“ Sie persönlich hatte nie Probleme damit, sich durchzusetzen. „Aber ich weiss natürlich, dass es Frauen gibt, denen es schwergemacht wird.“

Die Gleichberechtigung sei allerdings noch nicht erreicht, erklärt Carole. „Wir sind auf dem richtigen Weg dazu, aber noch lange nicht so weit wie zum Beispiel die skandinavischen Länder.“ Dort sei die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weitaus besser möglich, als in der Schweiz, die da noch sehr konservativ sei. Ausserdem fehle hier nach wie vor die Lohngleichheit. „Um die zu erreichen, würde ich sehr weit gehen!“

Carole möchte jedoch keinesfalls eine positive Diskriminierung der Frauen. Genau das wäre in ihren Augen eine Quotenregelung. Aus ihrer Sicht, der falsche Lösungsansatz. „Logisch hätten wir dadurch, schnell mehr Frauen in der Politik. Aber würde man da auch noch wirklich die qualitativ besten Leute haben?“ Ihre Zweifel beruhen darauf, dass für sie selbst das Geschlecht nicht massgebend ist. Auf die Person komme es an, ist sie überzeugt.

Dennoch, die Untervertretung der Frau ist auch Thema in Sport. In Magglingen, wo Carole studiert, sind deutlich mehr Männer als Frauen. Auch dort wird darüber diskutiert, wie man mehr Studentinnen anlocken könnte. „Ein Ansatz ist die Sprache auf den Werbeplakaten. Um Sport für Frauen attraktiv zu machen, sollte man zum Beispiel eher das Wort Eleganz als Kraft einsetzen.“ Im sportlichen Bereich tragen die Bemühungen um eine ausgeglichene Geschlechtervertretung Früchte. Bei den olympischen Jugend – Winterspielen 2020 in Lausanne, werden gleich viel Athleten wie Athletinnen antreten.

Für Carole ein weiteres Zeichen, dass man auf dem richtigen Kurs ist. Sie setzt viel Hoffnung in die Jungen, die bereits mit anderen Rollenbildern aufgewachsen und in vielen Themen offener seien. Auch bei den Jungliberalen spiegelt sich das. Obwohl Jungpartei der FDP, folgen sie nicht immer den Ruf der Mutterpartei. „Wir Jungen sind vielleicht manchmal ein Schritt weiter.“ Über einen Mangel an Frauen müssen die Jungliberalen auf jeden Fall nicht klagen. Viele Frauen sind bei ihnen in führenden Positionen.

Wie Carole. Als Politikneuling in den Stadtrat gekommen, inzwischen mit Herzblut dabei. Bereut hat sie die Annahme der Wahl nie, trotz ihres ausgefüllten Lebens. Ihre Energie, ihre kommunikative Art und ihre natürliche Neugier helfen ihr dabei, ihr Amt auszuüben. Ebenso wie ihr frisches, unbeschwertes Auftreten, dass sie auch dann an den Tag legt, wenn sie sich auf unbekanntem Terrain bewegt. Ein gutes Beispiel für Frauen, denn, wie Carole sagt: „Mängisch muess mer als Frou, au eifach chli fräch si!“

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