Prolog
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Hallo und herzlich
willkommen zum einzigartig weihnachtlichen Liveticker zur Stadtratssitzung,
geschrieben vom wunderbar witzigen und cleveren Weihnachtslama. Wie lässt sich
die Adventszeit auch besser einläuten als mit einer schönen knackigen
Stadtratssitzung, heute mit den alljährlichen Weihnachtshits «Fröhliche
Stadträt:innen überall» und «Der Gemeinderat durch den Dornwald ging.» Viel
Spass!
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Hahaha, weil ich mich
letztmals darüber beklagt habe, keine gesonderte Begrüssung zu erhalten,
bekomme ich sie diesmal. Ah, ich liebe es Macht und Einfluss zu haben…nicht
mehr lange und alle tanzen nach meiner Pfeife…muahahaha!
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Erst einmal gibt es
Wahlen. Ersatzwahlen für Kommissionen. Und die gehen natürlich immer sehr
harmonisch vonstatten, schliesslich ist man froh, wenn man überhaupt noch Leute
findet, die sich freiwillig mit so aufregenden Themen wie «korrekte
Bepflasterung der Marktgasse» auseinandersetzen möchten, zumal der Stadtrat den
Kommissionsmitgliedern nicht einmal mehr das jährliche Weihnachtsessen gönnt.
Ich weiss nicht, wie es euch geht, aber ich arbeite für niemanden, der mich
nicht regelmässig füttert.
Teil 1: Hurra,
die Welt geht unter!
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Beim ersten
«richtigen» Traktandum wenden wir uns zur Abwechslung mal wieder einem
Reglement zu, und zwar dem Reglement über den Bevölkerungsschutz und
Zivilschutz, das, wie Ressortvorsteher Markus Gfeller (FDP), bemerkt, zum
ersten Mal am 21. März 2021 dem Stadtrat vorgelegt wurde – als sehr viele der
aktuellen Stadträt:innen noch gar nicht im Parlament waren. Aber für
Langenthaler Verhältnisse ist das fast schon schnell. Wenn wir lange genug
suchen, finden wir sicher noch hängige Vorstösse aus Zeiten, wo die Hälfte des
Stadtrats noch nicht einmal geboren war.
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Jetzt muss man ja
ehrlich sagen, dass dieses Reglement wahrscheinlich vor ein paar Jahren noch
ein müdes Schulterzucken ausgelöst hätte, denn was interessieren uns die
Katastrophen von morgen, wenn’s jetzt gerade geil ist? Corona und der Angriffskrieg
von Russland gegen die Ukraine haben uns dann aber schmerzhaft vorgeführt, dass sich
Seuchen, Kriege und Katastrophen von einem gequäkten «Die Schweiz ist imfall
unabhängig und neutral» nicht wirklich aufhalten lassen und deshalb hat das
Reglement neue Brisanz gewonnen.
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Der Gemeinderat hat
nun für die zweite Lesung, die im Stadtrat eingereichten Anträge bearbeitet und
– ungewohnt folgsam - diese grösstenteils aufgenommen. Dem Stadtrat bzw. der GPK, ist es insbesondere
wichtig, dass das Funktionieren der Behörden auch während einer länger
dauernden Notlage, gewährleistet ist. Denn, wir erinnern uns, beim Ausbruch von
Corona, wurden zum Beispiel die Stadtratssitzungen abgesagt, um Ansteckungen zu
vermeiden (böse Zungen könnten jetzt sagen, dass der Gemeinderat vielleicht
auch einfach mal ein paar Wochen Ruhe vor seiner persönlichen Nemesis haben
wollte). Der Gemeinderat ist allerdings der Meinung, dass dieses Funktionieren
an anderer Stelle geregelt muss, weil das ja nichts direkt mit dem Schutz der
Bevölkerung zu tun hat. Werden wir zum Beispiel von einer Horde Drachen
attackiert, wird uns das Abhalten von Stadtratssitzungen kaum retten (ausser,
die Drachen tauchen während der Bearbeitung des Mehrwertabgabereglements auf,
dann langweilen sie sich vielleicht zu Tode und stürzen vom Himmel).
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Die SP/GL Fraktion
dagegen hat beantragt, dass der kommunale Führungsstab, der für solche
Katastrophenfälle geplant ist, mit der Leitung Fachbereich Kommunikation zu
ergänzen ist. Der Gemeinderat ist allerdings der Meinung, dass es wenig Sinn
macht, aus verschiedenen Quellen zu kommunizieren und will die
Informationsfreigabe lieber über das regionale Führungsorgan (RFO) abwickeln
lassen. Vielleicht besser so. Bis die Stadt Langenthal ein entsprechendes
Gesamtkonzept für die optimale und einheitliche Kommunikation verabschiedet
hätte, wären wir längst alle tot.
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Markus Gfeller
scheint sich bei Roberto di Nino Inspiration geholt zu haben und präsentiert ein Diagramm, um zu zeigen wie dieses regionale Führungsorgan organisiert ist.
Es ist zwar unleserlich, aber immerhin in hübschen leuchtend grünen Farben
angestrichen, die wohl die Gefahrensituation symbolisieren soll. Oder derjenige,
der die Folie gestaltet hat, ist akut farbenblind.
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Ein weiterer Antrag
von der SVP verlangt eine Funktionszulage für die Mitglieder der RFO. Diesen Punkt hat der Gemeinderat bereits angepasst, und zwar im Besoldungsreglement.
Ich bin ehrlich überrascht, dass die SVP zur Abwechslung mal Menschen im
öffentlichen Dienst, ordentlich bezahlen will. Es geschehen noch Zeichen und
Wunder – das muss der Geist der Weihnacht sein.
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Die GPK dagegen
möchte, dass ein Reglement zu den Notmassnahmen zu erarbeiten ist (erstaunlich,
dass es dem Stadtrat immer wieder gelingt Bereiche zu finden, für die
tatsächlich noch kein Reglement existiert). Zudem will die GPK nicht von einem «Führungsstab»
reden, sondern lieber von einem «Kommunalen Beratungsgremium». Der Gemeinderat hat
sich jedoch noch einen hübscheren Begriff ausgesucht: «Kommunale Task Force
Bevölkerungsschutz». Wow. Jetzt fühle ich mich doch gleich viel sicherer.
Teil 2: Tennis, Ping
– Pong… halt irgendwas mit Bällen!
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Die Debatte geht
weiter mit Diego Clavadetscher (FDP), der als Sprecher der GPK das tut, was er
am liebsten tut: Er zitiert sehr viele Paragrafen, während der Rest der
Stadträt:innen versucht so zu wirken, als könnten sie ihm tatsächlich folgen.
Parallel dazu, rutscht der Techniker am Boden rum und nestelt an der
Steckerleiste rum, was ein wenig den Eindruck erweckt, als wolle er dem
parlierenden Clavadetscher den Stecker ziehen.
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Martin Lerch (SVP)
erinnert uns alle nochmals daran, dass die Sicherheitslage sich nicht
verbessert hat. Zwar habe sich die die Pandemie abgeschwächt, dafür hätten wir
Versorgungsprobleme, weshalb es wichtig sei, dass doch inzwischen 26 – jährige Reglement
auf Vordermann zu bringen. Er streicht zudem hervor, dass bei der Erarbeitung
des Reglement, keine teuren Expert:innen eingesetzt werden mussten und das
Resultat trotzdem gut geworden sei. Zudem freut er sich über den neudeutschen
Begriff «Task – Force», was mir persönlich ein Rätsel ist. Ich dachte, er als
strammer SVPler würde eher auf einen heimischeren Namen setzen. Wie zum
Beispiel «Edelweisstruppe» oder «Tell – Kommando.»
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André Rentsch
(FDP/JLL) zeigt sich erfreut, über den Tennis bzw. Pingpongmatch, der sich in
Vorbereitung auf das Geschäft, zwischen GPK und Gemeinderat entsponnen hat. Stelle
mir gerade vor, wie Markus Gfeller ganz alleine gegen die GPK Mitglieder im
Ping – Pong antritt, sie sich gegenseitig die Bälle um die Ohren schlagen und
sich dabei Dinge zurufen wie: «Nimm den
Antrag zurück!» «Nein, du musst den Paragrafen ändern, du Nuss!»
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Der Stadtrat
unterstützt einstimmig die GPK bzw. den Stadtrat. Solche ungewohnte Einigkeit.
Müssen die Weihnachtshormone sein, vermutlich haben alle zu viel Lebkuchen
gegessen und sind jetzt so satt und glücklich, dass sie sich gar nicht mehr
streiten mögen. Das Reglement wird nämlich, mit den vorgenommenen Anpassungen,
auch einstimmig gutgeheissen. Fehlt nur noch der Engel, der vom Himmel schwebt,
Glitzer streut und «Gott schütze jeden von uns» ruft, dann kotze ich Regenbögen
vor lauter Rührung.
Teil 3: Und es ward
geschrieben…
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Eigentlich dachte ich
ja, wir hätten das Budget endgültig hinter uns gelassen, aber weil mich das
Leben nun einmal gerne verarscht, kommt es natürlich wieder. Wie so ein fieser
Pickel am Hintern, den man einfach nicht wegbekommt. Gut, wenigstens geht es
nicht direkt ums Budget, sondern um die dazugehörige Abstimmungsbotschaft. Ihr
kennt doch alle diese Büchlein, die den Abstimmungsunterlagen beigelegt sind
und wo der Inhalt der Vorlagen, sowie die Empfehlungen der Exekutive und
Legislative ausführlich beschrieben werden? Also das Buch, das ihr immer
ungelesen in den Abfallkorb schmeisst? Das sind Abstimmungsbotschaften.
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Im Falle dieser speziellen
Abstimmungsbotschaft zum Thema Budget ist die Sachlage ein wenig kompliziert. Eigentlich
ist die nämlich schon einmal im Stadtrat gewesen und das Stadtratsbüro wurde
mit dem weiteren Vollzug beauftragt (was so viel heisst wie: wir – also der
Stadtrat – haben entschieden, formuliert unsere komplizierten Debatten bitte
so, dass alle kapieren, um was es geht). Wie Stadtratspräsidentvize Michael
Schenk (SVP) erläutert, ist es dem Büro aber aufgrund der vielen Änderungen wichtig,
dem Stadtrat den Entwurf noch einmal vorzulegen. Laut ihm, sei das offenbar die
richtige Entscheidung gewesen, weil der Stadtrat wirklich noch Anträge
eingereicht hat. Ähm, ja, also wenn du diesen Stadtrat irgendwas fragst, ist
klar, dass er auch darauf antwortet, wir reden hier immerhin vom Stadtrat, der
fast acht Stunden lang über dieses verdammte Budget debattiert hat, Mensch!
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Diego Clavadetscher
hofft dann auch, dass dieses Beispiel nicht Schule macht, denn schliesslich
komme man ja nicht vorwärts, wenn jede Botschaft dreimal durch den Stadtrat
komme. Obwohl er das Stadtratsbüro für seine Arbeit schätzt, ist er trotzdem
ist er nicht ganz zufrieden mit der Botschaft. Insbesondere der geschilderte
Verlauf der Stadtratsdebatte ist ihm ein Dorn im Auge. Seiner Meinung nach, müsse eine Abstimmungsbotschaft
neutral gestaltet werden deshalb sollen Parteien und Stadträt:innen nicht
namentlich mit ihrem Abstimmungsverhalten erwähnt werden. «Das ist Aufgabe der
Medien und der Blogger…Bloggerinnen», meint er. Genau, für den Rufmord bin ich
hier zuständig…äh, ich meine natürlich für die Transparenz *hust* *hust*.
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Auch die anderen
Bürgerlichen stören sich daran, dass das Abstimmungsverhalten der einzelnen Parteien
so deutlich hervorgehoben wird, insbesondere weil die vielfältigen Gründe für
die Zustimmung zum Budget wenig beleuchtet werden. Seltsam findet man es auch,
dass Enthaltungen nachträglich begründet wurden. Es sei ein «Kunststück, die
Meinung von jemanden wiederzugeben, der gar nie eine Meinung geäussert hat»,
stellt Patrick Freudiger (SVP) süffisant fest.
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Saima Sägesser
(SP/GL) findet die Botschaft dagegen gut, transparent und klar und macht deutlich,
dass ihre Fraktion den von den Bürgerlichen vorgeschlagenen Änderungen nicht
zustimmen wird. Trotzdem wird der Antrag der SVP/FDP Fraktion angenommen. Richtig
so! Wer will denn auch schon eine Abstimmungsbotschaft, in der man ganz einfach
und deutlich nachlesen kann, wer wie abgestimmt hat? So einfach darf man es dem
Volk nicht machen, Politik muss unbedingt möglichst undurchsichtig bleiben!
Teil 4: Keine Macht dem
Proletariat
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Das nächste Traktandum
stand schon dreimal auf der Liste, was wahrscheinlich eine Art Rekord ist. Es
wurde immer wieder aufgeschoben, weil die Sitzungen aufgrund der ausufernden
Budgetdebatten immer abgebrochen werden mussten. Aber jetzt ist es endlich da
und ich freue mich riesig, weil es sich nämlich um eines meiner Lieblingsthemen
dreht: Vereinfachte politische Mitsprache. Es geht um die Einführung eines
Bevölkerungsvorstosses.
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Michael Schenk (SVP) übernimmt
erneut die Berichterstattung für das Stadtratsbüro und erläutert den Vorstoss.
Volljährige Langenthaler:innen sollen die Möglichkeit erhalten, mit 40
gesammelten Unterschriften einen Vorstoss, eine Motion oder eine Interpellation
in den Stadtrat zu bringen. Das Büro begrüsse, ebenso wie der Gemeinderat,
diesen Vorstoss, es sei allerdings noch die Frage zu klären, ob die Regelung in
der Stadtverfassung oder in der Geschäftsordnung festgehalten werden soll. Bei
ersterem zöge das eine Abstimmung nach. Zudem wäre zu überlegen, ob die Anzahl
der Unterschriften höher anzusetzen sei. Trotzdem empfiehlt das Büro dem
Stadtrat, den Vorstoss gutzuheissen.
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Georg Cap (Grüne),
Motionär, freut sich über die befürwortende Stellungnahme von Stadtratsbüro und
Gemeinderat. Die Bevölkerung habe das Bedürfnis mitzureden, weil unsere
hochgelobte direkte Demokratie ebent nicht immer so direkt sei, wie sie sein
könnte, zeigt er sich überzeugt. Zwar seien die politischen Mitsprachrechte gross,
dennoch gebe es Menschen, die sich von Parteien nicht vertreten fühlen. Auch diesen
solle es möglich sein, politisch mitzuwirken, so Cap. Daneben gebe es auch
Bevölkerungsgruppen, die gar keinen Zugang zur Politik hätten. «Ausländer:innen,
die zwar schon lange hier leben, Steuer zahlen und arbeiten, aber wenig Zugang
zu politischen Gremien haben und ausgeschlossen vom politischen Diskurs sind.»
Weiter argumentiert er, dass in einer städtischen Gemeinschaft, jede:r die Möglichkeit haben soll, politische Themen
einzubringen– unabhängig vom Schweizer Pass. Der Bevölkerungsvorsoss verletze keinerlei
politische Rechte und um zu vermeiden, dass es zu einer Flut von
Bevölkerungsvorstössen komme, könne die Anzahl Unterschriften beliebig hoch
gesetzt werden und selbst wenn das Instrument nur wenig genutzt werde, habe es
seinen Zweck bereits erfüllt. «Wir haben nichts zu verlieren, aber viel zu
gewinnen», schliesst er sein Votum. Amen.
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Zu meinem grossen Erstaunen,
stösst er auf der bürgerlichen Ratsseite auf mehrheitlich taube Ohren. Und
erstaunt bin ich vor allem deswegen, weil die Bürgerlichen sonst stets auf den
gesunden Menschenverstand der Bürger:innen verweisen, wenn es darum geht,
Expertenmeinungen abzuwerten, genau denselben Bürger:innen aber offensichtlich
nicht zutrauen, sich aktiv politisch einzubringen. So stimmt Pascal Dietrich
(FDP/JLL) den Motionär:innen insofern zu, dass politische Partizipation wichtig
sei, befürchtet aber grosses Frustpotential bei der Bevölkerung, wenn ihre
Vorstösse wenig Erfolg hätten oder ihre Bearbeitung länger dauern würde. Bitte.
Das Einzige, was mich gerade WIRKLICH frustriert, ist die Tatsache, dass man
mir als Bürgerin offenbar nicht einmal zutraut, adäquat mit Frust umzugehen.
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Ein weiterer
Kritikpunkt betrifft die Zielgruppe des Vorstosses. Mike Siegrist (EVP) gibt zu
bedenken, dass diejenigen Menschen, die zu einem solchen Mittel greifen,
einerseits politisch geschult sein müssen, es aber unwahrscheinlich sei, dass
diese dann nicht die Möglichkeit hätten, sich anderswo im politischen Prozess
einzubringen. Patrick Freudiger (SVP) ist zudem der Ansicht, dass die
politischen Instrumente ausreichend seien, so existiere bereits ein
Petitionsrecht und für Ausländer: innen gebe es zudem immer die Möglichkeit,
sich einbürgern zu lassen, ganz nach dem Motto: Erst den Schweizer Pass, dann
der Abstimmungsspass.
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Besonders scheint
sich der Stadtrat aber um seine eigene Exklusivität zu sorgen. Man stelle dem
Stadtrat mit diesem Anliegen ein schlechtes Zeugnis aus, moniert Freudiger,
denn schliesslich sei man die Vertretung des Volkes und bringe dessen Anliegen
sehr wohl ein. Er spricht gar von einem «Downgrade» des Stadtrats. Für seinen
Parteikollegen Martin Lerch, wird der Bogen der direkten Demokratie mit diesem
Vorstoss überspannt. Was für ein radikal absurder Gedanke, dass Menschen
in Langenthal einfach selbst ihre Ideen einbringen könnten, ohne vorher
Stadträt:innen um ihren erlauchten Rat zu bitten! Das pure Chaos würde
ausbrechen!
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Mit Saima Sägesser
(SP) und Fanny Zurn (Grüne) versuchen zwei weitere Vertreter:innen von Links
das Parlament vom Konzept einer Bevölkerungsvorstosses zu überzeugen. Während
Saima Sägesser die Anwesenden darum bittet, nicht nur von sich selbst auf
andere zu schliessen, betont Fanny Zurn, dass ein grosser Teil der Bevölkerung
von der Partizipation ausgeschlossen sei, weil das politische System eben gar
nicht so leicht zugänglich sei, wie man immer tue, namentlich für Menschen im
Service, in der Pflege oder im Transportwesen, die schon aus zeitlichen
Gründen, nicht einfach überall teilnehmen könnten. Das habe Auswirkungen auf
das gesellschaftliche Leben. Würden Probleme nicht gehört und gesehen, wachse die
Frustration. Zudem erinnert sie an das erfolgreiche Jugendpostulat zum Thema
Klimanotstand, das damals, ganz ohne Unterstützung von Stadträt:innen, den Weg
ins Parlament gefunden hat.
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Die Bürgerlichen
schaffen es unterdessen, sich laufend selbst zu widerlegen, indem sie standhaft
behaupten, die Anliegen der gesamten Bevölkerung zu vertreten, dann aber
hauptsächlich wahlweise von ihren eigenen Erfahrungen im Ausland (Martin Lerch)
oder ihrem erfolgreichen Einbürgerungsprozess (Corinna Grossenbacher, SVP) zu
erzählen. Warum mit dem Volk reden, wenn man auch einfach von sich selbst auf
alle anderen schliessen kann?
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Okay, diese Debatte
hat inzwischen wirklich was von einem Tennismatch. Oder vielleicht doch eher
von einem Fechtduell, so wie zwischendurch aufeinander eingedroschen wird. Würde
man die Debatte mit der Musik aus Fluch der Karibik unterlegen, gäbe das einen
spannenden Actionfilm. Wo ist eigentlich das Kunstblut, wenn man es mal
braucht? UND WO IST EIGENTLICH ORLANDO BLOOM?
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Nachdem sich die
Damen und Herren Stadträte die Argument um die Ohren geschlagen haben – einige
gaben zu bedenken, dass sich dadurch auch formale Probleme ergeben können, etwa,
wenn eine Motion gewandelt werden müsse, wieder andere betonten, dass Menschen
ihre Anliegen vielleicht auch gerne selbst vertreten würden, statt sie Stadträt:
innen zu übergeben – schliesst Diego Clavadetscher (FDP) mit dem Votum, dass
bereit ein Petitionsrecht bestünde, das praktisch nie gebraucht werden würde.
Ausserdem sei das politische System in Langenthal sowieso bereits überlastet
mit Aufgaben. Stimmt. Die Stadt muss sich schon mit den seltsamen Ergüssen des
Stadtrats beschäftigen, für die seltsamen Ergüsse von Privatpersonen bleibt da
wirklich keine Zeit.
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Der bürgerliche Block
lehnt den Bevölkerungsvorstoss ab und damit fällt er durch. Und so ist es wenig
überraschend, dass auch die Einführung eines Jugendvorstosses, die beim
nächsten Traktandum gefordert wird, scheitert. Hier wird auf die bereits
vorhandene Möglichkeit eines Jugendpostulats hingewiesen. Aber seid nicht
traurig, ihr lieben Leute, wir wissen ja jetzt, dass wir mit dieser Macht gar
nicht hätten umgehen können, dafür brauchen wir die sichere und leitende Hand
des Stadtrats, der uns sagt, was möglich ist und was nicht… Ich bin erstaunt, dass
es mir gelingt, ganz allein und ohne stadträtliche Hilfe diese Protokolle zu
verfassen, so als einfache Bürgerin. Muss an meiner angeborenen, überragenden
Intelligenz liegen.
Teil 5: Licht aus!
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Weil wir schon viel
zu lange nicht mehr über Krisen gesprochen haben, folgt nun ein weiteres
Traktandum zum Thema: «Wir werden alle sterben – vielleicht.» Es geht um eine
Interpellation von Martin Lerch (SVP) mit dem klangvollen Namen: «Drohende Energiemangellage
in Langenthal – Stand der Vorbereitungen.»
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Martin Lerch zeigt
sich voll des Lobes über die Antwort des Gemeinderats, der einen vollständigen
Bericht verfasst und auf der Webseite der Stadt zugänglich gemacht hat. Wer sich
näher informieren möchte, kann dies übrigens gerne tun und zwar unter www.langenthal.ch/energieversorgung. Dort findet ihr alles, was ihr zu dem Thema wissen
müsst. Wahlweise könnt ihr auch alle Bücher von Game of Thrones lesen, denn die
behandeln das Thema «Was tun, wenn der Winter kommt» ebenfalls auf sehr ausführliche,
wenn auch nicht gerade erbauliche Weise.»
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Irgendwie hat der
Stadtrat heute sehr viel Sinn für Drama. Martin Lerch beschreibt mit
eindringlicher Stimme, welche Konsequenzen ein Blackout hätte. Neben dem
Zusammenbruch des ÖVs und der Kommunikationsnetze, könnten auch Kühe nicht mehr
gemolken werden. Und was für einen Sinn macht denn ein Weltuntergang, wenn man
dazu nicht einmal frische Milch trinken kann?
Teil 6: Wo geht’s
denn hier zur Demokratie?
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Nach vielen untypisch
schnell abgearbeiteten Interpellationen – der Stadtrat kann eben schon
effizient, wenn er will – kommen wir wieder zu einer Motion, die sich – oh
Wunder – um die städtischen Finanzen dreht. Und zwar fordert die SVP zusammen
mit der FDP/JLL Fraktion, dass weitere staatliche Ausgaben im Stadtrat nicht
mehr mit einem einfachen Mehrheitsbeschluss bestimmt werden können, sondern das
qualifizierte Mehr benötigen.
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Laut Patrick
Freudiger (SVP) sei das notwendig, damit Langenthal nicht mehr weiter in die
roten Zahlen schlittert. Die bereits sehr guten Serviceleistungen der Stadt sollen
nicht einfach so ausgebaut werden können, deshalb gelte es, die Hürden höher
anzusetzen, so Freudiger und Quoren seien eine gute Möglichkeit dies zu erreichen.
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An dieser Stelle
fragen sich die geneigten Leser:innen vielleicht: Häh, qualifiziertes Mehr,
Quoren, was, zum Geier soll das sein? Ich versuche, es mal einfach zu erklären:
Im Stadtrat entscheidet normalerweise das einfache Mehr, bedeutet: Es gewinnt
schlicht die Seite, die mehr Stimmen auf sich vereinigt. Beim qualifiziertem
Mehr wird vorher festgelegt, wie hoch der Stimmenanteil sein muss, um ein
Geschäft durchzubringen. Würde man zum Beispiel festlegen, dass eine
Dreiviertelmehrheit nötig ist, müssten, bei einem vollzählig anwesenden
Stadtrat 30 Stadträt:innen Ja sagen, um weitere Ausgaben zu beschliessen – beim
einfachen Mehr würden 21 reichen. Als Quorum versteht man die Anzahl der
Stimmen (und ja, das habe ich gegoogelt.)
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Was ist jetzt in
unserem Beispiel die Konsequenz davon? Nun, es würde tatsächlich schwerer
werden Ausgaben zu beschliessen, weil es schwieriger werden würde Mehrheiten zu
finden – für beide Seiten, also auch für die Bürgerlichen. Aber, da die Linken
meist diejenigen sind, die sich einen Ausbau der städtischen Leistungen
wünschen, werden sie stärkere Probleme mit dieser Hürde haben – mit 14 Sitzen
werden sie es nicht nur schwer haben, die nötigen Stimmen irgendwie
zusammenzukratzen, sie können auch nicht mehr darauf hoffen, dass ein unvollständig
besetzter Stadtrat ihnen hilft, denn selbst wenn nur 20 Stadträt:innen anwesend
wären, bräuchten sie immer noch 15 Stimmen…beim einfachen Mehr würden ihnen ja
11 reichen. Damit würde eben ein Zufallsmehr verhindert, argumentieren die
Bürgerlichen. Zurecht. Nur haben sie halt ebenso die Linken mehr oder weniger
blockiert.
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Entsprechend giftig
fallen auch die Reaktionen von linker Seite aus. Roland Loser (SP) lässt es
sich nicht nehmen, sein Mantra aus den letzten Stadtratssitzungen zu
wiederholen: «Das Problem ist nicht, dass Langenthal zu viel ausgibt,
Langenthal nimmt zu wenig ein.» Er empfindet es als eine bedenkliche
Entwicklung für die Demokratie, dass man auf diesem Weg versucht, die
Sparmassnahmen in Stein zu meisseln. «Ihr wollt einfach durchregieren – dann
können wir ja eigentlich auch zuhause bleiben», bemerkt er.
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Seine grüne Kollegin Fanny
Zürn geht noch weiter. Für sie wird mit dieser Vorlage am demokratischen
Fundament gekratzt. Sie verweist darauf,
dass zukünftige Ausgaben nötig sein werden, um die drohende Klimakrise
zumindest abzuschwächen. «Ansonsten haben wir bald ein weitaus grösseres
Problem als euer Budget», so Zürns deutliche Ansage. Und Nathalie Scheibli (SP)
bekundet Mühe mit diesem demokratischen Verständnis. Ein Mehr ist ihrer Ansicht
nach ein Mehr – selbst, wenn nur eine Stimme den Ausschlag gibt. «Ansonsten ist
das keine Demokratie – sondern eine Bananenrepublik!»
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Stapi Reto Müller
(SP) wirft sich tapfer zwischen die streitenden Parteien und bemüht sich um
Sachlichkeit. Er weist darauf hin, dass der Stadtrat ja grundsätzlich
selbstständig über jede Ausgabe entscheiden kann, weshalb die Vorlage den
Vorgang eigentlich eher verkompliziere. Letztendlich setzen sich die Bürgerlichen
durch: Die in ein Postulat umgewandelte Motion wird erheblich erklärt. Banana!
Teil 7: Don’t
worry, be happy!
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Nach der latent
aufgeheizten Debatte - da sind ganz schön die Fetzen geflogen – ist es ganz
gut, wenn wir uns am Schluss einem entspannenden Thema widmen: Cannabis. Und
ja, ihr habt richtig gelesen, es geht tatsächlich um Cannabis, dieses
Zauberkraut, das Gehirne vernebelt und Herzen verblödet (oder war’s
umgekehrt?). Jedenfalls haben verschiedene Stadträt:innen beim Gemeinderat
nachgefragt, ob in Langenthal Pilotversuche für die legale Abgabe von Cannabis
geplant sind. Sind sie nicht.
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Fabian Fankhauser
(GLP) zeigt sich dann auch latent enttäuscht darüber, dass der Gemeinderat der
Idee nicht gerade euphorisch gegenüberstand, obwohl Langenthal sich als
Durchschnittsstadt ja für solche Pilotversuche ideal eignen würde.
Wahrscheinlich passt die Vermarktung von Langenthal als Kifferparadies einfach
nicht ins Marketingkonzept…
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Abschliessend kann
man sagen, dass ein paar Joints vor der Stadtratssitzung den Beteiligten
vielleicht ganz gutgetan hätten. Mehr kiffen, weniger keifen, sage ich da nur. Ich
mag’s nicht, wenn Stadträt:innen gemein zueinander sind – ich will die Böse
sein *schmoll.» Aber wie heisst es es so schön: «Don’t worry, be grumpy. Und in
dem Sinne schliesse ich auch dieses Stadtratsprotokoll.
Best of
«Für die SVP – GL Fraktion…» Ganz
im Sinne von Weihnacht verbrüdert Stadtratspräsidentin Beatrice Lüthi (FDP),
was eigentlich nicht zusammengehört.
« … dass der Gemeinderat nicht
dieser Meinung ist, aber das ist hier eh nie wichtig…» Hat den Stadtrat
schliesslich noch nie interessiert. Gemeinderat Markus Gfeller (FDP).
«Mir ist das ja Wurst.» Beatrice
Lüthi neuer Lieblingssatz.
«Wir sollten uns nicht primär mit
uns selbst beschäftigen – ich gebe zu, das machen wir manchmal.» Pascal Dietrich
(FDP/JLL) gibt sich ungewohnt selbstkritisch.
«Ich versteht die SVP nicht, die
sich immer volksnah gibt, aber dann Angst vor der eigenen Bevölkerung hat!»
Fanny Zurn (Grüne) ergründet die nicht immer ganz einfach zu verstehenden
Psyche der SVP.
«Als wären wir hier so viel
klüger – wir sind schliesslich auch alles Laienpolitiker:innen!» Georg Cap
(Grüne) bohrt im Selbstverständnis der Stadträt:innen.
«Wir haben hier doch noch gewisse
Regeln – wir sind schliesslich ein Parlament, das wurde heute auch weidlich
ausgenutzt – aber wir haben hier doch noch gewisse Strukturen.» Wieder Beatrice
Lüthi, die versucht, die eifrig nach vorne preschenden Stadträt:innen davon
abzuhalten, ihren sorgsam organisierten Ablauf durcheinander zu bringen.
«Schön, dass ihr uns
entgegenkommt – aber leider seid ihr immer noch so weit weg von uns mit diesem
Text, dass die Entfernung immer noch zu gross.» So nah und doch so fern: Roland
Loser (SP) möchte nicht mit den Bürgerlichen kuscheln.
«Im Moment habe ich das Gefühl, dass man auf der Stadt eine Person anstellen
könnte, die sich allein um die Motionen und Postulate zum Thema Sparmassnahmen
kümmern könnte.» Wieder Fanny Zurn, die in Zeiten von Fachkräftemangel noch
Potential für neue Stellen sieht.
«Wir sind nicht gerade in
Freudentränen ausgebrochen, als wir die Antwort gelesen haben.» Vielleicht
hilft da ein Joint? Fabian Fankhauser (GLP).
«…gönnen wir uns ein gutes
Feierabendbier oder ein Genussmittel eurer Wahl.» Wieder Fabian Fankhauser, der
seine Ratskolleg:innen dazu anstiftet, ein ganz eigenes Pilotprojekt zu
starten.
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