Sonntag, 3. November 2019

Sag mir, wo die Frauen sind




Hätte man mir vor vier Jahren gesagt, dass ich einmal eine Blogserie über die Frauenvertretung in der Langenthaler Exekutive – und Legislative schreiben würde, hätte ich vermutlich lachend abgewinkt. Lange Zeit mochte ich mich nicht mit diesen Themen auseinandersetzen. Ich war der festen Überzeugung, dass Frauen die gleichen Chancen haben und sich halt einfach wehren müssten, wenn sie ungerecht behandelt werden. Ich hielt Gleichberechtigung für eine Selbstverständlichkeit. Und über eine gendergerechte Sprache, wollte ich erst recht nicht diskutieren. Als ich nach einer Rede dafür kritisiert wurde, dass ich nur die männliche Form verwendet hatte, reagierte ich beleidigt und wollte nicht einsehen, dass die Kritik vielleicht durchaus ihre Berechtigung hatte. Ich war so überzeugt von mir und meiner Frauen – stellt – euch – nicht – so – an – Haltung, dass ich einen selbstbewussten und ziemlich selbstgerechten Blogeintrag darüber verfasste, dass ich ja gar nicht feministisch sei…

Es war, als hätte ich das Universum herausgefordert. Vielleicht lag es daran, dass Frauen in meinem Umfeld, so sensibel in diesen Fragen waren, dass sie darüber posteten und darüber schrieben, mit welchen Schwierigkeiten die Frauen, gerade in der Politik, zu kämpfen haben. Vielleicht lag es auch an einigen, guten Artikeln, die ich zum Thema Feminismus gelesen hatte. Vielleicht an Diskussionen mit Freudinnen oder vielleicht einfach an meinem persönlichen Reifeprozess. Auf jeden Fall wurde mir plötzlich Schritt für Schritt klar, dass das mit der Chancengleichheit von Mann und Frau nicht  so rosarot war, wie ich mir das eingebildet hatte. Schon gar nicht auf dem politischen Parkett.

Erstaunt registrierte ich zum Beispiel im Wahlkampf um das Stadtpräsidium Bern, dass Kompetenz bei Frauen offenbar ein Hemmschuh sein kann. Sie können offenbar „zu perfekt“ sein, zu „wenig Ecken und Kanten haben“ und „zu perfektionistisch“ sein. Das lernte ich dank diversen Zeitungsartikeln über Ursula Wyss, der damaligen SP – Kandidatin fürs Stadtpräsidium. Ihr wurde ausserdem attestiert „zu wenig mütterlich“ zu sein. Bei Alec von Graffenried dagegen, standen seine Vaterqualitäten gar nicht zu Debatte. Irritiert nahm ich ausserdem zur Kenntnis, wie in Kommentarspalten über Ursula Wyss hergezogen wurde. Als sie auf die Respektlosigkeiten reagierte, die ihr von Medien zugemutet wurde, gab ihr die Öffentlichkeit nicht etwa Recht, sondern kritisierte ihre Empfindlichkeit. Das war keine konstruktive Kritik an eine Politikerin. Das war ein Herziehen über die Persönlichkeit einer Frau, die inhaltlich wenig Angriffsfläche bot, weshalb man einfach auf den Charakter zielte. Ich sah diese Ungerechtigkeit. Statt mich damit auseinanderzusetzen, dachte ich, das sei halt ein Einzelfall und könne einfach passieren. Damit müsse frau umgehen können Und ich ging achselzuckend darüber hinweg.

Dann wurde ein Nachfolger für Bundesrat  Didier Burkhalter (FDP) gesucht. Ich schreibe bewusst, Nachfolger, denn obwohl die Frauen schon damals im Bundesrat untervertreten waren, wollte niemand etwas von einem Anspruch der Frauen wissen. Viel wichtiger sei es, das Tessin wieder einzubinden. Der einzigen Frau im Rennen, Isabelle Moret (FDP), wurde vorgeworfen, sie würde zu sehr auf das Frausein setzen. Bei Ignazio Cassis (FDP), war es hingegen vollkommen okay, wenn er sein Tessiner sein ins Feld führte. So wurde er gewählt, weil er aus der richtigen Region stammt. Und niemand schrie: „Quotenmann“.
Das fand ich dann doch etwas seltsam. 

Bei den letzten Bundesratswahlen hatte der Wind schon so weit gedreht, dass der Ruf nach mehr Frauen im Bundesrat, ernst genommen wurde. Doch auch dieses Mal, mussten sich die Kandidatinnen, Viola Amherd (CVP) und Karin Keller – Suttter (FDP) viel anhören. Während Letztere sich wieder den guten, alten „zu – perfekt“ Vorwürfen stellen musste, versuchten diverse Medien, Ersterer aus einem Gerichtsverfahren, einen Strick zu drehen. Die beiden Frauen wurden gewählt. Dennoch, der Weg dahin war steinig. 

Ich fand das nicht mehr seltsam. Ich fand es entnervend. Und ich konnte nicht mehr schönreden, dass Frauen es in der Politik um einiges schwerer haben, als Männer.
Die Idee, die Frauenvertretung in der Langenthaler Politik näher zu beleuchten, reifte ebenso langsam, wie mein Bewusstsein, dass da national gesehen noch einiges im Argen liegt. Vor Jahren stiess ich in meiner Facebook Timeline auf den Beitrag eines Stadtrates, der die Kommissionszusammensetzung zur Revision des  Wahl – und Abstimmungsreglements bekannt gab. Darunter stand ein Kommentar, der mich innehalten liess. „Ach, können das nur Männer?“ Ich stutzte und sah mir die Zusammensetzung noch einmal an. Es stimmte. Die Kommission bestand tatsächlich nur aus Männern. Das behielt ich im Hinterkopf.

Als ich dann vor etwa einem Jahr begann, die Stadtratssitzungen zu verbloggen, fiel mir der geringe Frauenanteil viel stärker auf. Es sind wenige Frauen im Stadtrat. Aktuell sind acht von vierzig Stadtratsmitgliedern weiblich. Das sind 20 Prozent. In der Exekutive sitzt mit Helena Morgenthaler (SVP) eine Frau. Auch der Blick in die Kommissionen zeigt, dass Frauen eher schlecht vertreten sind. In der Finanzkommission und in der Geschäftsprüfungskommissionen sitzen – Stand heute und nach Webseite der Stadt Langenthal – gar keine Frauen.

Auch ein Blick in die Vergangenheit zeigt einen Frauenmangel. 1968 wurden, nach der Einführung des passiven – und aktiven Wahlrechts für Frauen, drei Frauen ins Parlament gewählt. Gar nicht so schlecht, eigentlich. Sehen wir uns aber die Legislaturperiode von 1981 bis 2016 an, ergibt sich folgendes Bild: Von 229 Personen, die in dieser Zeit im Stadtrat Platz nahmen, waren 62 weiblichen Geschlechts. Das ergibt einen Prozentanteil von 27,07 Prozent.

Heruntergebrochen auf die Parteien ergibt sich folgendes Bild: Die FDP schickte in dieser Zeit 55 Personen in den Stadtrat. Davon waren 11 Frauen. Bei der JLL war es 1 Frau, von insgesamt 8. Für die SP sassen 29 Stadträtinnen im Parlament und 56 Stadträte. Die SVP kommt auf 5 Frauen und 41 Männer. Bei den kleinen Parteien hatte die GLP zwei Männer im Rat und keine Frau (wobei man hier beachten muss, dass sie auch erst 2007 gegründet wurde), die BDP hatte insgesamt 2 Männer und 1 Frau im Rat, die PNOS hatte zwei Männer, die Fola, 1 Mann und 2 Frauen und die GFL 1 Mann. Nur bei den Grünen und der EVP sassen mehr Frauen als Männer im Stadtrat. Bei der EVP sind es 8 Frauen und 7 Männer, bei den Grünen 3 Frauen und 2 Männer. 

In der aktuellen Legislatur, die noch bis 2020 dauert (entsprechend wird es noch zu Änderungen kommen) sassen zusammengerechnet übrigens 16 Frauen und 36 Männer im Parlament. Und auch hier sind EVP und die Grünen sehr ausgeglichen. Sie schickten bis jetzt (inklusive Parteilose) gleich viele Männer, wie Frauen ins Parlament (Aktuell sitzen in der EVP aber nur Männer im Stadtrat.) Bei der GLP rückte eine Frau für einen Mann nach, weshalb auch dort Gleichstand ist. Die SP dagegen hatte in der laufenden Legislatur 4 Frauen und 10 Männer im Rat, die SVP 2 Frauen und 10 Männer und die FDP 10 Männer und drei Frauen. Die JLL hält ihren einzigen Sitz mit einer Frau. 

Schliesst von den Zahlen nicht auf die Sitzverhältnisse. Die Mutationen sind inbegriffen, das heisst, eine Partei die viele Wechsel hat, hat natürlich auch mehr Personen, die mal im Stadtrat gesessen sind. Trotzdem zeigen die Zahlen deutlich: Es gab weitaus weniger Frauen, die in der Legislative aktiv waren, als Männer. Das zeigt auch einen Blick auf die Liste der vergangenen Stadtratspräsidenten – und Präsidentinnen. Seit 1968 übten sechs Frauen dieses Amt aus (immerhin: bald sind es sieben). Und in der Exekutive? 1992 wurde die erste Frau in den Gemeinderat gewählt, Therese Brändli. Ihr folgten Laura Baumgartner (SP) und Gerda Sinzig (SP) Danach gab es noch drei Gemeinderätinnen. Paula Schaub (EVP), Christine Bobst (JLL) und, aktuell Helena Morgenthaler (SVP).  

Um es mit einem Bild zu verdeutlichen: Würde man alle Langenthaler - Gemeinderätinnen zusammennehmen, bekäme man nicht einmal einen kompletten Gemeinderat. Und was das Stadtpräsidium angeht: Das ist fest in Männerhand. Wir hatten – mit Ausnahme einer kurzen Überbrückung durch Laura Baumgartner – noch nie eine Stadtpräsidentin.

Das alles führt zu der Frage: Wo sind sie denn, die Frauen?

Wieso haben wir so wenige Frauen im Parlament? Braucht es mehr Frauen in der aktiven Langenthaler Politik? Liegt es an fehlenden Strukturen? Spielt das Geschlecht wirklich keine Rolle in der Politik? Wie kann man mehr Frauen für ein politisches Amt motivieren? Welche Faktoren führen dazu, dass Frauen sich so ein Amt weniger zutrauen? Wieso hatten wir noch nie eine Stadtpräsidentin? Fragen, denen ich nachgehen wollte. Und ich tat es, indem ich diejenige fragte, die es betrifft: Frauen, die aktiv in der Langenthaler Politik sind, die sich engagieren und einsetzen. Wie sehen sie denn das? Wie war ihr Weg in die Politik? Was sind ihre Erfahrungen? Herausgekommen sind sieben Porträts, in denen Frauen aus Langenthal erzählen, ihre Sichtweise darstellen und ihre Positionen darlegen.  

Und von diesen sieben Frauen durfte ich Porträts anfertigen:
-      Laura Baumgartner (SP)
-      Patricia Fehrensen (JLL)
-      Saima Sägesser (SP)
-      Renate Niklaus (GLP)
-      Beatrice Lüthi (FDP)
-      Dorette Balli (SP)
-      Carole Howald (JLL)

In der nächsten Woche werde ich jeden Tag ein Porträt posten. In der Hoffnung, dass es nicht nur Diskussionen anregt, sondern auch viele Frauen inspiriert und motiviert, ihren Weg in der Politik zu finden und auch zu gehen. 

(Die Zahlen sind den Buch "Demokratie im Herzen der Schweiz, 100 Jahre Gemeindeparlament Langenthal", geschrieben von Simon Kurt, entnommen. Simon Kurt war auch so nett, für mich die Namen der Gemeinderätinnen herauszusuchen. Danke dafür!)

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