Sonntag, 25. Februar 2024

Von der Unterhaltsamkeit eines katholischen Gottesdienstes

 

Man kann von uns Katholik:innen halten, was man will, aber man muss uns eines zugestehen: Wir wissen, wie man Feste feiert. Vergesst die Krönung von König Charles, ich kann euch versichern, die ist nichts gegen einen normalen Sonntagsgottesdienst bei uns. Wir kleckern nicht, wir klotzen. Sogar wenn der Pfarrer bei uns mal kurz ins Taschentuch hustet, untermalen wir das mit dramatischer Orgelmusik oder zumindest mit begeistertem Schellen von Glöckchen.

Ihr denkt jetzt vielleicht, okay, die meint das jetzt hundertprozentig sarkastisch, aber nein, dem ist nicht so. Ich sage euch, nichts ist so unterhaltsam und mitreissend wie ein katholischer Gottesdienst. Das fängt schon an, wie die Zelebranten hereinkommen. Die kommen da nicht so normal reingeschlurft, nein, nein, die marschieren durch den Mittelgang als würden sie in die Schlacht ziehen, während von oben die Orgel dröhnt und das Kirchenvolk voller Innbrunst «Grosser Gott wir loben dich» schmettert. Und das Kirchenvolk steht dabei übrigens! Wir hängen nicht einfach so in unseren Kirchenbänken, wie ihr Reformierten, nein, wir stehen! Und dann setzen wir uns wieder hin! Nur um gleich danach wieder aufzustehen! Und an besonders wichtigen Stellen knien wir sogar! Und manche von uns knien sogar bis ganz zum Ende des Gottesdienstes, weil sie so voller Ehrfurcht sind!

Okay, vielleicht, auch weil sie nicht mehr hochkommen, unsere Kirchenbänke sind nämlich echt hart.

Jedenfalls ist schon der Einzug bei uns ein Statement. Ganz zu schweigen davon, dass unsere Ahnen es geschickt verstanden haben, Genussmittel in den Gottesdienst einzubauen. Neben dem Wein (übrigens ein eindeutiger Beweis, dass Jesus eine coole Socke war, ich meine, er hat Wasser in Wein verwandelt und nicht etwa in einen Vitamin – Smoothie, wie es irgendwelche Yoginis heute tun würden), haben wir auch Weihrauch. Der ist auch deswegen praktisch, weil er dir bei Erkältungssymptomen die Viren aus der Nase brennt.

Gut, als Ministrantin fand ich den Weihrauch nicht so klasse, weil ich immer Angst hatte, mich mit dem Teil selbst in Brand zu stecken. Und je nach Menge sah man auch nicht mehr, wo man jetzt hin stolperte, was vorne am Altar zu der einen oder anderen Massenkarambolage führen konnte. Das Leben als Ministrantin ist ohnehin nicht leicht, denn abgesehen davon, dass es gar nicht so leicht ist, in diesen Nachthemden würdevoll auszusehen, ist man permanent gestresst, nicht nur, weil man dem Pfarrer alles hinterhertragen muss, sondern auch weil man vor dem Kirchenvolk sitzt und komplett ausgestellt ist. Da ist nichts, mit sich kurz in der Nase bohren oder am Hintern kratzen, nein, Ministrant:innen haben stets kerzengerade dazusitzen und mit strenger Miene ins Kirchenvolk zu blicken.

So ist es kein Wunder, dass das Ministrieren für mich irgendwann seinen Reiz verlor und ich mich anschickte, eine jener Katholik:innen zu werden, die auf magische Weise wieder in die Kirche zurückkehren, sobald ihre Hochzeit ansteht, doch meine Mutter hatte andere Pläne mit mir. Sie machte sich Sorgen, ich könne ohne ein «richtiges» Hobby vereinsamen (Anime schauen, Harry Potter lesen und auf dem Bett liegend über die Schlechtigkeit der Welt sinnieren, während Tokio Hotel in Dauerschleife lief, galten in ihren Augen nicht als Hobbies), also schleppte sie mich als Fünfzehnjährige in den Kirchenchor, wo ich ungefähr so wenig auffiel, wie ein Walross unter Pinguinen. Mein ursprünglicher Plan war eigentlich, ein Jahr oder so durchzuhalten und mich dann mit einer fadenscheinigen Ausrede aus der Affäre zu ziehen (ursprünglich hatte ich vor, zu behaupten, dass ich mir ein Hobby suchen wollte, das mich mit Gleichaltrigen zusammenbringt, aber das hätte mir meine Mutter niemals abgekauft, weil ich Gleichaltrige genauso furchtbar fand, wie sie mich umgekehrt auch, deswegen wollte ich eine akute Allergie auf Weihrauch vorschützen, was mir glaubwürdiger erschien), aber was soll ich sagen: Ich kann inzwischen auf eine fünfzehnjährige Karriere als Chorsängerin zurückblicken, was wirklich erstaunlich ist, weil ich es in den meisten Beziehungen nicht mehr als fünfzehn Minuten aushalte.

Warum ich letzten Endes im Chor hängen geblieben, kann ich nicht mal mehr genau sagen, vielleicht weniger aus Glaubensgründen als vielmehr aus wissenschaftlichem Interesse. Denn ein Kirchenchor ist ein interessanter Mikrokosmos sozialer Beziehungen und Interaktionen und nicht zuletzt ein Pool aus verschiedenen Charakteren, die merkwürdigerweise in allen Kirchenchören vertreten zu sein scheinen.

Da gibt es zum Beispiel die Gruppe der Ambitionierten, die eigentlich einst eine Karriere in der klassischen Musik anstrebten, für die es dann allerdings nicht gereicht hat und die daher bei den Laien gelandet sind. Denen gegenüber treten sie nicht hochmütig auf, aber doch mit einer gewissen Aura des Überirdischen, das sich notgedrungen in die niederen Gefilde begeben hat. Man erkennt sie leicht daran, dass sie ihren Mitsänger:innen ungefragt Passagen vortragen (damit die hören, wie es richtig geht), sich theatralisch an die Brust fassen, wenn ausnahmsweise sie daneben hauen («immer bei dieser Stelle falle ich rein!») oder dass sie auch öfters mal den Dirigenten/ die Dirigentin korrigieren.

Quasi das Gegenteil von ihnen bildet die Gruppe der verwirrten Legeren, für die das Singen ein schöne Hobby ist, aber ein Minimum an Aufwand dafür betreiben wollen. Bei ihnen ist man schon positiv überrascht, wenn sie die richtigen Noten dabeihaben und wissen, welche Stelle man gerade übt. Zu erkennen sind sie daran, dass sie nie einen Bleistift dabeihaben, um sich die Anweisungen der Chorleitung zu notieren und dass sie öfters mal zu spät kommen, weil sie im falschen Probelokal gelandet sind.

Eng verwandt mit ihnen sind die Sozialen. Sie backen Kuchen für die Probe, organisieren Reisen und sorgen sich um das psychische Wohl ihrer Mitsänger:innen, indem sie rechtzeitig Pausen einfordern. Es versteht sich, dass sie die Chorprobe auch gerne nutzen, um nach Herzenslust mit ihren Sitznachbar:innen zu ratschen, wobei sie es als störend empfinden, dass die Chorleitung sie dabei stets mit so nebensächlichen Dingen, wie der tatsächlichen Probearbeit unterbricht.

Dann gibt es noch die Seriösen, die sich ihre Passagen stets in drei verschiedenen Farben anstreichen, sich den Bleistift streng hinters Ohr geklemmt haben, um ihn sofort einsetzen zu können, wenn die Chorleitung eine Korrektur anbringt und die ihre Noten fein säuberlich abheften, damit sie sie ja nicht verlieren. Sie bedenken jene mit strengen Blick, die die Chorarbeit mit Schwatzen stören und vergöttern die Chorleitung mit einer Hingabe, nach der sich mancher Pfarrer die Finger lecken würde.

Mit der Chorleitung ist es ohnehin so eine Sache, denn so besonders und speziell die Chorsänger:innen auch sein mögen, sie werden um vielfaches noch übertroffen von den Dirigent:innen, den Paradiesvögeln unter allen Musikschaffenden, bei denen man nie recht weiss, ob das was sie tun jetzt unter Kunst, Handwerk oder doch eher unter anspruchsvoller Turnübung fällt. Das liegt auch daran, dass sie selbst eine sehr unterschiedliche Auffassung ihrer Arbeit haben. Da kann dich der eine über die Wichtigkeit der körperlichen Ertüchtigung vor dem Gesang belehren und dich beim Einsingen dazu zwingen, zwanzig Hampelmänner zu machen, nur damit die nächste dir erklärt, das sei Blödsinn, das Instrument des Singenden sei seine Stimme, nicht der Körper, worauf du 20 x die Tonleiter rauf – und runterklettern muss, worauf dein dritter Chorleiter den Kopf schüttelt und meint, Einsingen sei eh für die Katz und verschwendete Zeit.

Musik ist eben immer auch Interpretation, was man auch daran sieht, dass sich manche Dirigent:innen geradezu sklavisch an jedes Piano und jedes Forte halten, während andere achselzuckend darüber hinweggehen, nicht selten mit der Bemerkung, dass an den meisten überlieferten Werken so viel rumgekritzelt worden sei, dass es sich dabei sowieso nicht um Originalanweisungen handeln könne und ohnehin seien Angaben zur Dynamik eher Richtlinien denn Vorschriften.

(Was mir ganz gut passt, denn für mich sind Notenwerte auch eher Richtlinien, denn Vorschriften).

In der Ausübung ihrer Dirigierpflicht zeigen sich dann auch die unterschiedlichen Temperamente der Chorleiter, denn während die einen kaum die Finger bewegen (und es den Sänger:innen so fast unmöglich machen zu entscheiden, ob das jetzt ein Einsatz oder doch eher ein spastisches Muskelzucken war), fuchteln die anderen herum, als hinge ihr Leben davon ab (dramatisches Kopfschütteln inklusive). Bei letzteren hat man hin und wieder Angst, sie könnten – falls sie im Besitz eines Taktstockes sind – jemanden versehentlich ein Auge ausstechen oder aber vor lauter Eifer rücklings von der Empore stürzen.

(Bei sehr ehrgeizigen Dirigent:innen fürchtet man auch, sie könnten sich in Falle einer schiefgelaufenen Aufführung gleich freiwillig von der Empore werfen, ganz nach dem Motto: Wenn schon mein Künstlerherz bricht, kann mein Genick gleich folgen).

Dem Chorleiter oder der Chorleiterin kommt trotz – oder vielleicht auch – wegen seiner/ihrer Exzentrik eine immens wichtige Rolle im Gottesdienst zu, weil er die Befehlsgewalt über die zwei lautstärksten Elemente hat: Über uns, den Chor und über die Orgel. Das heisst jeder Pfarrer tut gut daran, es sich nicht mit der Chorleitung zu verscherzen, denn diese können je nach Laune den Gottesdienst unterbrechen oder ihn gar beenden. Denn was will der Pfarrer schon tun, wenn die Orgel brausend zum Ausgangsspiel ansetzt und die Gläubigen infolgedessen eifrig zu den Türen strömt, wie eine Horde Schafe, die nach tagelangem Ausharren in einem düsteren Stall erleichtert auf die sonnendurchflutete Wieso strömen?

Vielleicht ist es also das leicht erhabene Gefühl der Macht, dass mir meine Mitgliedschaft im Chor so schön macht, dass ich noch immer geblieben bin. Vielleicht – und das ist die wahrscheinlichere Variante – bin ich aber auch geblieben, weil der Chor für mich eine Form von zuhause geworden ist, also das, was die Kirche eigentlich für uns sein sollte. Ein sicherer Zufluchtsort, wo wir sein können, wer wir sind, ohne uns verstellen zu müssen, wo wir vielleicht nicht in all unseren Entscheidungen verstanden, aber akzeptiert werden, wo wir ungeachtet unserer schlechten Charakterzüge geliebt werden und unser individuelles Streben als Bereicherung und nicht als Makel gesehen wird.

Beim Singen sind alle Töne wichtig. Die leisen und die lauten, die melodischen und die schrägen, die sanften und die mächtigen, die geordneten und die wilden. Erst wenn sie alle zusammenkommen, ergibt sich daraus die Schönheit der Musik. Wie schön könnte es in der katholischen Kirche sein, wenn sie das leben würde, wenn sie aufhören würde zu versuchen, unsere Melodien zu unterdrücken oder sie zu etwas zu verformen, von dem sie glaubt, dass es richtig sei. Wenn sie sagen würde, du bist okay und du bist willkommen bei uns, egal wen du liebst, egal welche Fehler du gemacht hast, egal an was du glaubst, egal ob du unsere Sprache sprichst oder ob die Wege gehst, die wir gegangen sind, unsere Türen sind offen für dich, wenn dir die Welt zu viel wird, aber sie sind auch offen für dich, wenn du die Freiheit suchst.

Wäre die Kirche so, sie wäre ein wärmerer Ort.

Sie wäre ein besserer Ort.

 

 

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