Dienstag, 5. November 2019

Frauen erzählen: Patricia

Patricia Fehrensen war achtzehn Jahre alt, als eine Freundin, die bei den Jungliberalen mitmachte, sie für die Stadtratsliste anfragte. Erst lehnte sie ab. „Ich wollte mich nicht für etwas bewerben, mit dem ich eigentlich wenig Berührungspunkte hatte“, begründet sie heute. Bei ihr zuhause war mehrheitlich nationale und internationale Politik ein Thema. Aber sie machte sich kundig, entschied sich schliesslich doch für eine Kandidatur und für den Beitritt zu den Jungliberalen. Und sie zog auch gleich noch ihre Mutter mit, die sich der FDP anschloss.

Dabei wären durchaus auch andere Parteien in Fragen gekommen, zum Beispiel die jGLP, bei denen Patricia ebenfalls vorbeischaute. „Die Mitte – Parteien stehen sich im Kanton Bern extrem nahe“, erklärt sie, „doch die Jungliberalen hatten den Heimvorteil. Langenthal hat eine eigene, lebendige Sektion.“ Das half bei der Entscheidung. Und natürlich die freisinnigen Werte, mit denen Patricia sich gut identifizieren kann. Für sie bedeutet eine liberale Gesellschaft, eine offeneGesellschaft, in der jeder und jede möglichst grosse Freiheit geniessen kann, allerdings nicht auf Kosten von anderen. Aber auch Solidarität ist ihr wichtig, gerade in Bezug auf Themen wie die AHV oder der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ein weiterer Pluspunkt der Jungliberalen sei die Fülle an Themen gewesen. „Wir sind nicht auf ein Thema fokussiert, sondern breit aufgestellt.“ Da trifft es sich gut, dass Patricia Diskussionen schätzt und gerne debattiert.

Zwar reichte es 2016 nicht für den Stadtrat, aber ihr Feuer für die Politik war entfacht. „An Lokalpolitik reizt mich, dass man hier am schnellsten Auswirkungen der politischen Arbeit sehen kann.“ Man sei näher dran an den Menschen und das führe – auch im Stadtrat – zu einer ganz anderen Emotionalität, als es auf nationale Ebene der Fall sei. „Wenn ein Stadtrat oder eine Stadträtin merkt, verdammt, ich muss wahnsinnig weit laufen, bis ich endlich eine Bushaltestelle finde, führt das bei ihm/ihr zum Schluss: Wir brauchen unbedingt mehr Bushaltestellen in Langenthal und zack wird daraus eine Motion“, lacht sie.

Für die Jungliberalen übernahm sie den Sitz in der Energie – und Umweltschutzkommission. Für sie kam von Anfang an vor allem diese Kommission in Frage, denn Umweltthemen haben für sie seit jeher eine grosse Bedeutung. Dass sich liberale Werte, Wirtschaft und Umweltbewusstsein nicht zwingend ausschliessen müssten, beweise  ihr Lebensgefährte Michael Schär, der sich in seiner Unternehmung Hector Egger Holzbau AG, sehr für Nachhaltigkeit einsetzt.

Patricia studiert an der Universität Bern Medizin und engagiert sich dort in der
Nachhaltigkeitskommission.. Allerdings sei diese Arbeit nicht immer ganz einfach, gelte es doch, verschiedene Ansätze von Menschen, die aus dem ganzen politischen Spektrum stammen, unter einem Hut zu bringen. „Die Uni Bern ist eher links geprägt. In Langenthal gelte ich als Mitte, je nach Thema mit leichtem Links – oder Rechtsdrall. In Bern werde ich dagegen als klar Mitte – Rechts eingestuft.“
Die Gleichberechtigung ist aus Patricias Sicht noch nicht vollständig erreicht. „Der Frauenstreik hat aufgezeigt, dass viele Anliegen der weiblichen Bevölkerung noch nicht erfüllt sind“, sagt sie. Allerdings dürfe man Gleichberechtigung nicht mit Gleichheit verwechseln. “ Für sie bedeutet Gleichberechtigung nicht, dass alle das Gleiche machen müssen, sondern dass alle die gleichen Möglichkeiten, Voraussetzungen und Chancen im Leben haben. „Das ist nicht nur für Frauen vorteilhaft.”“

„Auf rechtlicher Ebene wurde in Sachen Gleichberechtigung viel erreicht“, ist Patricia überzeugt. Ausstehend sei unter Anderem noch die Senkung der Mehrwertsteuer auf Damenhygieneartikel, die immer noch als Luxusgüter geführt werden. „Schwieriger ist es, wenn es mehr den gesellschaftlichen Bereich berührt. Die Rollenbilder in den Köpfen der Menschen sind schwer zu ändern.“

Mit Rollenbildern habe es auch zu tun, dass in Langenthal so wenige Frauen in der aktiven Stadtpolitik zu finden sind. „In Langenthal leben viele konservative Menschen, in denen der klassische Lebensentwurf von Frau und Mann noch stark verwurzelt ist“, meint Patricia. Dazu komme: Sind in einer Partei wenige Frauen dabei, ist natürlich die Auswahl für Ämter stark begrenzt.

Ihre Sektion, die Jungliberalen Langenthal und Umgebung, muss jedoch nicht über Frauenmangel klagen, im Gegenteil. Im achtköpfigen Vorstand sind Frauen und Männer gleich vertreten (4:4) und den einzigen Stadtratssitz der JLL hält eine Frau und auch bei den Nationalratswahlen 2019 tritt ein reines Frauenticket an. Laut Patricia sei das nicht unbedingt das Resultat gezielter Frauenakquirierung, sondern bewusst offener Rahmenbedingungen und Eingehen auf die Individuen. . Auch die lokale FDP hat eine Zusammenkunft der FDP Frauen, die auch Themen bespricht, die nahe an den Mitgliedern sind (zum Beispiel die Auswirkungen des Lehrplans 21 oder regionalen Themen wie die Porzi).

Quoten stehen die Jungliberalen eher kritisch gegenüber. Auch Patricia ist von der möglichen Einführung einer Frauenquote nicht begeistert. „Meiner Meinung nach würden Quoten den Frauen schaden. Klar, hätte man da schlagartig mehr Frauen in den Gremien, aber die hätten dann immer mit dem Stigma ‚Quotenfrau‘ zu kämpfen“, erklärt sie ihre Haltung. Quoten würden spaltend und trennend wirken, zudem hafte ihnen etwas Autoritäres und Bevormundendes an. „Frauen schaffen es auch ohne Quoten“, zeigt sich Patricia überzeugt. Und noch einen Negativpunkt zählt sie auf. „Quoten helfen jeweils nur einem bestimmten Segment von Frauen. Die Ausgangslage für alle muss verbessert werden.“

Eben jene Ausgangslage macht es den Frauen schwer, in der Politik Fuss zu fassen. Junge Mütter haben oft schon alle Hände damit zu tun, Kinder und Beruf unter einen Hut zu bringen. Die Präsidentin der FDP Frauen Schweiz, Doris Fiala, äusserte in diesem Zusammenhang vor kurzem die Ansicht, dass Frauen lieber erst später in ihrem Leben in die Politik einsteigen sollten, weil sie sonst in Gefahr liefen, am Spagat zwischen Beruf, Familie und politischem Engagement zu zerbrechen. Müssen Frauen ihr Leben tatsächlich so stark einer Planung unterziehen, wenn sie genau wie die Männer, in allen drei Bereichen nach mehr streben?

Eine schwierige Frage, findet Patricia. „Frauen sollen nicht in jungen Jahren schon eine Entscheidung treffen müssen, wie sie ihr Leben gestalten wollen. In unserer hochtechnologisiertenGesellschaft, die gut ausgebildete Menschen beider Geschlechter braucht, sollte Vereinbarkeit von Familie, Beruf und persönliches Engagement eigentlich selbstverständlich sein..“ Aber auch sie hat sich schon Gedanken über ihre Lebensplanung gemacht. „Meine erste Priorität zurzeit ist die Ausbildung, also der Beruf. Daneben möchte ich noch ein ausgefülltes Leben mit Freunden, Familie und Engagements führen. Politik mache ich aus Überzeugung, sie gehört meiner Meinung nach zu einem erfüllten Leben. Doch meine oberste Priorität, das oberste Ziel ist es, eine gute Ärztin und Medizinerin zu werden, um Menschen zu helfen.”

Auch das Stadtpräsidium ist ein zeitaufwendiger Posten, der mit vielen Pflichten verbunden ist. Bis heute hat sich nur eine Frau dieses Amt zugetraut, Paula Schaub von der EVP, die allerdings im Wahlkampf gegen Thomas Rufener von der SVP gescheitert ist. Mit Reto Müller von der SP ist nun wieder ein Mann am Ruder. Warum war bis jetzt noch keine Frau an der Spitze Langenthals zu finden? „Die Parteien schicken natürlich ihre Spitzenleute ins Rennen, also Menschen, die in Langenthal bekannt und etabliert sind.“, erklärt Patricia. Das führe uns allerdings wiederum zum Anfangsproblem: Hat es schon bei wenig Frauen in der Sektion, so führt das zu weniger Frauen in den anderen politischen Ämtern und dementsprechend wenig Frauen werden überhaupt in Betracht gezogen für das Stadtpräsidium. 

„Wenn die Langenthalerinnen besser im Stadtparlament vertreten sein sollen, müssen sie in erster Linie überhaupt zur Wahl aufgestellt werden“, antwortet Patricia auf die Frage, wie man die schlechte Frauenvertretung in Langenthal verbessern könnte. Um es Frauen gerade am Anfang zu erleichtern, ihre Meinung zu äussern, seien politische Frauentreffs, wie es eben die FDP – und auch die SP – macht, wichtig. In diesen Gesprächen entstünden auch immer neue Sichtweisen und Impulse, die man in den Stadtrat tragen könne.

„Frauen trauen sich den Schritt in den Stadtrat oft nicht zu. Besonders aus Angst, Fehler zu machen. Frauen wollen sich zu 100% sicher sein, es richtig zu machen“, erläutert Patricia und fügt mit einem kleinen Grinsen an: „Es gibt so einen Spruch: Als Frau musst du doppelt so viel arbeiten, um halb so viel Anerkennung wie die Männer zu bekommen.“

Bei den Jungfreisinnigen würden sich immer genügend Frauen für die Liste melden. „Wir haben viele führende, junge Frauen, die nicht schon anderorts  eingespannt sind.“ Junge Menschen, so Patricia, hätten den Vorteil, dass sie offener, weniger voreingenommen zu sein. Das helfe auch den Anliegen der Frauen.

Sie selbst hatte bei der politischen Arbeit in der Kommission nie das Gefühl, dass ihr Geschlecht zum Nachteil wird. „Als ich zu der ersten Sitzung ging, wurde mir klar, dass ich die einzige Frau, einzige Laie und weitaus die Jüngste in der Kommission bin“, erzählt sie. Alle anderen Kommissionsmitglieder waren älter und viele von ihnen waren in der Baubranche tätig. Manche Fachbegriffe, die im Gespräch gefallen sind, habe sie anfangs heimlich unter dem Tisch gegoogelt. Aber sie stellte schnell fest, dass Verständnisfragen in der Kommission erwünscht sind. „Manchmal braucht es eine unverstellte Sicht auf die Dinge.“

In anderen Bereichen wurde sie durchaus schon mit festgefahrenen Rollenbildern konfrontiert. Als Tochter eines Informatikers zeigte sie früh Interesse für alles Technische und besuchte  Förderkurse im Bereich Computer. Oft war sie das einzige Mädchen. „In vielen Fällen nahm ich deshalb eine Sonderstellung ein.“ Am Anfang habe sie die Aufmerksamkeit genossen. Bis sie bemerkte, dass es sich eher um eine gönnerhafte Aufmerksamkeit handelte. „Oft fragten die Kursleiter dann mich extra, ob ich es auch verstanden hätte oder es wurde nachgehakt, ob ich denn klarkäme mit so vielen Männern.“

Dass Frauen in der Informatikwelt eher als Exotinnen gelten, zeigt auch eine weitere Anekdote von Patricia. Als bei einem Hackerwettbewerb – bei dem Patricia mitwirkte – einmal ein Mädchen gewann, drehte sich das Siegerinterview mit ihr fast ausschliesslich um ihr Geschlecht. Als sie schliesslich gefragt wurde, wie es sich anfühle, als Frau gewonnen zu haben, schnappte sie sich das Mikrofon und sagte: „Ich fühle mich genervt, weil ich die ganze Zeit darüber reden muss. Frag mich was über Informatik!“

“Mit Klischees haben auch Politikerinnen zu kämpfen. Oft werden sie auf ihr Äusseres, oder auf einzelne Handlungen reduziert. So entsteht das Klischee der sehr jungen, sehr linken Politikerin, die ihre BHs verbrennt“, meint Patricia.

Aktionen wie diese (einige JUSO – Frauen verbrannten vor drei Jahren medienwirksam ihre BHs, um auf den Women’s Marsch aufmerksam zu machen) sieht Patricia zwiespältig. „Einerseits finde ich, dass es das Recht der Jungparteien ist, frischen Wind ins Politleben zu bringen und auch zu provozieren. Andererseits geht es bei solchen Aktionen oft um gesellschaftliche Missstände, die politisch schwer zu packen sind. Gerade wenn man bei solchen sehr provokativ vorgeht, erzeugt man tendenziell zusätzlich verhärtete Fronten, was gegenläufig zu unserem Konkordanzsystem ist.“ Gleichzeitig würden einige Politikerinnen unverhältnismässigen Angegriffen, die insbesondere auf Aussehen oder andere politisch irrelevante Merkmale abzielen, ausgesetzt, was ebenfalls nicht zielführend sei.

Patricia sieht guten Mutes in die Zukunft der Frauen. Viele Dinge, die früher undenkbar waren, seien heute selbstverständlich, so  das Frauenstimmrecht, das 2021 den 50. Geburtstag feiern wird. Die Gesellschaft wandele sich – zwar langsam, aber sie tue es. „Aber das Problem mit der Ungleichbehandlung lässt sich natürlich nicht einfach aussitzen!“

1 Kommentar:

  1. Liebes Lama,
    Deine anregenden Fragen zu beantworten war mir eine Freude. Toll, dass du aus unseren quer durch Themen springenden Gespräch einen geordneten Text verfassen konntest ;)
    Dankeschön,
    Patricia

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