Montag, 4. November 2019

Frauen erzählen: Laura



Laura Baumgartner war neuneinhalb Jahre lang Gemeinderätin für die SP. Politisiert wurde sie quasi am Küchentisch. Ihr Vater war Italiener und ein leidenschaftlicher Sozialist, ihre Mutter Christdemokratin. „Das führte zwangsläufig zu Diskussionen“, merkt Laura schmunzelnd an. Später wurde ihr Ehemann, Peter Baumgartner, Gemeinderat. Ein zeitintensives Amt. Laura hielt ihm den Rücken frei, kümmerte sich um die Kinder und den Haushalt. Gleichzeitig engagierte sie selbst sich in verschiedenen Kommissionen. Einfach war das nicht immer. Das Milizsystem ist alles andere als familienfreundlich. „Wenn mein Mann Gemeinderatssitzung hatte und ich parallel dazu Kommissionssitzung wurde es eng.“

Nach dem Rückzug ihres Mannes fand Laura, dass es nun an ihr sei in die Politik einzusteigen. Sie liess sich für Stadt– und Gemeinderat aufstellen. In den Stadtrat schaffte sie es auf Anhieb, für den Gemeinderat landete sie auf den zweiten Ersatzplatz. Als der Gemeinderat Walter Wüthrich das Amt abgab und der erste Ersatz, Paul Bayard, verzichtete, rückte sie nach. Auf die Frage, ob sie damit gerechnet habe, einmal in der Exekutive zu sitzen, lacht sie herzlich: „Nein, auf keinen Fall!“ Eine Kandidatur für den Gross– oder Nationalrat reizte sie jedoch nie. Sie wollte immer in der nächsten Umgebung etwas bewirken. 

Drei Gemeinderätinnen erlebte Laura während ihrer Amtszeit. Gerda Sinzig (SP), Paula Schaub (EVP) und Christine Bobst (JLL). Als Letztere zum Gemeinderat dazustiess, war das Geschlechterverhältnis mit 3:4 zum ersten Mal fast ausgeglichen. In der Mehrzahl waren die Frauen im Gemeinderat bis jetzt allerdings noch nie. Und auch auf eine Stadtpräsidentin warten die Langenthalerinnen bis heute vergeblich. 

Für Laura selbst kam dieses Amt nie in Frage. Als Hans–Jürg Käser zurücktrat und die Möglichkeit plötzlich zur Debatte stand, war sie gerade erst Witwe geworden. Sie wollte sich die Last des Amtes nicht aufbürden. „Stadtpräsidentin zu sein bedeutet ein enorm hohes politisches Engagement und fast ständige Präsenz. Man lebt quasi für das Amt. Ich wollte das nicht“, begründet Laura ihre damalige Entscheidung. Paula Schaub, ihre Gemeinderatskollegin, wagte die Kandidatur, mit der Begründung, es sei an der Zeit, dass eine Frau an die Spitze Langenthals komme. Doch sie zog gegen Thomas Rufener (SVP) den Kürzeren. „Letztendlich fehlte ihr eine grosse Partei im Hintergrund. Für das Stadtpräsidium braucht es das“, ist Laura überzeugt. 

Als vor drei Jahren der Sitz des Stadtpräsidenten erneut frei wurde, stellte sich gar keine Frau zur Wahl. Warum eigentlich nicht? Wirklich erklären kann Laura das nicht. „Vielleicht weil Frauen oft Mühe damit haben, sich auszustellen und sich anzupreisen. Das muss man natürlich, wenn man ins Stadtpräsidium will. Und dazu kommt die schwere Vereinbarkeit zwischen Politik und Familie. “ Könnte eine alleinerziehende Frau mit Kindern überhaupt Stadtpräsidentin sein? Laura überlegt kurz. „Wenn vielleicht alle im Umfeld…Nein, eigentlich denke ich nicht, dass das möglich wäre“, meint sie schliesslich. 

Auch im Stadt– und Gemeinderat fällt der Frauenanteil eher mager aus. „Ein Grund könnte auch sein, dass man in der Privatwirtschaft natürlich mehr Geld verdient, als in der Politik. Als Gemeinderätin wirst du nicht fürstlich entlohnt und oft investierst du deine Entschädigung dann auch wieder im Amt. Wenn Frauen also entscheiden müssen, ob sie auf die Karte Beruf oder Karte Politik setzen, entscheiden sie sich eher für den Beruf.“ Und Politik ist enorm schnelllebig. „Als ich im Geschäft pensioniert wurde, gab es einen Blumenstrauss, Geschenke und viele Tränen. In der Politik ist das nicht so. Dann bist du einfach weg“, erklärt Laura, „und auch die Sachen, die du erreicht hast, bleiben nicht für ewig, weil sich die Umstände ständig ändern.“

Im Zuge der MeToo – Debatte klagten auch Bundesparlamentarierinnen über Sexismus im Bundeshaus. In der Stadtpolitik Langenthal wurde Laura nie damit konfrontiert. „Was es aber gibt, sind Dinge, die für einen Mann okay sind und bei einer Frau anders aufgefasst werden. Als Vorsteherin des Ressorts Bildung und Jugend hatte ich lauter Schulleiter unter mir. Mein Vorgänger erklärte mir, wenn ich mit einem von ihnen unter vier Augen sprechen wolle, solle ich einfach ein Bier mit ihm trinken gehen. Das konnte ich aber nicht, weil es da einfach diese Distanz gibt zwischen Mann und Frau. Vielleicht ist das aber auch nur in meiner Generation so.“ Kumpelhaftes Verhalten, es wird anders interpretiert, wenn eine Frau es an den Tag legt. 

Das bekannte Phänomen, das Politikerinnen aufgrund ihrer Weiblichkeit die Kompetenz abgesprochen wird, erlebte Laura nicht. „Es ist sowieso so, dass wir alle – egal ob Mann oder Frau – vom Volk Kompetenz geschenkt bekommen. In einem  Job erarbeitest du dir diese langsam. Nach deiner Wahl im Gemeinderat bekommst du möglicherweise ein Ressort, für das du wenig oder gar kein berufliches Hintergrundwissen mitbringst.“ 

Aus ihrer Sicht gibt es in Langenthal auch nicht typische Frauenressorts. „Bei der Verteilung spielt eher die Partei eine Rolle als das Geschlecht.“ Dennoch findet sie das Frauen einen schwereren Stand in der Politik haben als Männer. „Ein Politiker kann wahnsinnig hässlich sein, vor die Kamera treten und es redet kein Mensch von seinem Äusseren. Das Aussehen einer Politikerin dagegen ist immer Thema.“ Laura erinnert an die hochkompetente Bundesrätin Eveline Widmer–Schlumpf, über die immer mal wieder wegen ihrer äusseren Erscheinung, hergezogen wurde. 

Auch das, die ständige Kritik, die sich bei Frauen eben nicht nur auf die eigentliche Politik, sondern auf ihr ganzes Sein bezieht, ist kaum motivierend für eine politische Karriere. Und wenn frau sich doch entscheidet, auf eine Liste zu gehen, wird sie – zumindest in Langenthal – oft nicht gewählt. Wieso eigentlich? Lauras Antwort ist schlicht. „Weil Frauen keine Frauen wählen. Die Frauensolidarität spielt einfach irgendwie nicht.“ Sie glaubt allerdings nicht, dass es in Langenthal speziell schwierig ist für Frauen. Das liegt eher an der heutigen Gesellschaft. Es fehle noch die Selbstverständlichkeit, dass eine Frau ebenso gut oder besser sein kann als ein Mann. Und auch die Wirtschaft, sieht Laura in der Verantwortung. „Es braucht mehr Teilzeitstellen. Und oft zeigen sich die Unternehmen unflexibel, wenn es ums Reduzieren oder Erhöhen von Prozenten geht.“

Was können denn die Männer tun, um Frauen in der Politik zu fördern? Sollen sie auf Kandidaturen oder Wahlen verzichten, wenn sie dadurch einer Frau im Weg stehen? „Ja“, meint Laura und nennt ein prominentes Beispiel. „Francis Matthay hat auf seine Wahl in den Bundesrat verzichtet, als die Bundesversammlung ihn, statt Christiane Brunner gewählt hat. So kam Ruth Dreyfuss zum Zug.“ 

Nur sind solche Fälle dann doch eher selten, denn wenn es um die eigene Karriere geht, denken die meisten Männer eher an sich, als an das hehre Ziel der Frauenförderung. Die Gestaltung der Wahllisten sorgt deshalb immer wieder für rote Köpfe in den Parteien. Gemeinsame Liste für Männer und Frauen oder doch lieber getrennte? Für Laura ist klar: „Gemischte Listen sind besser.“ 

Überhaupt brauche es immer beide Geschlechter, sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik. „Frauen bringen einfach andere Sichtweisen in politische Diskussionen ein, Sichtweisen, die Männer einfach nicht haben. Sie haben eine andere Herangehensweise und geben mehr“, fasst Laura zusammen. Auch auf die Gesprächsführung hätten Frauen einen positiven Einfluss. „Der Umgangston ist feiner und es herrscht allgemein ein gesitteterer Umgang, wenn eine Frau im Raum ist.“ 

Deshalb ist Laura auch eine Verfechterin der Frauenquote. „Es geht ja nicht anders“, erklärt sie bedauernd. Auch wenn Männer das nicht selten anders sehen. „Ich kann mich noch erinnern, als Ignazio Cassis vor den Bundesratswahlen sagte, wenn er eine Frau wäre, dann würde er nicht wollen, dass man ihn aufgrund einer Quote wähle. Ausgerechnet er, der Quoten – Tessiner!“ 

Die Gleichberechtigung, sie ist noch nicht erreicht, obwohl man seit dem ersten Frauenstreik zweifellos Fortschritte gemacht hat. Als Frau stolpert man trotzdem immer wieder über Überbleibsel einer Zeit, in der die Männer alle Macht in der Hand hielten und die Frau nicht einmal (selbst ihren Wohnort??? bestimmen durfte. ... ohne schriftliche Zustimmung des Ehemannes eine Arbeitsstelle annehmen durfte. Und doch reagieren Männer empfindlich darauf, wenn sie glauben, ihre Rechte würden beschnitten werden. So erzählt Laura, dass während ihrer Amtszeit ein Gymnasiallehrer an sie herangetreten sei, weil zum ersten Mal mehr Mädchen als Jungen ins Gymnasium übergetreten waren. „Er war der Meinung, da müsse man unbedingt etwas tun. Als sei das jetzt ein mega Problem, dass es zur Abwechslung mal weniger Jungs sind. Ich war total baff.“ 

Und trotzdem ist Laura guter Hoffnung, dass die Zeit auch die letzten Hürden für Frauen in der Politik hinwegfegen wird und ein Umdenken stattfindet. Was nicht heisst, dass sich Frauen ihrer Meinung nach zurücklehnen und Däumchen drehen sollen. „Sie müssen raus auf die Strasse und sich zeigen. Sie müssen Führungsrollen übernehmen. Und die Männer müssen bereit sein, ihnen den Rücken freizuhalten.“ 

Aber auch die Parteien haben ihrer Meinung nach einen Auftrag. Wenn sie Frauen im Stadtparlament und in der Stadtregierung wollen, müssen sie die schon vorher aufbauen, nicht erst kurz vor den Wahlen. Für die Frauen hat sie einen wichtigen Ratschlag: „Durchhaltewillen.“ Oft hat Laura erlebt, dass Frauen gute Ideen haben, sich engagieren sich äussern…und dann abgewürgt werden, wenn sie jemanden auf die Zehen treten. Da müsse man einfach „dran bleiben“, auch wenn es schwierig werde. 

Und, bezeichnet sich Laura als Feministin? „Oh, muss ich ja jetzt fast, nachdem was ich alles gesagt habe oder? Ich hatte einfach immer einen starken Gerechtigkeitssinn und das was mit den Frauen jahrelang geschah und noch immer geschieht ist einfach nicht gerecht. Deshalb setze ich mich für die Gleichberechtigung ein.“ Und über Männer meint sie mit feinem Lächeln: „Männer haben einfach Angst vor starken Frauen.“

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