Donnerstag, 3. August 2023

Die etwas andere 1. August - Rede

 

Also, erst einmal: Es tut mir leid. Für euch. Ihr hättet es verdient, dass eine Bundesrät:in hier eine Rede hält oder zumindest eine echte Autorin. Und was bekommt ihr? Mich. Eine griesgrämige Bloggerin, die ihre Zeit damit verbringt, gepflegte Bösartigkeiten über Stadt – und Gemeinderat zu verbreiten. Kennt ihr das Märchen von Dornröschen, wo ganz am Anfang, die dreizehnte Fee die Party crasht? Das bin ich!

Ich kann euch aber beruhigen: Diese «Festrede» wird so, wie Beziehungen mit mir nun mal sind. Anstrengend, aber schnell vorbei.

Aber ich freue mich sehr, darf ich diese Rede heute halten, denn das war ehrlich gesagt schon immer ein Traum von mir. Früher, als ich noch ein kleines durchgemobbtes Kind war, dachte ich immer: Dési, wenn du einmal eine 1. August – Rede halten darfst, dann hast du es geschafft, dann hast du wirklich etwas erreicht in deinem Leben…oder du bist Politikerin geworden.

Kurz nach der Anfrage bin ich allerdings in Panik geraten, weil mir bewusstwurde, dass ich sehr wenig über Schweizer Geschichte weiss. Tatsächlich habe ich in meinem ganzen Leben nur ein einziges Schweizer Geschichtsbuch gelesen:  Globi und Wilhelm Tell.

Im Vorfeld habe ich mir deshalb ein Buch namens «die Geschichte der Schweiz» zu Gemüte geführt und habe erfahren, dass wir mal so ein richtig krasses Kriegervolk waren. Fast so ein bisschen Wikinger. Wir haben erobert! Vor allem die Berner, die haben sich ja alles unter den Nagel gerissen, was nicht bei drei auf dem Baum war. Ganz extrem waren zum Beispiel die Haslithaler, die wollten zwischendurch sogar einen eigenen Kanton gründen (warum sind wir nie auf die Idee gekommen? Kanton Oberaargau, das wäre es doch!)  

Und wir waren berühmt dafür! Armeen haben dafür bezahlt, dass Schweizer Söldner auf ihrer Seite kämpfen!

Heute sind unsere kämpferischen Fähigkeiten nicht mehr so gefragt. Das Einzige, was wir heute noch bewachen, ist der Papst. Und wer will den denn schon ernsthaft umbringen? Erstens, liegt sein…nennen wir es mal natürliches Ablaufdatum jetzt nicht in so weiter Ferne und zweitens kommt da ja immer ein neuer, der zwar anders heisst, aber exakt so aussieht wie der vorherige.

Aber wir müssen ja auch nicht kämpfen, wir sind neutral. Momentan wird darüber viel diskutiert: Neutralität, ist das noch zeitgemäss, ist das heldenhaft, ist das pazifistisch…ich finde, Neutralität ist wie der Kampf gegen den Klimawandel: Gesunder Selbsterhaltungstrieb. Mal ehrlich, unsere Armee dient doch vor allem dazu, jungen Menschen das Denken ab – und das Rauchen anzugewöhnen. Die männliche Schweiz hat uns Frauen wenigstens einmal was Gutes getan: Als sie uns die Wehrpflicht erspart haben.

Wir haben vielleicht nicht die beste Armee der Welt, was wir aber haben, ist die beste Demokratie der Welt. Direkte Demokratie. Was für eine Errungenschaft. Wir, also die einfachen Bürger:innen, dürfen mithelfen unser Land runtzerzuwirtschaften…äh, ich meine, zu gestalten. Grossartig. Aber ganz ehrlich: Manchmal finde ich direkte Demokratie schon anstrengend. Also, jetzt nicht, weil die Abstimmungsvorlagen so kompliziert wären. Ich war nur einmal intellektuell überfordert, dann als es Kuhhörner ging. Nein, was mich regelmässig an meine Grenzen bringt, ist dieses BESCHISSENE ABSTIMMUNGSCOUVERT!

Ich meine, ich bin jetzt wirklich kein aggressiver Mensch, aber diese Dinger, ich schwöre, wer hat sich das ausgedacht? Da reisst du voller Euphorie das Couvert auf, weil du so heiss darauf bist, deine Meinung abzugeben und dann merkst du, du hast schon alles falsch gemacht, weil man dieses Couvert ja nicht normal öffnen darf. Und wenn du es dann geschafft hast, alles auszufüllen und pünktlich abzuschicken, hast du zwei Tage später dein Stimmcouvert wieder im Briefkasten, weil du Dödel es dir nämlich selber zugeschickt hast.

Was mich auch stört an der direkten Demokratie: Du bekommst nie Feedback. Du weisst gar nicht, ob du es richtig gemacht hast. Vielleicht fülle ich seit Jahren meine Stimmunterlagen so kreuzfalsch aus, dass sie immer ungültig sind. Und ich weiss es einfach nicht.

Gut, zur Not haben wir auch noch Parteien. Die wären theoretisch für das seriöse Politisieren zuständig. Man merkt nur gerade nicht so viel davon, denn jetzt ist Wahljahr, darum drehen sie alle wieder durch. Die FDP setzt auf künstliche Intelligenz. Naja, man arbeitet halt mit dem, was man hat. Wenigstens ist das Wahlprogramm der FDP einfach zu verstehen: Wir kümmern uns um euch. Ausser ihr seid arm, krank oder alt, dann schaut bitte selbst zu euch!

Die Grünen heulen rum, weil sie immer noch keinen Bundesratssitz haben. Wahrscheinlich dauert es nicht mehr lange, bis sie sich aus Protest gegen diese Ungerechtigkeit ans Bundeshaus pappen.  Und die Mitte…keine Ahnung was die Mitte eigentlich so treibt, die sind halt irgendwie auch mit dabei und quäken zwischendurch «wir sind weder links noch rechts», was ein bisschen so rüberkommt, wie wenn ich meinen Arbeitgeber versichern würde, ich sei zwar stinkfaul, aber immerhin weder drogenabhängig noch gewalttätig. Die GLP dagegen will den Klimawandel mit Technologie bekämpfen. Also, mit Technologie, die noch gar nicht erfunden worden ist. Und die soziale Ungerechtigkeit beseitigen wir mithilfe von Einhörnern.

Die SVP benimmt sich zusehends wie so ein überaus cholerischer und antiquierter Grossvater, den man zu grossen Anlässen im Keller versteckt, damit er nicht wieder was Unpassendes sagt. Wobei, sie werden auch oft falsch. Sie haben zum Beispiel nicht explizit etwas gegen Muslime. Sie können einfach grundsätzlich nicht verstehen, wie man überhaupt einen anderen Gott als Christoph Blocher anbeten kann. Denn schliesslich hiess es schon in der Herrliberg Bibel: Du sollst neben mir keine anderen Götter ehren!

Die SP ist das Gegenteil der SVP, nämlich ein schlimm pubertierender Teenager: Sie sind entweder gerade wegen irgendwas sehr traurig oder sehr wütend. Und wenn jemand was Falsches zu ihnen sagt, ziehen sie sich gerne schmollend in die Ecke zurück oder reisen spontan nach Bali, um sich wieder selbst zu finden und über die Schlechtigkeit der Welt nachzudenken. Falls Sie aber Angst davor haben, die SP könnte ihre Drohung vom Klassenkampf wahrmachen und eine Revolution anzetteln, kann ich Sie beruhigen: Das wird nicht passieren, denn wenn die Revolution nicht in einem geschützten Raum, ohne Konsumzwang, mit genau gleich viel Frauen wie Männern und unter Einbezug aller Minderheiten stattfindet, machen wir da sowieso nicht mit.

Dass die Linken sich nicht mehr um die Arbeitnehmenden kümmern, ist allerdings gelogen. Das beweist die JUSO, die will nämlich die 25 – Stunden Woche einführen. Die 42 Stunden Woche werde den Bedürfnissen der Menschen nicht gerecht. Ich bin ehrlich beeindruckt. Also, nicht von der Forderung, sondern davon, dass die JUSO weiss, dass wir die 42 Stunden Woche haben. Irgendjemand muss ihnen das erzählt haben, denn aus eigener Erfahrung können sie es ja nicht wissen.

Arbeit ist uns Schweizer:innen sehr wichtig. Es gibt da diese philosophisch angehauchte Frage: Arbeiten wir, um zu leben oder leben wir, um zu arbeiten? In der Schweiz fragen wir uns das nicht, wir wissen, wir arbeiten, damit wir die Krankenkasse bezahlen können, damit die wiederum unsere regelmässigen Aufenthalte in der Burn – out Klinik bezahlen können. In der Schweiz existiert sogar noch Kinderarbeit. Heute heisst es einfach «Papiersammlung.» Man sollte meinen, die Schule habe den Auftrag, den Kindern dabei zu helfen ein Rückgrat zu entwickeln und nicht, es ihnen zu brechen.

Ich wurde als Kind in der Schule ohnehin nachhaltig traumatisiert. Es fällt mir heute noch schwer, öffentlich darüber zu reden, aber ich…ich…ich war ein Bonne Chance Kind! Überdrehte Puppen namens Pierrot et Pierrette wurden auf mich losgelassen, um mir Französisch beizubringen. Das war verstörend. Französisch habe ich auch nicht gelernt, dafür weiss ich immer noch, dass der Hund von Familie Chatalain Merlot hiess und die Katze Minette. Gut, die heutigen Schüler:innen sind noch ärmer, die wurden mit dem Mille Feuilles unterrichtet dran und wissen nicht einmal, dass das, was sie gelernt haben, Französisch sein soll.

Dabei wäre Französisch so schön. In der Schweiz sprechen wir ohnehin nur schöne Sprachen. Französisch, italienisch, rätoromanisch…und Schwyzerdütsch. Das ist reine Poesie. Mal ehrlich, was ist das schnöde und kalte «ich liebe dich» gegen ein beherztes «i ha di gärn»? Und den zärtlichen Ausdruck «es Gspüri ha» könnte nicht einmal Goethe angemessen übersetzen. Wobei das schönste schweizerdeutsche Wort hat mir meine Grossmutter beigebracht, damals, als ich noch ein kleines Mädchen war. «Schaffseckel.»

Meine Eltern brauchten dann recht lange, um mir beizubringen, dass «Grüezi, Schafseckel» keine angemessene Begrüssung von Fremden ist.

Schwyzerdütsch wird ungerechterweise im Ausland oft belächelt. Nichts ist schlimmer, als deutsche Komiker:innen, die unseren Dialekt nachahmen und dabei Worte wie «Fränkli» verwenden. Als würde irgendjemand von uns «Fränkli» sagen. Ausserdem wir uns ja gerne nachgesagt, wir seien so «unterkühlt.» Bitte, wie lächerlich ist denn das? Wir sind nicht «untergekühlt», wir sind ein sehr emotionales Volk und grosse Romantiker, wir verheiraten sogar unsere Banken.

Aber gut, die meisten Länder meinen ja auch, das Zürich unsere Hauptstadt ist. Die Hauptstadt der Schweiz ist, natürlich, Langenthal. Und kommt mir jetzt nicht mit Bern. Die haben vielleicht das Bundeshaus, aber wir, wir haben den Glaspalast, ist ja sonnenklar, wer von uns der wahre Mittelpunkt der Schweiz ist. Schade, begreift das ausser uns niemand so wirklich, denn der Oberaargau ist in der Schweiz das, was der Osten in Deutschland ist: Nationale Aufmerksamkeit bekommen wir nur dann, wenn wir mal wieder Nazis ins Parlament wählen.

Aber die Schweiz ist schon schön. Ich mag an der Schweiz sogar Dinge, die andere nicht mögen. Zum Beispiel SRF. Viele beklagen sich über das Schweizer Fernsehen, so von wegen, es sei zu links oder zu rechts oder zu langweilig, aber ganz ehrlich, SRF trifft mich mindestens einmal im Jahr fest ins Herz.

Dann, wenn ich die Serafe Rechnung bekomme.

Nein, ehrlich, SRF hilft mir sehr im alltäglichen Leben. Zum Beispiel mit dem Literaturclub. Als Buchhändlerin bin ich verpflichtet, mir jede Sendung anzusehen. Damit ich weiss, was ich meinen Kund:innen ganz bestimmt nicht empfehlen werde. Schweizer Literatur lässt sich ohnehin in zwei Kategorien unterteilen. Krimis – rein literarisch wird bei uns so munter gemordet, wenn das wirklich so wäre, müsste die SVP sich nicht in die Hosen machen, von wegen «10 Millionen Schweiz» - und Bücher, die lassen bei dir das Gefühl zurück, dass es vielleicht besser wäre, sich gleich in die Aare zu stürzen und dieses Dasein zu beenden, weil eh alles sinnlos ist.

Bei der Literatur haben wir durchaus Verbesserungspotenzial. Und wisst ihr, wo wir noch Verbesserungspotential haben? Bei der Nationalhymne. Ich meine, sorry, dieser Schweizer Psalm? Was will der denn aussagen? Hurra, wir sind die Schweiz, wir haben Sonnenaufgänge, manchmal aber auch Nebel und egal was für Wetter ist, wir bleiben fromm und beten zu Gott? Und dann die Melodie… ich bezweifle das die Eidgenossen zu einer solchen Melodie in den Kampf gezogen wären, weil dazu kann man nicht marschieren. Dazu geht höchstens Ausdruckstanz.

Dabei gebe es bessere Alternativen. Wie wäre es denn zum Beispiel mit etwas Fetzigem wie «Wenn eine tannige Hose het?» Das verbreitet doch gleich gute Laune! Oder «s’Vogelisi»? Wir könnten auch was Modernes nehmen, wie zum Beispiel «D’Wnuss vo Bümplitz». Oder irgendöppis vom Baschi…wobei lieber nicht, diese Texte kann man nur singen, wenn man bekifft ist.

Doch warum in die Ferne schweifen, wo das Gute so nah ist? Es gäbe da bereits eine sehr schöne Hymne, die perfekt zu uns passen würde: Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum! Deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt, alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt.

 

Ja, ja, ich weiss, was ihr jetzt sagt: Ihhh, Eurohymne, was soll das, die EU ist böse, wir wollen nicht in die EU! Aber was wäre, wenn nicht wir Teil der EU werden, sondern die EU - Teil von uns? Versteht ihr, wir fragen die europäischen Länder einfach, ob sie sich nicht uns anschließen und zu Kantonen werden wollen. Und die kämen wahrscheinlich sogar, weil wir haben das, was der EU fehlt: Geld. Wäre das nicht geil? Wir müssten dann nicht immer alle über Ostern ins Tessin runterrasen, wir könnten dann einfach im Kanton Griechenland oder im Kanton Schweden chillen. So viele Probleme wären gelöst. Die Linken wären endlich Teil von Europa, wie sie es sich immer gewünscht haben und die SVP müsste sich nicht mehr über Ausländer:innen aufregen, weil das wären dann ja alle Schweizer:innen.

 

Wenn wir dann diese neue große Schweiz haben, brauchen wir natürlich eine neue Regierung dafür. Eine kompetente Regierung. Das heißt alle Männer scheiden schon einmal aus. Es heißt ja schließlich auch „die Schweiz“ und nicht „der Schweiz“. Und eigentlich würde ja auch eine Frau reichen, oder? Eine kluge, weitsichtige, vielseitig talentierte Frau als neue Königin Helvetia. Bescheiden und demütig. Ich will mich nicht aufdrängen, aber ich…ich hätte Zeit. Ich hätte genau den richtigen Groove dafür. Lama I. Königin von Langenthals Gnaden, Herrscherin über die Schweiz…das klingt doch gut.

 

Und wisst ihr, was das Erste ist, was ich machen würde? Ich würde diese SCHEISS ABSTIMMUNGSCOUVERT ABSCHAFFEN! Statt abzustimmen, könnt ihr eure Zeit mit was viel Besserem verbringen: Mir zu huldigen. Wer ist cool und unwiderstehlich, welche Untertanen sind selig?

 

Also, denkt immer daran, wenn ihr euch über diese schrecklich langsame Demokratie in der Schweiz, die nervigen Wahlen  und die unfähigen Politker:innen ärgert

 

Es könnte schlimmer sein. Ihr könntet auch mich haben.

 

Schöne 1. August.

 

 

 

 

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