Laura
Baumgartner war neuneinhalb Jahre lang Gemeinderätin für die SP. Politisiert
wurde sie quasi am Küchentisch. Ihr Vater war Italiener und ein leidenschaftlicher
Sozialist, ihre Mutter Christdemokratin. „Das führte zwangsläufig zu
Diskussionen“, merkt Laura schmunzelnd an. Später wurde ihr Ehemann, Peter
Baumgartner, Gemeinderat. Ein zeitintensives Amt. Laura hielt ihm den Rücken
frei, kümmerte sich um die Kinder und den Haushalt. Gleichzeitig engagierte sie
selbst sich in verschiedenen Kommissionen. Einfach war das nicht immer. Das
Milizsystem ist alles andere als familienfreundlich. „Wenn mein Mann
Gemeinderatssitzung hatte und ich parallel dazu Kommissionssitzung wurde es
eng.“
Nach
dem Rückzug ihres Mannes fand Laura, dass es nun an ihr sei in die Politik
einzusteigen. Sie liess sich für Stadt– und Gemeinderat aufstellen. In den
Stadtrat schaffte sie es auf Anhieb, für den Gemeinderat landete sie auf den
zweiten Ersatzplatz. Als der Gemeinderat Walter Wüthrich das Amt abgab und der
erste Ersatz, Paul Bayard, verzichtete, rückte sie nach. Auf die Frage, ob sie
damit gerechnet habe, einmal in der Exekutive zu sitzen, lacht sie herzlich:
„Nein, auf keinen Fall!“ Eine Kandidatur für den Gross– oder Nationalrat reizte
sie jedoch nie. Sie wollte immer in der nächsten Umgebung etwas bewirken.
Drei
Gemeinderätinnen erlebte Laura während ihrer Amtszeit. Gerda Sinzig (SP), Paula
Schaub (EVP) und Christine Bobst (JLL). Als Letztere zum Gemeinderat
dazustiess, war das Geschlechterverhältnis mit 3:4 zum ersten Mal fast
ausgeglichen. In der Mehrzahl waren die Frauen im Gemeinderat bis jetzt
allerdings noch nie. Und auch auf eine Stadtpräsidentin warten die Langenthalerinnen
bis heute vergeblich.
Für
Laura selbst kam dieses Amt nie in Frage. Als Hans–Jürg Käser zurücktrat und
die Möglichkeit plötzlich zur Debatte stand, war sie gerade erst Witwe
geworden. Sie wollte sich die Last des Amtes nicht aufbürden. „Stadtpräsidentin
zu sein bedeutet ein enorm hohes politisches Engagement und fast ständige
Präsenz. Man lebt quasi für das Amt. Ich wollte das nicht“, begründet Laura
ihre damalige Entscheidung. Paula Schaub, ihre Gemeinderatskollegin, wagte die
Kandidatur, mit der Begründung, es sei an der Zeit, dass eine Frau an die
Spitze Langenthals komme. Doch sie zog gegen Thomas Rufener (SVP) den Kürzeren.
„Letztendlich fehlte ihr eine grosse Partei im Hintergrund. Für das
Stadtpräsidium braucht es das“, ist Laura überzeugt.
Als
vor drei Jahren der Sitz des Stadtpräsidenten erneut frei wurde, stellte sich
gar keine Frau zur Wahl. Warum eigentlich nicht? Wirklich erklären kann Laura
das nicht. „Vielleicht weil Frauen oft Mühe damit haben, sich auszustellen und
sich anzupreisen. Das muss man natürlich, wenn man ins Stadtpräsidium will. Und
dazu kommt die schwere Vereinbarkeit zwischen Politik und Familie. “ Könnte
eine alleinerziehende Frau mit Kindern überhaupt Stadtpräsidentin sein? Laura
überlegt kurz. „Wenn vielleicht alle im Umfeld…Nein, eigentlich denke ich
nicht, dass das möglich wäre“, meint sie schliesslich.
Auch
im Stadt– und Gemeinderat fällt der Frauenanteil eher mager aus. „Ein Grund
könnte auch sein, dass man in der Privatwirtschaft natürlich mehr Geld verdient,
als in der Politik. Als Gemeinderätin wirst du nicht fürstlich entlohnt und oft
investierst du deine Entschädigung dann auch wieder im Amt. Wenn Frauen also
entscheiden müssen, ob sie auf die Karte Beruf oder Karte Politik setzen,
entscheiden sie sich eher für den Beruf.“ Und Politik ist enorm schnelllebig.
„Als ich im Geschäft pensioniert wurde, gab es einen Blumenstrauss, Geschenke
und viele Tränen. In der Politik ist das nicht so. Dann bist du einfach weg“,
erklärt Laura, „und auch die Sachen, die du erreicht hast, bleiben nicht für
ewig, weil sich die Umstände ständig ändern.“
Im
Zuge der MeToo – Debatte klagten auch Bundesparlamentarierinnen über Sexismus
im Bundeshaus. In der Stadtpolitik Langenthal wurde Laura nie damit
konfrontiert. „Was es aber gibt, sind Dinge, die für einen Mann okay sind und
bei einer Frau anders aufgefasst werden. Als Vorsteherin des Ressorts Bildung
und Jugend hatte ich lauter Schulleiter unter mir. Mein Vorgänger erklärte mir,
wenn ich mit einem von ihnen unter vier Augen sprechen wolle, solle ich einfach
ein Bier mit ihm trinken gehen. Das konnte ich aber nicht, weil es da einfach
diese Distanz gibt zwischen Mann und Frau. Vielleicht ist das aber auch nur in
meiner Generation so.“ Kumpelhaftes Verhalten, es wird anders interpretiert,
wenn eine Frau es an den Tag legt.
Das
bekannte Phänomen, das Politikerinnen aufgrund ihrer Weiblichkeit die Kompetenz
abgesprochen wird, erlebte Laura nicht. „Es ist sowieso so, dass wir alle –
egal ob Mann oder Frau – vom Volk Kompetenz geschenkt bekommen. In einem Job erarbeitest du dir diese langsam. Nach
deiner Wahl im Gemeinderat bekommst du möglicherweise ein Ressort, für das du
wenig oder gar kein berufliches Hintergrundwissen mitbringst.“
Aus
ihrer Sicht gibt es in Langenthal auch nicht typische Frauenressorts. „Bei der
Verteilung spielt eher die Partei eine Rolle als das Geschlecht.“ Dennoch
findet sie das Frauen einen schwereren Stand in der Politik haben als Männer.
„Ein Politiker kann wahnsinnig hässlich sein, vor die Kamera treten und es
redet kein Mensch von seinem Äusseren. Das Aussehen einer Politikerin dagegen
ist immer Thema.“ Laura erinnert an die hochkompetente Bundesrätin Eveline
Widmer–Schlumpf, über die immer mal wieder wegen ihrer äusseren Erscheinung,
hergezogen wurde.
Auch
das, die ständige Kritik, die sich bei Frauen eben nicht nur auf die
eigentliche Politik, sondern auf ihr ganzes Sein bezieht, ist kaum motivierend
für eine politische Karriere. Und wenn frau sich doch entscheidet, auf eine
Liste zu gehen, wird sie – zumindest in Langenthal – oft nicht gewählt. Wieso
eigentlich? Lauras Antwort ist schlicht. „Weil Frauen keine Frauen wählen. Die
Frauensolidarität spielt einfach irgendwie nicht.“ Sie glaubt allerdings nicht,
dass es in Langenthal speziell schwierig ist für Frauen. Das liegt eher an der
heutigen Gesellschaft. Es fehle noch die Selbstverständlichkeit, dass eine Frau
ebenso gut oder besser sein kann als ein Mann. Und auch die Wirtschaft, sieht
Laura in der Verantwortung. „Es braucht mehr Teilzeitstellen. Und oft zeigen
sich die Unternehmen unflexibel, wenn es ums Reduzieren oder Erhöhen von
Prozenten geht.“
Was
können denn die Männer tun, um Frauen in der Politik zu fördern? Sollen sie auf
Kandidaturen oder Wahlen verzichten, wenn sie dadurch einer Frau im Weg stehen?
„Ja“, meint Laura und nennt ein prominentes Beispiel. „Francis Matthay hat auf
seine Wahl in den Bundesrat verzichtet, als die Bundesversammlung ihn, statt
Christiane Brunner gewählt hat. So kam Ruth Dreyfuss zum Zug.“
Nur
sind solche Fälle dann doch eher selten, denn wenn es um die eigene Karriere
geht, denken die meisten Männer eher an sich, als an das hehre Ziel der
Frauenförderung. Die Gestaltung der Wahllisten sorgt deshalb immer wieder für
rote Köpfe in den Parteien. Gemeinsame Liste für Männer und Frauen oder doch
lieber getrennte? Für Laura ist klar: „Gemischte Listen sind besser.“
Überhaupt
brauche es immer beide Geschlechter, sowohl in der Wirtschaft als auch in der
Politik. „Frauen bringen einfach andere Sichtweisen in politische Diskussionen
ein, Sichtweisen, die Männer einfach nicht haben. Sie haben eine andere
Herangehensweise und geben mehr“, fasst Laura zusammen. Auch auf die
Gesprächsführung hätten Frauen einen positiven Einfluss. „Der Umgangston ist
feiner und es herrscht allgemein ein gesitteterer Umgang, wenn eine Frau im
Raum ist.“
Deshalb
ist Laura auch eine Verfechterin der Frauenquote. „Es geht ja nicht anders“,
erklärt sie bedauernd. Auch wenn Männer das nicht selten anders sehen. „Ich
kann mich noch erinnern, als Ignazio Cassis vor den Bundesratswahlen sagte,
wenn er eine Frau wäre, dann würde er nicht wollen, dass man ihn aufgrund einer
Quote wähle. Ausgerechnet er, der Quoten – Tessiner!“
Die
Gleichberechtigung, sie ist noch nicht erreicht, obwohl man seit dem ersten Frauenstreik
zweifellos Fortschritte gemacht hat. Als Frau stolpert man trotzdem immer
wieder über Überbleibsel einer Zeit, in der die Männer alle Macht in der Hand
hielten und die Frau nicht einmal (selbst ihren Wohnort??? bestimmen durfte.
... ohne schriftliche Zustimmung des Ehemannes eine Arbeitsstelle annehmen
durfte. Und doch reagieren Männer empfindlich darauf, wenn sie glauben, ihre
Rechte würden beschnitten werden. So erzählt Laura, dass während ihrer Amtszeit
ein Gymnasiallehrer an sie herangetreten sei, weil zum ersten Mal mehr Mädchen
als Jungen ins Gymnasium übergetreten waren. „Er war der Meinung, da müsse man
unbedingt etwas tun. Als sei das jetzt ein mega Problem, dass es zur
Abwechslung mal weniger Jungs sind. Ich war total baff.“
Und
trotzdem ist Laura guter Hoffnung, dass die Zeit auch die letzten Hürden für
Frauen in der Politik hinwegfegen wird und ein Umdenken stattfindet. Was nicht
heisst, dass sich Frauen ihrer Meinung nach zurücklehnen und Däumchen drehen
sollen. „Sie müssen raus auf die Strasse und sich zeigen. Sie müssen
Führungsrollen übernehmen. Und die Männer müssen bereit sein, ihnen den Rücken
freizuhalten.“
Aber
auch die Parteien haben ihrer Meinung nach einen Auftrag. Wenn sie Frauen im
Stadtparlament und in der Stadtregierung wollen, müssen sie die schon vorher
aufbauen, nicht erst kurz vor den Wahlen. Für die Frauen hat sie einen
wichtigen Ratschlag: „Durchhaltewillen.“ Oft hat Laura erlebt, dass Frauen gute
Ideen haben, sich engagieren sich äussern…und dann abgewürgt werden, wenn sie
jemanden auf die Zehen treten. Da müsse man einfach „dran bleiben“, auch wenn
es schwierig werde.
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