Man
kann von uns Katholik:innen halten, was man will, aber man muss uns eines
zugestehen: Wir wissen, wie man Feste feiert. Vergesst die Krönung von König
Charles, ich kann euch versichern, die ist nichts gegen einen normalen
Sonntagsgottesdienst bei uns. Wir kleckern nicht, wir klotzen. Sogar wenn der
Pfarrer bei uns mal kurz ins Taschentuch hustet, untermalen wir das mit
dramatischer Orgelmusik oder zumindest mit begeistertem Schellen von Glöckchen.
Ihr
denkt jetzt vielleicht, okay, die meint das jetzt hundertprozentig sarkastisch,
aber nein, dem ist nicht so. Ich sage euch, nichts ist so unterhaltsam und
mitreissend wie ein katholischer Gottesdienst. Das fängt schon an, wie die
Zelebranten hereinkommen. Die kommen da nicht so normal reingeschlurft, nein,
nein, die marschieren durch den Mittelgang als würden sie in die Schlacht
ziehen, während von oben die Orgel dröhnt und das Kirchenvolk voller Innbrunst «Grosser
Gott wir loben dich» schmettert. Und das Kirchenvolk steht dabei übrigens! Wir
hängen nicht einfach so in unseren Kirchenbänken, wie ihr Reformierten, nein,
wir stehen! Und dann setzen wir uns wieder hin! Nur um gleich danach wieder
aufzustehen! Und an besonders wichtigen Stellen knien wir sogar! Und manche von
uns knien sogar bis ganz zum Ende des Gottesdienstes, weil sie so voller
Ehrfurcht sind!
Okay,
vielleicht, auch weil sie nicht mehr hochkommen, unsere Kirchenbänke sind
nämlich echt hart.
Jedenfalls
ist schon der Einzug bei uns ein Statement. Ganz zu schweigen davon, dass
unsere Ahnen es geschickt verstanden haben, Genussmittel in den Gottesdienst
einzubauen. Neben dem Wein (übrigens ein eindeutiger Beweis, dass Jesus eine
coole Socke war, ich meine, er hat Wasser in Wein verwandelt und nicht etwa in
einen Vitamin – Smoothie, wie es irgendwelche Yoginis heute tun würden), haben
wir auch Weihrauch. Der ist auch deswegen praktisch, weil er dir bei Erkältungssymptomen
die Viren aus der Nase brennt.
Gut,
als Ministrantin fand ich den Weihrauch nicht so klasse, weil ich immer Angst
hatte, mich mit dem Teil selbst in Brand zu stecken. Und je nach Menge sah man
auch nicht mehr, wo man jetzt hin stolperte, was vorne am Altar zu der einen
oder anderen Massenkarambolage führen konnte. Das Leben als Ministrantin ist ohnehin
nicht leicht, denn abgesehen davon, dass es gar nicht so leicht ist, in diesen
Nachthemden würdevoll auszusehen, ist man permanent gestresst, nicht nur, weil
man dem Pfarrer alles hinterhertragen muss, sondern auch weil man vor dem
Kirchenvolk sitzt und komplett ausgestellt ist. Da ist nichts, mit sich kurz in
der Nase bohren oder am Hintern kratzen, nein, Ministrant:innen haben stets
kerzengerade dazusitzen und mit strenger Miene ins Kirchenvolk zu blicken.
So
ist es kein Wunder, dass das Ministrieren für mich irgendwann seinen Reiz
verlor und ich mich anschickte, eine jener Katholik:innen zu werden, die auf
magische Weise wieder in die Kirche zurückkehren, sobald ihre Hochzeit ansteht,
doch meine Mutter hatte andere Pläne mit mir. Sie machte sich Sorgen, ich könne
ohne ein «richtiges» Hobby vereinsamen (Anime schauen, Harry Potter lesen und auf
dem Bett liegend über die Schlechtigkeit der Welt sinnieren, während Tokio
Hotel in Dauerschleife lief, galten in ihren Augen nicht als Hobbies), also schleppte
sie mich als Fünfzehnjährige in den Kirchenchor, wo ich ungefähr so wenig
auffiel, wie ein Walross unter Pinguinen. Mein ursprünglicher Plan war
eigentlich, ein Jahr oder so durchzuhalten und mich dann mit einer
fadenscheinigen Ausrede aus der Affäre zu ziehen (ursprünglich hatte ich vor,
zu behaupten, dass ich mir ein Hobby suchen wollte, das mich mit Gleichaltrigen
zusammenbringt, aber das hätte mir meine Mutter niemals abgekauft, weil ich
Gleichaltrige genauso furchtbar fand, wie sie mich umgekehrt auch, deswegen
wollte ich eine akute Allergie auf Weihrauch vorschützen, was mir glaubwürdiger
erschien), aber was soll ich sagen: Ich kann inzwischen auf eine
fünfzehnjährige Karriere als Chorsängerin zurückblicken, was wirklich
erstaunlich ist, weil ich es in den meisten Beziehungen nicht mehr als fünfzehn
Minuten aushalte.
Warum
ich letzten Endes im Chor hängen geblieben, kann ich nicht mal mehr genau sagen,
vielleicht weniger aus Glaubensgründen als vielmehr aus wissenschaftlichem
Interesse. Denn ein Kirchenchor ist ein interessanter Mikrokosmos sozialer
Beziehungen und Interaktionen und nicht zuletzt ein Pool aus verschiedenen
Charakteren, die merkwürdigerweise in allen Kirchenchören vertreten zu sein
scheinen.
Da
gibt es zum Beispiel die Gruppe der Ambitionierten, die eigentlich einst eine
Karriere in der klassischen Musik anstrebten, für die es dann allerdings nicht
gereicht hat und die daher bei den Laien gelandet sind. Denen gegenüber treten
sie nicht hochmütig auf, aber doch mit einer gewissen Aura des Überirdischen,
das sich notgedrungen in die niederen Gefilde begeben hat. Man erkennt sie
leicht daran, dass sie ihren Mitsänger:innen ungefragt Passagen vortragen
(damit die hören, wie es richtig geht), sich theatralisch an die Brust fassen,
wenn ausnahmsweise sie daneben hauen («immer bei dieser Stelle falle ich
rein!») oder dass sie auch öfters mal den Dirigenten/ die Dirigentin
korrigieren.
Quasi
das Gegenteil von ihnen bildet die Gruppe der verwirrten Legeren, für die das
Singen ein schöne Hobby ist, aber ein Minimum an Aufwand dafür betreiben
wollen. Bei ihnen ist man schon positiv überrascht, wenn sie die richtigen
Noten dabeihaben und wissen, welche Stelle man gerade übt. Zu erkennen sind sie
daran, dass sie nie einen Bleistift dabeihaben, um sich die Anweisungen der
Chorleitung zu notieren und dass sie öfters mal zu spät kommen, weil sie im
falschen Probelokal gelandet sind.
Eng
verwandt mit ihnen sind die Sozialen. Sie backen Kuchen für die Probe,
organisieren Reisen und sorgen sich um das psychische Wohl ihrer
Mitsänger:innen, indem sie rechtzeitig Pausen einfordern. Es versteht sich,
dass sie die Chorprobe auch gerne nutzen, um nach Herzenslust mit ihren
Sitznachbar:innen zu ratschen, wobei sie es als störend empfinden, dass die
Chorleitung sie dabei stets mit so nebensächlichen Dingen, wie der
tatsächlichen Probearbeit unterbricht.
Dann
gibt es noch die Seriösen, die sich ihre Passagen stets in drei verschiedenen Farben
anstreichen, sich den Bleistift streng hinters Ohr geklemmt haben, um ihn
sofort einsetzen zu können, wenn die Chorleitung eine Korrektur anbringt und
die ihre Noten fein säuberlich abheften, damit sie sie ja nicht verlieren. Sie bedenken
jene mit strengen Blick, die die Chorarbeit mit Schwatzen stören und vergöttern
die Chorleitung mit einer Hingabe, nach der sich mancher Pfarrer die Finger
lecken würde.
Mit
der Chorleitung ist es ohnehin so eine Sache, denn so besonders und speziell
die Chorsänger:innen auch sein mögen, sie werden um vielfaches noch übertroffen
von den Dirigent:innen, den Paradiesvögeln unter allen Musikschaffenden, bei
denen man nie recht weiss, ob das was sie tun jetzt unter Kunst, Handwerk oder
doch eher unter anspruchsvoller Turnübung fällt. Das liegt auch daran, dass sie
selbst eine sehr unterschiedliche Auffassung ihrer Arbeit haben. Da kann dich
der eine über die Wichtigkeit der körperlichen Ertüchtigung vor dem Gesang
belehren und dich beim Einsingen dazu zwingen, zwanzig Hampelmänner zu machen,
nur damit die nächste dir erklärt, das sei Blödsinn, das Instrument des
Singenden sei seine Stimme, nicht der Körper, worauf du 20 x die Tonleiter rauf
– und runterklettern muss, worauf dein dritter Chorleiter den Kopf schüttelt
und meint, Einsingen sei eh für die Katz und verschwendete Zeit.
Musik
ist eben immer auch Interpretation, was man auch daran sieht, dass sich manche
Dirigent:innen geradezu sklavisch an jedes Piano und jedes Forte halten,
während andere achselzuckend darüber hinweggehen, nicht selten mit der
Bemerkung, dass an den meisten überlieferten Werken so viel rumgekritzelt
worden sei, dass es sich dabei sowieso nicht um Originalanweisungen handeln
könne und ohnehin seien Angaben zur Dynamik eher Richtlinien denn Vorschriften.
(Was
mir ganz gut passt, denn für mich sind Notenwerte auch eher Richtlinien, denn
Vorschriften).
In
der Ausübung ihrer Dirigierpflicht zeigen sich dann auch die unterschiedlichen
Temperamente der Chorleiter, denn während die einen kaum die Finger bewegen
(und es den Sänger:innen so fast unmöglich machen zu entscheiden, ob das jetzt
ein Einsatz oder doch eher ein spastisches Muskelzucken war), fuchteln die
anderen herum, als hinge ihr Leben davon ab (dramatisches Kopfschütteln
inklusive). Bei letzteren hat man hin und wieder Angst, sie könnten – falls sie
im Besitz eines Taktstockes sind – jemanden versehentlich ein Auge ausstechen
oder aber vor lauter Eifer rücklings von der Empore stürzen.
(Bei
sehr ehrgeizigen Dirigent:innen fürchtet man auch, sie könnten sich in Falle
einer schiefgelaufenen Aufführung gleich freiwillig von der Empore werfen, ganz
nach dem Motto: Wenn schon mein Künstlerherz bricht, kann mein Genick gleich
folgen).
Dem
Chorleiter oder der Chorleiterin kommt trotz – oder vielleicht auch – wegen
seiner/ihrer Exzentrik eine immens wichtige Rolle im Gottesdienst zu, weil er
die Befehlsgewalt über die zwei lautstärksten Elemente hat: Über uns, den Chor
und über die Orgel. Das heisst jeder Pfarrer tut gut daran, es sich nicht mit
der Chorleitung zu verscherzen, denn diese können je nach Laune den
Gottesdienst unterbrechen oder ihn gar beenden. Denn was will der Pfarrer schon
tun, wenn die Orgel brausend zum Ausgangsspiel ansetzt und die Gläubigen
infolgedessen eifrig zu den Türen strömt, wie eine Horde Schafe, die nach
tagelangem Ausharren in einem düsteren Stall erleichtert auf die
sonnendurchflutete Wieso strömen?
Vielleicht
ist es also das leicht erhabene Gefühl der Macht, dass mir meine Mitgliedschaft
im Chor so schön macht, dass ich noch immer geblieben bin. Vielleicht – und das
ist die wahrscheinlichere Variante – bin ich aber auch geblieben, weil der Chor
für mich eine Form von zuhause geworden ist, also das, was die Kirche
eigentlich für uns sein sollte. Ein sicherer Zufluchtsort, wo wir sein können,
wer wir sind, ohne uns verstellen zu müssen, wo wir vielleicht nicht in all
unseren Entscheidungen verstanden, aber akzeptiert werden, wo wir ungeachtet
unserer schlechten Charakterzüge geliebt werden und unser individuelles Streben
als Bereicherung und nicht als Makel gesehen wird.
Beim
Singen sind alle Töne wichtig. Die leisen und die lauten, die melodischen und
die schrägen, die sanften und die mächtigen, die geordneten und die wilden.
Erst wenn sie alle zusammenkommen, ergibt sich daraus die Schönheit der Musik.
Wie schön könnte es in der katholischen Kirche sein, wenn sie das leben würde,
wenn sie aufhören würde zu versuchen, unsere Melodien zu unterdrücken oder sie
zu etwas zu verformen, von dem sie glaubt, dass es richtig sei. Wenn sie sagen
würde, du bist okay und du bist willkommen bei uns, egal wen du liebst, egal
welche Fehler du gemacht hast, egal an was du glaubst, egal ob du unsere
Sprache sprichst oder ob die Wege gehst, die wir gegangen sind, unsere Türen
sind offen für dich, wenn dir die Welt zu viel wird, aber sie sind auch offen
für dich, wenn du die Freiheit suchst.
Wäre
die Kirche so, sie wäre ein wärmerer Ort.
Sie
wäre ein besserer Ort.
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