Dienstag, 1. November 2022

Das andere Stadtratsprotokoll (31.10.22)

 

Teil 1: Die Vorgeschichte

  • Hallo und herzlich willkommen zum ebenso exklusiven wie wunderbaren Liveticker zur Stadtratssitzung. Heute ist eine besondere Sitzung, denn heute ist Halloween! Also packt die Kürbisse aus, schwingt euch auf euren Hexenbesen und tanzt wild ums Feuer, damit ihr diese Stadtratssitzung im richtigen Ambiente geniessen könnt (aber natürlich kommt niemand der Stadträt:innen im Kostüm – enttäuschend. Da hätte man mal die Möglichkeit zu entertainen und trotzdem sitzt der Stapi im schwarzen Philosophen Rollkragenpullover da. Nie wird mir was geboten!

  • Uhhh, die Traktandenliste verkleinert sich. Sehr schön. Der Pöbel (also ich) muss morgen nämlich um halb sechs aufstehen und wäre dankbar, wenn er heute einigermassen zeitig ins Bett käme.

  • Yeah. Wir dürfen NOCHMAL über das Budget reden, weil heute nämlich die zweite Lesung davon ist. Die Bürgerlichen lieben das Budget nämlich so heiss und innig, dass sie gar nicht mehr aufhören können darüber zu reden. Liegt an ihrer leicht manischen Beziehung zum tiefen Steuersatz. Sie können und wollen ihn nicht loslassen. Willst du an Halloween was Süsses von einem Bürgerlichen, verkleide dich einfach als erhöhter Steuersatz.

  • Oh, die Stadtratspräsidentin ist heute besonders höflich. «Ich begrüsse hier ganz herzlich und explizit unseren Stadtpräsidenten Reto Müller – er hat mich nämlich letzte Woche auch ganz herzlich beim Wirtschaftslunch begrüsst.» Schön. Und wer begrüsst mich speziell? Dauernd erzählen mir Leute «Du bist so wichtig für unsere Demokratie», aber niemand begrüsst mich speziell, mir wird kein Platz reserviert und der rote Teppich fehlt bis jetzt auch. Hallo, ich bin hier die treueste Zuschauerin! Könnte ich dafür bitte die angemessene Bewunderung einheimsen? 

  • Das Ziel des heutigen Abend ist es, das Budget zu verabschieden. Time to say goodbye. Also jedenfalls, wenn sich die Damen und Herren einig werden. Drücken wir die Daumen


Teil 2: Hello again!

 

  • Wir erinnern uns an die letzte Budgetdebatte. Lange, lange ist es her – damals war Sommer. Jetzt fühlt es sich zwar an wie Sommer, aber theoretisch ist es Herbst– als die Bürgerlichen erfolgreich den Antrag gestellt, dass der Gemeinderat doch bitte schön sparen soll, um die drohende Steuererhöhung abzuwenden. Als Beispiel vorgeschlagen haben sie beim Stadttheater. Recht haben sie. Wer Theater will, soll gefälligst einfach eine Stadtratssitzung besuchen.

  • Roberto di Nino erklärt, dass man bereits Einsparungen vorgenommen hat. Erstaunlich, dass der Gemeinderat von ganz alleine auf diese Idee gekommen ist. Der Stadtrat traut dem Gemeinderat ja sonst nicht so viel zu.

  • Fühle mich wie bei einer dieser Serien, wo vor jeder Episode noch mal die Zusammenfassung der letzten Episoden erfolgt. Um es kurz zu machen: Roberto di Nino erzählt lang und breit wieso man beim Stadttheater nicht, wie von der bürgerlichen Mehrheit des Stadtrates bei der ersten Lesung verlangt,  einfach so rumkürzen kann, weil es da eine Leistungsvereinbarung mit dem Kanton Bern gibt. Der führt zu gewissen Pflichten. Kommen wir denen nicht nach, gibt’s auch keine Kohle mehr fürs Stadttheater (nebenbei bemerkt macht die Hütte vielleicht auch nicht mehr so ganz Sinn, wenn sie nicht ordentlich bespielt wird, aber vielleicht machen wir es ja wie mit der Alten Mühle und lassen das Theater einfach langsam vor sich hin rotten.)
     
  • Roberto di Nino erklärt dann, dass der Betriebsaufwand des Stadttheaters nach der Sanierung nicht gestiegen ist, obwohl die Bürgerlichen das in der letzten Sitzung vehement behauptet haben, dass das VIEL teurer geworden ist. Ausserdem führt er aus, dass das Sparpotential gering ist, zumal die Energiekosten auch im Stadttheater steigen werden. Verstehe ich nicht. Jetzt verzichtet Langenthal heldenhaft auf die Weihnachtsbeleuchtung und TROTZDEM leiden wir noch unter Energieknappheit? Wie kann das sein?

  • Bei der Besoldungsreserve wollte die SVP ebenfalls sparen. Schliesslich ist es Lohn genug, bei der Stadt Langenthal angestellt zu sein, da braucht es wirklich nicht noch mehr Lohn. Di Nino ist anderer Meinung. Wegen Teuerung und so. Di Nino zieht das Beispiel von Bern herbei, die die Löhne des Stadtpersonals um glatte 3 Prozent erhöht haben. Müssen sie ja auch, ansonsten können sie die Parkgebühren in ihrer Stadt ja gar nicht mehr zahlen.
     
  • Ich habe jetzt schon Kopfschmerzen. Können wir diese ganzen Zahlen – die wir schon mal gehört haben – nicht skippen und einfach gleich zum Punkt kommen, wo die Bürgerlichen austicken, weil der Gemeinderat ihnen noch einmal genau das gleiche Budget vorlegt? ICH WILL BLUT SEHEN, ES IST HALLOWEEN VERDAMMT!
     
  • Off Topic. Ich hätte gern ein Best of von Roberto di Ninos PowerPoints. Die haben so was Beruhigendes.

  • Ein weiterer Antrag der ersten Lesung verlangte, dass eine Art Variantenbudget für die Abstimmungsbotschaft erstellt wird. Damit das einfach Proletariat auch GANZ GENAU sieht, wie viel mehr Steuern sie für Prinz John…äh, die Stadt, abdrücken müssen. Weil sonst begreifen wir’s ja nicht.
     
  • Ah ja und es sollten nach dem Willen des Stadtrats weniger Experten eingesetzt werden. Ich würde ja vorschlagen, dass man dann einfach weniger komplizierte Anfragen stellt, aber ich verstehe ja nichts von diesen Dingen.
     
  • Irgendwie ist die Antwort des Gemeinderats auf all diese Anträge: Wir sind der Meinung, das ist schon erfüllt. Ich werde das zukünftig bei meinen Jahresgesprächen ebenfalls so halten. «Ich bin der Meinung, dass ich die Ansprüche betreffend Kundenkartenanträge schon erfülle. Bitte schreib dieses Jahresziel ab, Herr Abteilungsleiter.»
     
  • Der Gemeinderat beantragt das gleiche Budget wieder mit der Steueranlage 1.44.

 

 

 

Teil 3: Ausgeben, Einnehmen, Übernehmen

  • Diego Clavadetscher (FDP) erklärt, dass man im Vorfeld den Dialog mit dem Gemeinderat gesucht hat, was aber nicht ganz zum gewünschten Resultat geführt hat, weswegen man heute Abend Anträge stellen wird, die «holzschnittartig» daherkommen. Wie ich ihn kenne, heisst «holzschnitzartig» in dreifacher Ausführung, mit jeweiligen Varianten in fünf verschiedenen Sprachen. Zudem stellt er mit dramatisch donnernder Stimme fest, dass das Budget nach dem Stadtrat nicht gegessen sei, es müsse noch vom Volk gutgeheissen werden müssen. ALSO AUF DIE KNIE UND ZITTERT VOR MIR, DENN DAS VOLK BIN ICH!

  • Roland Loser (SP/Grüne) versucht sich unterdessen probeweise als Hypnotiseur und beschwört seine Ratskolleg:innen:  «Wir geben in Langenthal nicht zu viel Geld aus, wir nehmen ganz klar zu wenig Geld ein!» Zudem sei seine Fraktion weiterhin der Meinung, dass das Budget bereits genug zusammengespart wurde, weshalb sie solche «Übungen» entschieden ablehnen würden, denn es sei nichts anderes als «Pfästerlipolitik» (wenn dann bräuchten wir einen Verband, dann könnten wir unsere eigene Mumie für Halloween basteln). Es folgt die Geschichte, dass der Steuersatz in Langenthal früher bedeutend höher (1.62) war, der Steuersatz aber immer weiter gesenkt wurde, wobei allen klar war, dass, wenn die berühmten Onyxmilionen dann mal abgebaut sind (wo sind diese Milionen eigentlich? Vergraben im Hard Stadion?). Zudem nervt er sich über das ständige Gejammer, wegen Langenthals Budgetdefizit, weil das auch gegen aussen keinen guten Eindruck mache. Es sei eben wichtig, investieren zu können, um attraktiv zu bleiben.  Gründe für die wenigen Einnahmen seien eben, dass Langenthal wenig einnahmensstarke Einwohner:innen hat, weshalb eine Steuererhöhung Sinn mache.

  • Wow, ich bin gerade voller Bewunderung für Roland Loser. Er gerade das O – Wort gesagt. Er hat OLTEN mit Langenthal verglichen. OLTEN! Die Eier muss man erstmal haben!
     
  • Patrick Freudiger (SVP) widersteht dank seiner bürgerlich Juristenhaut den hypnotischen Kräften Losers. «Du hättest noch weitere gefühlt tausendmal sagen können, dass wir zu wenig einnehmen – es stimmt trotzdem nicht», gibt er den Ball postwenden an Loser zurück und stellt fest, dass er offenbar in einer anderen Stadt lebe, als er, denn seiner Auffassung nach hat die Stadt Langenthal sehr wohl einen guten Service Public – so wurde eine Schulsozialarbeit (also was Ähnliches) eingeführt, Schulsanierungen durchgeführt (immerhin bevor irgendwie die Decke eingekracht ist) und in den Bahnhof Langenthal (der wirklich hässlich ist, besonders das Klo, das man besser nicht nutzen will, ausser man wollte sich nicht schon immer mal versehentlich eine Spritze in den Hintern rammen) investiert. Natürlich sei es gewollt gewesen, die Onyxmillionen abzubauen (gebt sie doch einfach mir. Ich bau die schon ab und ihr braucht nicht mehr zu streiten), dann sei man aber übermütig geworden. Das zeige sich zum Beispiel im Agglomerationsprogramm III, wo ungeniert der Verkehrsromantik gefrönt wurde (was ist Verkehrsromantik? Küssende Bushaltestellen?) und überhaupt habe nicht Langenthal eine schlechte Steuersituation, sondern der Kanton Bern, weshalb Langenthal keineswegs konkurrenzfähig mit ausserkantonalen Gemeinden sei. Ich weiss zwar ehrlich nicht, ob uns ausserkantonal überhaupt jemand kennt. Eine Bekannte aus dem Kanton Solothurn war mal kurz in Langenthal und zeigte sich ehrlich überrascht, das hier tatsächlich Menschen rumlaufen. Ich habe ihr nicht erzählt, dass wir sogar fliessendes Wasser haben, der Schock hätte sie vielleicht umgebracht.   

  • «Für die SVP Langenthal ist es ein schwieriger Moment.» Was für ein Satz! Fehlt nur noch, dass Freudiger und Grossenbacher ein Duett anstimmen mit dem Titel: « Zerrissen: Was sollen wir nur tun, um den tiefen Steuersatz zu retten?» Ich fasse dieses laaannnge Votum jetzt mal ganz locker zusammen: Freudiger hat Angst, dass Langenthal jetzt einfach standardmässig die Steuern erhöht, also quasi dem Steuerwahn verfällt. Die Gefahr ist sehr gross, denn wir haben eine bürgerliche Mehrheit und wir wissen ja, dass die Bürgerlichen reflexartig ständig Steuern erhöhen… *hust*

 

 

Teil 4: Hatten wir das nicht schon mal?

 

  • Ich fühle mich gerade, als wäre ich in einer Zeitschleife gefangen. Wie beim letzten Mal erzählen die Bürgerlichen die traurige Geschichte der hart arbeitenden Bürger:innen, die durch die schwierige wirtschaftliche Situation eh schon belastet genug sind und jetzt noch durch Steuern gequält werden soll. Mir kommen die Tränen. Denn, das niedrig verdienende Menschen gerade sehr zu kämpfen haben, liegt selbstverständlich nur an den Steuern und nicht etwa an der freien Marktwirtschaft und ihrer «Fressen oder gefressen werden» Mentalität.  Und warum reden eigentlich alle Stadträt:inenn von Bürger:innen, als wären wir irgendeine besondere Spezies, zu der sie nicht gehören? Ihr lebt auch in dieser Stadt, imfall!

  • Pascal Dietrich (parteilos) gibt zwar zu, dass Paul Bayard (SP) mit seinen jahrelangen Unkerufen, dass eine Steuererhöhung früher oder später kommen müsse Recht hätte und es klug gewesen wäre darauf zu hören. Heute sei allerdings aufgrund der Inflation und der Teuerung, der falsche Zeitpunkt dafür, weshalb man lieber noch damit warten solle, bis die Situation sich bessere. Klar. Nach Corona ist sie ja auch viel besser geworden.
     
  • Rotgrün zeigt sich in Gestalt von Sandro Baumgartner (SP) angesäuert. «Wir hätten schon lange über eine Steuererhöhung diskutieren müssen. Selbstverständlich ist der Zeitpunkt schlecht. Aber haltet ihr Wort, wenn es nächstes Jahr besser läuft? Stimmt ihr dann der Steuererhöhung zu?» Zudem ist er im Gegensatz zu Freudiger nicht der Meinung, dass das mit den Gebäude sanieren so wirklich rund läuft. So fehlten in den Schulen Brandmelder. Ach, Sandro. In Langenthal brennt es doch nicht, wenn wir gerade am Sparen sind…

 

Teil 5: Der Gott des Gemetzels

 

  • Ich fasse die Situation jetzt mal zusammen: Die Bürgerlichen wollen die Steuern nicht erhöhen – oder zumindest nicht zum momentanen Zeitpunkt – weil sie die Bürger:innen nicht belasten wollen, rotgrün dagegen will die Steuern erhöhen, weil sie die Stadt nicht verlumpen lassen bzw. nicht noch mehr verlumpen lassen, weil wir ohnehin nur noch ganz knapp unter «zivilisierte» Stadt fallen und die Mitte möchte sowohl sparen, als auch die Steuern erhöhen, damit die Bürger:innen nur ein bisschen mehr zahlen müssen und die Stadt nur ein bisschen verwahrlost. Wir haben also eine klassische Konfliktsituation zwischen Links, die mit den Steuern rauf wollen und zwischen rechts, die lieber sparen möchten, weshalb die Mitte das Zünglein an der Waage ist. Lasst das Gemetzel beginnen!

  • Ganz nach dem Motto, alles, was bei drei nicht auf dem Baum ist, wird gnadenlos zusammengespart, beginnen SVP und FDP/jll grosszügig den Rotstift anzusetzen. Opferbereit und selbstlos, wie sie nun einmal sind, wollen die Fraktionen auf das jährliche Weihnachtsessen der Behörden verzichten, bzw. verlangen, dass es nicht mehr finanziert, sondern selbst bezahlt wird. Richtig! Behörden sollen arbeiten und nicht fressen und überhaupt sind Vergnügungen jeglicher Art zu unterlassen. Der Antrag kommt durch. Lustig. Vielleicht müssen die Behörden zukünftig auf das Essen im glamourösen Bären verzichten und stattdessen Cervelat bzw. Maiskolben im Schorenwald bräteln, damit es sich alle leisten können.  

  • Die Besoldungsreserve für das städtische Personal soll auch gekürzt werden. Um 70000 Franken. Das sei aber nicht als Geringschätzung für das städtische Personal zu verstehen, beeilen sich die Bürgerlichen zu versichern. Sie sollen halt nur mehr arbeiten und weniger verdienen, wie das in der Privatwirtschaft schliesslich auch der Fall ist, denn, wie die Bürgerlichen es nicht müden werden zu betonen, stehen Stadtangestellte ohnehin auf der Sonnenseite des Lebens, weil es zum Beispiel auch viel schwerer ist, sie rauszuschmeissen. Wenn wir so weitermachen, haben wir vermutlich bald keine Angestellten mehr auf der Verwaltung, die wir rausschmeissen könnten, aber egal.

  • Zwischenbemerkung: Ich bin ehrlich beeindruckt, wie Patrick Freudiger es schafft, in jedem Votum noch ein paar wohlgezielte Spitzen gegen linke Politiker: innen abzufeuern. Rhetorisch grosses Kino!

  • Trotz Einwände der Linken, dass man damit die Attraktivität der Stadt als Arbeitgeberin weiter senke und den Ausführungen von Stapi Reto Müller (SP), dass es bereits jetzt schon schwierig sei, geeignetes Personal zu finden (momentan sind auf der Verwaltung vierzehn Stellen ausgeschrieben), kommt der Antrag kommt durch. Krass. Rotgrün sind die einzigen, die geschlossen dagegen stimmen. Aber hey, schliesslich bedanken sich die Stadtratsmitglieder bei gefühlt jedem Votum für die tolle Arbeit und schöne Worte reichen ja zum Leben.

  • Für eine kurze Auflockerung der Stimmung sorgt Pascal Dietrich (parteilos) mit einem emotionalen Statement zum Thema Streusalz. Man solle endlich aufhören, die Quartierstrassen im Winter mit Salz zuzuschütten. Genau stoppt das Salzen! Fad ist schliesslich auch gut und billiger ist es sowieso.

  • Selbstverständlich haben die Bürgerlichen, ähnlich wie die goldsüchtigen Niffler in Harry Potter, noch mehr Sparpotential ausgegraben. Das Projekt SIP laufe ja momentan eh nicht und wieso das nicht für dieses Jahr so lassen? Raffinierter Plan! Wir verschieben jetzt einfach alle Investitionen, damit wir dann, wenn Putin endlich weg ist, Geld sich magisch vermehrt hat und der Klimawandel erfolgreich aufgehalten wurde, SIP wieder einführen können.
     
  • SP Fraktionspräsidentin Saima Sägesser (SP) zeigt sich empört darüber, dass man die angenommene Motion, die die Wiedereinführung von SIP gefordert hat angenommen, einfach wieder aufschieben will, zumal sich die Sicherheitssituation verändert habe: Während der Pandemie waren viele Leute zuhause und nicht draussen, was natürlich das Konfliktpotential erheblich senkte, weil wir uns gegenseitig nicht auf die Nerven gehen konnten – zumindest nicht von Angesicht zu Angesicht. Trotz ihrer Einwände wird per Stichentscheid der Stadtratspräsidentin das Budget auch um diese Summe gekürzt

    Teil 6: Viel Theater ums Theater

  • Nach zwei Stunden nähren wir uns dem Höhepunkt des Theaterstücks mit dem klangvollen Namen «Die Budgetdebatte – Leben und Leiden des Langenthaler Stadtrats. In dieser Szene spielen mit: Bürgerliche Fraktionen, die beim Stadttheater eine Kostenreduktion von 70'000 erreichen wollen, linke Fraktionen, kurz vor dem Nervenzusammenbruch, ein Leistungsvertrag, der nicht gebrochen werden sollte, aber nach Meinung der Bürgerlichen durchaus angeritzt werden kann, ein tanzender bzw. nicht tanzender Pascal Dietrich und eine vor Wut schäumende Saima Sägesser. Wir wünschen viel Vergnügen!

  • Diego Clavadetscher (FDP) erklärt lang und breit, dass man die angestrebte Reduktion erreichen können, indem man weniger Gastspiele einkauft, denn dann müsse man schliesslich auch weniger Büromaterial verbrauchen, da sich der Werbeaufwand erledigt, worauf sich auch die Besoldungen reduzieren, weil weniger Personal benötigt wird.  Man wolle dem Stadttheater nicht ins operative Geschäft reingrätschen, aber als Stadtrat sei es ihre Aufgabe, die politische Kontrolle wahrzunehmen, denn schliesslich gehört das Stadttheater – wie der Name schon sagt – eben der Stadt. Das mit dem Leistungsvertrag sieht Clavadetscher nicht so eng, der sei nicht sakrosankt und wenn er das wirklich wäre, hätte er dem Stimmvolk bzw. dem Stadtrat vorgelegt werden müssen, was nicht geschehen ist.

  • Die Bürgerlichen sind zudem verärgert darüber, dass damals, als man über die Renovierung des Stadttheaters abgestimmt hat, davon geredet hat, dass die Nettobetriebskosten sinken und nicht steigen würden und das in der Abstimmungsbotschaft damals so vermerkt hat. Damals habe man also, so die Bürgerlichen, die Stimmbevölkerung angelogen.

  • Für die Linken, namentlich für Roland Loser (SP/GL) ist dieser Kürzungsbeispiel ein typisches Beispiel dafür, den Leuchttürmen von Langenthal, Knüppel zwischen die Beine zu werfen, so wie es zum Beispiel beim SCL ebenfalls der Fall ist (meiner Meinung nach hat dieser «Leuchtturm» sein Licht allerdings ganz alleine ausgeknipst, aber mich fragt ja hier niemand).

  • Kulturfreundin Saima Sägesser (SP/GL) verteidigt die heiligen Hallen des Stadttheaters mit Zähnen und Klauen. Es sei unglaublich, was der Stadtrat hier veranstalte, ein Stadtrat, der keine Ahnung habe, wie ein solcher Betrieb funktioniere. Eine Saison lässt sich nicht einfach so umplanen und wie man mit einem gekürzten Programm mehr Ertrag generieren wolle, sei ihr auch ein Rätsel. Kürzungen bei Besoldungen hätten zudem zur Folge, dass man Personal entlasten müsse (gut, dann kann man beim Behördenessen, ein paar Cervelats sparen), zudem habe man bereits gekürzt. Man solle sich im Falle der Annahme, beim Theater für diese Sabotage entschuldigen, denn nichts anderes sei es, wenn man in einen professionellen Betrieb reinpfuschen. «Man will noch mehr Zitronen pressen, obwohl die Zitrone schon leer ist!» Dann holen wir uns eben ein paar Kürbisse, die kann man aushöhlen und auf den Fenstersims stellen.
     
  • Pascal Dietrich (parteilos) unterdessen nimmt direkt Bezug auf das Programm, das seiner Meinung nach viel zu viel getanzt wird. Hinterher wird er von Mike Siegrist (EVP) süffisant darauf hingewiesen, dass man das Programm vielleicht richtig lesen solle, dann wisse man nämlich, dass vier der Tanzproduktionen sich eingemietet hätten, ergo Geld liegen lassen und keines kosten.  
     
  • Es folgt ein Schlagabtausch zwischen Links und Rechts, ob man hier jetzt Symbolpolitik betreibt oder nicht. Während die Bürgerlichen der Meinung sind, dass sie mit ihren tapferen Einsparungen Langenthal vor dem drohenden Ruin bewahren, besteht Links darauf, dass es hier letztendlich um Peanuts gehe, die keinen grossen Effekt haben werden. Gestritten wird auch darum, ob der Leistungsvertrag mit den Kürzungen jetzt verletzt werde oder nicht. Immerhin weiss ich jetzt, wie sich die Debatten um den Rahmenvertrag mit der EU anfühlen müssen. Man dreht sich im Kreis.

  • Aufritt der Gemeinderäte. Roberto di Nino (SVP) verwahrt sich gegen die Behauptung, man habe damals die Stadtbevölkerung angelogen. Die beeinflussbaren Betriebskosten des Stadttheaters seien tiefer und es sei logisch, dass bei so hohen Investitionen, auch nachher noch Geld aufgewendet werde, diese Finanzfolgekosten habe man damals aber ausgewiesen. Ressortvorsteherin Helena Morgenthaler (SVP) macht zudem darauf aufmerksam, dass an diesem Leistungsvertrag noch an andere kulturelle Institutionen hängen würden, die ebenfalls ins Wanken geraten könnten. Egal. Riskieren wir. Kultur wird eh überbewertet, schliesslich gibt es Netflix und solange ich GNTM schauen kann ist alles super bei mir. 

  • Die Kürzungen werden TATSÄCHLICH angenommen. Arschknapp mit 18 zu 19 Stimmen bei 2 Enthaltungen. Dieser Stadtrat hat definitiv sehr viel Sinn für Drama. Und spielt gerne mit dem Feuer. Haben wir eigentlich Brandmelder in der Alten Mühle oder wurden die schon eingespart?

 

Teil 7: Steuern für Alle!

  • An diesem Punkt haben wir immer noch kein Budget verabschiedet, was heisst, dass wir immer noch bei Traktandum 2 rumdümpeln. In der Privatwirtschaft würde diese Sitzung bereits als höchst ineffizient gelten, aber wir sind hier schliesslich nicht in der Privatwirtschaft, wie ja in regelmässigen Abständen betont wird. Mein geistiger Zustand ist inzwischen so zerrüttet, dass ich schon beim Wort Defizit Hitzewallungen bekomme.

  • Immer noch ungeklärt ist die Frage, ob der Steuersatz jetzt erhöht wird oder nicht. Patrick Freudiger (SVP) beschwert sich in seinem Votum erst lang und breit über die Blockadehaltung der Linken, die den Rotstift gleich entsorgt hat und nirgends sparen will, nur um dann zu verkünden, dass man der Steuererhöhung mehrheitlich zustimmen. Wollt ihr mich verarschen? Wieso musste ich mir dann das ganze Gejammer über drei Stunden anhören, wenn man dann doch erhöhen will? Hätten wir das nicht abkürzen können

  • Wenn ich das jetzt also richtig verstanden habe, darf ich mehr Steuern zahlen und dafür verschlechtert sich die Leistung, die ich von der Stadt erhalte. Cool. Hat sich echt gelohnt

     Teil 8: Das Ende der unendlichen Geschichte

  • ENDLICH wird über das Budget abgestimmt. Allerding schafft es das Stadtratsbüro dreimal falsch auszuzählen. Ein Zählrahmen wäre vielleicht nicht schlecht, aber den müsste Langenthal sich ja erstmal leisten können, ne. 

  •  Weil die Abstimmungsbotschaft geändert werden muss, wird das Volk übrigens erst im Januar über das Budget abstimmen. Hoffen wir mal, dass die Botschaft nicht schon gedruckt ist, denn ansonsten hätten wir Druckerkosten generiert und das würde Langenthal in den Abgrund reissen. Aber vielleicht gibt’s bald kostengünstige Kurse für engagierte Mitbürger:innen, in denen sie Pergament  für die Verwaltung schröpfen können.

  • Apropos Abstimmungsbotschaft: Die wird natürlich auch noch revidiert, denn besonders Diego Clavadetscher (FDP) hat es sich zu seiner persönlichen Aufgabe gemacht, jede Formulierung der Botschaft liebevoll zu schleifen.  Und das dermassen ausführlich, dass einer seiner Anträge auf ein Blatt gedruckt werden muss, weil er zu lang ist, um ihn zu projizieren. Diese Druckerkosten, diese Druckerkosten!

  • Am liebsten würden die Bürgerlichen auf jeder Seite der Abstimmungsbotschaft vermerken, dass der Steuersatz EINMALIG auf 1.44 erhöht wird, nur damit das ja niemand falsch versteht und wir nie mehr daran rütteln können. Am besten meisseln wird den Steuersatz doch einfach in einen Stein, den mir als Mahnfigur vor den Glaspalast stellen, damit alle Behördenmitglieder bei Arbeitsbeginn sich davor auf den Boden werfen und dem tiefen Steuersatz huldigen können.

Teil 8: Das Ende der unendlichen Geschichte

  • Ich bin inzwischen an einem Punkt, wo ich mir ernsthaft überlege Feueralarm auszulösen, um die Sitzung zu unterbrechen. Es ist schon verdammt spät und ein Ende nicht wirklich in Sicht. Toll. Ich möchte eine Lama – Entschädigung für Monsterdebatten.

  • Oh, Moment, der Stadtrat zeigt Erbarmen. Er behandelt lediglich noch ein zwingendes Traktandum, das dazu noch sehr unbestritten ist: Madiswil will bei der Jugendfachstelle Tokjo andocken. Wie schön! Und da es uns nicht kostet, wird es wohlwollend durchgewunken, wobei Peter Bösiger (SVP) das Kunststück vollbringt, ein knackiges Statement, bestehend aus einem Satz, anzubringen. Der Mann ist ein Held und ein Vorbild!

  • An dem Punkt wird die Sitzung abgebrochen. Freiheit, wie das duftet! Eine ewig lange Stadtratssitzung geht zu ende und obwohl es zwischendurch ganz schön heftig wurde, leben alle Beteiligten noch. Wenn das mal nicht ein schönes Ende für diese Geschichte ist. Freuen wir uns auf die nächste! 

Best of

«Mit den Steuereinnahmen richten wir unser aller Wohnzimmer ein!» Mit diesem niederen Steuersatz wird’s wahrscheinlich eher eine Abstellkammer: Roland Loser (SP).

«Wollt ihr in die Pause, Herrschaften?!» Stadtratspräsidentin Beatrice Lüthi (FDP) droht oder lockt mit einer vorzeitigen Pause. Man weiss es nicht recht.

«Warum nicht gleich 1.7 1.8, 1.9!» Patrick Freudiger (SVP) und sein nie enden wollender Alptraum eines sich ständig erhöhenden Steuersatzes.

«Langenthal ist nicht unattraktiv. Der Kanton Bern ist unattraktiv!» Sandro Baumgartner (SP) lässt nichts auf seine schöne Stadt kommen.

«Sag mir kurz, als was du redest.» Beatrice Lüthi (FDP) unterstützt Diego Clavadetscher (ebenfalls FDP) bei seiner Identitätsfindung.

«Sollen die Leute doch selber schauen, wie sie das Stadttheater finden, wenn uns das Geld für das Marketing fehlt.» Saima Sägesser (SP). Wenn das Theater wirklich kaputt gespart ist, ist es vielleicht auch besser, wenn’s niemand mehr findet.

« Ich fühle mich selbst wie in einem Theater – in einem Trauerspiel der Symbolpolitik.» Georg Cap (Grüne) und seine ganz persönlich Rocky Horror Picture Show.

«Leute, die sich rhetorisch selbst beweihräuchern mit ewig langen Reden!» Wieder Georg Cap, mit der Zusammenfassung eines römisch-katholischen Gottesdienstes.

«Die Sitzung passt zum heutigen Datum: Halloween.» Stellt sich die Frage, wer hier Süsses oder Saures kassiert. Paul Bayard (SP).

    «Mehr als zweimal reden, bringt irgendwann auch nichts mehr.» Beatrice Lüthi (FDP), frei nach     der Philosophie, Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.

    «Sonst sollen sie (die Fraktion) mich nachher verkloppen.» Patrick Freudiger (SVP) gibt                  Einblicke in die Diskussionskultur der SVP.

    «Können mich danach auch verkloppen.» Die offenbar auch auf der linken Seite gepflegt wird:     Sandro Baumgartner (SP).

  «Bevor noch der Tierschutz kommt, beenden wir die Sitzung lieber.» Beatrice Lüthi (FDP)                kümmert sich nämlich um ihren Zoo, denn Stadträt:innen sind schliesslich geschützt.

 

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