Dienstag, 29. November 2022

Das andere Stadtratsprotokoll (28.11.2022)

 

Prolog

 

·        Hallo und herzlich willkommen zum einzigartig weihnachtlichen Liveticker zur Stadtratssitzung, geschrieben vom wunderbar witzigen und cleveren Weihnachtslama. Wie lässt sich die Adventszeit auch besser einläuten als mit einer schönen knackigen Stadtratssitzung, heute mit den alljährlichen Weihnachtshits «Fröhliche Stadträt:innen überall» und «Der Gemeinderat durch den Dornwald ging.» Viel Spass!

·        Hahaha, weil ich mich letztmals darüber beklagt habe, keine gesonderte Begrüssung zu erhalten, bekomme ich sie diesmal. Ah, ich liebe es Macht und Einfluss zu haben…nicht mehr lange und alle tanzen nach meiner Pfeife…muahahaha!

 

·        Erst einmal gibt es Wahlen. Ersatzwahlen für Kommissionen. Und die gehen natürlich immer sehr harmonisch vonstatten, schliesslich ist man froh, wenn man überhaupt noch Leute findet, die sich freiwillig mit so aufregenden Themen wie «korrekte Bepflasterung der Marktgasse» auseinandersetzen möchten, zumal der Stadtrat den Kommissionsmitgliedern nicht einmal mehr das jährliche Weihnachtsessen gönnt. Ich weiss nicht, wie es euch geht, aber ich arbeite für niemanden, der mich nicht regelmässig füttert.

 

Teil 1: Hurra, die Welt geht unter!

 

·        Beim ersten «richtigen» Traktandum wenden wir uns zur Abwechslung mal wieder einem Reglement zu, und zwar dem Reglement über den Bevölkerungsschutz und Zivilschutz, das, wie Ressortvorsteher Markus Gfeller (FDP), bemerkt, zum ersten Mal am 21. März 2021 dem Stadtrat vorgelegt wurde – als sehr viele der aktuellen Stadträt:innen noch gar nicht im Parlament waren. Aber für Langenthaler Verhältnisse ist das fast schon schnell. Wenn wir lange genug suchen, finden wir sicher noch hängige Vorstösse aus Zeiten, wo die Hälfte des Stadtrats noch nicht einmal geboren war.

·        Jetzt muss man ja ehrlich sagen, dass dieses Reglement wahrscheinlich vor ein paar Jahren noch ein müdes Schulterzucken ausgelöst hätte, denn was interessieren uns die Katastrophen von morgen, wenn’s jetzt gerade geil ist? Corona und der Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine haben uns dann aber schmerzhaft vorgeführt, dass sich Seuchen, Kriege und Katastrophen von einem gequäkten «Die Schweiz ist imfall unabhängig und neutral» nicht wirklich aufhalten lassen und deshalb hat das Reglement neue Brisanz gewonnen.

 

·        Der Gemeinderat hat nun für die zweite Lesung, die im Stadtrat eingereichten Anträge bearbeitet und – ungewohnt folgsam - diese grösstenteils aufgenommen.  Dem Stadtrat bzw. der GPK, ist es insbesondere wichtig, dass das Funktionieren der Behörden auch während einer länger dauernden Notlage, gewährleistet ist. Denn, wir erinnern uns, beim Ausbruch von Corona, wurden zum Beispiel die Stadtratssitzungen abgesagt, um Ansteckungen zu vermeiden (böse Zungen könnten jetzt sagen, dass der Gemeinderat vielleicht auch einfach mal ein paar Wochen Ruhe vor seiner persönlichen Nemesis haben wollte). Der Gemeinderat ist allerdings der Meinung, dass dieses Funktionieren an anderer Stelle geregelt muss, weil das ja nichts direkt mit dem Schutz der Bevölkerung zu tun hat. Werden wir zum Beispiel von einer Horde Drachen attackiert, wird uns das Abhalten von Stadtratssitzungen kaum retten (ausser, die Drachen tauchen während der Bearbeitung des Mehrwertabgabereglements auf, dann langweilen sie sich vielleicht zu Tode und stürzen vom Himmel).

 

·        Die SP/GL Fraktion dagegen hat beantragt, dass der kommunale Führungsstab, der für solche Katastrophenfälle geplant ist, mit der Leitung Fachbereich Kommunikation zu ergänzen ist. Der Gemeinderat ist allerdings der Meinung, dass es wenig Sinn macht, aus verschiedenen Quellen zu kommunizieren und will die Informationsfreigabe lieber über das regionale Führungsorgan (RFO) abwickeln lassen. Vielleicht besser so. Bis die Stadt Langenthal ein entsprechendes Gesamtkonzept für die optimale und einheitliche Kommunikation verabschiedet hätte, wären wir längst alle tot.

 

·        Markus Gfeller scheint sich bei Roberto di Nino Inspiration geholt zu haben und präsentiert ein Diagramm, um zu zeigen wie dieses regionale Führungsorgan organisiert ist. Es ist zwar unleserlich, aber immerhin in hübschen leuchtend grünen Farben angestrichen, die wohl die Gefahrensituation symbolisieren soll. Oder derjenige, der die Folie gestaltet hat, ist akut farbenblind.

 

·        Ein weiterer Antrag von der SVP verlangt eine Funktionszulage für die Mitglieder der RFO. Diesen Punkt hat der Gemeinderat bereits angepasst, und zwar im Besoldungsreglement. Ich bin ehrlich überrascht, dass die SVP zur Abwechslung mal Menschen im öffentlichen Dienst, ordentlich bezahlen will. Es geschehen noch Zeichen und Wunder – das muss der Geist der Weihnacht sein.

 

·        Die GPK dagegen möchte, dass ein Reglement zu den Notmassnahmen zu erarbeiten ist (erstaunlich, dass es dem Stadtrat immer wieder gelingt Bereiche zu finden, für die tatsächlich noch kein Reglement existiert). Zudem will die GPK nicht von einem «Führungsstab» reden, sondern lieber von einem «Kommunalen Beratungsgremium». Der Gemeinderat hat sich jedoch noch einen hübscheren Begriff ausgesucht: «Kommunale Task Force Bevölkerungsschutz». Wow. Jetzt fühle ich mich doch gleich viel sicherer.

 

 

Teil 2: Tennis, Ping – Pong… halt irgendwas mit Bällen!


·        Die Debatte geht weiter mit Diego Clavadetscher (FDP), der als Sprecher der GPK das tut, was er am liebsten tut: Er zitiert sehr viele Paragrafen, während der Rest der Stadträt:innen versucht so zu wirken, als könnten sie ihm tatsächlich folgen. Parallel dazu, rutscht der Techniker am Boden rum und nestelt an der Steckerleiste rum, was ein wenig den Eindruck erweckt, als wolle er dem parlierenden Clavadetscher den Stecker ziehen.

·        Martin Lerch (SVP) erinnert uns alle nochmals daran, dass die Sicherheitslage sich nicht verbessert hat. Zwar habe sich die die Pandemie abgeschwächt, dafür hätten wir Versorgungsprobleme, weshalb es wichtig sei, dass doch inzwischen 26 – jährige Reglement auf Vordermann zu bringen. Er streicht zudem hervor, dass bei der Erarbeitung des Reglement, keine teuren Expert:innen eingesetzt werden mussten und das Resultat trotzdem gut geworden sei. Zudem freut er sich über den neudeutschen Begriff «Task – Force», was mir persönlich ein Rätsel ist. Ich dachte, er als strammer SVPler würde eher auf einen heimischeren Namen setzen. Wie zum Beispiel «Edelweisstruppe» oder «Tell – Kommando.»

·        André Rentsch (FDP/JLL) zeigt sich erfreut, über den Tennis bzw. Pingpongmatch, der sich in Vorbereitung auf das Geschäft, zwischen GPK und Gemeinderat entsponnen hat. Stelle mir gerade vor, wie Markus Gfeller ganz alleine gegen die GPK Mitglieder im Ping – Pong antritt, sie sich gegenseitig die Bälle um die Ohren schlagen und sich dabei Dinge zurufen wie:  «Nimm den Antrag zurück!» «Nein, du musst den Paragrafen ändern, du Nuss!»

·        Der Stadtrat unterstützt einstimmig die GPK bzw. den Stadtrat. Solche ungewohnte Einigkeit. Müssen die Weihnachtshormone sein, vermutlich haben alle zu viel Lebkuchen gegessen und sind jetzt so satt und glücklich, dass sie sich gar nicht mehr streiten mögen. Das Reglement wird nämlich, mit den vorgenommenen Anpassungen, auch einstimmig gutgeheissen. Fehlt nur noch der Engel, der vom Himmel schwebt, Glitzer streut und «Gott schütze jeden von uns» ruft, dann kotze ich Regenbögen vor lauter Rührung.

 

Teil 3: Und es ward geschrieben…

 

·        Eigentlich dachte ich ja, wir hätten das Budget endgültig hinter uns gelassen, aber weil mich das Leben nun einmal gerne verarscht, kommt es natürlich wieder. Wie so ein fieser Pickel am Hintern, den man einfach nicht wegbekommt. Gut, wenigstens geht es nicht direkt ums Budget, sondern um die dazugehörige Abstimmungsbotschaft. Ihr kennt doch alle diese Büchlein, die den Abstimmungsunterlagen beigelegt sind und wo der Inhalt der Vorlagen, sowie die Empfehlungen der Exekutive und Legislative ausführlich beschrieben werden? Also das Buch, das ihr immer ungelesen in den Abfallkorb schmeisst? Das sind Abstimmungsbotschaften.

 

·        Im Falle dieser speziellen Abstimmungsbotschaft zum Thema Budget ist die Sachlage ein wenig kompliziert. Eigentlich ist die nämlich schon einmal im Stadtrat gewesen und das Stadtratsbüro wurde mit dem weiteren Vollzug beauftragt (was so viel heisst wie: wir – also der Stadtrat – haben entschieden, formuliert unsere komplizierten Debatten bitte so, dass alle kapieren, um was es geht). Wie Stadtratspräsidentvize Michael Schenk (SVP) erläutert, ist es dem Büro aber aufgrund der vielen Änderungen wichtig, dem Stadtrat den Entwurf noch einmal vorzulegen. Laut ihm, sei das offenbar die richtige Entscheidung gewesen, weil der Stadtrat wirklich noch Anträge eingereicht hat. Ähm, ja, also wenn du diesen Stadtrat irgendwas fragst, ist klar, dass er auch darauf antwortet, wir reden hier immerhin vom Stadtrat, der fast acht Stunden lang über dieses verdammte Budget debattiert hat, Mensch!

·        Diego Clavadetscher hofft dann auch, dass dieses Beispiel nicht Schule macht, denn schliesslich komme man ja nicht vorwärts, wenn jede Botschaft dreimal durch den Stadtrat komme. Obwohl er das Stadtratsbüro für seine Arbeit schätzt, ist er trotzdem ist er nicht ganz zufrieden mit der Botschaft. Insbesondere der geschilderte Verlauf der Stadtratsdebatte ist ihm ein Dorn im Auge.  Seiner Meinung nach, müsse eine Abstimmungsbotschaft neutral gestaltet werden deshalb sollen Parteien und Stadträt:innen nicht namentlich mit ihrem Abstimmungsverhalten erwähnt werden. «Das ist Aufgabe der Medien und der Blogger…Bloggerinnen», meint er. Genau, für den Rufmord bin ich hier zuständig…äh, ich meine natürlich für die Transparenz *hust* *hust*.

 

·        Auch die anderen Bürgerlichen stören sich daran, dass das Abstimmungsverhalten der einzelnen Parteien so deutlich hervorgehoben wird, insbesondere weil die vielfältigen Gründe für die Zustimmung zum Budget wenig beleuchtet werden. Seltsam findet man es auch, dass Enthaltungen nachträglich begründet wurden. Es sei ein «Kunststück, die Meinung von jemanden wiederzugeben, der gar nie eine Meinung geäussert hat», stellt Patrick Freudiger (SVP) süffisant fest.

 

·        Saima Sägesser (SP/GL) findet die Botschaft dagegen gut, transparent und klar und macht deutlich, dass ihre Fraktion den von den Bürgerlichen vorgeschlagenen Änderungen nicht zustimmen wird. Trotzdem wird der Antrag der SVP/FDP Fraktion angenommen. Richtig so! Wer will denn auch schon eine Abstimmungsbotschaft, in der man ganz einfach und deutlich nachlesen kann, wer wie abgestimmt hat? So einfach darf man es dem Volk nicht machen, Politik muss unbedingt möglichst undurchsichtig bleiben!

Teil 4: Keine Macht dem Proletariat

 

·        Das nächste Traktandum stand schon dreimal auf der Liste, was wahrscheinlich eine Art Rekord ist. Es wurde immer wieder aufgeschoben, weil die Sitzungen aufgrund der ausufernden Budgetdebatten immer abgebrochen werden mussten. Aber jetzt ist es endlich da und ich freue mich riesig, weil es sich nämlich um eines meiner Lieblingsthemen dreht: Vereinfachte politische Mitsprache. Es geht um die Einführung eines Bevölkerungsvorstosses.

 

·        Michael Schenk (SVP) übernimmt erneut die Berichterstattung für das Stadtratsbüro und erläutert den Vorstoss. Volljährige Langenthaler:innen sollen die Möglichkeit erhalten, mit 40 gesammelten Unterschriften einen Vorstoss, eine Motion oder eine Interpellation in den Stadtrat zu bringen. Das Büro begrüsse, ebenso wie der Gemeinderat, diesen Vorstoss, es sei allerdings noch die Frage zu klären, ob die Regelung in der Stadtverfassung oder in der Geschäftsordnung festgehalten werden soll. Bei ersterem zöge das eine Abstimmung nach. Zudem wäre zu überlegen, ob die Anzahl der Unterschriften höher anzusetzen sei. Trotzdem empfiehlt das Büro dem Stadtrat, den Vorstoss gutzuheissen.  

·        Georg Cap (Grüne), Motionär, freut sich über die befürwortende Stellungnahme von Stadtratsbüro und Gemeinderat. Die Bevölkerung habe das Bedürfnis mitzureden, weil unsere hochgelobte direkte Demokratie ebent nicht immer so direkt sei, wie sie sein könnte, zeigt er sich überzeugt. Zwar seien die politischen Mitsprachrechte gross, dennoch gebe es Menschen, die sich von Parteien nicht vertreten fühlen. Auch diesen solle es möglich sein, politisch mitzuwirken, so Cap. Daneben gebe es auch Bevölkerungsgruppen, die gar keinen Zugang zur Politik hätten. «Ausländer:innen, die zwar schon lange hier leben, Steuer zahlen und arbeiten, aber wenig Zugang zu politischen Gremien haben und ausgeschlossen vom politischen Diskurs sind.» Weiter argumentiert er, dass in einer städtischen Gemeinschaft, jede:r  die Möglichkeit haben soll, politische Themen einzubringen– unabhängig vom Schweizer Pass. Der Bevölkerungsvorsoss verletze keinerlei politische Rechte und um zu vermeiden, dass es zu einer Flut von Bevölkerungsvorstössen komme, könne die Anzahl Unterschriften beliebig hoch gesetzt werden und selbst wenn das Instrument nur wenig genutzt werde, habe es seinen Zweck bereits erfüllt. «Wir haben nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen», schliesst er sein Votum. Amen.

·        Zu meinem grossen Erstaunen, stösst er auf der bürgerlichen Ratsseite auf mehrheitlich taube Ohren. Und erstaunt bin ich vor allem deswegen, weil die Bürgerlichen sonst stets auf den gesunden Menschenverstand der Bürger:innen verweisen, wenn es darum geht, Expertenmeinungen abzuwerten, genau denselben Bürger:innen aber offensichtlich nicht zutrauen, sich aktiv politisch einzubringen. So stimmt Pascal Dietrich (FDP/JLL) den Motionär:innen insofern zu, dass politische Partizipation wichtig sei, befürchtet aber grosses Frustpotential bei der Bevölkerung, wenn ihre Vorstösse wenig Erfolg hätten oder ihre Bearbeitung länger dauern würde. Bitte. Das Einzige, was mich gerade WIRKLICH frustriert, ist die Tatsache, dass man mir als Bürgerin offenbar nicht einmal zutraut, adäquat mit Frust umzugehen.

 

·        Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Zielgruppe des Vorstosses. Mike Siegrist (EVP) gibt zu bedenken, dass diejenigen Menschen, die zu einem solchen Mittel greifen, einerseits politisch geschult sein müssen, es aber unwahrscheinlich sei, dass diese dann nicht die Möglichkeit hätten, sich anderswo im politischen Prozess einzubringen. Patrick Freudiger (SVP) ist zudem der Ansicht, dass die politischen Instrumente ausreichend seien, so existiere bereits ein Petitionsrecht und für Ausländer: innen gebe es zudem immer die Möglichkeit, sich einbürgern zu lassen, ganz nach dem Motto: Erst den Schweizer Pass, dann der Abstimmungsspass.

·        Besonders scheint sich der Stadtrat aber um seine eigene Exklusivität zu sorgen. Man stelle dem Stadtrat mit diesem Anliegen ein schlechtes Zeugnis aus, moniert Freudiger, denn schliesslich sei man die Vertretung des Volkes und bringe dessen Anliegen sehr wohl ein. Er spricht gar von einem «Downgrade» des Stadtrats. Für seinen Parteikollegen Martin Lerch, wird der Bogen der direkten Demokratie mit diesem Vorstoss überspannt. Was für ein radikal absurder Gedanke, dass Menschen in Langenthal einfach selbst ihre Ideen einbringen könnten, ohne vorher Stadträt:innen um ihren erlauchten Rat zu bitten! Das pure Chaos würde ausbrechen!

 

·        Mit Saima Sägesser (SP) und Fanny Zurn (Grüne) versuchen zwei weitere Vertreter:innen von Links das Parlament vom Konzept einer Bevölkerungsvorstosses zu überzeugen. Während Saima Sägesser die Anwesenden darum bittet, nicht nur von sich selbst auf andere zu schliessen, betont Fanny Zurn, dass ein grosser Teil der Bevölkerung von der Partizipation ausgeschlossen sei, weil das politische System eben gar nicht so leicht zugänglich sei, wie man immer tue, namentlich für Menschen im Service, in der Pflege oder im Transportwesen, die schon aus zeitlichen Gründen, nicht einfach überall teilnehmen könnten. Das habe Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben. Würden Probleme nicht gehört und gesehen, wachse die Frustration. Zudem erinnert sie an das erfolgreiche Jugendpostulat zum Thema Klimanotstand, das damals, ganz ohne Unterstützung von Stadträt:innen, den Weg ins Parlament gefunden hat.  

·        Die Bürgerlichen schaffen es unterdessen, sich laufend selbst zu widerlegen, indem sie standhaft behaupten, die Anliegen der gesamten Bevölkerung zu vertreten, dann aber hauptsächlich wahlweise von ihren eigenen Erfahrungen im Ausland (Martin Lerch) oder ihrem erfolgreichen Einbürgerungsprozess (Corinna Grossenbacher, SVP) zu erzählen. Warum mit dem Volk reden, wenn man auch einfach von sich selbst auf alle anderen schliessen kann?

 

·        Okay, diese Debatte hat inzwischen wirklich was von einem Tennismatch. Oder vielleicht doch eher von einem Fechtduell, so wie zwischendurch aufeinander eingedroschen wird. Würde man die Debatte mit der Musik aus Fluch der Karibik unterlegen, gäbe das einen spannenden Actionfilm. Wo ist eigentlich das Kunstblut, wenn man es mal braucht? UND WO IST EIGENTLICH ORLANDO BLOOM?

 

·        Nachdem sich die Damen und Herren Stadträte die Argument um die Ohren geschlagen haben – einige gaben zu bedenken, dass sich dadurch auch formale Probleme ergeben können, etwa, wenn eine Motion gewandelt werden müsse, wieder andere betonten, dass Menschen ihre Anliegen vielleicht auch gerne selbst vertreten würden, statt sie Stadträt: innen zu übergeben – schliesst Diego Clavadetscher (FDP) mit dem Votum, dass bereit ein Petitionsrecht bestünde, das praktisch nie gebraucht werden würde. Ausserdem sei das politische System in Langenthal sowieso bereits überlastet mit Aufgaben. Stimmt. Die Stadt muss sich schon mit den seltsamen Ergüssen des Stadtrats beschäftigen, für die seltsamen Ergüsse von Privatpersonen bleibt da wirklich keine Zeit.

 

·        Der bürgerliche Block lehnt den Bevölkerungsvorstoss ab und damit fällt er durch. Und so ist es wenig überraschend, dass auch die Einführung eines Jugendvorstosses, die beim nächsten Traktandum gefordert wird, scheitert. Hier wird auf die bereits vorhandene Möglichkeit eines Jugendpostulats hingewiesen. Aber seid nicht traurig, ihr lieben Leute, wir wissen ja jetzt, dass wir mit dieser Macht gar nicht hätten umgehen können, dafür brauchen wir die sichere und leitende Hand des Stadtrats, der uns sagt, was möglich ist und was nicht… Ich bin erstaunt, dass es mir gelingt, ganz allein und ohne stadträtliche Hilfe diese Protokolle zu verfassen, so als einfache Bürgerin. Muss an meiner angeborenen, überragenden Intelligenz liegen.

Teil 5: Licht aus!

 

·        Weil wir schon viel zu lange nicht mehr über Krisen gesprochen haben, folgt nun ein weiteres Traktandum zum Thema: «Wir werden alle sterben – vielleicht.» Es geht um eine Interpellation von Martin Lerch (SVP) mit dem klangvollen Namen: «Drohende Energiemangellage in Langenthal – Stand der Vorbereitungen.»  

 

·        Martin Lerch zeigt sich voll des Lobes über die Antwort des Gemeinderats, der einen vollständigen Bericht verfasst und auf der Webseite der Stadt zugänglich gemacht hat. Wer sich näher informieren möchte, kann dies übrigens gerne tun und zwar unter www.langenthal.ch/energieversorgung. Dort findet ihr alles, was ihr zu dem Thema wissen müsst. Wahlweise könnt ihr auch alle Bücher von Game of Thrones lesen, denn die behandeln das Thema «Was tun, wenn der Winter kommt» ebenfalls auf sehr ausführliche, wenn auch nicht gerade erbauliche Weise.»

 

·        Irgendwie hat der Stadtrat heute sehr viel Sinn für Drama. Martin Lerch beschreibt mit eindringlicher Stimme, welche Konsequenzen ein Blackout hätte. Neben dem Zusammenbruch des ÖVs und der Kommunikationsnetze, könnten auch Kühe nicht mehr gemolken werden. Und was für einen Sinn macht denn ein Weltuntergang, wenn man dazu nicht einmal frische Milch trinken kann?

 

 

Teil 6: Wo geht’s denn hier zur Demokratie?

 

·        Nach vielen untypisch schnell abgearbeiteten Interpellationen – der Stadtrat kann eben schon effizient, wenn er will – kommen wir wieder zu einer Motion, die sich – oh Wunder – um die städtischen Finanzen dreht. Und zwar fordert die SVP zusammen mit der FDP/JLL Fraktion, dass weitere staatliche Ausgaben im Stadtrat nicht mehr mit einem einfachen Mehrheitsbeschluss bestimmt werden können, sondern das qualifizierte Mehr benötigen.

·        Laut Patrick Freudiger (SVP) sei das notwendig, damit Langenthal nicht mehr weiter in die roten Zahlen schlittert. Die bereits sehr guten Serviceleistungen der Stadt sollen nicht einfach so ausgebaut werden können, deshalb gelte es, die Hürden höher anzusetzen, so Freudiger und Quoren seien eine gute Möglichkeit dies zu erreichen.

·        An dieser Stelle fragen sich die geneigten Leser:innen vielleicht: Häh, qualifiziertes Mehr, Quoren, was, zum Geier soll das sein? Ich versuche, es mal einfach zu erklären: Im Stadtrat entscheidet normalerweise das einfache Mehr, bedeutet: Es gewinnt schlicht die Seite, die mehr Stimmen auf sich vereinigt. Beim qualifiziertem Mehr wird vorher festgelegt, wie hoch der Stimmenanteil sein muss, um ein Geschäft durchzubringen. Würde man zum Beispiel festlegen, dass eine Dreiviertelmehrheit nötig ist, müssten, bei einem vollzählig anwesenden Stadtrat 30 Stadträt:innen Ja sagen, um weitere Ausgaben zu beschliessen – beim einfachen Mehr würden 21 reichen. Als Quorum versteht man die Anzahl der Stimmen (und ja, das habe ich gegoogelt.)

·        Was ist jetzt in unserem Beispiel die Konsequenz davon? Nun, es würde tatsächlich schwerer werden Ausgaben zu beschliessen, weil es schwieriger werden würde Mehrheiten zu finden – für beide Seiten, also auch für die Bürgerlichen. Aber, da die Linken meist diejenigen sind, die sich einen Ausbau der städtischen Leistungen wünschen, werden sie stärkere Probleme mit dieser Hürde haben – mit 14 Sitzen werden sie es nicht nur schwer haben, die nötigen Stimmen irgendwie zusammenzukratzen, sie können auch nicht mehr darauf hoffen, dass ein unvollständig besetzter Stadtrat ihnen hilft, denn selbst wenn nur 20 Stadträt:innen anwesend wären, bräuchten sie immer noch 15 Stimmen…beim einfachen Mehr würden ihnen ja 11 reichen. Damit würde eben ein Zufallsmehr verhindert, argumentieren die Bürgerlichen. Zurecht. Nur haben sie halt ebenso die Linken mehr oder weniger blockiert. 

·        Entsprechend giftig fallen auch die Reaktionen von linker Seite aus. Roland Loser (SP) lässt es sich nicht nehmen, sein Mantra aus den letzten Stadtratssitzungen zu wiederholen: «Das Problem ist nicht, dass Langenthal zu viel ausgibt, Langenthal nimmt zu wenig ein.» Er empfindet es als eine bedenkliche Entwicklung für die Demokratie, dass man auf diesem Weg versucht, die Sparmassnahmen in Stein zu meisseln. «Ihr wollt einfach durchregieren – dann können wir ja eigentlich auch zuhause bleiben», bemerkt er.  

·        Seine grüne Kollegin Fanny Zürn geht noch weiter. Für sie wird mit dieser Vorlage am demokratischen Fundament gekratzt.  Sie verweist darauf, dass zukünftige Ausgaben nötig sein werden, um die drohende Klimakrise zumindest abzuschwächen. «Ansonsten haben wir bald ein weitaus grösseres Problem als euer Budget», so Zürns deutliche Ansage. Und Nathalie Scheibli (SP) bekundet Mühe mit diesem demokratischen Verständnis. Ein Mehr ist ihrer Ansicht nach ein Mehr – selbst, wenn nur eine Stimme den Ausschlag gibt. «Ansonsten ist das keine Demokratie – sondern eine Bananenrepublik!»

Pascal Dietrich (FDP/JLL) ist das alles viel zu negativ. «Diese Weltuntergangsstimmung, die ihr verbreitet, ich möchte sagen, diese Hysterie, ist übertrieben. Wir reden hier nicht über die Abschaffung der Demokratie!», erwidert er. Na gut, man muss dazu sagen, eine Stadtratssitzung in Langenthal, ist keine richtige Stadtratssitzung, wenn nicht mindestens eine Person den Untergang der Demokratie beschworen hat.

·        Stapi Reto Müller (SP) wirft sich tapfer zwischen die streitenden Parteien und bemüht sich um Sachlichkeit. Er weist darauf hin, dass der Stadtrat ja grundsätzlich selbstständig über jede Ausgabe entscheiden kann, weshalb die Vorlage den Vorgang eigentlich eher verkompliziere. Letztendlich setzen sich die Bürgerlichen durch: Die in ein Postulat umgewandelte Motion wird erheblich erklärt. Banana!

 

Teil 7: Don’t worry, be happy!

·        Nach der latent aufgeheizten Debatte - da sind ganz schön die Fetzen geflogen – ist es ganz gut, wenn wir uns am Schluss einem entspannenden Thema widmen: Cannabis. Und ja, ihr habt richtig gelesen, es geht tatsächlich um Cannabis, dieses Zauberkraut, das Gehirne vernebelt und Herzen verblödet (oder war’s umgekehrt?). Jedenfalls haben verschiedene Stadträt:innen beim Gemeinderat nachgefragt, ob in Langenthal Pilotversuche für die legale Abgabe von Cannabis geplant sind. Sind sie nicht.

·        Fabian Fankhauser (GLP) zeigt sich dann auch latent enttäuscht darüber, dass der Gemeinderat der Idee nicht gerade euphorisch gegenüberstand, obwohl Langenthal sich als Durchschnittsstadt ja für solche Pilotversuche ideal eignen würde. Wahrscheinlich passt die Vermarktung von Langenthal als Kifferparadies einfach nicht ins Marketingkonzept…

·        Abschliessend kann man sagen, dass ein paar Joints vor der Stadtratssitzung den Beteiligten vielleicht ganz gutgetan hätten. Mehr kiffen, weniger keifen, sage ich da nur. Ich mag’s nicht, wenn Stadträt:innen gemein zueinander sind – ich will die Böse sein *schmoll.» Aber wie heisst es es so schön: «Don’t worry, be grumpy. Und in dem Sinne schliesse ich auch dieses Stadtratsprotokoll.

 

Best of

«Für die SVP – GL Fraktion…» Ganz im Sinne von Weihnacht verbrüdert Stadtratspräsidentin Beatrice Lüthi (FDP), was eigentlich nicht zusammengehört.

« … dass der Gemeinderat nicht dieser Meinung ist, aber das ist hier eh nie wichtig…» Hat den Stadtrat schliesslich noch nie interessiert. Gemeinderat Markus Gfeller (FDP).

 

«Mir ist das ja Wurst.» Beatrice Lüthi neuer Lieblingssatz.

«Wir sollten uns nicht primär mit uns selbst beschäftigen – ich gebe zu, das machen wir manchmal.» Pascal Dietrich (FDP/JLL) gibt sich ungewohnt selbstkritisch.

«Ich versteht die SVP nicht, die sich immer volksnah gibt, aber dann Angst vor der eigenen Bevölkerung hat!» Fanny Zurn (Grüne) ergründet die nicht immer ganz einfach zu verstehenden Psyche der SVP.

«Als wären wir hier so viel klüger – wir sind schliesslich auch alles Laienpolitiker:innen!» Georg Cap (Grüne) bohrt im Selbstverständnis der Stadträt:innen.

«Wir haben hier doch noch gewisse Regeln – wir sind schliesslich ein Parlament, das wurde heute auch weidlich ausgenutzt – aber wir haben hier doch noch gewisse Strukturen.» Wieder Beatrice Lüthi, die versucht, die eifrig nach vorne preschenden Stadträt:innen davon abzuhalten, ihren sorgsam organisierten Ablauf durcheinander zu bringen.

«Schön, dass ihr uns entgegenkommt – aber leider seid ihr immer noch so weit weg von uns mit diesem Text, dass die Entfernung immer noch zu gross.» So nah und doch so fern: Roland Loser (SP) möchte nicht mit den Bürgerlichen kuscheln.

«Im Moment habe ich das Gefühl, dass man auf der Stadt eine Person anstellen könnte, die sich allein um die Motionen und Postulate zum Thema Sparmassnahmen kümmern könnte.» Wieder Fanny Zurn, die in Zeiten von Fachkräftemangel noch Potential für neue Stellen sieht.

«Wir sind nicht gerade in Freudentränen ausgebrochen, als wir die Antwort gelesen haben.» Vielleicht hilft da ein Joint? Fabian Fankhauser (GLP).

«…gönnen wir uns ein gutes Feierabendbier oder ein Genussmittel eurer Wahl.» Wieder Fabian Fankhauser, der seine Ratskolleg:innen dazu anstiftet, ein ganz eigenes Pilotprojekt zu starten.









 

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