Patricia Fehrensen war achtzehn
Jahre alt, als eine Freundin, die bei den Jungliberalen mitmachte, sie für die
Stadtratsliste anfragte. Erst lehnte sie ab. „Ich wollte mich nicht für etwas
bewerben, mit dem ich eigentlich wenig Berührungspunkte hatte“, begründet sie
heute. Bei ihr zuhause war mehrheitlich nationale und internationale Politik
ein Thema. Aber sie machte sich kundig, entschied sich schliesslich doch für
eine Kandidatur und für den Beitritt zu den Jungliberalen. Und sie zog auch
gleich noch ihre Mutter mit, die sich der FDP anschloss.
Dabei wären durchaus auch andere
Parteien in Fragen gekommen, zum Beispiel die jGLP, bei denen Patricia
ebenfalls vorbeischaute. „Die Mitte – Parteien stehen sich im Kanton Bern
extrem nahe“, erklärt sie, „doch die Jungliberalen hatten den Heimvorteil.
Langenthal hat eine eigene, lebendige Sektion.“ Das half bei der Entscheidung.
Und natürlich die freisinnigen Werte, mit denen Patricia sich gut
identifizieren kann. Für sie bedeutet eine liberale Gesellschaft, eine offeneGesellschaft, in der jeder und
jede möglichst grosse Freiheit geniessen kann, allerdings nicht auf Kosten von anderen. Aber auch
Solidarität ist ihr wichtig, gerade in Bezug auf Themen wie die AHV oder der Vereinbarkeit von
Familie und Beruf. Ein weiterer Pluspunkt der Jungliberalen sei die Fülle an
Themen gewesen. „Wir sind nicht auf ein Thema fokussiert, sondern breit
aufgestellt.“ Da trifft es sich gut, dass Patricia Diskussionen schätzt und
gerne debattiert.
Zwar reichte es 2016 nicht für
den Stadtrat, aber ihr Feuer für die Politik war entfacht. „An Lokalpolitik
reizt mich, dass man hier am schnellsten Auswirkungen der politischen Arbeit
sehen kann.“ Man sei näher dran an den Menschen und das führe – auch im Stadtrat
– zu einer ganz anderen Emotionalität, als es auf nationale Ebene der Fall sei.
„Wenn ein Stadtrat oder eine Stadträtin merkt, verdammt, ich muss wahnsinnig
weit laufen, bis ich endlich eine Bushaltestelle finde, führt das bei ihm/ihr
zum Schluss: Wir brauchen unbedingt mehr Bushaltestellen in Langenthal und zack
wird daraus eine Motion“, lacht sie.
Für die Jungliberalen übernahm
sie den Sitz in der Energie – und Umweltschutzkommission. Für sie kam von
Anfang an vor allem diese Kommission in Frage, denn Umweltthemen haben für sie
seit jeher eine grosse Bedeutung. Dass sich liberale Werte, Wirtschaft und
Umweltbewusstsein nicht zwingend ausschliessen müssten, beweise ihr Lebensgefährte Michael Schär, der sich in
seiner Unternehmung Hector Egger Holzbau AG, sehr für Nachhaltigkeit einsetzt.
Patricia studiert an der
Universität Bern Medizin und engagiert sich dort in der
Nachhaltigkeitskommission.. Allerdings sei diese Arbeit
nicht immer ganz einfach, gelte es doch, verschiedene Ansätze von Menschen, die
aus dem ganzen politischen Spektrum stammen, unter einem Hut zu bringen. „Die
Uni Bern ist eher links geprägt. In Langenthal gelte ich als Mitte, je nach
Thema mit leichtem Links – oder Rechtsdrall. In Bern werde ich dagegen als klar
Mitte – Rechts eingestuft.“
Die Gleichberechtigung ist aus
Patricias Sicht noch nicht vollständig erreicht. „Der Frauenstreik hat
aufgezeigt, dass viele Anliegen der weiblichen Bevölkerung noch nicht erfüllt
sind“, sagt sie. Allerdings dürfe man Gleichberechtigung nicht mit Gleichheit
verwechseln. “ Für sie bedeutet Gleichberechtigung nicht, dass
alle das Gleiche machen müssen, sondern dass alle die gleichen Möglichkeiten,
Voraussetzungen und Chancen im Leben haben. „Das ist nicht nur für Frauen
vorteilhaft.”“
„Auf rechtlicher Ebene wurde in
Sachen Gleichberechtigung viel erreicht“, ist Patricia überzeugt. Ausstehend
sei unter Anderem noch die Senkung der Mehrwertsteuer auf Damenhygieneartikel,
die immer noch als Luxusgüter geführt werden. „Schwieriger ist es, wenn es mehr
den gesellschaftlichen Bereich berührt. Die Rollenbilder in den Köpfen der
Menschen sind schwer zu ändern.“
Mit Rollenbildern habe es auch zu
tun, dass in Langenthal so wenige Frauen in der aktiven Stadtpolitik zu finden
sind. „In Langenthal leben viele konservative Menschen, in denen der klassische
Lebensentwurf von Frau und Mann noch stark verwurzelt ist“, meint Patricia.
Dazu komme: Sind in einer Partei wenige Frauen dabei, ist natürlich die Auswahl
für Ämter stark begrenzt.
Ihre Sektion, die Jungliberalen
Langenthal und Umgebung, muss jedoch nicht über Frauenmangel klagen, im
Gegenteil. Im achtköpfigen Vorstand sind Frauen und Männer gleich vertreten
(4:4) und den einzigen Stadtratssitz der JLL hält eine Frau und auch bei den
Nationalratswahlen 2019 tritt ein reines Frauenticket an. Laut Patricia sei das
nicht unbedingt das Resultat gezielter Frauenakquirierung, sondern bewusst
offener Rahmenbedingungen und Eingehen auf die Individuen. . Auch die lokale
FDP hat eine Zusammenkunft der FDP Frauen, die auch Themen bespricht, die nahe
an den Mitgliedern sind (zum Beispiel die Auswirkungen des Lehrplans 21 oder
regionalen Themen wie die Porzi).
Quoten stehen die Jungliberalen
eher kritisch gegenüber. Auch Patricia ist von der möglichen Einführung einer
Frauenquote nicht begeistert. „Meiner Meinung nach würden Quoten den Frauen
schaden. Klar, hätte man da schlagartig mehr Frauen in den Gremien, aber die
hätten dann immer mit dem Stigma ‚Quotenfrau‘ zu kämpfen“, erklärt sie ihre
Haltung. Quoten würden spaltend und trennend wirken, zudem hafte ihnen etwas
Autoritäres und Bevormundendes an. „Frauen schaffen es auch ohne Quoten“, zeigt
sich Patricia überzeugt. Und noch einen Negativpunkt zählt sie auf. „Quoten
helfen jeweils nur einem bestimmten Segment von Frauen. Die Ausgangslage für
alle muss verbessert werden.“
Eben jene Ausgangslage macht es
den Frauen schwer, in der Politik Fuss zu fassen. Junge Mütter haben oft schon
alle Hände damit zu tun, Kinder und Beruf unter einen Hut zu bringen. Die
Präsidentin der FDP Frauen Schweiz, Doris Fiala, äusserte in diesem
Zusammenhang vor kurzem die Ansicht, dass Frauen lieber erst später in ihrem
Leben in die Politik einsteigen sollten, weil sie sonst in Gefahr liefen, am
Spagat zwischen Beruf, Familie und politischem Engagement zu zerbrechen. Müssen
Frauen ihr Leben tatsächlich so stark einer Planung unterziehen, wenn sie genau
wie die Männer, in allen drei Bereichen nach mehr streben?
Eine schwierige Frage, findet
Patricia. „Frauen sollen nicht in jungen Jahren schon eine Entscheidung treffen müssen, wie
sie ihr Leben gestalten wollen. In unserer hochtechnologisiertenGesellschaft, die gut
ausgebildete Menschen beider Geschlechter braucht, sollte Vereinbarkeit von
Familie, Beruf und persönliches Engagement eigentlich selbstverständlich
sein..“ Aber auch sie hat sich schon Gedanken über ihre Lebensplanung gemacht.
„Meine erste Priorität zurzeit ist die Ausbildung, also der Beruf. Daneben
möchte ich noch ein ausgefülltes Leben mit Freunden, Familie und Engagements
führen. Politik mache ich aus Überzeugung, sie gehört meiner Meinung nach zu einem
erfüllten Leben. Doch meine oberste Priorität, das oberste Ziel ist es, eine
gute Ärztin und Medizinerin zu werden, um Menschen zu helfen.”
Auch das Stadtpräsidium ist ein
zeitaufwendiger Posten, der mit vielen Pflichten verbunden ist. Bis heute hat
sich nur eine Frau dieses Amt zugetraut, Paula Schaub von der EVP, die
allerdings im Wahlkampf gegen Thomas Rufener von der SVP gescheitert ist. Mit
Reto Müller von der SP ist nun wieder ein Mann am Ruder. Warum war bis jetzt
noch keine Frau an der Spitze Langenthals zu finden? „Die Parteien schicken
natürlich ihre Spitzenleute ins Rennen, also Menschen, die in Langenthal
bekannt und etabliert sind.“, erklärt Patricia. Das führe uns allerdings
wiederum zum Anfangsproblem: Hat es schon bei wenig Frauen in der Sektion, so
führt das zu weniger Frauen in den anderen politischen Ämtern und
dementsprechend wenig Frauen werden überhaupt in Betracht gezogen für das
Stadtpräsidium.
„Wenn die Langenthalerinnen
besser im Stadtparlament vertreten sein sollen, müssen sie in erster Linie
überhaupt zur Wahl aufgestellt werden“, antwortet Patricia auf die Frage, wie
man die schlechte Frauenvertretung in Langenthal verbessern könnte. Um es
Frauen gerade am Anfang zu erleichtern, ihre Meinung zu äussern, seien
politische Frauentreffs, wie es eben die FDP – und auch die SP – macht,
wichtig. In diesen Gesprächen entstünden auch immer neue Sichtweisen und
Impulse, die man in den Stadtrat tragen könne.
„Frauen trauen sich den Schritt
in den Stadtrat oft nicht zu. Besonders aus Angst, Fehler zu machen. Frauen
wollen sich zu 100% sicher sein, es richtig zu machen“, erläutert Patricia und
fügt mit einem kleinen Grinsen an: „Es gibt so einen Spruch: Als Frau musst du
doppelt so viel arbeiten, um halb so viel Anerkennung wie die Männer zu
bekommen.“
Bei den Jungfreisinnigen würden
sich immer genügend Frauen für die Liste melden. „Wir haben viele führende,
junge Frauen, die nicht schon anderorts
eingespannt sind.“ Junge Menschen, so Patricia, hätten den Vorteil, dass
sie offener, weniger voreingenommen zu sein. Das helfe auch den Anliegen der
Frauen.
Sie selbst hatte bei der
politischen Arbeit in der Kommission nie das Gefühl, dass ihr Geschlecht zum
Nachteil wird. „Als ich zu der ersten Sitzung ging, wurde mir klar, dass ich
die einzige Frau, einzige Laie und weitaus die Jüngste in der Kommission bin“,
erzählt sie. Alle anderen Kommissionsmitglieder waren älter und viele von ihnen
waren in der Baubranche tätig. Manche Fachbegriffe, die im Gespräch gefallen
sind, habe sie anfangs heimlich unter dem Tisch gegoogelt. Aber sie stellte
schnell fest, dass Verständnisfragen in der Kommission erwünscht sind. „Manchmal braucht es eine
unverstellte Sicht auf die Dinge.“
In anderen Bereichen wurde sie
durchaus schon mit festgefahrenen Rollenbildern konfrontiert. Als Tochter eines Informatikers
zeigte sie früh Interesse für alles Technische und besuchte Förderkurse im Bereich Computer. Oft war sie
das einzige Mädchen. „In vielen Fällen nahm ich deshalb eine Sonderstellung
ein.“ Am Anfang habe sie die Aufmerksamkeit genossen. Bis sie bemerkte, dass es
sich eher um eine gönnerhafte Aufmerksamkeit handelte. „Oft fragten die
Kursleiter dann mich extra, ob ich es auch verstanden hätte oder es wurde
nachgehakt, ob ich denn klarkäme mit so vielen Männern.“
Dass Frauen in der Informatikwelt
eher als Exotinnen gelten, zeigt auch eine weitere Anekdote von Patricia. Als
bei einem Hackerwettbewerb – bei dem Patricia mitwirkte – einmal ein Mädchen
gewann, drehte sich das Siegerinterview mit ihr fast ausschliesslich um ihr
Geschlecht. Als sie schliesslich gefragt wurde, wie es sich anfühle, als Frau
gewonnen zu haben, schnappte sie sich das Mikrofon und sagte: „Ich fühle mich
genervt, weil ich die ganze Zeit darüber reden muss. Frag mich was über
Informatik!“
“Mit Klischees haben auch
Politikerinnen zu kämpfen. Oft werden sie auf ihr Äusseres, oder auf einzelne
Handlungen reduziert. So entsteht das Klischee der sehr jungen, sehr linken Politikerin,
die ihre BHs verbrennt“, meint Patricia.
Aktionen wie diese (einige JUSO –
Frauen verbrannten vor drei Jahren medienwirksam ihre BHs, um auf den Women’s
Marsch aufmerksam zu machen) sieht Patricia zwiespältig. „Einerseits finde ich,
dass es das Recht der Jungparteien ist, frischen Wind ins Politleben zu bringen
und auch zu provozieren. Andererseits geht es bei solchen Aktionen oft um
gesellschaftliche Missstände, die politisch schwer zu packen sind. Gerade wenn
man bei solchen sehr provokativ vorgeht, erzeugt man tendenziell zusätzlich
verhärtete Fronten, was gegenläufig zu unserem Konkordanzsystem ist.“
Gleichzeitig würden einige Politikerinnen unverhältnismässigen Angegriffen, die
insbesondere auf Aussehen oder andere politisch irrelevante Merkmale abzielen,
ausgesetzt, was ebenfalls nicht zielführend sei.
Patricia sieht guten Mutes in die
Zukunft der Frauen. Viele Dinge, die früher undenkbar waren, seien heute
selbstverständlich, so das Frauenstimmrecht,
das 2021 den 50. Geburtstag feiern wird. Die Gesellschaft wandele sich – zwar
langsam, aber sie tue es. „Aber das Problem mit der
Ungleichbehandlung lässt sich natürlich nicht einfach aussitzen!“
Liebes Lama,
AntwortenLöschenDeine anregenden Fragen zu beantworten war mir eine Freude. Toll, dass du aus unseren quer durch Themen springenden Gespräch einen geordneten Text verfassen konntest ;)
Dankeschön,
Patricia