Montag, 23. November 2020

Das wohl kürzeste andere Stadtratsprotokoll aller Zeiten

Weihnachten naht mit grossen Schritten und ich bin ja in dieser Zeit ohnehin immer etwas emotional aufgeladen. Tatsächlich führt schon der Anblick von bunt geschmückten Zweigen bei mir zu sehnsuchtsvollen Seufzern. Zudem verspüre ich von morgens bis abends den schier unstillbaren Drang Weihnachtslieder zu schmettern. Und wenn Weihnachtswerbung über den Bildschirm flimmert, breche ich schon mal spontan in Tränen aus.

Auch ansonsten bin ich gerade in nostalgischer Stimmung, denn es naht sich der Augenblick, wo ich mich von „meinem“ Stadtrat verabschieden muss: Nächste Woche sind Gesamterneuerungswahlen und das bedeutet, dass sich der Stadtrat bald anders zusammensetzen wird. Dabei habe ich mich so an die jetzigen Stadtratsmenschen gewöhnt! Ich weiss, wer von ihnen eher lange Voten hält, wer sehr pointiert auftritt, wer sich lieber kurz hält, wer zu poetischen Übertreibungen neigt und wer lieber mit dem rhetorischen Zweihänder zuschlägt (tatsächlich war ich beim Ausfüllen der Wahlunterlagen für einen klitzekleinen Moment versucht, einfach noch einmal alle Stadträt*innen zu wählen, die bereits jetzt dabei sind, damit ich mir keine neuen Namen merken muss. Aber das fand ich dann doch eine ziemlich dämliche Entscheidungsgrundlage).

Also setzte ich mich diesmal mit ein wenig Wehmut in die Westhalle des Parkhotels (das sich übrigens so mit Weihnachtsdekoration behangen hat, dass man sich kurzfristig am Hof von Santa Claus wähnte) und tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich ja noch zwei Stadtratssitzungen in alter Besetzung protokollieren darf. Aber wie das Leben so spielt: Diese Stadtratssitzung entpuppte sich schnell als äusserst kurzes Vergnügen, fast so, als hätten die streitbaren Stadtratsmitglieder beschlossen, für einmal vorweihnachtliche Harmonie zu versprühen.

Im gewissen Sinne war die Sitzung vor allem eine grossangelegte Aufräumaktion, denn bei zwei der sechs Traktanden handelte es sich um die gefürchteten zweite Lesungen (hier an dieser Stelle bitte vorstellen wie es draussen blitzt und donnert). Unter anderem kamen die Betreuungsgutscheine wieder aufs Tapet. Wir repetieren mal kurz: In der Stadt Langenthal sollen sogenannte Betreuungsgutscheine eingeführt werden. Das heisst, dass nicht mehr einfach Kitaplätze – also das Angebot – subventioniert werden, sondern dass die Familien, die Anspruch darauf geltend machen können, Betreuungsgutscheine von der Stadt erhalten, die sie für die Kita ihrer Wahl einlösen können. Damit würde also quasi die Nachfrage subventioniert werden.

Dass das Sinn macht, darin war sich der Stadtrat eigentlich einig, aber er wollte noch einiges nachgebessert, beziehungsweise geklärt haben. Zum Beispiel verlangte die SVP, dass der für die Umstellung notwendig gewordene Stellenetat nicht um hundert, sondern nur um fünfzig Prozent erhöht wird (wie viel wetten wir, dass der dann wieder in die Höhe geschraubt werden muss, weil es eben doch nicht reicht?)

Die GPK dagegen wollte geklärt haben, wie die Stadt verfahren soll, wenn der Kanton seine finanzielle Beteiligung zurücknehmen würde (was jetzt bei dem notorisch klammen Kanton Bern tatsächlich kein so unrealistisches Szenario ist. Aber zum Glück ist der Kanton ja auch bekannt für sein grosses soziales Herz und seine Grosszügigkeit gerade im Familienbereich…ah nein, sorry, stimmt ja gar nicht, der ist ja bekannt für seine Grosszügigkeit im Bereich der Unternehmenssteuern).

Gemeinderat Matthias Wüthrich (Grüne) konnte in der heutigen Stadtratssitzung stolz verkünden, dass seine fleissigen Ressortbienchen die Änderungen umsetzen konnten. So wurde festgelegt, dass im Falle eines Rückzugs des Kantons, die Stadt für sechs Monate die Zahlungen übernimmt und in dieser Zeit nach einer längerfristigen Lösung gesucht wird.

Da damit die beiden wichtigsten Punkte erfüllt wurden, hatten Geschäftsprüfungskommission und Fraktionen nur noch Einzelheiten zu bemängeln, die für den Inhalt der Vorlage jetzt nicht so die Riesenrolle spielten. Ins Schwitzen kam Matthias Wüthrich nur kurz beim Einwand von Diego Clavadetscher (FDP), der sich darum sorgte, ob sich beim Anspruch der Betreuungsgutscheine das kantonale und das städtische Recht nicht beissen, weil das eine den absoluten Anspruch einräumt und das andere nicht. Wüthrich verstand die Frage aber erst falsch, mit dem Resultat, dass die beiden Männern an sich gegenüberliegenden Mikrofons standen und verwirrte Blicke quer durch den Saal austauschten.

(Das war fast wie bei den Battles von „The Voice of Germany“. Halb habe ich ja erwartet, dass beide das Mikrofon vom Ständer reissen und eine fetzige Version vom ABBA – Hit Money, Money, Money zum Besten geben, während ihre jeweiligen Fraktionen den Backgroundsound übernehmen. Wer ist noch dafür, dass im Stadtrat mehr gesungen werden sollte? Ein gesungener Jahresbericht hätte einfach viel mehr Drive!).

Ganz wie es sich für die vorweihnachtlich herrschende Harmonie geziemt, löste sich der kurze Unfrieden dann schnell wieder auf. Matthias Wüthrich wurde vom jähen Verständnis für seinen besorgten Kameraden ergriffen und konnte ihn beruhigen, so dass sich auch Diego Clavadetscher der allgemeinen frohen Stimmung anschloss und dem Geschäft zustimmte. Auch die Abstimmungsbotschaft, die sonst öfters vom Stadtrat geradezu liebevoll zerpflückt, in ihre Einzelheiten zerlegt und wieder zusammengesetzt wird, passierte kommentarlos alle Abstimmungen. Ein wunderbares Ende, das einem Dickens – Roman würdig wäre.

Einen Haken gibt es allerdings. Durch das erneute Überarbeiten der Vorlage ging so viel Zeit verloren, dass die Betreuungsgutscheine nicht wie geplant am 1. Januar, sondern erst am 1. August eingeführt werden können, weshalb Langenthal später als die umliegenden Gemeinden umschaltet. Das ist eben die Konsequenz von zweiten Lesungen: Sie verlangsamen einfach die Prozesse ungemein und können sich im schlimmsten Fall nachteilig für Langenthal auswirken und einen Mehraufwand für die Verwaltung bedeuten.

Das nächste Traktandum hatte schon einmal die Ehre im Stadtrat vorgestellt zu werden: Die Aufhebung der Theaterkommission, deren Kompetenzen neu in die Kulturkommission überführt werden. Eigentlich war diese Auflösung Teil des überarbeiteten Kommissionsreglements. Weil vom Stadtrat allerdings zahlreiche Änderungs – bzw. Abklärungsanträge eingingen (ich meine mich zu erinnern, dass sie hauptsächlich von der FDP kamen), muss die Stadt nochmal über die Bücher.

Tatsächlich verlangen die Fragen offenbar eine so detaillierte Abklärung, dass der Gemeinderat ein politisches Gremium ins Leben rufen will, dass sich damit beschäftigt. Also quasi eine Kommission, die sie neben den anderen bereits existierenden Kommissionen um die Regelungen betreffend der Kommission kümmert. Oder eine Behörde, die sich um ein behördliches Behördenreglement kümmert. Der Gemeinderat erachtet es jedoch als wenig sinnvoll, dieses Vorhaben noch in dieser Legislatur in Angriff zu nehmen, weshalb er es erst in der nächsten umsetzen will.

Die Auflösung der Theaterkommission sollte aber möglichst rasch von statten gehen, weil man ansonsten, blödsinniger Weise, anfangs der nächsten Legislatur noch einmal eine Theaterkommission wählen musste, nur um sie später wieder aufzulösen. Deshalb hat man beschlossen, diesen Teil des Kommissionsreglements separat zu behandeln (das klingt alles sehr logisch. Ich hoffe nur, es endet nicht wie bei der nichtständigen Kommission, die für die Überarbeitung des Wahlreglements zuständig war und einen so komplizierten Papiertiger fabrizierten, dass jede/r Einwohner*in eigentlich eine eigene Kommission bräuchte, um es zu verstehen).

Da die Aufhebung der Theaterkommission schon bei der ersten Lesung unumstritten war, überraschte es nicht, dass die Stadträt*innen dem Anliegen wohlgesinnt waren. Lediglich Patrick Freudiger (SVP) zeigte sich ein wenig mürrisch. Die Aufgaben und Kompetenzen der bisherigen Theaterkommission werden ja neu in die Kulturkommission überführt, wo neu auch vier Fachleute einen festen Platz haben werden. Freudiger fand, das stünde och arg quer in der Landschaft, da andere Kommissionen Fachleute zwar hinzuziehen können, sie aber keine festen Sitze haben.

Das wog dann allerdings nicht so schwer, dass Freudiger dem Geschäft seine Stimme verweigert hätte. Auch hier zeigte der Stadtrat eine fast schon beängstigende Eintracht und machte es amtlich: Die Theaterkommission wird aufgelöst (und wenn ich jetzt noch einmal das Wort Kommission schreiben muss, stecke ich meine Hand in die Fritteuse!)

Die einzige Motion auf der Aufgabenliste des Stadtrates, stammte von Stefanie Loser – Fries und behandelte die nicht ganz optimale Verkehrssituation im Dennlirain. Dort ist es relativ unübersichtlich, weil die Verkehrsteilnehmenden aus verschiedenen Richtungen kommen und von Velo bis LKW alles dabei ist. Der Gemeinderat hat sich der Thematik angenommen, befand aber, dass der Schwerverkehr auf diesem Abschnitt doch eher selten vorkommt und dass gefährliche Situationen durch eine vorausschauende und vorsichtige Fahrweise vermieden werden können.  

Stefanie Loser – Frieser, konnte selbst  nicht anwesend sein, weshalb ihr angetrauter Ehemann für sie die Stellungnahme verlas, in der sie deutlich machte, dass sie nicht ganz einig ist, mit der Einschätzung des Gemeinderates. Der Stadtrat sah es hingegen ähnlich wie die Exekutive. Stefan Grossenbacher von der SVP befand, dass dieses Problem auch ohne Geld gelöst werden kann, denn schliesslich könne sich da jeder selber an der Nase nehmen (das muss die berühmte Eigenverantwortung sein, die bekanntlich schon beim Umgang mit Corona einen durchschlagenden Erfolg erzielen konnte…)

Die Motion wurde abgeschrieben und damit endete die wohl kürzeste Stadtratssitzung aller Zeit. Fast spielte ich mit dem Gedanken noch schnell einen Tumult zu inszenieren, einfach damit zumindest noch ein bisschen Streitlust und Action aufkam, aber das fand ich dann doch ein wenig kindisch. So blieb es mir nur mein Bündel zu schnüren und zum zweitletzten Mal einen melancholischen Blick über die Stadträt*innen schweifen zu lassen. Nur noch einmal, dann trennen sich unsere Wege….zum Teil zumindest *schluchz*.

Hat mir jemand ein Taschentuch?

Best of

„Werte Gäste…haben wir heute überhaupt Gäste?“ Stadtratspräsident Paul Bayard (SP) ist sich nicht sicher, ob die Sitzung wirklich so ein Zuschauermagnet ist. Das ist sie allerdings meistens nur, wenn es um die Schulen oder um den SCL geht.

„Der Gemeinderat und der Stadtschreiber sind vollständig anwesend!“ Wieder Paul Bayard, der sich über die körperliche Unversehrtheit der Exekutive führt. So ein halber Stadtschreiber wäre auch irgendwie unappetitlich.

„Liebe Alle…“ Nach so vielen Sitzungen findet Sandro Baumgartner (SP) endlich ein profanes Mittel, die Redezeit in Grenzen zu halten, indem er die Begrüssungsformel rigoros kürzt.

„Im Theaterreglement steht was von Hochkulturen… laut Duden handelt es sich bei einer Hochkultur um ein Volk.“ Renate Niklaus (GLP) stolpert über die Formulierungen betreffend Benutzung des Stadttheater. Wahrscheinlich wollte man einfach festhalten, dass wenn die Inkas bei uns im Stadttheater feiern wollen, sie das selbstverständlich tun dürfen.

„Bei dem was heute alles so aufgeführt wird, kann man sich schon fragen, was heute alles als Kultur bezeichnet wird.“ Patrick Freudiger (SVP) geht unter die Theaterkritiker.

„Herr Vorsitzender…“ Wieder Freudiger, der sich kurzzeitig im Gerichtssaal zu wähnen scheint.

„Dann kannst du den Faden wieder suchen.“ Handarbeitslehrerin Reto Müller (SP).

 

 

 

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