Teil 1: Die Vorgeschichte
- Hallo
und herzlich willkommen zum ebenso exklusiven wie wunderbaren Liveticker zur
Stadtratssitzung. Heute ist eine besondere Sitzung, denn heute ist Halloween!
Also packt die Kürbisse aus, schwingt euch auf euren Hexenbesen und tanzt wild
ums Feuer, damit ihr diese Stadtratssitzung im richtigen Ambiente geniessen
könnt (aber natürlich kommt niemand der Stadträt:innen im Kostüm –
enttäuschend. Da hätte man mal die Möglichkeit zu entertainen und trotzdem
sitzt der Stapi im schwarzen Philosophen Rollkragenpullover da. Nie wird mir
was geboten!
- Uhhh, die Traktandenliste verkleinert sich. Sehr
schön. Der Pöbel (also ich) muss morgen nämlich um halb sechs aufstehen und
wäre dankbar, wenn er heute einigermassen zeitig ins Bett käme.
- Yeah. Wir dürfen NOCHMAL über das Budget reden, weil
heute nämlich die zweite Lesung davon ist. Die Bürgerlichen lieben das Budget
nämlich so heiss und innig, dass sie gar nicht mehr aufhören können darüber zu
reden. Liegt an ihrer leicht manischen Beziehung zum tiefen Steuersatz. Sie
können und wollen ihn nicht loslassen. Willst du an Halloween was Süsses von
einem Bürgerlichen, verkleide dich einfach als erhöhter Steuersatz.
- Oh, die Stadtratspräsidentin ist heute besonders
höflich. «Ich begrüsse hier ganz herzlich und explizit unseren Stadtpräsidenten
Reto Müller – er hat mich nämlich letzte Woche auch ganz herzlich beim
Wirtschaftslunch begrüsst.» Schön. Und wer begrüsst mich speziell? Dauernd
erzählen mir Leute «Du bist so wichtig für unsere Demokratie», aber niemand
begrüsst mich speziell, mir wird kein Platz reserviert und der rote Teppich
fehlt bis jetzt auch. Hallo, ich bin hier die treueste Zuschauerin! Könnte ich
dafür bitte die angemessene Bewunderung einheimsen?
- Das Ziel des heutigen Abend ist es, das Budget zu verabschieden. Time to say goodbye. Also jedenfalls, wenn sich die Damen und Herren einig werden. Drücken wir die Daumen
- Wir erinnern uns an die letzte Budgetdebatte. Lange,
lange ist es her – damals war Sommer. Jetzt fühlt es sich zwar an wie Sommer,
aber theoretisch ist es Herbst– als die Bürgerlichen erfolgreich den Antrag
gestellt, dass der Gemeinderat doch bitte schön sparen soll, um die drohende
Steuererhöhung abzuwenden. Als Beispiel vorgeschlagen haben sie beim
Stadttheater. Recht haben sie. Wer Theater will, soll gefälligst einfach eine
Stadtratssitzung besuchen.
- Roberto di Nino erklärt, dass man bereits Einsparungen
vorgenommen hat. Erstaunlich, dass der Gemeinderat von ganz alleine auf diese
Idee gekommen ist. Der Stadtrat traut dem Gemeinderat ja sonst nicht so viel
zu.
- Fühle mich wie bei einer dieser Serien, wo vor jeder
Episode noch mal die Zusammenfassung der letzten Episoden erfolgt. Um es kurz
zu machen: Roberto di Nino erzählt lang und breit wieso man beim Stadttheater
nicht, wie von der bürgerlichen Mehrheit des Stadtrates bei der ersten Lesung
verlangt, einfach so rumkürzen kann,
weil es da eine Leistungsvereinbarung mit dem Kanton Bern gibt. Der führt zu
gewissen Pflichten. Kommen wir denen nicht nach, gibt’s auch keine Kohle mehr
fürs Stadttheater (nebenbei bemerkt macht die Hütte vielleicht auch nicht mehr
so ganz Sinn, wenn sie nicht ordentlich bespielt wird, aber vielleicht machen
wir es ja wie mit der Alten Mühle und lassen das Theater einfach langsam vor
sich hin rotten.)
- Roberto di Nino erklärt dann, dass der Betriebsaufwand
des Stadttheaters nach der Sanierung nicht gestiegen ist, obwohl die
Bürgerlichen das in der letzten Sitzung vehement behauptet haben, dass das VIEL
teurer geworden ist. Ausserdem führt er aus, dass das Sparpotential gering ist,
zumal die Energiekosten auch im Stadttheater steigen werden. Verstehe ich
nicht. Jetzt verzichtet Langenthal heldenhaft auf die Weihnachtsbeleuchtung und
TROTZDEM leiden wir noch unter Energieknappheit? Wie kann das sein?
- Bei der Besoldungsreserve wollte die SVP ebenfalls
sparen. Schliesslich ist es Lohn genug, bei der Stadt Langenthal angestellt zu
sein, da braucht es wirklich nicht noch mehr Lohn. Di Nino ist anderer Meinung.
Wegen Teuerung und so. Di Nino zieht das Beispiel von Bern herbei, die die
Löhne des Stadtpersonals um glatte 3 Prozent erhöht haben. Müssen sie ja auch,
ansonsten können sie die Parkgebühren in ihrer Stadt ja gar nicht mehr zahlen.
- Ich habe jetzt schon Kopfschmerzen. Können wir diese
ganzen Zahlen – die wir schon mal gehört haben – nicht skippen und einfach
gleich zum Punkt kommen, wo die Bürgerlichen austicken, weil der Gemeinderat
ihnen noch einmal genau das gleiche Budget vorlegt? ICH WILL BLUT SEHEN, ES IST
HALLOWEEN VERDAMMT!
- Off Topic. Ich hätte gern ein Best of von Roberto di Ninos PowerPoints. Die haben so was
Beruhigendes.
- Ein weiterer Antrag der ersten Lesung verlangte, dass
eine Art Variantenbudget für die Abstimmungsbotschaft erstellt wird. Damit das
einfach Proletariat auch GANZ GENAU sieht, wie viel mehr Steuern sie für Prinz
John…äh, die Stadt, abdrücken müssen. Weil sonst begreifen wir’s ja nicht.
- Ah ja und es sollten nach dem Willen des Stadtrats
weniger Experten eingesetzt werden. Ich würde ja vorschlagen, dass man dann
einfach weniger komplizierte Anfragen stellt, aber ich verstehe ja nichts von
diesen Dingen.
- Irgendwie ist die Antwort des Gemeinderats auf all
diese Anträge: Wir sind der Meinung, das ist schon erfüllt. Ich werde das
zukünftig bei meinen Jahresgesprächen ebenfalls so halten. «Ich bin der
Meinung, dass ich die Ansprüche betreffend Kundenkartenanträge schon erfülle.
Bitte schreib dieses Jahresziel ab, Herr Abteilungsleiter.»
- Der Gemeinderat beantragt das gleiche Budget wieder mit der Steueranlage 1.44.
Teil 3: Ausgeben, Einnehmen, Übernehmen
- Diego Clavadetscher (FDP) erklärt, dass man im Vorfeld
den Dialog mit dem Gemeinderat gesucht hat, was aber nicht ganz zum gewünschten
Resultat geführt hat, weswegen man heute Abend Anträge stellen wird, die
«holzschnittartig» daherkommen. Wie ich ihn kenne, heisst «holzschnitzartig» in
dreifacher Ausführung, mit jeweiligen Varianten in fünf verschiedenen Sprachen.
Zudem stellt er mit dramatisch donnernder Stimme fest, dass das Budget nach dem
Stadtrat nicht gegessen sei, es müsse noch vom Volk gutgeheissen werden müssen.
ALSO AUF DIE KNIE UND ZITTERT VOR MIR, DENN DAS VOLK BIN ICH!
- Roland Loser (SP/Grüne) versucht sich unterdessen
probeweise als Hypnotiseur und beschwört seine Ratskolleg:innen: «Wir geben in Langenthal nicht zu viel Geld
aus, wir nehmen ganz klar zu wenig Geld ein!» Zudem sei seine Fraktion weiterhin
der Meinung, dass das Budget bereits genug zusammengespart wurde, weshalb sie
solche «Übungen» entschieden ablehnen würden, denn es sei nichts anderes als «Pfästerlipolitik»
(wenn dann bräuchten wir einen Verband, dann könnten wir unsere eigene Mumie
für Halloween basteln). Es folgt die Geschichte, dass der Steuersatz in
Langenthal früher bedeutend höher (1.62) war, der Steuersatz aber immer weiter
gesenkt wurde, wobei allen klar war, dass, wenn die berühmten Onyxmilionen dann
mal abgebaut sind (wo sind diese Milionen eigentlich? Vergraben im Hard
Stadion?). Zudem nervt er sich über das ständige Gejammer, wegen Langenthals
Budgetdefizit, weil das auch gegen aussen keinen guten Eindruck mache. Es sei
eben wichtig, investieren zu können, um attraktiv zu bleiben. Gründe für die wenigen Einnahmen seien eben,
dass Langenthal wenig einnahmensstarke Einwohner:innen hat, weshalb eine
Steuererhöhung Sinn mache.
- Wow, ich bin gerade voller Bewunderung für Roland
Loser. Er gerade das O – Wort gesagt. Er hat OLTEN mit Langenthal verglichen.
OLTEN! Die Eier muss man erstmal haben!
- Patrick Freudiger (SVP) widersteht dank seiner
bürgerlich Juristenhaut den hypnotischen Kräften Losers. «Du hättest noch
weitere gefühlt tausendmal sagen können, dass wir zu wenig einnehmen – es
stimmt trotzdem nicht», gibt er den Ball postwenden an Loser zurück und stellt
fest, dass er offenbar in einer anderen Stadt lebe, als er, denn seiner
Auffassung nach hat die Stadt Langenthal sehr wohl einen guten Service Public –
so wurde eine Schulsozialarbeit (also was Ähnliches) eingeführt,
Schulsanierungen durchgeführt (immerhin bevor irgendwie die Decke eingekracht
ist) und in den Bahnhof Langenthal (der wirklich hässlich ist, besonders das
Klo, das man besser nicht nutzen will, ausser man wollte sich nicht schon immer
mal versehentlich eine Spritze in den Hintern rammen) investiert. Natürlich sei
es gewollt gewesen, die Onyxmillionen abzubauen (gebt sie doch einfach mir. Ich
bau die schon ab und ihr braucht nicht mehr zu streiten), dann sei man aber
übermütig geworden. Das zeige sich zum Beispiel im Agglomerationsprogramm III,
wo ungeniert der Verkehrsromantik gefrönt wurde (was ist Verkehrsromantik?
Küssende Bushaltestellen?) und überhaupt habe nicht Langenthal eine schlechte
Steuersituation, sondern der Kanton Bern, weshalb Langenthal keineswegs konkurrenzfähig
mit ausserkantonalen Gemeinden sei. Ich weiss zwar ehrlich nicht, ob uns
ausserkantonal überhaupt jemand kennt. Eine Bekannte aus dem Kanton Solothurn war
mal kurz in Langenthal und zeigte sich ehrlich überrascht, das hier tatsächlich
Menschen rumlaufen. Ich habe ihr nicht erzählt, dass wir sogar fliessendes
Wasser haben, der Schock hätte sie vielleicht umgebracht.
- «Für die SVP Langenthal ist es ein schwieriger Moment.» Was für ein Satz! Fehlt nur noch, dass Freudiger und Grossenbacher ein Duett anstimmen mit dem Titel: « Zerrissen: Was sollen wir nur tun, um den tiefen Steuersatz zu retten?» Ich fasse dieses laaannnge Votum jetzt mal ganz locker zusammen: Freudiger hat Angst, dass Langenthal jetzt einfach standardmässig die Steuern erhöht, also quasi dem Steuerwahn verfällt. Die Gefahr ist sehr gross, denn wir haben eine bürgerliche Mehrheit und wir wissen ja, dass die Bürgerlichen reflexartig ständig Steuern erhöhen… *hust*
Teil 4: Hatten wir das nicht schon mal?
- Ich fühle mich gerade, als wäre ich in einer
Zeitschleife gefangen. Wie beim letzten Mal erzählen die Bürgerlichen die
traurige Geschichte der hart arbeitenden Bürger:innen, die durch die schwierige
wirtschaftliche Situation eh schon belastet genug sind und jetzt noch durch
Steuern gequält werden soll. Mir kommen die Tränen. Denn, das niedrig
verdienende Menschen gerade sehr zu kämpfen haben, liegt selbstverständlich nur
an den Steuern und nicht etwa an der freien Marktwirtschaft und ihrer «Fressen
oder gefressen werden» Mentalität. Und
warum reden eigentlich alle Stadträt:inenn von Bürger:innen, als wären wir
irgendeine besondere Spezies, zu der sie nicht gehören? Ihr lebt auch in dieser
Stadt, imfall!
- Pascal Dietrich (parteilos) gibt zwar zu, dass Paul
Bayard (SP) mit seinen jahrelangen Unkerufen, dass eine Steuererhöhung früher
oder später kommen müsse Recht hätte und es klug gewesen wäre darauf zu hören. Heute
sei allerdings aufgrund der Inflation und der Teuerung, der falsche Zeitpunkt
dafür, weshalb man lieber noch damit warten solle, bis die Situation sich
bessere. Klar. Nach Corona ist sie ja auch viel besser geworden.
- Rotgrün zeigt sich in Gestalt von Sandro Baumgartner (SP) angesäuert. «Wir hätten schon lange über eine Steuererhöhung diskutieren müssen. Selbstverständlich ist der Zeitpunkt schlecht. Aber haltet ihr Wort, wenn es nächstes Jahr besser läuft? Stimmt ihr dann der Steuererhöhung zu?» Zudem ist er im Gegensatz zu Freudiger nicht der Meinung, dass das mit den Gebäude sanieren so wirklich rund läuft. So fehlten in den Schulen Brandmelder. Ach, Sandro. In Langenthal brennt es doch nicht, wenn wir gerade am Sparen sind…
Teil 5: Der Gott des Gemetzels
- Ich fasse die Situation jetzt mal zusammen: Die
Bürgerlichen wollen die Steuern nicht erhöhen – oder zumindest nicht zum
momentanen Zeitpunkt – weil sie die Bürger:innen nicht belasten wollen, rotgrün
dagegen will die Steuern erhöhen, weil sie die Stadt nicht verlumpen lassen bzw. nicht noch mehr verlumpen lassen, weil wir ohnehin nur noch ganz knapp
unter «zivilisierte» Stadt fallen und die Mitte möchte sowohl sparen, als auch
die Steuern erhöhen, damit die Bürger:innen nur ein bisschen mehr zahlen müssen
und die Stadt nur ein bisschen verwahrlost. Wir haben also eine klassische
Konfliktsituation zwischen Links, die mit den Steuern rauf wollen und zwischen
rechts, die lieber sparen möchten, weshalb die Mitte das Zünglein an der Waage
ist. Lasst das Gemetzel beginnen!
- Ganz nach dem Motto, alles, was bei drei nicht auf dem
Baum ist, wird gnadenlos zusammengespart, beginnen SVP und FDP/jll grosszügig
den Rotstift anzusetzen. Opferbereit und selbstlos, wie sie nun einmal sind,
wollen die Fraktionen auf das jährliche Weihnachtsessen der Behörden
verzichten, bzw. verlangen, dass es nicht mehr finanziert, sondern selbst bezahlt
wird. Richtig! Behörden sollen arbeiten und nicht fressen und überhaupt sind
Vergnügungen jeglicher Art zu unterlassen. Der Antrag kommt durch. Lustig.
Vielleicht müssen die Behörden zukünftig auf das Essen im glamourösen Bären
verzichten und stattdessen Cervelat bzw. Maiskolben im Schorenwald bräteln,
damit es sich alle leisten können.
- Die Besoldungsreserve für das städtische Personal soll
auch gekürzt werden. Um 70000 Franken. Das sei aber nicht als Geringschätzung
für das städtische Personal zu verstehen, beeilen sich die Bürgerlichen zu
versichern. Sie sollen halt nur mehr arbeiten und weniger verdienen, wie das in
der Privatwirtschaft schliesslich auch der Fall ist, denn, wie die Bürgerlichen
es nicht müden werden zu betonen, stehen Stadtangestellte ohnehin auf der
Sonnenseite des Lebens, weil es zum Beispiel auch viel schwerer ist, sie
rauszuschmeissen. Wenn wir so weitermachen, haben wir vermutlich bald keine
Angestellten mehr auf der Verwaltung, die wir rausschmeissen könnten, aber
egal.
- Zwischenbemerkung: Ich bin ehrlich beeindruckt, wie
Patrick Freudiger es schafft, in jedem Votum noch ein paar wohlgezielte Spitzen
gegen linke Politiker: innen abzufeuern. Rhetorisch grosses Kino!
- Trotz Einwände der Linken, dass man damit die
Attraktivität der Stadt als Arbeitgeberin weiter senke und den Ausführungen von
Stapi Reto Müller (SP), dass es bereits jetzt schon schwierig sei, geeignetes
Personal zu finden (momentan sind auf der Verwaltung vierzehn Stellen
ausgeschrieben), kommt der Antrag kommt durch. Krass. Rotgrün sind die
einzigen, die geschlossen dagegen stimmen. Aber hey, schliesslich bedanken sich
die Stadtratsmitglieder bei gefühlt jedem Votum für die tolle Arbeit und schöne
Worte reichen ja zum Leben.
- Für eine kurze Auflockerung der Stimmung sorgt Pascal
Dietrich (parteilos) mit einem emotionalen Statement zum Thema Streusalz. Man
solle endlich aufhören, die Quartierstrassen im Winter mit Salz zuzuschütten.
Genau stoppt das Salzen! Fad ist schliesslich auch gut und billiger ist es
sowieso.
- Selbstverständlich haben die Bürgerlichen, ähnlich wie
die goldsüchtigen Niffler in Harry Potter, noch mehr Sparpotential ausgegraben.
Das Projekt SIP laufe ja momentan eh nicht und wieso das nicht für dieses Jahr
so lassen? Raffinierter Plan! Wir verschieben jetzt einfach alle Investitionen,
damit wir dann, wenn Putin endlich weg ist, Geld sich magisch vermehrt hat und
der Klimawandel erfolgreich aufgehalten wurde, SIP wieder einführen können.
- SP Fraktionspräsidentin Saima Sägesser (SP) zeigt sich
empört darüber, dass man die angenommene Motion, die die Wiedereinführung von SIP
gefordert hat angenommen, einfach wieder aufschieben will, zumal sich die
Sicherheitssituation verändert habe: Während der Pandemie waren viele Leute
zuhause und nicht draussen, was natürlich das Konfliktpotential erheblich
senkte, weil wir uns gegenseitig nicht auf die Nerven gehen konnten – zumindest
nicht von Angesicht zu Angesicht. Trotz ihrer Einwände wird per Stichentscheid
der Stadtratspräsidentin das Budget auch um diese Summe gekürzt
Teil 6: Viel Theater ums Theater
- Nach zwei Stunden nähren wir uns dem Höhepunkt des
Theaterstücks mit dem klangvollen Namen «Die Budgetdebatte – Leben und Leiden des
Langenthaler Stadtrats. In dieser Szene spielen mit: Bürgerliche Fraktionen,
die beim Stadttheater eine Kostenreduktion von 70'000 erreichen wollen, linke
Fraktionen, kurz vor dem Nervenzusammenbruch, ein Leistungsvertrag, der nicht
gebrochen werden sollte, aber nach Meinung der Bürgerlichen durchaus angeritzt
werden kann, ein tanzender bzw. nicht tanzender Pascal Dietrich und eine vor
Wut schäumende Saima Sägesser. Wir wünschen viel Vergnügen!
- Diego Clavadetscher (FDP) erklärt lang und breit, dass
man die angestrebte Reduktion erreichen können, indem man weniger Gastspiele
einkauft, denn dann müsse man schliesslich auch weniger Büromaterial
verbrauchen, da sich der Werbeaufwand erledigt, worauf sich auch die
Besoldungen reduzieren, weil weniger Personal benötigt wird. Man wolle dem Stadttheater nicht ins operative
Geschäft reingrätschen, aber als Stadtrat sei es ihre Aufgabe, die politische
Kontrolle wahrzunehmen, denn schliesslich gehört das Stadttheater – wie der
Name schon sagt – eben der Stadt. Das mit dem Leistungsvertrag sieht
Clavadetscher nicht so eng, der sei nicht sakrosankt und wenn er das wirklich
wäre, hätte er dem Stimmvolk bzw. dem Stadtrat vorgelegt werden müssen, was
nicht geschehen ist.
- Die Bürgerlichen sind zudem verärgert darüber, dass
damals, als man über die Renovierung des Stadttheaters abgestimmt hat, davon
geredet hat, dass die Nettobetriebskosten sinken und nicht steigen würden und
das in der Abstimmungsbotschaft damals so vermerkt hat. Damals habe man also,
so die Bürgerlichen, die Stimmbevölkerung angelogen.
- Für die Linken, namentlich für Roland Loser (SP/GL)
ist dieser Kürzungsbeispiel ein typisches Beispiel dafür, den Leuchttürmen von
Langenthal, Knüppel zwischen die Beine zu werfen, so wie es zum Beispiel beim
SCL ebenfalls der Fall ist (meiner Meinung nach hat dieser «Leuchtturm» sein
Licht allerdings ganz alleine ausgeknipst, aber mich fragt ja hier niemand).
- Kulturfreundin Saima Sägesser (SP/GL) verteidigt die
heiligen Hallen des Stadttheaters mit Zähnen und Klauen. Es sei unglaublich,
was der Stadtrat hier veranstalte, ein Stadtrat, der keine Ahnung habe, wie ein
solcher Betrieb funktioniere. Eine Saison lässt sich nicht einfach so umplanen
und wie man mit einem gekürzten Programm mehr Ertrag generieren wolle, sei ihr
auch ein Rätsel. Kürzungen bei Besoldungen hätten zudem zur Folge, dass man
Personal entlasten müsse (gut, dann kann man beim Behördenessen, ein paar
Cervelats sparen), zudem habe man bereits gekürzt. Man solle sich im Falle der
Annahme, beim Theater für diese Sabotage entschuldigen, denn nichts anderes sei
es, wenn man in einen professionellen Betrieb reinpfuschen. «Man will noch mehr
Zitronen pressen, obwohl die Zitrone schon leer ist!» Dann holen wir uns eben
ein paar Kürbisse, die kann man aushöhlen und auf den Fenstersims stellen.
- Pascal Dietrich (parteilos) unterdessen nimmt direkt
Bezug auf das Programm, das seiner Meinung nach viel zu viel getanzt wird.
Hinterher wird er von Mike Siegrist (EVP) süffisant darauf hingewiesen, dass
man das Programm vielleicht richtig lesen solle, dann wisse man nämlich, dass
vier der Tanzproduktionen sich eingemietet hätten, ergo Geld liegen lassen und
keines kosten.
- Es folgt ein Schlagabtausch zwischen Links und Rechts,
ob man hier jetzt Symbolpolitik betreibt oder nicht. Während die Bürgerlichen
der Meinung sind, dass sie mit ihren tapferen Einsparungen Langenthal vor dem
drohenden Ruin bewahren, besteht Links darauf, dass es hier letztendlich um
Peanuts gehe, die keinen grossen Effekt haben werden. Gestritten wird auch
darum, ob der Leistungsvertrag mit den Kürzungen jetzt verletzt werde oder
nicht. Immerhin weiss ich jetzt, wie sich die Debatten um den Rahmenvertrag mit
der EU anfühlen müssen. Man dreht sich im Kreis.
- Aufritt der Gemeinderäte. Roberto di Nino (SVP)
verwahrt sich gegen die Behauptung, man habe damals die Stadtbevölkerung
angelogen. Die beeinflussbaren Betriebskosten des Stadttheaters seien tiefer und
es sei logisch, dass bei so hohen Investitionen, auch nachher noch Geld aufgewendet
werde, diese Finanzfolgekosten habe man damals aber ausgewiesen. Ressortvorsteherin
Helena Morgenthaler (SVP) macht zudem darauf aufmerksam, dass an diesem
Leistungsvertrag noch an andere kulturelle Institutionen hängen würden, die
ebenfalls ins Wanken geraten könnten. Egal. Riskieren wir. Kultur wird eh überbewertet,
schliesslich gibt es Netflix und solange ich GNTM schauen kann ist alles super
bei mir.
- Die Kürzungen werden TATSÄCHLICH angenommen. Arschknapp mit 18 zu 19 Stimmen bei 2 Enthaltungen. Dieser Stadtrat hat definitiv sehr viel Sinn für Drama. Und spielt gerne mit dem Feuer. Haben wir eigentlich Brandmelder in der Alten Mühle oder wurden die schon eingespart?
Teil 7: Steuern für Alle!
- An diesem Punkt haben wir immer noch kein Budget
verabschiedet, was heisst, dass wir immer noch bei Traktandum 2 rumdümpeln. In
der Privatwirtschaft würde diese Sitzung bereits als höchst ineffizient gelten,
aber wir sind hier schliesslich nicht in der Privatwirtschaft, wie ja in
regelmässigen Abständen betont wird. Mein geistiger Zustand ist inzwischen so
zerrüttet, dass ich schon beim Wort Defizit Hitzewallungen bekomme.
- Immer noch ungeklärt ist die Frage, ob der Steuersatz jetzt erhöht wird oder nicht. Patrick Freudiger (SVP) beschwert sich in seinem Votum erst lang und breit über die Blockadehaltung der Linken, die den Rotstift gleich entsorgt hat und nirgends sparen will, nur um dann zu verkünden, dass man der Steuererhöhung mehrheitlich zustimmen. Wollt ihr mich verarschen? Wieso musste ich mir dann das ganze Gejammer über drei Stunden anhören, wenn man dann doch erhöhen will? Hätten wir das nicht abkürzen können
- Wenn ich das jetzt also richtig verstanden habe, darf ich mehr Steuern zahlen und dafür verschlechtert sich die Leistung, die ich von der Stadt erhalte. Cool. Hat sich echt gelohnt
- ENDLICH wird über das Budget abgestimmt. Allerding
schafft es das Stadtratsbüro dreimal falsch auszuzählen. Ein Zählrahmen wäre
vielleicht nicht schlecht, aber den müsste Langenthal sich ja erstmal leisten
können, ne.
- Apropos Abstimmungsbotschaft: Die wird natürlich auch
noch revidiert, denn besonders Diego Clavadetscher (FDP) hat es sich zu seiner
persönlichen Aufgabe gemacht, jede Formulierung der Botschaft liebevoll zu
schleifen. Und das dermassen
ausführlich, dass einer seiner Anträge auf ein Blatt gedruckt werden muss, weil
er zu lang ist, um ihn zu projizieren. Diese Druckerkosten, diese
Druckerkosten!
- Am liebsten würden die Bürgerlichen auf jeder Seite der Abstimmungsbotschaft vermerken, dass der Steuersatz EINMALIG auf 1.44 erhöht wird, nur damit das ja niemand falsch versteht und wir nie mehr daran rütteln können. Am besten meisseln wird den Steuersatz doch einfach in einen Stein, den mir als Mahnfigur vor den Glaspalast stellen, damit alle Behördenmitglieder bei Arbeitsbeginn sich davor auf den Boden werfen und dem tiefen Steuersatz huldigen können.
Teil 8: Das Ende der unendlichen Geschichte
- Ich bin inzwischen an einem Punkt, wo ich mir
ernsthaft überlege Feueralarm auszulösen, um die Sitzung zu unterbrechen. Es
ist schon verdammt spät und ein Ende nicht wirklich in Sicht. Toll. Ich möchte
eine Lama – Entschädigung für Monsterdebatten.
- Oh, Moment, der Stadtrat zeigt Erbarmen. Er behandelt
lediglich noch ein zwingendes Traktandum, das dazu noch sehr unbestritten ist:
Madiswil will bei der Jugendfachstelle Tokjo andocken. Wie schön! Und da es uns
nicht kostet, wird es wohlwollend durchgewunken, wobei Peter Bösiger (SVP) das
Kunststück vollbringt, ein knackiges Statement, bestehend aus einem Satz,
anzubringen. Der Mann ist ein Held und ein Vorbild!
- An dem Punkt wird die Sitzung abgebrochen. Freiheit, wie das duftet! Eine ewig lange Stadtratssitzung geht zu ende und obwohl es zwischendurch ganz schön heftig wurde, leben alle Beteiligten noch. Wenn das mal nicht ein schönes Ende für diese Geschichte ist. Freuen wir uns auf die nächste!
Best of
«Mit den Steuereinnahmen richten wir unser aller Wohnzimmer
ein!» Mit diesem niederen Steuersatz wird’s wahrscheinlich eher eine
Abstellkammer: Roland Loser (SP).
«Wollt ihr in die Pause, Herrschaften?!»
Stadtratspräsidentin Beatrice Lüthi (FDP) droht oder lockt mit einer
vorzeitigen Pause. Man weiss es nicht recht.
«Warum nicht gleich 1.7 1.8, 1.9!» Patrick Freudiger
(SVP) und sein nie enden wollender Alptraum eines sich ständig erhöhenden
Steuersatzes.
«Langenthal ist nicht unattraktiv. Der Kanton Bern ist
unattraktiv!» Sandro Baumgartner (SP) lässt nichts auf seine schöne Stadt
kommen.
«Sag mir kurz, als was du redest.» Beatrice Lüthi
(FDP) unterstützt Diego Clavadetscher (ebenfalls FDP) bei seiner
Identitätsfindung.
«Sollen die Leute doch selber schauen, wie sie das Stadttheater
finden, wenn uns das Geld für das Marketing fehlt.» Saima Sägesser (SP). Wenn
das Theater wirklich kaputt gespart ist, ist es vielleicht auch besser, wenn’s
niemand mehr findet.
« Ich fühle mich selbst wie in einem Theater – in
einem Trauerspiel der Symbolpolitik.» Georg Cap (Grüne) und seine ganz
persönlich Rocky Horror Picture Show.
«Leute, die sich rhetorisch selbst beweihräuchern mit
ewig langen Reden!» Wieder Georg Cap, mit der Zusammenfassung eines römisch-katholischen
Gottesdienstes.
«Die Sitzung passt zum heutigen Datum: Halloween.» Stellt
sich die Frage, wer hier Süsses oder Saures kassiert. Paul Bayard (SP).
«Mehr
als zweimal reden, bringt irgendwann auch nichts mehr.» Beatrice Lüthi (FDP),
frei nach der Philosophie, Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.
«Sonst
sollen sie (die Fraktion) mich nachher verkloppen.» Patrick Freudiger (SVP)
gibt Einblicke in die Diskussionskultur der SVP.
«Können
mich danach auch verkloppen.» Die offenbar auch auf der linken Seite gepflegt
wird: Sandro Baumgartner (SP).
«Bevor
noch der Tierschutz kommt, beenden wir die Sitzung lieber.» Beatrice Lüthi
(FDP) kümmert sich nämlich um ihren Zoo, denn Stadträt:innen sind schliesslich
geschützt.
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