Montag, 3. August 2020

Kommentar: Der Fall Porzi


Wer sich für die Hintergründe rund ums Porziareal interessiert: Die Erben der Porzi


Das Schicksal der Porzi beschäftigt die Menschen in Langenthal. Normalerweise bewegt sich die Anzahl der Eingaben in Mitwirkungsverfahren im einstelligen, höchstens zweistelligen Bereich. Im Falle der Porzi waren es 321 Eingaben. Dass sich so viele Menschen, die Mühe gemacht haben, ihre Wünsche für die Zukunft der Porzi zu formulieren, zeigt deutlich, wie präsent das Thema in den Köpfen ist. Zugleich beweist es auch, dass die Einwohner*innen bereit sind, einen aktiven Part zu übernehmen, wenn es um die Gestaltung der Stadt geht. 

299 von den insgesamt 321 Eingaben orientieren sich an der Zukunftsvision „So geit’s ou“, die vom Porziverein ausgearbeitet wurde. Dem Verein ist es gelungen mit einer geschickten und offensiven Informationskampagne, die Menschen zu sensibilisieren und vor allem auch zu mobilisieren. Hartnäckig forschten sie nach, deckten Ungereimtheiten in der Kommunikation von Anliker – Ducksch auf und eigneten sich ein grosses Fachwissen in Bezug auf die Porzi an. Unterstützung bekamen sie dabei von den Lokalmedien. Über kaum einen Prozess wurde so umfassend berichtet, wie über die geplante Transformation des Porziareals. 

Die Vision der Haupteigentümerin Ducksch – Anliker ist ambitioniert. Ein auf Hochglanz poliertes, urbanes Subzentrum soll es werden, inklusive Tiefgaragen und Hochhäusern. Das hat wenig gemein mit der Vorstellung des Porzivereins, die sich eher ein alternatives Quartier wünschen, das in erster Linie von der Kreativität und der Schaffenskraft der dort arbeitenden Menschen lebt. Solche im Kern schon völlig unterschiedlich verlaufende Ziele sind schwer zusammenzubringen. Die misslungene und widersprüchliche Kommunikation von Ducksch – Anliker hat die Kluft noch vergrössert. Die erst kürzlich ausgesprochenen Kündigungen, werden nicht helfen, die Wogen zu glätten.

In der Zwickmühle steckt auch die Stadt bzw. der Gemeinderat. Es ist ihm bis jetzt nicht gelungen, die Brücke zwischen den beiden Parteien zu schlagen, wohl auch, weil er sich schwer damit tut, klar Position zu beziehen. Helfen könnte ihm jetzt die neue Stadtbaumeisterin Sabine Gresch. Mit ihr hat jemand völlig Unbelastetes ins Spiel eingegriffen. Unberührt von den bisherigen Verwicklungen rund um die Porzi, könnte sie  die verhärteten Fronten etwas auflockern. 

Der definitive Mitwirkungsbericht  wird wohl noch eine Weile auf sich warten lassen. Vielleicht wäre aber langsam der Zeitpunkt gekommen, den Ball ans Stimmvolk weiter zu geben. Denn letztendlich sind es die Langenthaler*innen die über eine Umzonung entscheiden müssen. Dabei geht es um mehr als nur um ein Areal, es geht um eine Weichenstellung. 

Mit Langenthal hat man ehrgeizige Pläne. Aus der kleinen Stadt mit Charme soll das Zentrum vom Oberaargau werden. Bahnhof, Stadion, Alte Mühle, Porzi – es wird mit grosser Kelle angerichtet. Besonders die Wohnungen, die überall entstehen sollen, sorgen für Diskussionen. Laut errechnetem Bevölkerungswachstum sind diese Wohnungen notwendig. Nur hat Corona uns gerade eindrücklich gelehrt, dass sich das wahre Leben nur ungern berechnen lässt. Und viele Menschen in Langenthal empfinden es keineswegs so, dass Wohnraum knapp ist – zumal es fraglich ist, ob die so eifrig beworbenen Wohnungen auch für die kleinen Budgets gedacht sind.

Eines beweist der Fall Porzi: Es ist einfach, abstrakte Siedlungsrichtpläne, die man als Laie nur schwer verstehen kann, durchs Volk zu bringen. Doch wenn die Menschen dann sehen, welche tiefgreifenden Veränderungen ein Stadtbild durchmacht, wenn die Visionen tatsächlich Gestalt annehmen, lassen sie sich nicht so schnell darauf ein. Tiefgaragen, Hochhäuser, Luxuswohnungen – braucht Langenthal das? Vielleicht wäre es an der Zeit wieder einen Schritt zurückzugehen und sich nicht auf all das zu fixieren, was Langenthal angeblich fehlt. Sondern auf das, was Langenthal bereits hat: Charakter. Und Herz.  

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